Klinikum Aschaffenburg-Alzenau

Eine chirurgische Station am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau organisiert sich neuerdings selbst – und sorgt damit für Aufsehen. Hat das Konzept das Zeug, andere Krankenhäuser zu infizieren?






Chefarzt Friedrich Hubertus Schmitz-Winnenthal

• Mitte September lässt der Klinik-Geschäftsführer Sebastian Lehotzki aus Aschaffenburg in Unterfranken politisch Dampf ab, bei einer Veranstaltung mit Bundestagsabgeordneten in Berlin. Es ist der Vorabend zur „Alarmstufe Rot“. Deutschlandweit protestieren Tausende Ärzte, Pfleger und Klinikmanager gegen die von Karl Lauterbach geplante Krankenhausreform, die unter anderem vorsieht, dass die Zahl der Kliniken hierzulande stark reduziert wird. An der Demo am nächsten Morgen vor dem Brandenburger Tor beteiligen sich auch mehr als 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Lehotzkis Klinik, er selbst ist da schon wieder nach Aschaffenburg zurückgeeilt, um auch dort gegenüber örtlichen Medien vor einer „kalten Strukturreform“ und einem „unkontrollierten Kliniksterben“ zu warnen.

Der Chef des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau stemmt sich nicht nur gegen die Reform von außen, er betreibt in seinem Haus eine Reform von innen. Beides sind Versuche einer Therapie für dieselbe Krankheit: Das deutsche Gesundheitswesen und mit ihm seine Krankenhäuser leiden unter gestiegenem Kostendruck, der viele Häuser in die Insolvenz treibt, sowie unter Zeitnot und Personalmangel. Es ist, als würde sich eine Krankheit durch das gesamte Gewebe ziehen: Sklerose, Verhärtung. Eine junge Ärztin am Aschaffenburger Klinikum formuliert es so: „Die Strukturen sind über viele Jahrzehnte gewachsen und sehr, sehr fest. Der Betrieb in den Häusern läuft 24/7, es gibt nie den Moment, in dem mal jemand stopp! ruft und fragt: Wollen wir eigentlich so arbeiten, wie wir arbeiten?“

Im Aschaffenburger Krankenhaus haben einige nun stopp! gerufen, und ihre Antwort auf die Frage, wie sie arbeiten wollen, lautet: New Car, New Work.

Für den ersten Teil – die Autos – wurde Sebastian Lehotzki von anderen Krankenhausmanagern heftig kritisiert, Tenor: Wo kommen wir da hin, wenn das alle machten? Denn jede Pflegekraft am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau, die zu mindestens 50 Prozent arbeitet, hat neuerdings Anspruch auf ein kostenloses E-Auto, inklusive Versicherung, Wartung, Reparaturen und Stromtanken im Parkhaus der Klinik – für volle zwei Jahre; selbst die zusätzliche Steuerschuld durch den sogenannten geldwerten Vorteil wird ausgeglichen. 750 Pflegerinnen und Pfleger hätten ein Auto bekommen oder beantragt, sagt der Klinikchef; er habe erreicht, was er erreichen wollte: in Zeiten des verschärften Kampfes um Fachkräfte „sensationelle“ 83 neue Pflegekräfte und deutlich weniger Fluktuation.

Kosten derlei Klassiker der Mitarbeiterbindung vor allem Geld, ist die Währung beim anderen Aschaffenburger Reformansatz – eine Neuorganisation der Arbeit – in erster Linie Mut. Lehotzki stellt klar, dass nicht er der Urheber gewesen sei, im Gegenteil, er habe überaus skeptisch reagiert. „Wenn ein Chefarzt vor einem steht und sagt, dass er eine selbst organisierte, weitgehend hierarchiefreie Station eröffnen möchte, denkt man zuerst: Das kann doch gar nicht funktionieren.“

Der besagte Mediziner ist Professor Friedrich Hubertus Schmitz-Winnenthal. Der Chef der Chirurgischen Klinik I ist ein kleiner, schmaler Mann mit kurzen, grauen Haaren und sanfter Stimme. Fragt man den 53-Jährigen nach seinem Antrieb, erläutert er ihn in einfachen Worten: Er wolle Patienten möglichst gut behandeln und wirksam sein in seinem wunderbaren Beruf. Und seine Kolleginnen und Kollegen, ob Pfleger, Ärztinnen oder Stationssekretärinnen, wollten dasselbe – aber die Umstände hätten dies nicht mehr zugelassen. Er als Führungskraft habe die Aufgabe, die Bedürfnisse seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur zu kennen, sondern sie auch zu erfüllen.

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