Pfiffige Ideen

Kluges Design löst Probleme auf elegante Weise. Drei Firmen und ihre Gründerinnen zeigen, wie das geht.




Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 12/2022.

Shards – Fliesen aus Bauschutt


Die Fliesen sind 15 mal 15 Zentimeter groß und bestehen aus fein gemahlenem Ziegelpulver und Glas. Dazu kommen Keramik- und Zementreste. Beim Brennen klebt das Glas die anorganischen Bestandteile des Bauschutts zusammen. Welche Farbe die Ziegel bekommen, wird durch die Brenntemperatur, die Zusammensetzung des Bauschutts sowie das Mengenverhältnis zum Glas bestimmt.

Es gibt grüne, blaue, weiße, schwarze, braune und ocker- oder cremefarbige. „Vor Kurzem sind sogar rosa Fliesen entstanden“, sagt die Gründerin Lea Schücking. Ihre Fliesen sind in mehreren Pilotprojekten verbaut: unter anderem im Haus ihrer Mutter im Münsterland, in der Nationalbank der Niederlande und in einem Fachwerkmuseum in Hessen. Ende 2023 soll die Serienproduktion im nordrhein-westfälischen Sassenberg beginnen.

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Foto: © Shards

Die Shards („Scherben“ auf Englisch) sind Ergebnis einer Kreislaufwirtschaft. Bei der Herstellung werden keine neuen Rohstoffe verbraucht, sondern alter Bauschutt wird wiederverwendet. Darüber freuen sich auch die Recyclingfirmen, denn der Platz auf den Deponien in Deutschland ist so knapp, dass Bauschutt oft in Nachbarländer exportiert wird. Nach Berechnungen von Shards können 27,5 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter Fliesen gegenüber herkömmlicher Ware eingespart werden. Letztere besteht meist aus Ton, Stein, Glas oder Beton. Die Einsparung hängt auch damit zusammen, dass die Brennöfen der Firma mit Ökostrom versorgt werden sollen – unter anderem aus der eigenen Fotovoltaik-Anlage. Wenn die Fliesen ausgedient haben, lassen sie sich wieder komplett in den Produktionskreislauf zurückführen.


Foto: © Shards

Lea Schücking, 37, sagt: „Ich habe in Kassel Produktdesign studiert, ein sehr freier Studiengang, der immer noch ein Diplom vergibt. 22 Semester lang war ich an der Uni, und ich finde es gut, dass ich mir die Zeit genommen habe. Denn so sind auch meine Fliesen entstanden, mit viel Zeit. Bei einem Projekt sollten wir ein neues Material aus einem alten Material herstellen, also Upcycling betreiben. Ich wollte, dass man nicht gleich erkennt, aus welchem Material das neue Produkt ist. Außerdem sollte es ein Material sein, das im Überfluss vorhanden ist.

In der Keramikwerkstatt habe ich dann mit Bauschutt experimentiert. Das Material war ziemlich eigensinnig. Meine Schalen und Becken sind beim Brennen immer in sich zusammengesunken. Der Werkstattleiter sagte zu mir: Deine Pizzen sind fertig. Danach habe ich mich erst mal mit anderen Sachen beschäftigt, aber ich hatte das Projekt immer im Hinterkopf. Vier Jahre später kam mir die Idee: Das könnten Fliesen werden. Die Herausforderung war, die eckige Form hinzubekommen, denn beim Brennen wurden die Fliesen immer rund. Nach anderthalb Jahren hatte ich es raus.“


Foto: © Britta Hünning (Porträt)

Chiengora – Garn aus Hundewolle


Chien, das französische Wort für Hund, und Gora, die Nachsilbe der Textilfaser Angora, sind die beiden Bestandteile des Produktnamens: Garn aus Hundehaaren. „Die Faserqualität entspricht der von Kaschmirwolle“, sagt Ann Cathrin Schönrock. Sie hat das Material mit ihrer Mitgründerin Franziska Uhl erfunden und vermarktet es mit ihrer Firma Yarnsustain. Hundewolle träfe es auch, doch das könnte Menschen abschrecken, die dabei an nasse Vierbeiner denken.

98 Prozent der Kunden röchen erst mal an der Wolle. Schönrock findet das amüsant – schließlich schnüffle niemand an einem Kaschmirpullover, obwohl Ziegen auch nicht unbedingt duften. Sie betont, dass der Produktionsprozess üble Gerüche eliminiere. Yarnsustain stellt drei Produkte her: ein Garn zum Handstricken, eines für Strickmaschinen sowie Meterware, also Stoff. Ab Dezember kooperiert das Start-up mit einem Modeunternehmen, das Babysocken und Stulpen aus Hundewolle herstellen will.

Bisher wurde die Unterwolle von Hunden nicht in größerem Stil genutzt. Sie fällt an, wenn Hunde im Frühjahr ihr Winterfell verlieren, und landet meist im Abfall. Schönrock hat ein Netzwerk von rund 1500 Hundehaltern und -halterinnen aufgebaut, das die Wolle dem Verein „Rohstoffe retten – Modus Intarsia“ schickt. Der Verein verkauft die Wolle dann an Yarnsustain und spendet seine Gewinne an Tierschutz-Projekte. Bisher habe der Verein rund 6000 Euro gespendet, sagt Schönrock. Yarnsustain verarbeitet die Wolle zu Garn, das bei Privatpersonen oder der Textilindustrie landet. Insgesamt habe die Firma bislang 1 bis 1,5 Tonnen Garn produziert.

Ann Cathrin Schönrock, 32, sagt: „Ich hatte der Modeindustrie den Rücken gekehrt und den Master in Angewandter Nachhaltigkeit begonnen, als ich mich durch meinen eigenen Hund, einen Cockerspaniel, fragte, warum noch niemand die Unterwolle im größeren Stil zu Garn verarbeitet hat. So stieß ich auf die Lösung gleich mehrerer Probleme der Textilindustrie.

Früh hatte ich in Jobs und Praktika neben dem Studium gelernt, dass selbst die Mode-Start-ups, die nachhaltig arbeiten wollten, das nicht konnten. Es gab kein Garn, das nachhaltig produziert wurde und das man mit gutem Gewissen verwenden konnte. Denn auch für Kaschmir und Angora werden Tiere ausgebeutet, und die Böden in der Mongolei leiden zum Beispiel unter Versteppung und Kahlfraß.

Das Produkt habe ich zusammen mit meiner Mitgründerin Franziska Uhl weiterentwickelt. Uns war wichtig, dass wir keinen Markt für Hundefasern schaffen – denn dann hätte die Gefahr bestanden, dass die Menschen den Hund vom Haus- zu einem Nutztier machen.“


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Tex-Lock – flexibles Fahrradschloss


Die Leipziger Firma Texlock produziert Fahrradschlösser (Tex-Lock), die aus zwei Teilen bestehen: einem Bügelschloss aus Metall und einem Seil, das hauptsächlich aus Textil gefertigt ist und um die Laterne oder den Fahrradständer gelegt wird. Die verschiedenen Fasern des Seiles sollen vor Diebstahl schützen, jede Lage gegen eine andere Form des Angriffes: Bolzenschneider, Feuer und Säge. In der Mitte des Schlosses befindet sich ein gehärteter Metallkern. Den musste das Unternehmen ein paar Monate nach der Markteinführung im Jahr 2018 verstärken, denn im Internet tauchten Videos auf, in denen das Schloss mit einer Metallsäge aus dem Baumarkt innerhalb weniger Sekunden durchgeschnitten wurde.

„Wir hatten uns darauf konzentriert, einen Angriff mit einem Bolzenschneider abzuwehren“, sagt die Gründerin und Modedesignerin Alexandra Baum. Sie habe dadurch gelernt, dass nicht nur der Designerblick zähle, sondern auch das Ingenieurwesen eingebunden werden müsse. Mittlerweile ist ihr Schloss mit dem „ART-Sicherheits-Zertifikat“ ausgezeichnet: ein Anti-Diebstahl-Standard aus den Niederlanden, der bis zu fünf Sterne vergibt. Tex-Lock erhält zwei Sterne, was dem Standard für Fahrräder entspricht.


Foto: © Texlock GmbH

Das Schloss ist flexibel und lässt sich leicht um ein Fahrrad und eine Laterne binden. Es wird in verschiedenen Farben und Längen produziert und in Leipzig zusammengesetzt. Das lange Schloss funktioniere auch gut bei einem Lastenrad, sagt Baum. Etwa 65 000 Schlösser verkauft das Unternehmen mit mittlerweile 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Jahr, der Marktanteil in Deutschland liegt bei etwa 2,6 Prozent. Zurzeit arbeitet die Firma daran, auf dem europäischen Markt zu wachsen und in den USA Fuß zu fassen.

Bisher ließen sich die Schlösser nicht aus recycelten Materialien herstellen, da die wiederverwendeten Fasern nicht die benötigte Festigkeit besäßen, sagt Baum. Sie hält ihr Unternehmen trotzdem für nachhaltig, weil es den Fahrradverkehr fördere.


Foto: © Texlock GmbH

Alexandra Baum, 47, sagt: „Ich bin immer viel Fahrrad gefahren und habe mich oft über die Schlösser geärgert, die entweder beim Fahren klapperten oder so sperrig waren, dass sie beim Abschließen am Rahmen oder an den Speichen hängen blieben. Außerdem waren die Schlösser immer zu kurz, und der Lack meines schönen Fahrrads wurde zerkratzt. Ich wollte mit einem Material arbeiten, das flexibler ist. Als Modedesignerin habe ich da sofort an Textil gedacht. So entstand 2014 die Idee für ein Schloss aus Hightech-Fasern.“ ---


Foto: © Hannes Wiedemann (Porträt)


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