Editorial

Wann kommt sie?

• Zugegeben, ich war ein wenig befremdet, als mir der Hamburger Organisationspsychologe Niels van Quaquebeke von seiner jüngsten Forschung erzählte.
Die KI als Führungskraft? Ein Gag, oder?

Es war keiner. Und es ging auch keineswegs um eine realitätsferne Utopie. Schon heute übernehmen hoch entwickelte Programme Führungsaufgaben, und das scheint keineswegs zur Entmenschlichung zu führen, eher im Gegenteil.

Foto: André Hemstedt & Tine Reimer


Um das zu verstehen, lohnt ein kurzer Blick zurück. Im März 2015 beschrieben wir jene Tätigkeit, die einst begehrt war, aber schon damals zusehends an Attraktion verlor: Führung wurde – besonders in der Mitte – zusehends zum „Scheißjob“, wie wir damals titelten. Viele der Insignien waren weggefallen, das Management hauste im Großraumbüro, bekam immer seltener einen Dienstwagen und oft auch nur noch wenig mehr Gehalt als die Fachleute. Wozu also der Fußabtreter sein, der Sündenbock für oben und unten?

Corona und der Siegeszug des Heimbüros hat die Lage weiter verschärft. Das Nachwuchsproblem auf der Führungsebene wurde drängender, gleichzeitig nahm das Engagement für die Führungskräfteentwicklung in den Unternehmen ab. Wozu ausbilden, für welchen Job?

Da wird dann schon plausibler, was Niels van Quaquebeke bei seiner Forschung festgestellt hat: Die Offenheit für KI-Unterstützung bei der Führung nimmt zu, auf beiden Seiten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen mit Kritik besser zurecht, wenn sie sachlich und auf der Basis erbrachter Leistungen geäußert wird. Niemand muss mehr vermuten, die Chefin möge ihn einfach nicht. Und Führungskräfte können zeitaufwendige und oft auch nervende Tätigkeiten an die KI delegieren: Aufgaben verteilen, prüfen, mit erwünschten Ergebnissen abgleichen, daraus neue Strategien ableiten und vieles mehr. Die so gewonnene Zeit kann dann tatsächlich in die Arbeit mit Menschen investiert werden. Wo braucht jemand Unterstützung? Wie können wir das Team zum Beispiel durch neue Aufgaben motivieren? Wie gehen wir als Firma mit einem Trauerfall im Kollegenkreis um?

Schon jetzt, so belegen Studien, nimmt das Renommee der einst als Lähmschicht geschmähten Mittelmanagerinnen und Mittelmanager zu. Sie sind als einfühlsame Mittler zwischen den steigenden Anforderungen von oben und den neuen Ansprüchen von unten gefragt. Dafür brauchen sie neben dem Verständnis fürs Geschäft: Empathie, psychologisches Geschick – und künftig auch fortgeschrittene technische Fertigkeiten. Denn die KI kann vieles übernehmen, einen Sparringspartner aber braucht auch sie.

Mein erstes Befremden hat sich also inzwischen in leise Ungeduld gewandelt. Die neue Kollegin KI könnte mir und uns so viel abnehmen. Was dann an neuen Ideen alles denkbar und möglich wäre! Ein Traum. ---

Titelbild: Mieke Haase, erstellt mit Midjourney
Instagram: @miekehaaseai