Technische Universität München

Die Technische Universität München zeigt, wie man als Hochschule vorankommt: Statt wie eine Behörde zu arbeiten, verhält man sich wie ein internationales Wirtschaftsunternehmen. In Deutschland wurde sie damit zu einer guten Adresse. Aber um mit internationalen Spitzen-Unis wie Harvard, MIT und Stanford zu konkurrieren, braucht es neue große Ideen.





Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 01/2022.


Gab einst den Ton an: der ehemalige TUM-Präsident Professor Wolfgang A. Herrmann

• Ein Mann steht auf dem Dach eines futuristischen Gebäudes in Garching am Stadtrand von München und weist mit großer Geste auf die Umgebung. Im Süden sieht man die ehemaligen Müllberge der Millionenstadt mit ihren Windkraftanlagen, im Norden liegt der Flughafen, im Osten dient der stillgelegte erste Forschungsreaktor Deutschlands mit seiner eiförmigen Kuppel heute als Lagerhalle, im Westen tost der Verkehr auf der A9 nach Berlin – und dazwischen frisst sich der Campus der Technischen Universität München (TUM) in die Landschaft. Überall Gruben, Kräne, schwere Maschinen. Ein Panorama des Aufbruchs in einer Symphonie des Baulärms. Und der Mann auf dem Dach ist ihr Dirigent.

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Der Dirigent

Wolfgang A. Herrmann, 73, war von 1995 bis 2019 Präsident der TUM, und auch wenn er jetzt emeritiert ist, denkt er gar nicht daran, den Campus zu verlassen. Schließlich wurden fast alle Gebäude hier unter seiner Führung gebaut. 2,5 Milliarden Euro Investitionssumme. Und so groß wie der Geldeinsatz waren auch Herrmanns Ideen, als er vor 26 Jahren das Amt übernahm. Statt Forschung im Elfenbeinturm verlangte er Wettbewerb, Innovation und Wachstum: die Uni als Unternehmen.

Andere Universitäten sind dem Beispiel gefolgt. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH) und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zum Beispiel. Die gerade mal 300 Kilometer entfernte Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich (ETH) kann es sogar noch besser. Sie gilt laut dem Londoner Fachmagazin »Times Higher Education« als beste technische Universität Europas.

Das Gebäude, auf dessen Dach Herrmann jetzt steht und in dem er immer noch ein Büro hat, ist das Institute for Advanced Studies und ein gutes Beispiel dafür, wie er sich eine Hochschule vorstellt: als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Das Haus wurde von BMW finanziert und dient als Begegnungszentrum für Studenten, Managerinnen, Top-Wissenschaftler aus aller Welt. „Hier soll Zukunft gemacht werden“, sagt Herrmann, „ein Tauschplatz des Wissens.“

Herrmann ist Chemiker und wurde schon als 47-jähriger Professor etwas widerwillig Präsident der TUM. Er hielt nicht besonders viel von der Verwaltung, der er vorstehen sollte. Aber die Kollegen drängten ihn, den Posten anzunehmen, und schließlich gab er nach. Die, die ihn ins Amt gehoben hatten, sollten das ziemlich schnell bereuen, denn der neue Chef tat exakt das Gegenteil dessen, was von ihm erwartet wurde. Statt weiterzumachen wie bisher, begann er alles umzukrempeln. „Wenn schon, dann richtig“, sagt er, „ich wollte meine jungen Jahre nicht verblödeln.“

Eines seiner ersten Opfer wurde die Außenstelle Weihenstephan, die es sich mit Bierbrauen, Ackerbau und Viehzucht gemütlich gemacht hatte. „Auf Bier und Ackerbau kann sich unser Profil als internationale Universität doch nicht beschränken“, sagte Herrmann, „der lebenswissenschaftliche Horizont muss eröffnet werden, vom Molekül bis zum Organismus.“ Die Weihenstephaner wehrten sich zunächst, doch dann bekam Herrmann unerwartete Unterstützung.

An einem Frühlingstag im Jahr 1996 wurde er um 21 Uhr in die bayerische Staatskanzlei zitiert: „Edmund Stoiber will Sie sprechen.“ Und der damalige Ministerpräsident nahm kein Blatt vor den Mund. Die Hochschulen seien zu langsam und zu wenig vernetzt. Mit der provinziellen Lahmarschigkeit müsse Schluss sein. „Lassen Sie uns eine Reform machen, dass es kracht“, soll Stoiber gesagt haben. Und Herrmann schrieb ihm das Konzept dafür: interdisziplinär forschen, Wettbewerb einführen, sich an den weltbesten Universitäten orientieren. Messen wollte Herrmann das an der Fähigkeit, internationale Allianzen einzugehen. „Allianzfähig wirst du nur, wenn du auf ein paar Gebieten so stark bist, dass irgendjemand in Europa oder auf der Welt interessiert ist, mit dir zusammenzuarbeiten“, sagt Herrmann. „Wenn du eine lahme Ente bist, will dich doch keiner.“

Stoiber fand das gut und setzte eine Experimentierklausel im Hochschulgesetz durch, die den Universitäten neue Freiheiten gab. Aber nur Herrmanns TUM nutzte sie. Dank dieser Regelung konnte er ernsthaft mit dem Umbau seiner Lehranstalt beginnen, die gar nicht so schlecht dastand mit einer Reihe von Nobelpreisträgern und einem großen wissenschaftlichen Renommee. Aber den internationalen Anschluss hatte die Alma Mater irgendwie verpasst. Sie war ein Local Hero, aber kein Global Player. Das wollte Herrmann ändern.


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Zunächst führte er einen Eignungstest für Studienbewerber ein. Er wollte nur noch die besten haben. Die Hälfte aller Bewerbungen wurden abgelehnt. Wer durchkam, brach das Studium seltener ab und erzielte bessere Noten. Das wiederum lockte qualifiziertere Professorinnen und Professoren an. Mehr als 200 stellte Herrmann ein, darunter den Physiker Rudolf Groß, der ein führendes Zentrum für Quantenforschung aufbaute, und die chinesische Umweltexpertin Jia Chen von der Harvard University. Sie entwickelte an der TUM das weltweit erste vollautomatische Messsystem für Klimagase, das mit großer Genauigkeit Emissionsquellen in Großstädten ermitteln kann. Ein Start-up soll die neue Technik künftig international vermarkten.

Parallel dazu sahen sich Herrmanns Leute die Abläufe genauer an. Dabei entdeckten sie Dutzende von längst genehmigten, aber unbesetzten Stellen. „Die Effizienz der Verwaltung war nicht so, dass man sie nicht hätte verbessern können“, sagt Herrmann diplomatisch.

Dramatischer aber waren zwei andere Grundsatzentscheidungen, die Herrmann traf. Erstens forderte er von den Fakultäten, enger zusammenzuarbeiten und interdisziplinär zu denken. Zweitens holte er Sozial- und Geisteswissenschaftler an die TUM. „Wir müssen die Gesellschaft miteinbeziehen, alles andere ist vergangenes Jahrhundert.“ Und schließlich übernahm er noch die Hochschule für Politik, eine Körperschaft des privaten Rechts, 1950 vom Bayerischen Landtag gegründet, um im Nachkriegsdeutschland die Demokratie zu fördern.

Sein Coup allerdings war die Gründung einer TUM-Filiale in Singapur, die finanziert wird von dem asiatischen Stadtstaat und deutschen Unternehmern, die auch im Ausland Studienabgänger mit einer TUM-Ausbildung anheuern wollen. „Es war die erste Dependence einer deutschen Universität im Ausland überhaupt“, sagt Herrmann. „Wir wollen dort sein, wo die Post abgeht.“ Unterdessen gibt es TUM-Büros in Brüssel, Peking, Mumbai, San Francisco und São Paulo – die im Jahr 2002 gegründete TUM Singapur hat bereits mehr als 1300 Absolventinnen und Absolventen in die Arbeitswelt entlassen.

Der Nachwuchsunternehmer

Das Munich Urban Colab ist ein moderner Glaskubus im neuen Kreativquartier der bayerischen Landeshauptstadt. Hier können Studentinnen und Studenten höherer Semester Start-ups entwickeln und Prototypen bauen. Vor zehn Jahren gab es sieben bis acht Ausgründungen pro Jahr, jetzt sind es schon 70 bis 80 – in zehn Jahren sollen es 700 bis 800 sein. Bis dahin will die TUM die Innovationsführerschaft unter den deutschen Universitäten zurückgewinnen. Zuletzt hatte die RTWH ein paar Start-ups pro Jahr mehr.

Verantwortlich für die Aufholjagd ist Professor Helmut Schönenberger, 49, ein Betriebswirt aus der Luft- und Raumfahrt. Schönenbergers Erkennungszeichen ist eine abgewetzte Umhängetasche mit dem Schriftzug UnternehmerTUM, die er seit 20 Jahren immer dabeihat, weil sie so etwas wie seine Job-Beschreibung ist.

An der Stanford University hatte Schönenberger für seine Diplomarbeit die kalifornische Elite-Universität mit der bayerischen TUM verglichen und dieser empfohlen, ein Gründerzentrum in München einzurichten. Seit 2002 hat er es und führt die von der BMW-Erbin Susanne Klatten finanzierte UnternehmerTUM gGmbH. Sie ist das größte Zentrum für Gründung und Innovation in Europa. Mehr als 1000 Start-ups hat sie schon hervorgebracht, ein Großteil davon konnte sich erfolgreich am Markt etablieren. Drei haben mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar den Einhorn-Status erreicht: Personio mit Software für das Personalmanagement, Lilium mit elektrischen Flugtaxis* und Celonis mit Prozessmanagement-Software. Celonis' Marktwert beträgt aktuell mehr als elf Milliarden Dollar.


Kam aus Harvard und misst Klimagase: Jia Chen


Ein Betriebswirt kommt geflogen: Professor Helmut Schönenberger

Der neue Präsident

Seit 2019 ist Professor Thomas Hofmann, 52, Präsident der TUM. Er residiert in dem riesigen Büro, das 24 Jahre lang Herrmanns Kommandozentrale war. Wie Herrmann trägt Hofmann einen Oberlippenbart und ist ebenfalls Chemiker. Aber im Büro hat er ein neues Kunstwerk aufgestellt: ein Objekt des oberbayerischen Holz-Bildhauers Roland Füssel. Es besteht aus drei lebensgroßen Schwänen in unterschiedlichen Flugphasen. Der hintere hat die Schwingen unten, der mittlere horizontal und der vordere oben. Die Skulptur hat für Hofmann symbolischen Wert. Er ist natürlich der erste Schwan, mit ihm soll es weiter aufwärtsgehen.

In seiner Antrittsrede erklärte er auch, was das für ihn bedeutet: „Wir wagen den tiefgreifendsten Wandel in der 150- jährigen Geschichte seit Gründung dieser Hochschule.“ Im Klartext heißt das: Was Herrmann bisher geleistet hat, war nur der Anfang. Jetzt geht es erst richtig los. Anlass dafür ist, dass die TUM an Bedeutung verliert. In den meisten internationalen Universitäts-Rankings liegt sie weit unterhalb der Top Ten. „Wir haben noch Luft nach oben“, sagt Hofmann. Jetzt sind neue, große Ideen gefragt. Aber welche?

Das Ranking-Problem ist schwer zu lösen. Elite-Hochschulen wie Harvard oder Stanford funktionieren anders als deutsche Massenuniversitäten. Sie sind durch milliardenschwere Stiftungsvermögen reich und konzentrieren sich stark auf Spitzenforschung und ihre Veröffentlichungen in internationalen Fachzeitschriften wie »Nature« oder »Science«. Das wird in den Rankings belohnt. Deutsche Hochschulen bieten auch Fächer wie Sportwissenschaften, Lehramt oder Architektur an, womit man kaum Punkte sammelt. In Physik, Chemie und Medizin macht die TUM zwar Plätze gut, aber auch da soll es nicht nur tolle ranking- relevante Publikationen geben, sondern auch hervorragende Chirurgen, die Menschenleben retten, oder Ingenieure, die eine perfekte Maschine bauen.

Deshalb muss sich die TUM damit begnügen, dass sie bei nahezu allen internationalen Wettbewerben Weltmeister wird, bei denen es um die praktische Umsetzung theoretischen Wissens geht. Bei Elon Musks Hyperloop-Wettbewerb jagten die TUMler ihren Zug schon zum dritten Mal in Folge am schnellsten durch die Vakuum-Röhre. Bei der Bohr-Challenge schlugen sie 399 Konkurrentinnen und Konkurrenten im Tunnelbohren. Und auch bei der Indy-Autonomous-Challenge, einem Autorennen für fahrerlose Wagen, lagen sie vorn.

Das sind aber nur Peanuts im Vergleich zu der großen Aufgabe, vor der die TUM heute stehe, so Thomas Hofmann: „Wir müssen noch dynamischer und agiler die Herausforderungen der Zeit aufgreifen.“ Dafür muss vor allem die berüchtigte deutsche Hochschulbürokratie abgebaut werden. Sie gilt als einer der größten Bremser auf dem Weg in die Zukunft. Hofmann schickt jetzt möglichst viele seiner rund 3500 Verwaltungsleute für Praktika ins Ausland, damit sie mal sehen, wie die anderen Personal-, Finanz- und Liegenschaftsprozesse beschleunigen.

Als ganz großer Wurf gilt Hofmann die Abschaffung der Fakultäten, in denen man sich bisher gern vom Rest der Welt abschottete. Die 15 Fakultäten der TUM werden in sieben sogenannten Schools aufgehen und interdisziplinär zusammenarbeiten. Dort geht es dann nicht mehr um die klassischen Fächer, sondern um aktuelle Themen. In der neuen School of Medicine & Health zum Beispiel bilden künftig Sportwissenschaftler, Biophysiker und ITler Teams mit Ärzten. So sollen die Beteiligten auf kreative Ideen für neue Projekte kommen.

Damit der Abschiedsschmerz nicht zu groß wird, bekommen alle Dekane aus den alten Fakultäten in den neuen Schools einen schönen Titel und einen Führungsposten. Zur allseitigen Motivation könnte der dritte und letzte Schwan in Hofmanns Büro dienen: der mit den hängenden Flügeln. Wenn der nicht kräftig Schwung holt, verliert er bald den Anschluss. ---

Die Technische Universität München (TUM) wurde 1868 vom bayerischen König Ludwig II. als Polytechnische Schule gegründet. Damals hatte sie 24 Professoren, 21 Dozenten und 450 Studenten.

Heute ist die TUM die zehntgrößte Universität Deutschlands. Vor allem in den vergangenen 25 Jahren ist sie stark gewachsen:

  1995: 2020:
Budget in Millionen Euro: 590,8 1770,7
Zahl der Studentinnen und Studenten: 18 345 48 000
Zahl der Professoren und Professorinnen: 389 608
Bewerbungen um einen Studienplatz pro Jahr: 33 000
Neueinschreibungen pro Jahr: 14000
davon weiblich: 5180
davon international: 5320
Zahl der Beschäftigten im Jahr 2020: 11269
Zahl der Patente im Jahr 2020: 73
Zahl der Firmenausgründungen im Jahr 2020: 75
Zahl der Nobelpreise (seit der Gründung): 17

In fast allen Rankings liefert sich die TUM mit der Münchener Konkurrenz Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ein Kopf-an-Kopf-Rennen als beste Universität Deutschlands. Im internationalen Vergleich ist sie deutlich unterhalb der Top Ten zu finden.

Etwa im World University Ranking, das aufgrund von 13 Performance-Indikatoren die Universitäten bewertet:

1. Oxford
2. Harvard
3. Stanford

32. LMU

38. TUM

Oder im Shanghai Ranking, das die Forschungsleistung vor allem anhand von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften wie »Nature« und »Science« bewertet:

1. Harvard
2. Stanford
3. Cambridge

48. LMU

52. TUM

*Lilium hat ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt. (Stand 30. Oktober 2024)