Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Meereswirbel wandern Tausende Kilometer durch die Ozeane. Würden Schiffe mit ihrer Strömung fahren, könnten sie enorm viel Schweröl sparen. Daran arbeiten ein Wissenschaftler und ein Unternehmer aus Kiel.





09-23 ki klima + natur 02

Arne Biastoch in seinem Büro an der Kieler Förde. Dort zeigt er, wie der Algorithmus eine ideale Schiffsroute berechnet

• Arne Biastoch steht in seinem Büro und schaut auf die Förde. Von draußen dringt das lang gezogene Hupen eines Schiffshorns durch die Fenster. Ein 224 Meter langes Kreuzfahrtschiff aus Norwegen stoppt und beginnt, sich langsam zu drehen. Wieder das Horn, diesmal dreimal kurz, dann schiebt sich das Schiff rückwärts in seine Parkposition. Arne Biastoch kennt das Schauspiel gut. Er ist trotzdem immer wieder von den präzisen Manövern der schwimmenden Riesen fasziniert. Er liebt das Meer. Und die Physik. Mit seiner Arbeit verbindet er beides.

Oslo–Kiel–Oslo. „Eine relativ stringente, einfach zu berechnende Route“, sagt Biastoch, „verglichen mit der eines Containerschiffes von Miami nach Southampton.“ Da änderten sich Wetter, Wind und Wellen ständig. Biastoch, 55, ist Professor am Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung und erstellt Modelle, die zeigen, welche Kräfte in unseren Meeren wirken. Und er will die Strömungsgeschwindigkeit von Ozeanwirbeln, sogenannten Eddies, für die Schifffahrt nutzbar machen. Zwei Jahre hat er daran gearbeitet, die Routen großer Frachtschiffe dahingehend zu verbessern. Der Name des Projektes: Rasmus. Der Name leitet sich vom Heiligen Erasmus ab, dem Patron der Seefahrer.

Nutzten Schiffe die Strömung der Wirbel, könnten sie ihren CO2-Ausstoß senken, Treibstoff und Kosten sparen. Das Schwierige dabei: Eine solche Route muss in Echtzeit berechnet werden, unter Berücksichtigung meteorologischer Daten wie Wind, Wellen sowie den Daten der Schiffe. Das soll ein selbstlernender Algorithmus übernehmen.

Ozeanwirbel bilden sich an den Rändern großer Meeresströmungen wie dem Agulhasstrom im Indischen Ozean, dem Äquatorialstrom in den Meeren beidseitig des Äquators oder dem Golfstrom im Atlantik. Sie entstehen an der Wasseroberfläche, haben Durchmesser von 20 bis zu 200 Kilometern und können bis zu zwei Jahren bestehen. Da die Wirbel mit den Strömungen wandern, legen sie mitunter Tausende Kilometer zurück, bevor sie zerfallen. Die Drehung der Erde erzeugt ihre Rotation. Die bis zu 2500 Meter tief reichenden Wirbel wühlen den Untergrund auf, befördern Larven, Tiefseetiere oder Nährstoffe in andere Teile der Ozeane und bringen warmes Wasser in die Tiefsee. Für das Ökosystem der Meere sind sie enorm wichtig. Es ist noch unklar, wie sehr die Erderwärmung die Wirbel beeinflusst. Bekannt ist ihre Kraft: Sie drehen sich mit oder entgegen dem Uhrzeigersinn, mit Geschwindigkeiten von bis zu fünf Stundenkilometern. Dies wollen die Forscher des Rasmus-Projektes nutzen.


Sein Geschäftspartner: Frithjof Hennemann. Dieser ist Geschäftsführer des Start-ups True Ocean, das maritime Daten verarbeitet

Auf der meist mehr als 40-tägigen Fahrt von Miami nach Southampton könnten auf diese Weise zehn Prozent Schweröl eingespart werden, schätzt Biastoch. Das wären rund 50 000 Euro pro Fahrt, was für Reedereien, die oft Hunderte Schiffe in ihren Flotten haben, attraktiv wäre. Normalerweise stößt ein Schiff auf dieser Strecke etwa 300 Tonnen CO2 aus, 30 Tonnen weniger wären eine relevante Größe im Kampf gegen die Erderwärmung.

Arne Biastoch startet auf seinem Laptop eine Präsentation. Auf einem Bildschirm an der Wand taucht eine Karte des Atlantiks auf, über den der Golfstrom fließt. Überall an seinem Rand bilden sich Wirbel, die sich links und rechts um ihre Achsen drehen. Die dunkel- bis hellblauen Kreise erinnern an den Sternenhimmel in einem Bild des Malers Vincent van Gogh.

„Wir bezeichnen die wechselnden Bedingungen in den Meeren als das ozeanische Wetter“, sagt Biastoch. „In der Atmosphäre gibt es Hoch- und Tiefdruckgebiete. Im Meer die Wirbel. Dahinter stecken die gleichen grundsätzlichen Gesetze der Physik.“ Er springt auf und verfolgt auf der Animation einen der dunkelblauen Kreise. „Der Golfstrom ist eigentlich ein Band voller Wirbel. Voller Instabilitäten. Wollen Sie die Stromgeschwindigkeit der Wirbel für Ihre Route nutzen, müssen Sie ständig neue Berechnungen erstellen.“

Sie haben bereits ein brand eins Konto? Melden Sie sich hier an.

Wir freuen uns, dass Ihnen dieser Artikel gefällt.
Er ist Teil unserer Ausgabe Künstliche Intelligenz

Nie wieder doof.
Zum Weiterlesen wählen Sie eine dieser Optionen

brand eins 09/2023 (Digital)

6,30 € / einmalig
Meistgewählt

brand eins Abonnement

108,00 € / Jährlich

✓ Print-Ausgabe nach Hause geliefert
✓ Digital-Ausgabe, PDF und E-Book
✓ Zugriff auf das gesamte brandeins-Archiv inkl. Kollektionen
✓ Jederzeit kündbar

Sicher bezahlen mit
Weitere Abos, Schüler- & Studentenrabatte