Berufstätige Frauen in Südkorea

Weil in Südkorea viele hoch qualifizierte Frauen als Angestellte keine Perspektive sehen, gründen sie ihre eigenen Unternehmen. Zunehmend mit Erfolg.





• Rückblickend findet Park Hye-rin: Dass ihre Idee funktionieren würde, war eigentlich klar. „Sie passt doch hervorragend in unsere Zeit!“, sagt die Unternehmerin, als müsse sie sich noch einmal überzeugen, dass es wirklich kein Unsinn war, den sie sich ausgedacht hatte: ein tragbares Minikraftwerk, das fließendes Wasser in Strom umwandelt. Das handgroße Gerät muss man dazu nur in fließendes Wasser, zum Beispiel in einen Bach, halten und den faltbaren Propeller darin rotieren lassen. Kurze Zeit später ist der Akku mit einer Kapazität von zweieinhalb Smartphone-Ladungen gefüllt.

Ihr Baby heißt Uno, es lässt sich mit einer USB-Buchse an Handys und Laptops anschließen, liefert nicht nur sauberen Strom, sondern ist auch zu 100 Prozent recycelbar. Das Start-up Enomad, das Park Hye-rin dazu 2014 gründete, erreichte schon nach fünf Jahren die Gewinnschwelle und erwirtschaftet mittlerweile mit rund 20 Angestellten Millionenerlöse. Vom Outdoorgeschäft in den USA und Europa wird nun die Expansion in ländliche Gebiete ärmerer Länder geplant, wo es zwar schon viele Smartphones gibt, aber bislang kaum flächendeckenden Strom. Es winkt ein Riesengeschäft.

Wenn Park Hye-rin, eine elegante Frau mit Lesebrille und dem Auftreten einer routinierten Managerin, von ihrer Erfolgsgeschichte erzählt, wird schnell klar, dass das kein Selbstgänger war. „Dass ich mal Unternehmerin werden würde, hätte ich nie gedacht“, sagt sie. „Es gab keinen Grund, das für realistisch zu halten.“ Denn: „Das ist Südkorea. Hier haben Frauen so etwas nie gemacht.“

Weltweit genießt das Land, in dem Park Hye-rin aufgewachsen ist, einen Ruf als Boom-Ökonomie, die globale Champions wie Samsung, Hyundai oder LG hervorgebracht hat. Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf: Gegründet und geführt worden sind Unternehmen bisher fast immer von Männern, während Frauen systematisch ausgeschlossen blieben. Tatsächlich werden sie in keinem anderen Industriestaat derart diskriminiert wie in Südkorea. Internationale Vergleichsstudien dokumentieren das immer wieder.

So ergab der „Women In Work Index“ von PricewaterhouseCoopers in diesem Jahr, dass Südkoreas Gender Pay Gap von mehr als 31 Prozent unter 33 Industriestaaten der höchste ist. Was den Frauenanteil in Chefpositionen angeht, belegt Südkorea mit 8,7 Prozent den letzten Platz. Zudem sind Frauen in dem Land auffallend häufig prekär beschäftigt. Der Gender Gap Report des World Economic Forum hebt hervor: Südkoreanerinnen sind zwar hervorragend ausgebildet, werden von Arbeitgebern aber ignoriert, wenn es um Beförderungen oder die Besetzung von Managementpositionen geht.

Als Grund wird häufig der Konfuzianismus genannt, nach dessen Vorstellung der Mann als Oberhaupt der Familie für deren wirtschaftlichen Unterhalt verantwortlich ist, während der Frau die Rolle der Haushaltsmanagerin und Erzieherin zukommt. Allerdings passt dies nicht mehr in die heutige Zeit, in der die Mehrheit der Koreanerinnen einen Universitätsabschluss hat. So ist längst eine intensive Debatte entbrannt, die von Medien als „Genderkrieg“ bezeichnet wird.

Park Hye-rin hat selbst mehrfach die Erfahrung gemacht, als Frau in der Businesswelt nicht ernst genommen zu werden. Nach ihrem Wirtschaftsstudium, das sie teils in Kanada absolviert hat, war ihr die Geschäftsidee für Uno bei einer Reise durch Indien gekommen. „Die ständigen Stromausfälle dort hatten mich schockiert“, sagt die 37-Jährige in einem modern eingerichteten Besprechungszimmer im Zentrum von Seoul. Sie klickt durch eine Powerpoint-Präsentation, die ihr Unternehmen vorstellt. Da erfährt man von dem Plan, grüne Energie für Konsumenten weltweit verfügbar zu machen, sowie von strengen Nachhaltigkeitskriterien.

Diese Idee zu verkaufen wurde der Gründerin sehr schwer gemacht. „Zurück in Südkorea hatte ich recht schnell einen Businessplan geschrieben“, sagt Park Hye-rin. Aber die Investoren hätten sie auflaufen lassen. „Immer wieder sagten sie mir Sprüche ins Gesicht wie: ‚Als junge Frau sind Sie ein Risikofall.‘“ Erst der neunte Investor habe ihr genauer zugehört. „Er hatte zuvor im Silicon Valley gearbeitet und sah vor allem die Idee und das Marktpotenzial.“ Kaum hatte Park Hye-rin die erste Geldspritze erhalten, folgte das nächste Problem, das einem Mann so nicht begegnet wäre: Als es um die Fertigung ihres Produktes ging, stellte die Unternehmerin Ingenieure ein. „Das waren vor allem Männer, die älter waren als ich.“ Einige von ihnen hätten sie behandelt, als sei sie deren Zuarbeiterin. „Männer sehen mich oft nicht mal als ebenbürtig an, obwohl ich die Chefin bin.“ Manche habe sie entlassen, um für klare Verhältnisse zu sorgen.

Was es für sie aber immer wieder schwer mache: „Es gibt keine Rollenmodelle zur Orientierung. Ich muss mir alles selbst beibringen.“

Wobei sich gerade etwas tut. Die Diskriminierung in Südkoreas Wirtschaft hat dazu geführt, dass sich mehr Frauen selbstständig machen. Park Hye-rin ist eine Pionierin. Aber die einzige ist sie nicht mehr.

Im Global Entrepreneurship Monitor hieß es 2019 auf Südkorea bezogen: „Weibliches Unternehmertum ist seltener als in anderen Ländern.“ Doch laut einer Studie hat seitdem die Zahl der Gründerinnen stark zugenommen.

Allmählich scheint sich auch die Politik zu bewegen. Park Hye-rin wurde als Unternehmerin ausgezeichnet und zudem 2019 in einen Beraterstab der Regierung berufen. Und im Juli vergangenen Jahres trat Yoon Suk-yeol – seit Mai 2022 Südkoreas Präsident – auf einer Gründerinnenkonferenz in Seoul auf und sagte: „Koreas Zukunft wird nur heller mit einer höheren Zahl Unternehmerinnen.“

Der Sexismus in Wirtschaft und Politik dürfte allerdings so schnell nicht verschwinden. In der Digitalbranche schaffen es Frauen jetzt aber immerhin vereinzelt an die Spitze bestehender Unternehmen. Bei Naver etwa, dem 1999 gegründeten, mittlerweile größten Internetportal des Landes, wurde Ende 2021 mit Choi Soo-yeon wieder eine Frau zur Geschäftsführerin berufen. Die 41-jährige Juristin folgte auf Han Seong-sook, die 2017 als erste Frau die Führung des Konzerns übernahm.

Bei der führenden Streamingplattform TVing heißt die oberste Chefin seit diesem Jahr Choi Ju-hui. Es gibt inzwischen mehr weibliche Bosse.

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