Kernkompetenz Feingefühl
Wie gut Führungskräfte sind, zeigt sich besonders in heiklen Situationen. Drei Gespräche über den Umgang mit Trauer, Sucht und Alphatier-Gehabe.
„Wir brauchen eine Kultur der Trauer“
Bei Todesfällen im Kollegenkreis oder in der Familie einer Beschäftigten sind Führungskräfte besonders gefragt.
Interview: Jeanne Wellnitz
Fotografie: Felix Brüggemann
brand eins: Frau Borck, wie überbringt man als Führungskraft die Nachricht, dass jemand aus dem Team gestorben ist?
Karin Borck: Das sollte für die nahestehenden Kolleginnen und Kollegen möglichst in Präsenz geschehen und an einem ruhigen Ort. Sprechen Sie offen aus, was passiert ist, und zeigen Sie eigene Gefühle. Und kombinieren Sie das Thema nicht mit der sonstigen Tagesordnung!
Was muss in der Vorbereitung bedacht werden?
Die Führungskraft sollte sich vorher überlegen, welche Details sie weitergeben möchte, und diese mit den Angehörigen absprechen. Im Gespräch braucht es dann Raum für alle Nachfragen, Gefühlsäußerungen und vielleicht auch Erzählungen über die verstorbene Person. Ein plötzlicher Todesfall ist immer ein Schock, das gilt es auszuhalten. Und jede Person reagiert darauf anders, die einen wollen weiterarbeiten, die anderen brauchen Zeit allein oder zusammen. Nach einer Weile sind dann folgende Fragen wichtig: Welche Erinnerungskultur soll etabliert werden? Welche Rituale braucht es? Und natürlich auch: Wie gehen wir mit dem leeren Schreibtisch um?
Was raten Sie da?
Ein Weg ist es, den Arbeitsplatz unangetastet zu lassen, die Angehörigen nach einer angemessenen Zeit einzuladen, ihn gemeinsam aufzuräumen, vielleicht auch eine Kerze oder eine Blume hinzustellen. Gemeinsam kann man dann über den verstorbenen Menschen sprechen und seinen Lebens- und Berufsweg noch einmal würdigen. Manchmal gibt es auch einen guten Ort für ein Foto von der Person. Das hilft den Kolleginnen und Kollegen beim Trauerprozess, es signalisiert: Hier wird niemand vergessen.
Was lässt sich sonst noch tun?
Ich habe einmal in einem Krankenhaus nach dem Unfalltod einer Ärztin ihre Abteilung begleitet. Wir haben mit dem Team einen Nachmittag damit verbracht, für ihre Kinder unsere Erinnerungen über die Berufstätigkeit der Mutter aufzuschreiben, und es wurde im Krankenhaus ein Gottesdienst gestaltet. In einem anderen Fall, an einer Schule, wurde ein besonderer Raum geschaffen, um einer verstorbenen Schülerin mit einer Kerze und einem Kondolenzbuch zu gedenken, es gab Schweigeminuten und Gesprächsangebote mit externen psychologischen Fachkräften.
Wie sieht grundsätzlich ein guter Umgang mit einem Todesfall im Unternehmen aus?
Es braucht natürlich in erster Linie Einfühlungsvermögen, um mit Trauer umgehen zu können, aber auch Handlungssicherheit – und die erhalten Firmen durch Krisenpläne, die rechtliche Rahmenbedingungen klären, Vertretungsregeln und Informationswege festlegen. Und es braucht Menschen im Unternehmen, die für dieses Themenfeld verantwortlich sind und feinfühlig agieren können. Für alle möglichen Belange gibt es Beauftragte, sei es Brandschutz, Datenschutz oder Erste Hilfe. Warum gilt das nicht für Todes- und Trauerfälle?
Wie reagieren Unternehmen Ihrer Erfahrung nach auf Trauernde?
Bei manchen Todesfällen geschieht aus Unsicherheit nur wenig. Gerade im Arbeitskontext fällt der Umgang mit Krankheit oder Trauer schwer, denn solche Krisen bedrohen unsere Leistungsfähigkeit und überschreiten die Grenzen ins Private. Welche Worte helfen? Wie kondoliert man respektvoll? Wie schafft man die Balance zwischen Rücksichtnahme und Arbeitsanforderung? Das müssen Führungskräfte in Gesprächen sensibel austarieren. Wir brauchen eine Kultur der Trauer.
Was sollten Führungskräfte konkret tun?
In jedem Fall sollten sie persönlich kondolieren und, wenn von den Angehörigen gewünscht, auch die Beerdigung besuchen. Es kann tröstlich für die Hinterbliebenen sein, wenn sie sehen und spüren, all diese Menschen stehen heute an meiner Seite. Es geht dabei auch um Wertschätzung von Lebensleistungen. Dafür steht im beruflichen Kontext meist die Führungskraft.
Was brauchen Trauernde?
Trauer lässt sich nicht in ein Schema oder einen Zeitplan pressen. Was jemand braucht, lässt sich nur im Gespräch herausfinden und kann sehr unterschiedlich sein. Aber eines eint nahezu alle: Menschen, die trauern, wollen, dass über die Verstorbenen gesprochen wird. Dass man über sie sprechen darf! Heute geht es darum, wie man die Beziehung zum Verstorbenen gestalten möchte, um sogenannte Continuing Bonds, denn die Beziehung bleibt bestehen. Trauer hört nicht auf, aber sie kann gestaltet werden und verändert sich.
Wie können sich Vorgesetzte denn auf einen solchen Fall vorbereiten?
Wenn sie durch ihr Verhalten zeigen, dass Krisen zum Leben dazugehören und dafür ein offenes Ohr haben, dann wirken bedürfnisorientierte Fragen oder Rituale der Erinnerung nicht aufgesetzt, sondern stabilisierend. Auch das Wissen um die vielen Gesichter der Trauer kann helfen, mit diesem Gefühl angemessen umzugehen.
Trauer ist mehr als Weinen. Bei Kindern spricht man von Trauerpfützen. Sie können lachen und am Leben teilnehmen und fallen dann wieder in tiefe Traurigkeit. Das ist bei trauernden Erwachsenen manchmal nicht anders.
Welche Schlüsse sollten Führungskräfte daraus ziehen?
Trauer hilft uns Menschen, mit Verlusten umzugehen, und ist daher existenziell notwendig. Sie gehört demnach auch in den Arbeitskontext. Beschäftigte schauen sehr genau darauf, wie eine Führungskraft auf einen kritischen Vorfall im Unternehmen reagiert. Dazu gehört auch ein Trauerfall, und dieser ist damit eine Chance für gutes Führungshandeln.