Wooga

Beim Games-Unternehmen Wooga sollte alles anders sein als in Konzernen. Mit offener Kommunikation und Mitbestimmung machte Jens Begemann die Firma erfolgreich – heute gehört sie selbst zu einem Konzern. Ein Unternehmensbesuch.






Der Gründer Jens Begemann (links), 46, und sein Nachfolger Nai Chang, 40

I.

Man kann die Geschichte der Berliner Firma Wooga als Geschichte zweier Männer erzählen, die für zwei Ären stehen. Sie trennt die Unternehmenshistorie in zwei Teile, in Gründungsphase und Gegenwart, geprägt durch je einen Chef. Und sie hat ihren Höhepunkt im Juni 2020, am Tag, an dem der eine dem anderen die Leitung übergab. Der Mitgründer und langjährige Geschäftsführer, Jens Begemann, verließ das Haus und wurde Business Angel. Sein Nachfolger, Nai Chang, übernahm; ein Mann von außen, bestellt vom Playtika-Konzern, der Wooga gekauft hatte.

Diese Geschichte ist nicht falsch. Wenn nach vielen Jahren ein neuer Chef kommt, bedeutet das für alle im Unternehmen eine Veränderung: einen neuen Führungsstil, neue Ideen, neue Anforderungen. Vor allem dann, wenn der neue Chef einen neuen Eigentümer vertritt.

Aber eine andere Geschichte über Wooga ist die interessantere. Es ist die Geschichte einer sich dynamisch entwickelnden Firma, die in den Himmel wuchs, deren Leitung Fehler machte und sie wieder ausbügelte, die vom Start-up zum Teil eines am Nasdaq notierten Konzerns wurde und bei der irgendwann auch eine Veränderung auf der Führungsebene notwendig wurde.

Diese Geschichte bildet sich an zwei repräsentativen Wänden im Wooga-Sitz in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes ab. Dort hängen 42 schwarze Bilderrahmen. In jedem steckt das Titelbild eines Computerspiels, das es bei Wooga bis zur Marktreife gebracht hat. 42 Spiele in den 14 Firmenjahren seit 2009, das ergibt im Schnitt drei pro Jahr. Schaut man sich die Reihe aber genauer an, sieht man, wie ungleichmäßig die Verteilung ist. Aus den Jahren 2013 und 2016 hängen je zehn Spiele an der Wand. Dafür waren es von 2018 bis heute nur insgesamt zwei.

Dahinter steht ein Strategiewechsel. Und hinter dem ein Wandel in der Führungskultur: Jens Begemann und sein Führungsteam mussten lernen, stopp zu sagen, damit dem Unternehmen seine weitreichende Mitsprachekultur nicht auf die Füße fiel.


Das Logo der Firma im Berliner Büro

II.

Jens Begemann ist ein groß gewachsener, blonder Mann mit weichen, freundlichen Zügen. Zum Interview kommt er ins „Base-Camp“, ein Café in Berlin-Mitte. Er weicht nicht aus, wenn man ihm eine kritische Frage stellt, doch er möchte im Kontext erzählen. „Ich hatte das Gründer-Gen schon immer in mir“, sagt er. 2001, als er diesen Wunsch gern verwirklicht hätte, war die Dotcom-Blase gerade geplatzt, der Zeitpunkt daher schwierig. Also ging er zu Jamba, einem Unternehmen der Samwer-Brüder.

Würde man einen Lexikoneintrag über die Gründerzeit deutscher Internetfirmen schreiben, Marc, Oliver und Alexander Samwer kämen darin vor, als Pioniere, die sich auf kühle Kalkulationen verstanden. Sie gründeten Internetunternehmen – häufig Kopien US-amerikanischer Firmen – wie die Auktionsplattform Alando oder Jamba, bald bekannt durch die omnipräsenten Klingeltöne, zogen sie hoch und verkauften sie mit enormen Gewinnen wieder.

„Kühl“ und „Kalkulation“ sind keine Worte, die Menschen aus dem Wooga-Umfeld benutzen, wenn sie heute von Begemann erzählen; sie beschreiben ihn als jemanden, der die Temperatur angenehm gestalten wollte. Aber einiges darüber, wie man ein Start-up führt, lernte Begemann eben doch bei den Samwers, wie er sagt. „Ich wollte das eigentlich nur zwei oder drei Jahre machen, um ein Gefühl zu kriegen, wie Start-up funktioniert.“

Er stieg auf und blieb sieben Jahre bei Jamba. Zwar habe er sich am Ende nicht mehr so mit dem Produkt oder mit der Produktentwicklung identifiziert, aber viel gelernt. 2008 nahm er einen neuen Anlauf. Er und sein Mitgründer steckten ihr Erspartes in die Entwicklung eines ersten Computerspiels, mit dem sie ihre Firma Investoren präsentieren wollten. Es richtete sich an Menschen, die sich nicht die Nächte an einer Konsole um die Ohren schlagen, aber gern zwischendurch mal daddeln. Es war ein umkämpfter Markt. Aber es funktionierte. Bald hatte Wooga die ersten Geldgeber.

Die Firma bestand zunächst lediglich aus den Gründern, einem Praktikanten und einem freien Programmierer. Stephanie Kaiser, heute 41, die 2009 die erste Festanstellung dort bekam, erzählt im Rückblick von einer kleinen Firma, in der sie ausprobieren durfte. Dort entstand der erste Erfolg – ein Gartenspiel, das sich von populären Konkurrenzspielen dadurch abhob, dass dieser Garten von Monstern bevölkert war. Am Ende ihrer Zeit bei der Firma lautete ihr Titel Head of Studio. Am Anfang hatte es schlicht geheißen: „Mach doch mal.“ Den ersten Investoren folgten weitere. Aus 10 Beschäftigten wurden 50, dann 150.

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