Enzo Weber im Interview

Schon heute zeichnet sich ab, dass KI nicht nur Routineaufgaben, sondern auch anspruchsvolle Tätigkeiten übernehmen kann. Was bedeutet das für unsere Arbeit?





• Kein Grund zur Panik, sagt der Arbeitsmarktexperte Enzo Weber. Er ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regensburg und leitet den Forschungsbereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Ja, einige Berufe werde es so in Zukunft nicht mehr geben, sagt Weber, aber die Angst vor Massenarbeitslosigkeit hält er für unangebracht. Im Gegenteil: KI werde viele neue Jobs schaffen und könnte unsere Arbeitswelt sogar menschlicher machen – wenn wir die Technik klug nutzen.

brand eins: Herr Weber, ich bin Journalist, Sie sind Wissenschaftler. Wer von uns wird zuerst von einer KI ersetzt werden?

Enzo Weber: Keiner von uns, da bin ich mir ziemlich sicher. Künstliche Intelligenz wird bei uns beiden eine sehr große Rolle spielen, aber in unserer Lebenszeit wird sie uns nicht ersetzen. KI kann uns effizienter machen und uns lästige Tätigkeiten abnehmen, damit wir uns auf die Kernaufgaben konzentrieren können. In meinem Beruf spielt etwa statistische Programmierung eine große Rolle. Es ist absehbar, dass Künstliche Intelligenz uns hier sehr viel Arbeit abnehmen kann – und statistische Programmierung ist vielleicht nicht unbedingt die Tätigkeit, wegen der die meisten davon geträumt haben, Wissenschaftler zu werden.

Der Informatiker und Kognitionspsychologe Geoffrey Hinton, der als einer der Väter der KI gilt, warnt davor, diese zu unterschätzen und zu glauben, dass sie uns nur das Lästige abnimmt.

Na ja, das passt mal wieder ins Muster. Es ist schon interessant, dass gerade diejenigen, die mit künstlicher Intelligenz ihr Geld verdienen, jetzt davor warnen, wie mächtig ihre Erfindung ist. Dabei zeigt sich gerade, dass KI zwar gute Texte erstellen kann, die einem bestimmten Schema folgen. Aber gerade in Kreativberufen braucht es etwas anderes: Wenn es darum geht, etwas grundsätzlich Neues zu erschaffen, stößt künstliche Intelligenz an ihre Grenzen.

Ich bin ehrlich gesagt skeptisch, ob ich in meiner Arbeit jeden Tag etwas grundsätzlich Neues erschaffe. Haben Sie nicht einen Tipp, wo ich vor der Automatisierung sicher bin?

Das ist die falsche Denkweise, denn so würden Sie sich ja gezielt vom Fortschritt abkoppeln. Sie sollten froh sein, wenn künstliche Intelligenz in Ihrem Job relevant wird, weil diese Berufe sich weiterentwickeln werden und der Anteil langweiliger Routine-Arbeit tendenziell abnehmen wird. Außerdem haben Sie in diesen Branchen die Chance, dass neue Berufe entstehen und diese in Zukunft deutlich besser bezahlt werden.

Es könnte aber auch sein, dass ich nicht besser bezahlt werde, sondern mein Job wegfällt. Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass in fünf Jahren jeder zehnte Job davon bedroht ist.

Jeder zehnte Job in fünf Jahren? Die Zahl ist überhaupt nicht ungewöhnlich! Jedes Jahr fallen Millionen von Jobs weg. Schauen Sie doch beispielsweise in die Bankenbranche, da verschwinden seit Längerem die Filialen, weil die Banken lieber Automaten einsetzen als Mitarbeiter am Schalter. Seit ein paar Jahren sehen wir, dass Banken durch die Digitalisierung auch weniger Leute für das Backoffice brauchen, also etwa im Controlling. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.

Das heißt: Obwohl es schon heute völlig normal ist, dass jedes Jahr Millionen Jobs aus den verschiedensten Gründen wegfallen, ist die Beschäftigung in den vergangenen Jahrzehnten massiv gestiegen. Ich erwarte, dass dieser Trend in Zukunft bestehen bleibt – solange es noch genug Arbeitskräfte gibt.

Aber was bringt das jetzt dem Steuerberater, dem langsam klar wird, dass von seinem Job nicht viel übrig bleiben wird?

Der Wandel wird nicht von heute auf morgen geschehen. Die Zahl der benötigten Steuerberater wird von Jahr zu Jahr abnehmen. Das lässt sich zu einem Teil dadurch auffangen, dass wir in fast allen Branchen gigantische Abgänge in die Rente haben werden. Bis 2035 wird der deutsche Arbeitsmarkt allein durch den demografischen Wandel um sieben Millionen Personen schrumpfen.

Aber das nützt doch einem Steuerberater nichts, der vielleicht 30 Jahre alt ist und dessen Ausbildung jetzt nichts mehr wert ist.

Ja, beim Einzelnen führt in manchen Fällen kein Weg daran vorbei, dass man sich einen anderen Job suchen muss. Aber es ist auch nicht so, als sei jetzt alles wertlos, was der Steuerberater gelernt hat. Berufe bestehen in der Regel nicht aus einer einzelnen Tätigkeit, sondern erfordern meistens eine Kombination aus vielen Kompetenzen, die auch für andere Jobs nützlich sein können. Deswegen ist es auch schon heute nichts Ungewöhnliches, dass Menschen in Berufen arbeiten, die sie gar nicht erlernt haben. In den nächsten Jahren werden zahlreiche neue Tätigkeiten entstehen. Beispielsweise in der IT-Branche, in der die Beschäftigung boomt.

Zudem führt Hochtechnologie oft dazu, dass die Produktion wieder regionaler wird, weil Unterschiede bei den Lohnkosten eine geringere Rolle spielen. Und außerdem können durch KI neue Helferjobs entstehen, die immer da gebraucht werden, wo das System nicht selbstständig weiterkommt. Die KI weiß zum Beispiel, wann welcher Elektroroller aufgeladen werden muss, aber sie kann ihn nicht selbst einsammeln gehen. Es stimmt also, dass es zu großen Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt kommen wird, aber nicht zu einem Einbruch.

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