Stephan Wrage
Der Windjäger
Erst wollte Stephan Wrage die Schifffahrt mit Drachensegeln revolutionieren. Doch daraus wurde vorerst nichts. Jetzt will er umweltfreundlich Strom erzeugen – weit oben in der Luft.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 01/2022.
• Stephan Wrage war ein Teenager, als er Mitte der Achtzigerjahre an einem Nordseestrand seinen Lenkdrachen steigen ließ. Auf einmal kam eine Böe und schleifte ihn meterweit durch den Sand. „Die Windenergie da oben muss man doch nutzen können“, dachte er sich, nachdem der Drache ihn mitgerissen hatte. Der Gedanke bestimmt seither sein Leben.
Heute ist Wrage Wirtschaftsingenieur und 49 Jahre alt. Wir treffen uns im Büro seiner Firma SkySails Group GmbH in Hamburg, wo 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter daran arbeiten, mit großen Lenkdrachen Windenergie aus der Luft zu gewinnen. Dazu fliegen die sogenannten Kites oberhalb von 200 Metern Höhe Schleifen und steigen langsam bis zu 500 Meter in den Himmel auf. Unten am Zugseil erzeugt ein Generator durch den Aufstieg des Drachens Strom.
Wrages Geschichte als Unternehmer ist komplizierter als diese Technik. Denn eigentlich wollte er mit den Lenkdrachen Containerschiffe ziehen.
Noch im Studium hatte er die Idee, dass die Schifffahrt mithilfe von Drachensegeln umweltfreundlicher werden könnte. Zwar lassen sich Containerschiffe nicht mit Masten ausstatten, aber ein ziehender Lenkdrachen vorn am Bug könnte die Dieselmotoren entlasten, dachte er. SkySails hieß die Erfindung, Wrage gründete eine gleichnamige Firma. Damals, vor 20 Jahren, rechnete er vor, dass mit den Segeln bis zu 50 Prozent an Treibstoffkosten und CO2-Emissionen eingespart werden könnten.
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Kurz nach der Jahrtausendwende sollte es dann richtig losgehen (siehe auch brand eins 01/2003: „Hoch die Segel!“). Wrage fand Investoren, Partner und jede Menge Aufmerksamkeit. Die Firma wuchs rasch auf 80 Mitarbeiter an, ein umweltbewusster Reeder ließ ein Pilotschiff umrüsten, die Bilder davon gingen um die Welt, »CNN« berichtete. Nur mit dem Verkauf der Segel lief es nicht so gut. „Wir waren viel zu früh dran“, sagt Stephan Wrage heute. Die Schifffahrt sei damals noch nicht so weit gewesen. Die Umweltauflagen waren lax, und die Betreiber der Schiffe scheuten die Mühe, sich auf eine neue, komplizierte Technik einzulassen. Außerdem folgte 2008 die globale Finanzkrise, die zu einer jahrelangen Krise der Branche und niedrigen Ölpreisen führte.
Im Nachhinein ist es – ähnlich wie beim Luftfrachtschiff Cargolifter, das eine Art Wiedergeburt des Zeppelins werden sollte – schwer zu beurteilen, ob das Produkt unter anderen Marktbedingungen erfolgreich gewesen wäre (siehe auch brand eins 08/2002: „Das Traumschiff“). Sicher ist: 2016 meldete Wrage Insolvenz an. Einige Monate später gelang der Nachfolgefirma mit angepassten Drachen aber schon der Neustart als Energieunternehmen für Höhenwinde.
Stephan Wrage ist nach wie vor ein Überzeugungstäter. Er sagt: „Unsere Vision war damals so richtig wie heute.“ Von seinem Vorhaben ist er überzeugt. Noch schaffe es niemand, die Höhenwinde zu nutzen. Deren Potenzial hält er für groß, denn: „Oberhalb von 200 Metern weht der Wind viel kräftiger und stetiger.“
Herkömmliche Windräder sind zu klein für Höhenwinde, und wegen des schweren Generators oben in der Nabe können sie nicht viel höher gebaut werden. Wenn die Energiewende gelingen soll, findet Wrage, sollte „die Menschheit die Energie da oben nicht ungenutzt lassen“. Da Höhenwind immer wehe, könne – anders als bei herkömmlichen Windrädern – fast pausenlos Strom erzeugt werden.
Über seine Pläne spricht Wrage heute jedoch deutlich zurückhaltender als vor 20 Jahren. * Der Grat zwischen Optimismus verbreiten und Mist erzählen, sagt er, sei schmal bei neuen Techniken. Wann die Lenkdrachen Strom für fünf Cent die Kilowattstunde produzieren können, wisse er noch nicht. Von diesem Preis an könnte Höhenwindenergie nahezu überall auf der Welt mit fast allen anderen Arten der Energieerzeugung konkurrieren (siehe auch brand eins 11/2021: „Problem und Lösung“). Vermutlich wird es dann möglich sein, wenn die Systeme ausgereift sind und in großer Stückzahl gefertigt werden. Außerdem hilft Konkurrenz, damit sich Innovationen durchsetzen. Auch Firmen in Norwegen und in den Niederlanden arbeiten an ähnlichen Systemen.
Derzeit läuft es für Stephan Wrages Firma gut. Private Investoren haben sich mit zweistelligen Millionensummen die Weiterentwicklung der Technik gesichert, RWE testet das System drei Jahre lang. Außerdem liefert das Unternehmen bald einen Lenkdrachen samt Generator-Container auf die Insel Mauritius. Dort soll das Konstrukt einen Dieselgenerator ersetzen und den Entwicklerinnen und Entwicklern in Hamburg weitere Erfahrungswerte liefern. 2023 soll es dann mit dem Verkauf der Systeme losgehen.
Ist das sicher? „Das ist geplant, nicht sicher“, sagt Stephan Wrage. Eines ist 35 Jahre nach der Böe am Nordseestrand aber klar: Der Mann verfügt über Ausdauer. Die Drachensegel für Schiffe entwickelt er nebenher weiter. ---
* Damals fuhr der Autor dieses Textes erstmals mit Stephan Wrage in einer Jolle mit Drachensegel über die Dahme bei Berlin
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