Küchen-Wirtschaft

Experimentieren Sie!

Die Küche – egal ob daheim oder in der Gastronomie – ist ein eigener Kosmos, der viel über uns, die Wirtschaft und die Gesellschaft verrät. Luka Lübke, Köchin und Autorin, erzählt, wie kreativ es sich mit KI kocht – oder doch lieber ohne.





Abbildung: © mauritius images / Memento

• In der Kulinarik gibt es imposante Datenbanken, die einem in Windeseile nicht nur ein saisonales Menü schreiben und rezeptieren, sondern auch die passenden Weine vorschlagen, Einkaufslisten erstellen und obendrein Ideen zu Musik und Tischgestaltung haben. Werden Weinläden, Köche und Sommeliers bald überflüssig?

Als Heranwachsende bewunderte ich die Kellnerinnen und Kellner in den Restaurants für ihre Sicherheit bei der Auswahl der Weine und noch mehr für ihre Fähigkeit, deren Geschmack zu beschreiben. Fein eingebundenes Säurespiel, Töne und Nuancen von irgendwas, Blumensträuße und Anmutungen, Früchte, Blumen und Leder, Terroir, Terrain, Château und Grand Prix de la Chanson, rhombenförmig im Abgang.

Ich wollte das lernen. Lernen, zu welchem Essen welcher Wein passt. Lernen, so zu reden. Ich kaufte Bücher, las und las – und nichts blieb hängen.

„Du musst auch trinken“, erklärte mir mein damaliger Sous-Chef Janosch, als bei uns die Food-and-Wine-Pairing- Not so groß war, dass ich Köchin das Bedürfnis hatte, einzugreifen. Unser Küche war gut besprochen, gute Weine im Keller hatten wir auch, aber das altbewährte Wissen der Sommeliers zerschellte an meiner Küche. Stand in meiner Karte Kaninchen, folgerte der frankophile Weinexperte, es müssten Estragon und Sahnesauce im Spiel sein, und empfahl, statt weiter nachzufragen, Pinot Gris. Der dann nicht passte, denn ich hatte mein Kaninchen mit Galgant und Chili zubereitet.

Wir brauchten ein neues, feineres System, das über die herkömmlichen Geschmackstabellen hinausreichte. Das nicht nur nach der Hauptkomponente fragte, sondern auch nach den Beilagen und den Gewürzen. Das am Ende des Dialogs trotzdem immer alles offenließ, um Neuem die Möglichkeit zu geben, auf die Welt zu kommen, denn die Welt der Aromen ist unendlich und wird von jedem anders wahrgenommen.

So gibt auch die künstliche Intelligenz neben der Weinempfehlung zu bedenken, dass Geschmacksvorlieben individuell sind, und appelliert: „Experimentieren Sie gern mit verschiedenen Speisen, um Ihre bevorzugten Kombinationen zu entdecken!“

Dass Janosch, der sich seine Kochlehre durch einen Nebenjob im Weinladen finanziert hatte, mir das Weintrinken beibrachte, war gut, weil ich alles aussprechen durfte, was ich wahrnahm. Weine schmeckten nach Flohhalsband und Unterhose, grünen Zweigen von Tomaten und geblümtem Sofa, nach nasser Wiese morgens, Schrankpapier und Welpe, manche wie Musik – all das stand nicht in den Büchern, blieb aber zuverlässig in meiner Erinnerung, weil ich es geschmeckt und nicht gelesen hatte.

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