Physee

Die Bau- und Gebäudewirtschaft trägt rund 40 Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Eine niederländische Firma will das ändern.



Herr der Sensoren: der Physiker und Physee-Mitgründer Ferdinand Grapperhaus im niederländischen Delft


• Glasfassaden für Bürogebäude sind beliebt, sie wirken offen und ästhetisch ansprechend. Doch über das Glas geht viel Wärme verloren, zulasten der Energiebilanz und des Raumklimas.

Das niederländische Unternehmen Physee mit Sitz in Delft will dagegen etwas tun. „Wir wollen Gebäude mit der natürlichen Umgebung verknüpfen“, sagt Ferdinand Grapperhaus, der Mitgründer und Geschäftsführer.

Physee bietet ein interaktives Gebäudemanagement an. Anders ausgedrückt, alles wird mit allem vernetzt: die Glasfassade mit der Heizung, der Schreibtisch mit der Jalousie, der Fensterrahmen mit der Deckenbeleuchtung. Und alle Fäden laufen in einem Gebäudebetriebssystem namens Sense zusammen, dem Herzstück des interaktiven Arbeitsplatzes.

Im Inspiration Center des Wohnungsbauunternehmens Dura Vermeer in Utrecht erhält man einen Eindruck davon. Das Bürogebäude hat eine Glasfassade, insgesamt 510 Quadratmeter groß und mit Sensoren bestückt. Statt einer zentralen Messstation auf dem Dach liefert die Fassade etliche Messpunkte, mit denen sich die Klimatisierung der Räume individuell steuern lässt. Jeder Fensterrahmen ist mit Solarzellen versehen, als Ergänzung zu den Sonnenkollektoren auf dem Dach. Laut Betreiberfirma spart die präzisere Klimasteuerung rund 20 Prozent Kosten ein.


Bald soll es die Delfter Fassaden auch in Deutschland geben.

Sense ist Soft- und Hardware. Sensoren liefern die Informationen, Algorithmen verarbeiten sie zu Anweisungen, die an die Endgeräte gehen. Jede Lampe, Heizung und Sonnenblende wird abhängig vom jeweiligen Einfallswinkel der Sonne justiert. Sensoren im Innenraum messen die Luftqualität, die Beleuchtung passt sich dem menschlichen Biorhythmus an. Der Strom dafür kommt aus den Solarzellen im Fensterrahmen. „So wird die Glasfassade von einer trägen Hülle zur lebendigen Haut“, sagt der Firmengründer Grapperhaus.

Die Technik kann in bestehende Gebäude integriert oder bei der Planung berücksichtigt werden. Als Erstes entsteht ein digitaler Zwilling des Gebäudes. „Auf der Grundlage von Bauplänen und Messungen simulieren wir zu jeder Tageszeit, jedem Sonnenstand, jeder Jahreszeit, jedem Wetter und jeder Außentemperatur die Sonneneinstrahlung auf die einzelnen Flächen der Fassaden. Damit können wir das Raumklima gezielt steuern.“

Das geht so weit, dass selbst die Ausrichtung der Schreibtische erfasst werden kann, um die Markisen gerade nur so weit herabzulassen, dass der Mitarbeiter nicht geblendet wird. „Wir können auch die Bewegungsmuster aller Anwesenden erfassen, um Räume je nach Belegung optimal zu klimatisieren, was zusätzlich Energiekosten spart“, sagt Grapperhaus. Je nachdem, wie viel Überwachung man zulassen will, können diese Bestandteile optional verwendet und an die arbeitsrechtlichen Auflagen angepasst werden.

Seit dem 1. Januar 2020 müssen Neubauten in den Niederlanden per Gesetz „nahezu energieneutral“ sein, also strengere Anforderungen an Isolierung und Energieverbrauch erfüllen. Physee erfüllt diese mit seinen Fassaden und den Sense-Algorithmen. Die auf nachhaltiges Bauen spezialisierte Rating-Agentur Breeam attestierte Physee mit ihrer smarten Haut das „beste Verfahren“.

Ferdinand Grapperhaus, heute 33, hat Physee vor gut sieben Jahren gemeinsam mit zwei Freunden als Ausgründung der Technischen Universität Delft begonnen. Neben Investorengeldern erhielt die Firma knapp zwei Millionen Euro über das Horizont-2020-Programm der Europäischen Union für besonders aussichtsreiche Innovationen und Forschungsprojekte.

Sense ist bereits die dritte Generation intelligenter Gebäudefassaden aus dem Haus der Niederländer, die das Produkt seit 2019 kommerziell vermarkten. Seitdem habe sich der Gewinn verdreifacht, sagt Grapperhaus, 2020 waren es eine Million Euro. Heute arbeiten bei Physee 40 Personen, die beiden Mitgründer Willem Kesteloo und Sam Anders sind heute technischer beziehungsweise operativer Leiter.

Allein 2020 wurden in Amsterdam und Den Haag mehr als 3500 Quadratmeter der smarten Haut installiert. Und nach einem schwierigen Pandemie-Jahr 2021 sind die Auftragsbücher laut Grapperhaus nun auch wieder gut gefüllt. Für 2022 hat sein Team den deutschen Markt im Blick. Einen Partner in der Immobilienbranche hätten sie schon, sagt er.

„Intelligentes Gebäudemanagement, wie es die Firma Physee anbietet, ist durchaus sinnvoll, doch der Teufel steckt im Detail“, sagt Viktor Grinewitschus, Professor für Technische Gebäudeausrüstung an der Hochschule Ruhr West. „Durch eine präzise Ausrichtung der Sonnenblenden lässt sich solare Wärme optimal nutzen und eine angenehme Raumatmosphäre schaffen. Wenn sich der Sonnenschutz aber bei jeder Wolke neu einstellt, kann das auch als störend empfunden werden.“

Auch das haben die Delfter Tüftler bedacht. „Wir haben für Sense selbstlernende Algorithmen entwickelt“, sagt Grapperhaus. Damit soll das System nicht nur reagieren, sondern auch Vorhersagen treffen. So werde verhindert, dass die Heizung nur für ein paar Sekunden anspringt oder die Jalousie ständig rauf- und runterfährt. „Sense erkennt, ob sich eine Anpassung lohnt.“ ---