Zurück in die Vergangenheit

Die Kommunistische Partei Chinas setzte jahrzehntelang auf Pragmatismus und verhalf dem Land so zu einem einzigartigen Aufstieg. Nun, mitten in der Pandemie, folgt die ideologische Kehrtwende.





• Irgendwann im Frühjahr 2022 ist Chinas Kampf gegen das Corona-Virus endgültig aus dem Ruder gelaufen. Es gab nicht diesen einen Moment, in dem die pandemische Verhältnismäßigkeit kippte, es waren Hunderte von ihnen: etwa als Seuchenschutzarbeiter mit klobigen Holzprügeln durch die Straßen Schanghais zogen, um die Haustiere von Infizierten unter freiem Himmel zu keulen. Oder als Diabetes-Patienten vor den verschlossenen Toren der Krankenhäuser krepierten, weil ihr negativer PCR-Test noch nicht eingetroffen war. Oder als selbst Neugeborene, die sich mit dem Virus angesteckt hatten, unter Zwang von ihren Eltern getrennt und in Corona-Stationen weggesperrt wurden.

Die Welt schaute in den vergangenen Monaten vor allem mit Fassungslosigkeit auf die Entwicklungen in der Volksrepublik, dem einstigen Gewinner der Pandemie. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, deren zunächst erfolgreiche Null-Covid-Strategie nicht nur eine weitgehende Wiederherstellung des Alltags, sondern auch eine rasche ökonomische Erholung brachte, versinkt seit Monaten immer tiefer in Isolation und Rezession. Die radikalen Corona-Maßnahmen entbehren mittlerweile einer wissenschaftlichen Grundlage. Das Virus ist vielmehr zur politischen Idee geworden – und bietet der Kommunistischen Partei einen Vorwand, um die Kontrolle über die eigene Bevölkerung auf ein Maß zu erhöhen, wie es zuletzt unter Mao Zedong der Fall war.

Das dogmatische Festhalten an Null Covid ist nur Symptom eines tiefer liegenden Problems, das sich unter Staatschef Xi Jinping bereits seit einigen Jahren abzeichnet. Die Staatsführung in Peking hat ihre pragmatische Grundhaltung gegen eine Re-Ideologisierung der Gesellschaft eingetauscht. Einige Experten sprechen bereits von einer „Kulturrevolution 2.0“ – eine Anspielung auf die kollektive Psychose unter Staatsgründer Mao Zedong zwischen 1966 und 1976, die das Land in eine tiefe Krise stürzte (siehe S. 92).

Um zu verstehen, wie stark sich China verändert hat, muss man nur einmal Thomas Nürnberger zuhören. Der 54-Jährige ist Gruppengeschäftsführer für Vertrieb und Marketing bei EBM-Papst, einem schwäbischen Familienunternehmen, das zu den weltweit führenden Produzenten für Ventilatoren und Belüftungsanlagen gehört. In China unterhält das Unternehmen zwei Standorte mit insgesamt 2000 Beschäftigten.

Was Nürnberger von seinem jüngsten Werksbesuch in der zentralchinesischen Stadt Xian erzählt, klingt wie ein Bericht aus einem Kriegsgebiet. Nach seiner Ankunft am Flughafen wird der Deutsche wie alle Einreisenden drei Wochen in zentralisierte Quarantäne gesteckt, gefolgt von einer siebentägigen Hotelisolation. Als Nürnberger seine Reise fortsetzen kann, fährt er mit einem Mietwagen über gespenstisch leere Autobahnen, dessen Ausfahrten von militärischen Checkpoints gesichert werden. „Selbst um auf dem Parkplatz zur Toilette zu gehen, muss man seinen Gesundheitscode und seine Reisehistorie vorzeigen“, sagt Nürnberger. Es dauert rund fünf Wochen, ehe er die Fabrik in Xian erreicht.

Viele ausländische Manager und Unternehmer machen ähnliche Erfahrungen. Die Lage ist derart außer Kontrolle geraten, dass selbst die sonst diplomatischen internationalen Wirtschaftsverbände mit drastischen Worten nicht mehr hinterm Berg halten. „Wir schauen fassungslos auf die Regierung“, sagt etwa Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking. Bereits seit Ende der Achtzigerjahre lebt der Lobbyist in der chinesischen Hauptstadt. Doch sein übliches strahlendes Lächeln ist längst tiefen Stirnfalten gewichen. Einen solchen Stimmungswechsel hat Wuttke noch nicht erlebt: „Es fühlt sich ein bisschen so an, als würden wir von einer hohen Klippe stürzen.“

Sein Kollege Jens Hildebrandt von der Deutschen Außenhandelskammer gibt der chinesischen Regierung noch „ein Zeitfenster von vier bis sechs Monaten“: Wenn es bis dahin keinen Wendepunkt in der Covid-Politik gebe, würden die Lieferketten in bestimmten Industrien endgültig reißen. „Die Gefahr weiterer Lockdowns zieht der Wirtschaft den Boden unter den Füßen weg“, sagt Hildebrandt am Telefon. Ein persönliches Treffen ist zum Zeitpunkt des Interviews nicht mehr möglich: Die Büros im Pekinger Chaoyang-Bezirk sind geschlossen, genau wie die Cafés.

Hausarrest für zwei Millionen Menschen

Wie weit die Regierung für ihre Null-Covid-Politik zu gehen bereit ist, hat sie ausgerechnet in Schanghai bewiesen. Dort sperrte sie bis Ende Mai zwei Monate lang Millionen Menschen in ihre Apartments ein, die Wohnanlagen wurden mit schweren Stahlschlössern verriegelt. Die wichtigste Wirtschaftsmetropole des Landes, die für rund 3,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sorgt, kam zum Erliegen: Hunderttausende Infizierte wurden in Hallen verfrachtet, in denen sie auf Pritschenbetten ausharrten. Auf dem Höhepunkt des Lockdowns ging in Chinas wohlhabender Finanzstadt sogar die Angst vorm Hunger um: Vom Investmentbanker bis zum Arbeitsmigranten waren die Menschen von staatlichen Essensrationen abhängig. Wer nicht genügend Vorräte angelegt hatte, musste den Gürtel enger schnallen.

Die Wirtschaftsleistung sinkt seit April rasant. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ging der Einzelhandelsumsatz um rund elf Prozent zurück, die Industrieproduktion sank um knapp drei Prozent. Einige Konjunktur-Indikatoren, wie beispielsweise Immobilienverkäufe, fielen noch tiefer als während des historischen Corona-Schocks der ersten Welle im Frühjahr 2020. Laut Alicia García-Herrero, Chefökonomin für den Asien-Pazifik-Raum bei der französischen Investmentbank Natixis, deuten sämtliche Wirtschaftsdaten „auf eine Rezession im zweiten Jahresquartal hin“.

Dass die Parteiführung ihre Volkswirtschaft sehenden Auges in den Abgrund stürzen lässt, hätte vor Kurzem wohl kaum jemand für möglich gehalten. Schließlich fußte der Gesellschaftsvertrag der Kommunistischen Partei seit dem Tod Mao Zedongs stets auf einem stillschweigenden Abkommen: Die Bevölkerung tritt ihre Mitbestimmungsrechte ab, im Gegenzug sorgt die Staatsführung für materiellen Aufstieg. Und das hat sie seit der wirtschaftlichen Öffnung des Reformers Deng Xiaoping in den Achtzigerjahren auch höchst erfolgreich getan.

Gemäß des Trial-and-Error-Prinzips hat sich China seinen Weg zur Marktwirtschaft erarbeitet. Ein Staat, der praktisch keinen Privatbesitz kannte, richtete plötzlich Sonderwirtschaftszonen ein, lud ausländische Unternehmen zur Bildung von Joint Ventures ins Land und eröffnete bald eine eigene Börse. Von Beginn der Reformierung 1978 bis hin zu Xi Jinpings Machtübernahme vor einem Jahrzehnt stieg das Bruttoinlandsprodukt um mehr als das 60-Fache. Im selben Zeitraum entkamen fast 800 Millionen Chinesen der extremen Armut. Der ökonomische Aufstieg des Reichs der Mitte zur mittlerweile zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ist einmalig.

Ohne die radikale Abkehr vom ideologischen Dogmatismus der Mao-Ära wäre er nicht möglich gewesen. Deng selbst beschrieb die neue Denkweise mit einem Ausspruch, der nach wie vor im kollektiven Gedächtnis der meisten Chinesen verankert ist: Man solle „tastend, nach Steinen suchend den Fluss durchqueren“. Dabei war ein zutiefst kapitalistischer Gedanke zentral: „Es ist egal, ob eine Katze schwarz oder weiß ist – Hauptsache, sie fängt Mäuse.“ Die Parteiführung, die sich immer wieder neu häutete, schien das kommunistische Präfix nur noch als Worthülse vor sich herzutragen.

Doch seit der Pandemie arbeitet der Chefideologe Xi Jinping daran, die Legitimation seiner Partei umzudeuten. Statt wirtschaftlichen Erfolg zu versprechen, appelliert er an den Nationalismus der Bevölkerung. Deutlich wird das durch die Null-Covid-Politik, die Chinas Staatsmedien seit mehr als zwei Jahren als Beweis für die Überlegenheit ihres Systems gegenüber dem Westen preisen. Die Botschaft ist simpel: China ist das einzige Land, das sich um jedes einzelne Menschenleben kümmert – und in der Lage ist, den Corona-Erreger vollständig auszumerzen.

Für den Parteichef Xi Jinping ist die Pandemie auch ein willkommener Vorwand, die ideologischen Zügel innerhalb der Gesellschaft wieder straffer zu ziehen. Die Überwachung ist mittlerweile so intensiv, dass die »New York Times« unlängst von einer „Xinjiangisierung“ schrieb – in Anlehnung an die muslimisch geprägte Region, in der der Sicherheitsapparat einen dystopischen Polizeistaat errichtet hat: „Schanghai repräsentierte stets das glamouröse China, während Xinjiang für die dunkle Seite Chinas stand. Nun sind beide zum Opfer autoritärer Exzesse geworden.“

Welche Ausmaße diese haben können, zeigen die Ende Mai veröffentlichten „Xinjiang Police Files“. Die zehn Gigabyte große Datensammlung stammt direkt aus dem Innern des chinesischen Sicherheitsapparats. Tausende Fotos und Polizeiakten von in sogenannten Umerziehungslagern internierten Uiguren zeugen davon, wie willkürlich und brutal die Minderheit verfolgt wird. Ein 20-jähriger Mann wurde festgenommen, weil er sich als Teenager ein verbotenes Islam-Video angeschaut hatte. Einer wurde verhaftet, weil er zwei Wochen illegal in einem Fitnessstudio trainierte. Einen anderen hat es erwischt, weil er sein Handy über längere Zeit nicht benutzt hatte – mutmaßlich, um der staatlichen Überwachung zu entgehen.

Die sogenannte Große Proletarische Kulturrevolution (1966 bis 1976) war eine von mehreren politischen Kampagnen, die der chinesische Staatsgründer und Präsident Mao Zedong zur Umgestaltung der Gesellschaft einleitete. Der alternde und zunehmend paranoide Mao hatte Anfang der Sechzigerjahre Teile seiner Macht eingebüßt und witterte sowohl innerhalb der Parteiführung als auch in der Bevölkerung Bedrohungen für seine Herrschaft.

Vordergründig ging es bei der Kulturrevolution darum, einen neuen Menschen nach sozialistischem Ideal zu erschaffen, der seine alten Gedanken, Gebräuche und Gewohnheiten hinter sich lassen sollte. In einer flächendeckenden Säuberungsaktion sollten sämtliche „kapitalistischen“ und „bürgerlichen“ Elemente verbannt werden.

Zeitzeugen berichten von einer kollektiven Psychose, die selbst Kinder dazu brachte, ihre Eltern zu bespitzeln und ihre Lehrer zu denunzieren. Studentinnen und Studenten wurden aufs Land oder in die Fabriken geschickt, Andersdenkende in Strafkolonien verbannt und rivalisierende Parteikader ermordet. Die radikalisierte Jugend schloss sich zu „Roten Garden“ zusammen, die in teils blutigen Gewaltexzessen die Universitäten und später ganze Städte terrorisierten. Es reichte schon eine unbedachte Aussage, um als „revisionistisch“ gebrandmarkt zu werden.

Die Zahl der Todesopfer lässt sich nicht exakt bestimmen, Schätzungen reichen von einigen Hunderttausenden bis hin zu 20 Millionen. Die Kulturrevolution endete mit Maos Tod im Jahr 1976. Bis heute gilt das Thema als Tabu.

Die politischen Umerziehungslager mögen auf die Region Xinjiang beschränkt sein. Doch die dort seit Jahren gängige Überwachung aller Menschen im Alltag wurde im Zuge der Pandemie auch auf andere Teile des Landes ausgeweitet: Vor den Wohnanlagen stehen wieder Nachbarschaftskomitees mit roten Armbinden, deren wachsame Augen jeden Besucher registrieren. Wer einen Supermarkt besuchen möchte, muss stets einen aktuellen PCR-Test nachweisen. Selbst den Kiosk um die Ecke kann man nur betreten, wenn man mit seinem Smartphone einen QR-Code scannt.

Seit mehr als zwei Jahren geben die Behörden praktisch keine Reisepässe mehr heraus; chinesische Staatsbürger dürfen nur noch das Land verlassen, wenn sie einen „essenziellen“ Grund nennen können. Zudem versucht die Staatsführung im Zuge der Pandemie eine regelrechte Paranoia vor dem Ausland zu kreieren. Die Menschen werden regelmäßig dazu aufgefordert, möglichst keine Paketlieferungen aus Übersee zu bestellen – es heißt, diese könnten mit dem Corona-Virus infiziert sein. Und selbst internationale Anrufe werden seit Kurzem mit einer Warn-SMS begleitet: „Bitte achten Sie darauf, Risiken zu erkennen.“

Umgeben von Jasagern

„Für China sind die Hauptrisiken des Virus mittlerweile weniger epidemiologischer als vor allem politischer und wirtschaftlicher Natur“, schreibt Yanzhong Huang von der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations im Fachmagazin »Foreign Policy«. Xi Jinping sei in einer „autoritären Feedback-Schleife“ gefangen: Von Jasagern umgeben, habe der 68-Jährige ein politisches Klima der Repression erschaffen, in der es niemand mehr wage, seine Ansichten infrage zu stellen. Selbst der gefeierte Volksheld Zhong Nanshan, eine Art chinesischer Christian Drosten, ist Opfer der Zensur geworden: Als der 85-Jährige kürzlich in einer wissenschaftlichen Publikation andeutete, China könne seine Null-Covid-Maßnahmen nicht ewig durchhalten, wurde sein Beitrag schlicht gelöscht.

Doch schon vor Corona zeigte sich die rückwärtsgewandte Ideologisierung unter Xi Jinping immer deutlicher: etwa als die Schulen des Landes plötzlich ein Unterrichtsfach zu den Lehren Xi Jinpings einführten. Oder als sich Pekings Behörden im vergangenen Jahr in einer beispiellosen Regulierungswelle die gesamte Tech-Branche vorknöpfte. Von Fahrdienstvermittlern über Finanzdienstleister bis hin zu E-Commerce-Unternehmen wurden Dutzende Börsennotierungen unterbunden und im Falle des Online-Nachhilfe-Sektors eine gesamte Branche über Nacht für gemeinnützig erklärt – und damit um ihr Geschäft gebracht. Auch wenn die Gründe für die Maßnahmen unterschiedlich waren, lag ihnen doch allesamt die Kontrollwut einer Staatsführung zugrunde, die ohne Rücksicht auf grundlegende Wirtschaftsprinzipien ihre Macht ausspielt.

„Was Xi Jinping für Unternehmer besonders beängstigend macht, ist, dass er sämtliche Gesellschaftsbereiche umgestaltet: wie Wohlstand geschaffen wird, Technologien reguliert werden oder wie das Bankensystem funktioniert“, sagt Desmond Shum, der in den 2000er-Jahren zu den erfolgreichsten Immobilienentwicklern in Peking zählte. Heute lebt er als Regime-Kritiker und Buchautor im britischen Exil. Von dort blickt er ungläubig auf eine Staatsführung, die auf wirtschaftliche Interessen keine Rücksicht mehr nehme: „Um Wohlstand zu schaffen, braucht man eine gewisse Zuverlässigkeit. Wenn alles transformiert wird, wie kann man da überhaupt einen Geschäftsplan aufstellen? Derzeit verwaltet man eher seinen Wohlstand, statt Neues zu kreieren.“

Viele Kritiker wie Shum sehen China zurück in eine dunkle Vergangenheit marschieren. „All diejenigen, die vom derzeitigen Null-Covid-Wahnsinn der Kommunistischen Partei irritiert sind, seien daran erinnert: Es ist dasselbe System, das auch den Großen Sprung nach vorn und die Kulturrevolution durchgeführt hat“, schreibt Yaqiu Wang, Forscherin bei der New Yorker Denkfabrik Human Rights Watch, auf Twitter.

Viele junge Leute in China stimmen ihr zu. Vor einigen Monaten haben sie ihrem Staatschef Xi Jinping den zynischen Spitznamen „Kaidaoche“ verpasst, was sich in etwa mit „umkehren“ oder „rückwärtsfahren“ übersetzen lässt. Gemeint ist: Ein alternder, von Persönlichkeitskult umnebelter Herrscher fährt sein Land im Rückwärtsgang gegen die Wand.

Die Parallelen zum Staatsgründer der Volksrepublik China sind offensichtlich. Genau wie Xi Jinping das Corona-Virus um jeden Preis auszurotten versucht, gab Mao Zedong in den Fünfzigerjahren die Order aus, Gleiches mit den Spatzen zu tun. Angeblich fraß der kleine Vogel den Menschen das Saatgut von den Feldern. Die nationale Spatzenjagd verlief derart erfolgreich, dass binnen weniger Wochen zwei Milliarden Tiere getötet wurden. Darauf folgte eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes: Ohne ihren natürlichen Feind verbreiteten sich ungehindert Heuschrecken. Sie zerstörten ganze Ernten, was zu einer Hungersnot mit Millionen von Toten führte.

Wie groß die Opposition gegenüber Xis Kurs in Pekings Führungszirkel ist, lässt sich nur schwer ausmachen. Doch Ende Mai hat Premier Li Keqiang auf ungewöhnliche Art Alarm geschlagen: In einer Krisensitzung rief der Ökonom Zehntausende Regierungsbeamte im ganzen Land dazu auf, die wirtschaftliche Krise zu überwinden. Lis Stimme gilt als pragmatisches Gegengewicht zum Chefideologen Xi, doch seit einigen Jahren findet sie immer weniger Gehör.

Zumindest bis zum Herbst dieses Jahre wird Chinas mächtiger Führer seinen Kurs nicht korrigieren. Dann findet in der Großen Halle des Volkes der 20. Parteikongress statt, die vielleicht wichtigste Veranstaltung in Xi Jinpings Laufbahn. Dort wird er nach zehn Jahren an der Macht seine dritte Amtszeit ausrufen – und sich ganz offiziell als Diktator auf Lebenszeit bestätigen lassen. In China ist dies eine sensible Angelegenheit. Denn nach Mao Zedongs Tod hat sein Nachfolger Deng Xiaoping in die Verfassung schreiben lassen, dass kein Staatschef länger als zwei Legislaturperioden an der Macht bleiben darf. Damit sollte verhindert werden, dass sich die traurige Geschichte des Landes wiederholt. ---