Führt euch!

Warum Führung für den Nachwuchs unattraktiv wurde und Business Schools immer hilfloser wirken. Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Geführtenforschung *.






„Mein Chef könnte problemlos in die Steckdose greifen – so schlecht, wie der leitet …“
Büro-Witz

Überall fehlt es an Fachkräften, und neuerdings werden auch die Führungskräfte knapp. Was läuft da falsch?

Wir beobachten seit gut einem Jahrzehnt, dass Studentinnen und Studenten, gerade auch nach berufsbegleitenden Aufbauprogrammen, keine Lust mehr auf Führungspositionen haben – Tendenz weiter sinkend. Und das liegt nicht nur an der gern unterstellten Suche nach der Work-Life-Balance: Mit hybrider Arbeit und Digitalisierung haben sich auch die Anforderungen massiv verändert, und viele verheddern sich in Zielkonflikten zwischen gesellschaftlichen und unterneh-merischen Belangen. Dazu kommt, dass die unbequemen Sandwich-Positionen im Mittelmanagement eher zum Ausstieg als wie früher zum Aufstieg motivieren.


 

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Was machen die Unternehmen dagegen?

Sie versuchen, sich anzupassen. Beim Arbeitgebermarketing und den vermeintlichen Anreizen wurde auf- und bei der Erwartungshaltung an den Nachwuchs abgerüstet. Allerdings könnten sich die Arbeitsmärkte in den kommenden Jahren auch wieder ändern: Die demografische Entwicklung bedeutet ja auch, dass es weniger Kunden geben wird, der Klimawandel wird unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten verändern und die Digitalisierung immer mehr Arbeiten automatisierbar machen – die aktuellen Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sind also nicht festgeschrieben.

Warum wollen viele in den Generationen Y, Z, Alpha keine Karriere mehr machen?

Weil sie klassische Führung an sich infrage stellen, akzeptieren sie keine Vor-Gesetzten mehr, sondern suchen Führungs-persönlichkeiten, die ihre Entwicklung fördern. So kennen sie das oft auch von ihren Eltern. Deshalb scheint nicht der Aufstieg interessant, sondern der Ausstieg und auch die Selbstständigkeit.

Ist das durch Zahlen zu belegen?

Die Studien, oft von Beratungshäusern erstellt, sind methodisch nicht astrein – aber im Trend einheitlich, auch im internationalen Vergleich. Eine Auswahl:

— Die Boston Consulting Group hat 2019 eine globale Online-Umfrage unter 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in China, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und USA durchgeführt: Nur jeder zehnte in der westlichen Welt wollte Führungskraft werden.

— Das war 2016 nicht anders, als nach Studien des Personalvermittlers Manpower 87 Prozent der damals 20- bis 34-jährigen Berufstätigen in Deutschland keinen Aufstieg in Führungspositionen wünschten. International waren es 78 Prozent.

— Interessant für Immobilienentwickler: Laut einer Befragung des Beratungsunternehmens Ernst & Young aus dem Jahr 2021 sahen 84 Prozent der 20- bis 50-Jährigen ihre Arbeit im Jahr 2030 als vollkommen ortsunabhängig an. Rund die Hälfte bräuchte auch kein Firmengebäude mehr.

— Spannend für Personalentwicklungs-Gespräche: In einer BCG-Studie von 2020 gaben nur noch knapp 40 Prozent der Führungskräfte an, sie würden auch in Zukunft eine leitende Position übernehmen wollen.

Was sind Ihre Schlüsse daraus?

Es geht bei Führung nicht um eine Fähigkeit, sondern um eine Beziehung. Das ging schon aus Max Webers Herrschaftssoziologie hervor oder aus Hannah Arendts Macht-Studien. Richtig ernst genommen hat das in der weiteren Forschung und eben auch in der Führungskräfteentwicklung kaum einer.

Die Führungsforschung und – noch schlimmer – die Business-School-Lehre setzen seit jeher bei der Führungskraft selbst an, nicht bei der Beziehung, und vernachlässigen jene, die geführt werden.

Die Erkenntnis: Es braucht Forschung auf beiden Seiten. Humorvoll übersetzt: Wie kann ich trotz meines Chefs gut arbeiten und ihn dadurch besser machen? Das habe ich 2011 als „Unter-Führung“ zu beschreiben versucht.

Was ist neu aus Sicht derer, die geführt werden?

(1) Empathie: Die Anforderungen haben sich so dramatisch geändert wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Viele Studien belegen: Entscheidungsfreudigkeit oder Intellekt der Führungskraft sind nicht ausschlaggebend für ihre Akzeptanz. Die gerade modernen und oft unrealistischen Anforderungen, agil zu arbeiten, sind auch nicht hilfreich. Tatsächlich geht es um Empathie und Sinnhaftigkeit, auch bei eher unerfreulicher Arbeit. Die Formel „Sinn statt Gewinn“ ist seit Jahren in aller Munde – ernst gemeint könnte sie Personal gewinnen.

(2) Entwicklung: Die Erwartung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kann mit einer Umstellung von Herrschafts- auf Vermittlungswissen beschrieben werden. Die Aufgabe für Führungskräfte lautet: Information und Transparenz bei allen Prozessen, denn ihre Teams wollen einbezogen werden, Impulse bekommen, individuell gefördert und angesprochen werden.

(3) Erreichbarkeit: Das hybride Arbeiten bringt vermutlich die massivste Veränderung von Führung mit sich. Denn nun geht es von der Organisation der drei Dimensionen Raum, Rituale, Rhythmik (vor allem auch von Meetings) direkt rein ins Private – ins Homeoffice, in den Zug, das Auto oder in die Familie. Die Führungskraft hat es nun mit doppelter Beobachtung zu tun: „Wie geht sie mit mir in der Organisation und (!) im Privaten um?“ Der Hauptgrund dafür, dass es mehr Krankmeldungen gibt, ist nach Studien der Universität Konstanz und anderen vor allem der Präsentismus: Man ist überall erreichbar, egal wo und wann – und das wiederum macht krank.

(4) Exploration und Effizienz: Die Märkte werden komplexer und volatiler und sind nur noch durch kollaboratives Arbeiten im Blick zu behalten. Das kostet Zeit, kann fehlerbehaftet sein und wird oft als ineffizient wahrgenommen. Was bei Entscheidungen von Vorgesetzten herauskommt, ist damit immer weniger erwart- und steuerbar – gleichzeitig sollen Führungskräfte für die Ergebnisse verantwortlich sein. Ein Dilemma.

Sie sagen gern: „Führung ist nicht ,einfach arbeiten‘.“ Warum?

Diese Provokation soll deutlich machen, dass Führung noch immer als Nebenjob der Spitzenkräfte betrachtet wird, aber endlich zu deren Hauptaufgabe werden muss – mit geringer Nebentätigkeits-erlaubnis. Die Unehrlichkeit, die ich in den vergangenen 20 Jahren erlebt habe, könnte auf Schwäbisch so lauten: „Könndeschd du eba nomols kurz gschwind …“ Auf Hochdeutsch ist das die sogenannte Extra-Meile oder die 120 Prozent – doch die Zeit dieser systematischen Überforderung durch Führungskräfte ist vorbei, auch wenn das noch nicht in allen Banken, Beratungen oder Wirtschaftsprüfungen angekommen ist.

Führungsarbeit ist zeitintensive Beziehungsarbeit, gemeinsam mit den Teams. Die Welt und der Wert – auch der für das Unternehmen und die Kunden – entsteht zwischen den Menschen, wie man mit Hannah Arendt sagen könnte. Führung ist Kommunikation, zwischen Menschen und zwischen Märkten. Seit den Siebzigerjahren wird dazu geforscht, was zum Beispiel Vorstände den ganzen Tag machen. Ergebnis: Reden in Meetings.

Haben junge Frauen andere Erwartungen als junge Männer?

2010 hatte ich in brand eins über die Hoffnung auf eine „Feminisierung der Führung“ geschrieben. So ganz ist das nicht eingetreten. Aber wenn man auf Linkedin unterwegs ist, könnte man den Eindruck gewinnen, dass erstaunlich viele junge Frauen den weißen, alten Männern endlich erklären, wie es nun gehen müsste – mit New Work, Purpose und Führung.

Bei Erhebungen wie etwa vom österreichischen Institut für Jugendkulturforschung zeigt sich: Junge Frauen erwarten öfter als viele junge Männer neben der guten Bezahlung auch ein gutes Arbeitsklima, einen sicheren Arbeitsplatz und genügend Freizeit. Das ist angesichts der strukturellen Benachteiligung der vergangenen Jahrzehnte verständlich – allerdings wird damit unwahrscheinlicher, dass Frauen den Führungskräftemangel lösen.

Sie sagen, Weiterbildung könnte helfen – wie soll die aussehen?

Wenn Führung keine Fähigkeit ist, sondern eine Beziehung, dann geht Weiterbildung wie Paar-Therapie: Man macht es zusammen. Die beiden Wissenschaftlerinnen Fabiola Gerpott und Anna van der Velde von der Business-School WHU entwickeln dazu gerade eine passende Methode: Sie halten es für ein Manko, dass Weiterbildung etwa in Form von Inklusions-Trainings vor allem auf die Führungskräfte als Empfänger zielt, und betonen, dass Führung ohne Geführte nichts bringt. Weiterbildung ist nach den Vorstellungen der beiden Wissenschaftlerinnen dann kein bloßes Business-School-Seminar mehr, zu Führungsstilen und deren Erfolg, sondern für die Mitglieder der Teams, die direkt am Arbeitsplatz geschult werden, etwa durch Mini-Interventionen. Das Ziel: Sie sollen dann ihre Führungskräfte ermutigen, integrativer zu führen. Dazu wollen sie in mehr als 100 Teams und deren Leitungen über einen Zeitraum von sechs Wochen forschen.

Ihr Ausblick auf zukünftige Führung?

Es geht um Selbstführung, um Selbstentfaltung, Sinnproduktion und die Kommunikation darüber – gemeinsam mit den Teams, die wiederum ihre Führung zu Empathie und Feedback ermutigen. Einfacher wird es nicht … ---

* Dieser wie aus der Zeit gefallene Begriff soll das Wechseln der Forschungsperspektive von der Führungskraft auf die geführten Teams beschreiben.

 

Stephan A. Jansen, ist Professor für Management, Innovation und Finanzierung an der Karlshochschule in Karlsruhe sowie Co-Gründer der Sozietät für soziale und digitale Transformation Das 18te Kamel & Komplizen in Berlin, Hamburg und Wien.

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