Nachtarbeit

Beatrice Russo-Alcamo ist Reinigungskraft in einem Krankenhaus, Murat Okumus arbeitet als Operations Coordinator bei einem Verleiher von E-Rollern. Hier erzählen die beiden von ihrem Leben mit einem besonderen Rhythmus.





Energie ohne Ende: Beatrice Russo-Alcamo

Beatrice Russo-Alcamo, eine zierliche Frau von 62 Jahren, arbeitet als Reinigungskraft im Zentral-OP der Freiburger Universitätsklinik – seit 22 Jahren ausschließlich nachts. Dafür folgt auf jede Dienstwoche eine, in der sie frei hat.

„Als ich meine erste Nachtschicht hatte, wusste ich: Das ist mein Ding. Keine Ahnung, was passiert war, aber auf einmal wollte ich nur noch nachts arbeiten. Es war wie eine Erleuchtung. Ich bin ein Nachtmensch, und ich habe sehr viel Energie. Wenn ich morgens von der Schicht nach Hause komme, fragt mein Mann mich manchmal: Warst du überhaupt arbeiten?

Ich traue mich kaum, das zu sagen, aber mir reichen zwei Stunden Schlaf völlig. Ich fühle mich danach so, als hätte ich den ganzen Tag geschlafen. Sobald ich mehr als vier Stunden im Bett liege, bekomme ich richtig schlechte Laune. Meine Hausärztin sagt, dass ich kerngesund bin. Manche Menschen brauchen einfach wenig Schlaf.

Die Schicht in der Klinik beginnt um viertel nach neun. Ich ziehe mich um und hole die Funke, so nennen wir den Piepser, mit dem die Pfleger mich erreichen können. Wenn eine Operation vorbei ist, funken sie mich an, und ich schiebe den Putzwagen in den Saal. Manchmal sieht es ganz schön chaotisch aus: Überall liegen Tupfer und Mullbinden, Blut klebt auf dem Boden. Ich wische das Blut weg, leere die Eimer und entsorge den Müll. Das ist ordentlich Arbeit.

Seit 42 Jahren arbeite ich im OP, früher war es entspannter. In manchen Nächten renne ich von Operationssaal zu Operationssaal, insgesamt haben wir zwölf. Wenn ein Notfall reinkommt, bleiben mir nur zehn Minuten, um die wichtigsten Dinge sauber zu machen. Das ist Action. Aber das gefällt mir gut. Meine Schicht geht bis halb sechs, und mein OP-Saal ist dann immer sauber.

Die Stimmung im Team ist super. Viele Ärztinnen und Pfleger sagen mir: ,Es ist toll, was du alles machst.‘ Wenn mich ein Arzt fragt, ob ich das Desinfektionsmittel auffüllen kann, dann mache ich das sofort – auch wenn es eigentlich nicht zu meinen Aufgaben gehört. Ich sehe ja, wie viel die Ärzte zu tun haben.

Mein Mann wollte am Anfang nicht, dass ich nachts arbeite. Er wollte nicht allein schlafen. Aber wir haben es ausprobiert, und es hat gut geklappt. Für ihn wäre die Nachtarbeit nichts gewesen. Er ist mittlerweile in Rente und hat in einer Druckerei gearbeitet. Schon nach der Spätschicht war er immer richtig geschafft.

Er kommt aus Sizilien, aber wenn Sie ihn treffen würden, würden Sie das nicht glauben. Er ist ein ganz ruhiger Typ – im Gegensatz zu mir. Ich kann kaum still sitzen, gehe viel joggen. Jedes Jahr nehme ich am Freiburger Marathon teil – in der Staffel. Für meinen Teil der Strecke trainiere ich das ganze Jahr.

Wenn ich morgens nach Hause komme, mache ich den Fernseher an und setze mich aufs Sofa. Dann schlafe ich ein oder zwei Stunden. In dieser Zeit hat mein Mann früher immer das Frühstück für unsere vier Söhne gemacht und sie in die Schule geschickt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Meine Söhne waren schon recht selbstständig, als ich mit der Nachtschicht anfing. Für Menschen mit kleinen Kindern ist es bestimmt schwieriger, nachts zu arbeiten. Meine Söhne fanden es auch immer gut, wenn ich eine Woche am Stück zu Hause war.

Wenn es geht, würde ich gern über die Rente hinaus arbeiten. Immer nur Freizeit, das würde mich verrückt machen. Ich merke das ja schon im Urlaub. Wir gehen dann ins Schwimmbad und in die Therme. Aber ich weiß, dass ich in ein paar Tagen wieder arbeiten kann, und das beruhigt mich.

Das Geld ist nicht der Grund, warum ich nachts arbeite. Ich weiß gar nicht, wie viel weniger ich tagsüber verdienen würde. Mir ist wichtig, ein Gehalt zu haben, von dem ich leben kann. Und das habe ich.

Mein Mann sagt: ,Irgendwann fessele ich dich ans Bett. Du musst doch mal schlafen!‘ Aber ich kann das nicht. Das merke ich besonders in meiner freien Woche. Dann liege ich stundenlang wach. Meistens setze ich mich dann auf den Balkon, mache ein kleines Licht an und lese ein Buch.

Im August verbringen wir drei Wochen in einem Dorf auf Sizilien. Es heißt San Giuseppe. Mein Mann ist dort geboren. Ich freue mich sehr darauf, denn dort fängt das Leben am Wochenende nachts erst so richtig an. Ich ziehe dann mit meiner Schwägerin los, und mein Mann bleibt brav zu Hause.“

Mag leere Straßen: Murat Okumus

Murat Okumus wohnt mit seiner Frau in einer Zweizimmerwohnung in Berlin-Treptow-Köpenick. Der 44-Jährige arbeitet seit drei Jahren in der Nachtschicht für Tier Mobility, einem Verleiher von E-Scootern, E-Mopeds und E-Bikes. Als Operations Coordinator leitet er ein 15-köpfiges Team, das die Fahrzeuge einsammelt, an bestimmten Orten wieder aufstellt und die Akkus wechselt. Okumus beantwortet auch E-Mails von Menschen, die sich beschweren, wenn ein E-Roller in ihrem Garten steht. Seine Schicht dauert von acht Uhr abends bis halb fünf morgens.

„Ich will nicht drum herum reden: Die Nachtschicht hat viele Nachteile. Meine Frau und meine Freunde schlafen, wenn ich arbeite, und ich schlafe, wenn sie arbeiten. Dieses Wochenende habe ich ein paar Leute zum Grillen eingeladen. Das kommt nicht oft vor, denn ich arbeite auch regelmäßig am Wochenende, meist zweimal im Monat.

Wenn ich mit meiner Frau in den Urlaub fahre, muss ich ein paar Tage früher freinehmen, um mich an den neuen Rhythmus zu gewöhnen. In den ersten Tagen schaffe ich es beim besten Willen nicht, um halb zehn aufzustehen. Und egal wie müde ich nachts bin, nach einer Stunde Schlaf bin ich meistens wieder hellwach.

Mit Kindern wäre es nicht möglich, nachts zu arbeiten und genügend Schlaf zu bekommen. Das kann mir keiner erzählen. Wir haben zwei Hunde: einen Mops und einen Mischling. Die beiden sind stur. Wenn ich um sieben Uhr morgens ins Bett gehe, kommen sie immer mit. Ich habe versucht, es ihnen abzugewöhnen, aber die veranstalten dann sonst was in der Wohnung. Also lasse ich sie ins Bett. Da chillen sie mit mir und sind glücklich. Ein Mops schläft 16 Stunden am Tag.

Nach der Schicht komme ich um halb sechs nach Hause. Dann kann ich erst mal nicht einschlafen. Ich lege mich im Wohnzimmer aufs Sofa und starre an die Decke. Meine Frau steht um sieben Uhr auf, kommt ins Wohnzimmer, das auch unsere Küche ist, und macht sich Kaffee. Ich gebe ihr einen Kuss und gehe rüber ins Schlafzimmer.

Dann schlafe ich bis drei, mache Kaffee, gehe mit den Hunden in den Wald, esse – und dann geht’s wieder zur Arbeit. Dort sage ich den Fahrern, was sie zu tun haben. Manchmal gibt es ungewöhnliche Aufgaben. Wenn eine U-Bahn-Linie gesperrt ist, bringen wir möglichst viele Roller zu den betroffenen Haltestellen, damit die Leute Alternativen haben.

Ich habe schon ziemlich viele Jobs gemacht. Früher war ich Metallschlosser, da musste ich um fünf Uhr aufstehen. Mir ist das unendlich schwergefallen. Dann habe ich im Elektrohandel, im Getränkehandel und bei einem Lebensmittel-Lieferservice gearbeitet. Manchmal hatte ich die Nachtschicht. Darauf habe ich mich gefreut.

Früher hatte ich immer diesen Druck, früh einschlafen zu müssen, um morgens fit zu sein. Mit der Nachtschicht war der Druck plötzlich weg. Bei Tier kann ich jetzt immer nachts arbeiten. Da ist auch die Bezahlung besser. Ich weiß nicht genau, was meine Kollegen verdienen, aber ich denke, dass ich 400 bis 500 Euro mehr Nettogehalt bekomme.

Ich kenne die meisten Leute in meinem Team gut. Der Großteil ist fest angestellt und seit etwa zwei Jahren dabei. Das ist eine recht lange Zeit für die Branche. Ich sage nicht: Herr Soundso, könnten Sie bitte diesen Auftrag übernehmen? Ich sage: Komm, hau rein, mach deine Arbeit. Wir sprechen Straßenslang, aber es herrscht Respekt. Zu sehr darf ich den Chef nicht heraushängen lassen. Wir haben so unterschiedliche Charaktere im Team, aus vielen verschiedenen Nationen, da muss ich auf jeden eingehen.

Die Arbeit lässt sich nachts viel schneller erledigen, weil die Straßen frei sind. Ein Fahrer kann zwei- bis dreimal so viele Roller einsammeln und aufstellen wie tags-über. Ich habe das ein Jahr gemacht, es war richtig anstrengend. An einigen Tagen musste ich hundert Roller in den Lieferwagen hieven. Das ging aufs Kreuz.

Doch schon nach dem einen Jahr als Fahrer bin ich zum Koordinator aufgestiegen – eine riesige Anerkennung.“ ---