Goldjungs Berlin

Martin Ziegenhagen hat 2018 in Berlin die Agentur „Goldjungs“ gegründet, die Unternehmen dabei unterstützt, diverser zu werden. Und weiß aus Erfahrung: Mehr Vielfalt muss man sich erarbeiten.



Foto: © Tobias Kleinod


* BIPoC steht für Black People, Indigenous People und People of Colour. LGBTQIA+ ist ein Akronym für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersexual, Asexual und alle anderen Formen der Sexualität.

brand eins: Herr Ziegenhagen, Sie haben sich seit Ihrem Pädagogik-Studium gegen Rassismus und für mehr Toleranz eingesetzt. Hätten Sie je gedacht, dass sich damit Geld verdienen lässt?

Martin Ziegenhagen: Zumindest nicht mit einem Wirtschaftsunternehmen. Aber Diversity wollen plötzlich alle, sie wissen nur nicht, wie man es richtig macht. Für die meisten ist Diversität die Anwesenheit von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen. Aber es geht nicht um Anwesenheit, es geht um Austausch.

Der lässt sich ja wohl kaum erzwingen.

Aber herbeiführen. Wir haben einmal ein Projekt entwickelt, in dem Azubis den älteren Kolleginnen und Kollegen digitale Gadgets und soziale Medien erklärten. Im Gegenzug haben die Alten sich geöffnet und den Jungen ihr berufliches Know-how preisgegeben. Davon haben alle profitiert, auch das Unternehmen.

Was können Firmen bei dem Thema falsch machen?

Es gibt drei klassische Fehler. Der erste: Diversity nicht wirklich ernst zu nehmen, sondern als Feigenblatt zu benutzen. Eine Art Social Greenwashing, das geht garantiert schief. Der zweite Fehler ist, Diversity von oben herab zu verordnen und sich anzumaßen, sowieso zu wissen, was die einzelnen Gruppen denken. Und drittens ist es falsch, nur auf den wirtschaftlichen Effekt zu schauen und nicht darauf, was die Menschen mitbringen und wie man sie einsetzen kann.

Das klingt einfach.

Das ist das Problem. Aber Diversity-Management ist kein Kinderspiel, denn wer es ernst nimmt, wird sehen, dass gewohnte Rollenverteilungen und Hierarchien plötzlich nicht mehr funktionieren. Das weckt Vorurteile, Widerstände, Ressentiments und Rassismen.

Was macht ein Unternehmen, das feststellt, dass es nur alte, weiße Männer beschäftigt?

Es muss seine Stellenausschreibungen ändern, zum Beispiel in: „BIPoC * und/oder LGBTQIA+ * bevorzugt“.

Und das funktioniert?

In den Metropolen funktioniert das ziemlich gut, außerhalb der Großstädte kann es schwierig werden.

Es wird behauptet, dass vielfältige Teams Firmen erfolgreicher machen sollen. Gibt es dafür Belege?

Ich kenne zum Beispiel einen deutschen Autohersteller, der Luxus-Limousinen in China verkaufen wollte. Das Geschäft kam aber nicht richtig in Fahrt. Keiner der deutschen Konstrukteure und Designer kam darauf, woran es lag. Das Auto war viel besser als die Konkurrenzmodelle. Überragende Technik, exzellenter Motor, super Straßenlage, ergonomischer Fahrerbereich. Ein chinesischer Mitarbeiter fand das Problem. Das Auto war für Europa entwickelt worden, da fahren die Besitzer gern selbst. In China sitzen sie aber lieber auf der Rückbank und lassen sich chauffieren. Wie es vorn aussieht, ist ihnen ziemlich egal, sie wollen es hinten schön haben. TV, Massagesitze, Kühlschrank – Business-Class-Atmosphäre. Der deutsche Autobauer peppte den Fond auf – und schon lief der Verkauf besser.

Gehört Gendern dazu, wenn man auf der Höhe der Zeit sein will?

Ja.

Auch wenn die Mehrheit der Kundinnen und Kunden dagegen ist?

Ich denke nicht, dass Gendern Menschen davon abhält, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu kaufen, die sie gut finden und haben wollen. Und die wenigen starrköpfigen Menschen, die sich deshalb abwenden, kann ein Unternehmen wahrscheinlich verkraften. Gendern ist ja keine Attitüde, sondern die Anerkennung der Vielfalt und Unterschiedlichkeit in der Gesellschaft. Und wenn ich das als Unternehmen so sehe, dann muss ich entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Sagt der Gründer der „Goldjungs“.

Wir haben auch Maßnahmen ergriffen: Unsere Mitarbeiterinnen haben als E-Mail-Adresse nicht [email protected], sondern [email protected].

Uih! Anderes Thema: Hatten Sie schon einmal den Auftrag, Rassismus in einem Betrieb zu bekämpfen?

Ja, es kommt immer häufiger vor, dass sich Unternehmen an uns wenden: „Wir haben da Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen, die durch rassistische Bemerkungen auffallen. Was können wir tun?“

Was raten Sie?

Die auffälligen Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen konfrontieren und notfalls abmahnen. In einem nächsten Schritt kann man die ganze Belegschaft für das Thema sensibilisieren und schulen.

Was, wenn die Kundschaft rassistisch ist?

Die Sächsische Landesbibliothek in Dresden hat uns für ein Argumentationstraining gegen Rassismus gebucht. Die Mitarbeiterinnen dort wurden immer wieder von Kunden oder Kundinnen rassistisch beschimpft.

Hat sich etwas verändert?

Sie haben nun ein Instrumentarium an der Hand, wie sie sich zur Wehr setzen und ihren Standpunkt klarmachen können. Für mich ist das ein Beitrag zur Psychohygiene: Position beziehen gegen die Ungeheuerlichkeiten, die da gesagt werden, statt in Schockstarre zu fallen.

Seit dem Frühjahr 2020 haben Sie einen Job, bei dem Sie vermutlich all Ihre Erfahrung brauchen: Sie sollen den Fußballverein Chemnitzer FC vom Rassismus befreien.

Das ist zweifellos schwierig, aber der Verein ist nicht rassistisch. Er hat nur eine dramatisch extremistische Fan-Klientel.

Können Sie dagegen etwas ausrichten?

Immerhin ist der Widerstand größer geworden. Neuerdings hängt über der Haupttribüne ein Banner: „Über 15 000 Plätze, aber keiner für Nazis!“ Eine Gruppe von Personen, die 2021 bei einem Auswärtsspiel gegen den tschechischen Viertligisten FK Baník Most mit rechtsradikalen Parolen durch den Heimatort des anderen Vereins marschierte, hat Hausverbot bekommen. Aber gelöst ist das Problem noch lange nicht. ---