Editorial

Drehmoment

• Das waren noch ganz andere Themen, als wir uns für die Märzausgabe 2010 schon einmal mit dem Thema Logistik beschäftigten. Damals ging es um Ideen, wie alles noch schneller, noch reibungsloser um die Welt geschickt werden könnte – inzwischen ist die Frage, wie man Waren überhaupt noch über weite Strecken transportieren kann. Und ob man das sollte.

Foto: André Hemstedt & Tine Reimer


Die Welt wandelt sich in einem Tempo, das einen atemlos machen kann. Und das hat nicht nur mit Corona oder dem Angriff auf die Ukraine zu tun. Die Hoch-Zeit der Globalisierung endete schon mit der Finanzkrise 2009, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Douglas Irwin, man hat das damals nur noch nicht registriert.

Inzwischen aber ist offenkundig, dass der Welthandel stockt. Plötzlich fehlen Waren, Ersatzteile, Rohstoffe. Schiffe müssen teure Umwege fahren, wenn sie es denn schaffen, aus dem Hafen herauszukommen. Überhaupt ist der Transport inzwischen so teuer geworden, dass sich so mancher Produzent fragt, ob es nicht günstiger wäre, die Waren in der Nähe herzustellen.

Drehen wir also die Globalisierung wieder zurück? Dafür sprechen die Preisentwicklung und die immer offenkundigeren Klimaprobleme – aber es gibt nicht nur in der Automobilindustrie auch gute Argumente dagegen. Denn trotz aller berechtigten Kritik hat die weltweite Arbeitsteilung vielen Regionen Wohlstand gebracht, Forschung und Entwicklung gefördert, ganz abgesehen davon, dass in Deutschland mehr als drei Millionen Menschen in der Logistikbranche beschäftigt sind.

Die aktuellen Probleme aber könnten den Weg weisen zu einer besseren Globalisierung, in der Dumpingpreise für Transporte nicht mehr zu absurden Umwegen verleiten und auch die Kosten für die Umwelt eingepreist werden. Die dadurch erzwungenen Veränderungen sind einschneidend genug. Jan Philippi, der seine Designprodukte lange in China herstellen ließ, sucht inzwischen neue Produzenten in Osteuropa, was allerdings nicht ganz einfach ist. Und wer in den vergangenen Jahren sein Just-in-time-System perfektioniert hat, feilt heute an der Ideallinie zwischen Liquidität und Lagerbestand.

Gleichzeitig sorgt die Krise für einen wahren Innovationsschub: In Start-ups und Konzernen wird über Lösungen nachgedacht, und vieles wird jetzt erst möglich, weil der Transport nicht mehr zum Spottpreis zu haben ist. Dass Krabben zum Pulen nach Marokko geschafft werden, bevor sie in deutschen Kühlregalen landen, wird womöglich bald eine Gruselgeschichte von gestern sein. Dass wir jegliche Wertschöpfung zurückholen, bleibt sicher ein unerfüllter Wunschtraum von Globalisierungsgegnern. Am Beispiel der Textilindustrie zeigt Andreas Molitor, wie wichtig die Arbeitsteilung gerade für ärmere Länder ist – er zeigt aber auch, wie notwendig es ist, dass Arbeitsbedingungen kontrolliert werden, die Auftraggeber ordentliche Konditionen bieten und Kundinnen und Kunden bereit sind, den Preis zu bezahlen.

Denn daran kann es keinen Zweifel geben: Auch wenn sich die Lage wieder entspannt, wird vieles teurer werden – weil die Logistik mehr kostet oder die Produktion vor Ort. Für Jan Philippi kann das aber durchaus eine Wende zum Guten sein: Vielleicht würden Produkte wieder mehr wertgeschätzt, „und der schnelle Konsum hat endlich ein Ende“. ---