brand eins-Container: Unter Druck #01

Kampf gegen die Uhr

Das neue Lieferkettengesetz? Betrifft uns doch nicht! So wie viele deutsche Mittelständler dachte auch der Stahlbauer Butzkies. Und erkannte die Brisanz erst, als es fast zu spät war.




• Es war so ein leises Grollen. Wie ein entferntes Gewitter, von dem man denkt, dass es sicher vorbeizieht. So ungefähr war das Gefühl beim Stahlbauer Butzkies im schleswig-holsteinischen Krempe, einem 2400-Einwohner-Städtchen nordwestlich von Hamburg, als die Kunde vom geplanten Lieferkettengesetz eintraf. „Das wird eine kleine Firma wie unsere nicht betreffen“, habe er damals gedacht, sagt der Seniorchef Dietmar Butzkies-Schiemann, während er durch die 300 Meter lange Produktionshalle eilt und voller Begeisterung jeden einzelnen Arbeitsschritt erklärt – in einem Tempo, bei dem Reporter und Fotograf Mühe haben, mitzukommen. Dass er 81 Jahre alt ist, mag man dem drahtigen Mann, der als geschäftsführender Gesellschafter seit 1969 die Geschicke leitet, nicht abnehmen.

Hier werden – teils von Hand, teils von Robotern – bis zu 25 Meter lange und vier Tonnen schwere Stahlträger gebohrt, gestrahlt, gefräst, gestanzt, geschweißt und dann auf der Baustelle mit dicken Blechen zu Gerippen für große Industrie- und Gewerbebauten zusammengefügt. Diese Konstrukte, bei denen alle Teile millimetergenau passen müssen, gelten als die hohe Kunst des Stahlbaus.

Das Grollen hatte Anfang 2020 begonnen, als Hubertus Heil, damals wie heute Bundesarbeitsminister, mit seinem Kollegen Gerd Müller aus dem Bundesentwicklungsministerium einen ersten Vorstoß für ein Gesetz gegen die Ausbeutung von Mensch und Umwelt in globalen Lieferketten gewagt hatte. Künftig sollten Firmen nachweisen, dass es bei ihnen und ihren Lieferanten weder Lohn-Dumping noch Umweltfrevel und keine Kinder- oder Zwangsarbeit gibt. Das Gesetzesvorhaben ging seinen Gang. In monatelangen Beratungen wurde der ursprüngliche Entwurf auf Drängen der Industrielobby stark verwässert, schließlich gab es einen Kompromiss.

Doch selbst als der Bundestag das Gesetz im Juni 2021 verabschiedete und feststand, dass es Anfang 2023 in Kraft treten würde, blieb man bei der Butzkies Stahlbau GmbH, einem Familienunternehmen mit mehr als hundertjähriger Tradition, gelassen. Das Gesetz würde zunächst nur für Unternehmen ab 3000 Beschäftigten gelten, ab Januar 2024 dann ab 1000 Mitarbeitern. Butzkies beschäftigt 180 Leute. Wenn die Tochter Britt beim Senior mal wegen des Gesetzes nachfragte, lächelte der Senior und sagte: „Ach, lass mal, die vom Verband kümmern sich schon.“ Damit meint er das Bauforumstahl mit Sitz in Düsseldorf.

Das allerdings sei in dieser Angelegenheit keine Hilfe gewesen, sagt Silvia Janzen, Beraterin der Firma für Corporate Social Responsibility (CSR). „In mehreren Gesprächen erhielt ich den Eindruck, dass ein Bewusstsein für diese enorm wichtige Thematik nicht ausreichend vorhanden war. Die für uns maßgebliche Plattform Supplier Assurance war lediglich vom Namen her bekannt.“

Das Bauforumstahl weist die Kritik zurück. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz habe seit mehr als einem Jahr „hohe Priorität“. Es gebe dazu regelmäßig Veranstaltungen und eine interne Arbeitsgruppe. Das Feedback aus der Branche sei trotz dieser Angebote „leider sehr gering“. Womöglich liegt das auch daran, dass auf der Bauforumstahl-Website das Thema nicht prominent behandelt wird.

Am 16. Dezember 2022, Silvia Janzen erinnert sich genau an dieses Datum, erhielt sie einen Anruf von Dietmar Butzkies-Schiemann. Es gebe da so einen Fragebogen, um den man sich vielleicht kümmern müsste. Gut ein halbes Jahr zuvor war die heute 58-jährige Betriebswirtin als externe Beraterin zu dem Unternehmen gestoßen – ihre zweite Begegnung. Mitte der Neunzigerjahre hatte sie, damals noch Inhaberin einer Werbeagentur, der etwas bieder daherkommenden Firma ein neues Markenimage verpasst. Dass sie weit mehr können als nur die Gerippe für schnöde Montagehallen, hatten die Stahlbauer bereits bewiesen – etwa beim Bau der Tribünen im neuen HSV-Stadion 1998, ein Auftrag über 27 Millionen D-Mark. Oder ein paar Jahre später beim Ausbau des Hamburger Musical-Theaters für „König der Löwen“.


Kämpften mit der Beraterin Silvia Janzen (zweite von rechts) gegen die Zeit: Dietmar Butzkies-Schiemann (links), Britt Butzkies-Schiemann und Bernd Wittmaack aus der Geschäftsführung

Das Gewitter zieht nicht vorbei

Silvia Janzen hatte stets einen guten Draht zu Dietmar Butzkies-Schiemann, der das Unternehmen damals noch recht patriarchisch führte: „Er hat sich von mir durchaus etwas sagen lassen, mir zugehört und mich machen lassen.“ Das sollte sich jetzt, bei ihrem zweiten Anlauf in Krempe, als wichtig erweisen. Als Kai Butzkies-Schiemann 2010 als designierter Nachfolger seines Vaters in die Geschäftsführung eingetreten war, war die Marketing-Expertin eingespart worden.

Janzen: „Die Sache mit dem Fragebogen waberte offenbar schon länger durch das Unternehmen, galt aber als nicht so dringend. Den Zeitzünder hat niemand gesehen. Es gab so viel zu tun. Termine. Aufträge. Angebote. Also wurde die Sache beiseitegelegt. Ein Mittelständler wie Butzkies hat ja, anders als große Konzerne, keine CSR-Abteilung. Es ging einfach im Tagesgeschäft unter.“

Anfang Dezember vorigen Jahres traf eine E-Mail von Audi ein, einem der besten Kunden, Butzkies hat schon etliche Montagehallen für die Volkswagen-Tochter gebaut. Die Nachricht enthielt die standardmäßige Aufforderung an den Stahlbauer, als Glied in der Audi-Lieferantenkette bis zum 30. Juni 2023 ISO-Zertifizierungen für Arbeitsschutz und Energiemanagement beizubringen und per Selbstauskunft verbindlich zu erklären, dass alle Standards des Lieferkettengesetzes eingehalten werden: von Abfallvermeidung über Arbeitssicherheit und Energieeffizienz bis zur Zwangsarbeitsvermeidung.

Britt Butzkies-Schiemann, zuvor beim Kieler Navigations-Spezialisten Anschütz und bei Airbus im Controlling tätig, wurde im August 2022 Teil des Führungskreises, rund zwei Jahre nach dem Ausscheiden ihres Bruders Kai aus der Geschäftsführung. Die Brandmail aus Ingolstadt landete gleich auf ihrem Schreibtisch. „Die Ansage war ganz klar“, sagt die Diplom-Kauffrau. „Ohne die Zertifizierungen und ein gutes Rating bei der Selbstauskunft könnt ihr nicht mehr für uns arbeiten.“ Man habe eine Art Ampelsystem entwickelt, ließ Audi auf Nachfrage noch verlauten. „Ihr müsst zusehen, dass ihr auf Grün kommt.“ – „Wo stehen wir denn?“ – „Auf Rot!“

Schnell wurde klar, dass Butzkies nicht nur bei Audi zur Disposition stand, sondern auch bei Porsche, Daimler und BMW, allesamt Premiumkunden. Fast sämtliche europäischen Autohersteller sowie große Zulieferer wie Continental oder Schaeffler nutzen dieselbe Risikomanagement-Plattform namens Supplier Assurance, ein weltweit anerkannter Nachhaltigkeitsstandard der Automobilindustrie, und pochen nun auf die Zertifizierungen und die Selbstauskunft. All diese Großunternehmen fallen unter das Lieferkettengesetz: Sie müssen kontrollieren und dokumentieren, dass sämtliche Lieferanten ab zehn Beschäftigten die Bestimmungen einhalten.

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