Content Creator

Wie wird man als Creator erfolgreich? Wir haben drei gefragt, die es geschafft haben.

(Spoiler: Mit 13-Stunden-Tagen und 7-Tage-Woche).





• Es gibt rund 50 Millionen Menschen auf der Welt, die sich Content Creator nennen. Bald werden es noch viel mehr sein. Es ist die am schnellsten wachsende Form von Kleinunternehmen auf dem Globus. 22 Prozent der 18- bis 26-Jährigen in Deutschland wollen laut Umfragen Vollzeit-Creators werden. Das sind etwas mehr als 1,75 Millionen junge Menschen – doppelt so viele, wie heute insgesamt in der Automobilindustrie beschäftigt sind. Aber nur jeder Fünfte wird es schaffen und mehr als 20 000 Follower auf Instagram oder Tiktok haben. Erst ab dieser Zahl wird es lukrativ.

Fabian Walter, 32, ein Steuerfachmann aus Freiburg, Maja Wörner, 31, eine Aufräum-Beraterin aus dem Badischen, und Marie von den Benken, 32, ein Model aus Hamburg, haben es eindeutig geschafft. Aber wie?

@steuerfabi

Follower auf Tiktok: 592 300
Likes: 6,5 Millionen
Follower auf Instagram:
208 000
Umsatz 480 000 pro Jahr (geschätzt)

Fabian Walter sitzt in der Lobby eines Luxushotels in München, wo das Zimmer pro Nacht 300 Euro kostet. Er trägt eine schwarze Bomberjacke über einem weißen T-Shirt, einen äußerst akkuraten Haarschnitt, Jeans, Brille und sieht aus wie ein BWL-Student. Das war er auch, Fachrichtung Steuerrecht, bevor er Anfang April 2020 einen Waschmittelkarton auf das Ceranfeld des Herdes in seiner Zweizimmerwohnung stellte, ein Handy darauf platzierte und die Beleuchtung der Abzugshaube einschaltete, um sein erstes Tiktok-Video aufzuzeichnen und hochzuladen. Das Licht war schlecht und der Titel nicht wirklich sexy: „Kann man seinen Kaffee von der Steuer absetzen?“

Walter hatte das Thema absichtlich gewählt, um Ruhe vor seinem Kumpel Philipp Martin zu bekommen. Der betreibt die Influencer-Agentur Reachbird in München und nervte ihn schon die ganze Zeit, dass er mal was mit Steuern online stellen sollte. „Das wird ein Burner.“ Walter wollte beweisen, dass es nicht funktioniert. Steuern – auf Tiktok, dem chinesischen Kinderkanal. Hahaha!

Aber sein Plan ging voll in die Hose. Als er sein Kaffeesteuer-Video hochlud, hatte er 0 Follower. Nach zehn Minuten hatten 100 Leute sein Video gesehen, nach einer Stunde 50 000. „Jetzt musst du weitermachen“, sagte sein Kumpel, also besorgte sich Walter ein Handystativ und Softboxen für 60 Euro, die besseres Licht machten – und den Herd wieder frei. „Ich musste ja auch mal kochen.“ Mittlerweile hat er mehr als 600 Filmchen hochgeladen und sowohl ein Mikrofon als auch eine blonde Perücke gekauft. Das Mikrofon braucht er, damit man ihn gut versteht. Die Perücke braucht er, weil er manchmal eine Frau spielt. Steuerfragen sind nicht immer gender-neutral.

Ein bisschen blöd ist, dass er neuerdings auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen muss, denn im Schlafzimmer ist jetzt sein Studio. Aber dafür verdient er einen Haufen Geld durch Kooperationen mit Lexoffice (eine Buchhaltungssoftware), Steuerbot (eine Steuer-App), Penta (eine Bank) und Steuerberater.de (eine Vermittlungsplattform für Steuerberater), für die er auf seinen Kanälen Werbung macht.

Wie viel er genau einnimmt? Wie alle Creators will er nicht so gern über Geld reden. So etwa 40 000 Euro pro Monat, gibt er schließlich widerwillig zu. Davon kommen lediglich ein paar Hundert von Tiktok und Instagram, der große Rest stammt von den Partnern.

Wer seine Follower sind, weiß er ziemlich genau. Fast alle sind aus Deutschland (es geht schließlich um deutsches Steuerrecht). Alle sind echt, weil er nie Follower gekauft hat (10 000 kosten im Internet im Angebot rund 40 Euro). 50 Prozent sind über 24 Jahre alt, 20 Prozent über 35. „Tiktok“, sagt Fabian Walter, „ist älter, als man denkt.“ Jeden Monat dreht er jeweils 31 Filmchen für Tiktok und Instagram, dazu postet er alle zwei Tage eine Slideshow für Instagram. Im Durchschnitt werden seine Videos 90 000 Mal aufgerufen, manche aber auch mehr als zwei Millionen Mal.

Wie er so erfolgreich wurde? „Aus Versehen, weil ich meinem Kumpel Philipp beweisen wollte, dass ich keinen Erfolg haben werde.“ Und ansonsten: Selbstausbeutung. Walter arbeitet jeden Tag etwa 13 Stunden: Videos drehen, schneiden, betexten, hochladen, 500 DMs (direct messages) pro Tag beantworten, Kommentare lesen (bislang insgesamt etwa 80 000), mit den Werbepartnern reden. Bald muss er Leute einstellen, weil er gerade nebenher ein Buch schreibt (Arbeitstitel: „Bist Du besteuert?“) und eine eigene Espresso-Röstung auf den Markt bringt. Sie heißt 19.6 wie die Lohnsteuerrichtlinie, die sich mit der Kaffee-Frage aus seinem allerersten Video befasst.

Das Espresso-Marketing bereitet er jetzt schon vor. In jedem seiner Filmchen trinkt er ein Tässchen. Und auch hier im Hotel steht eines vor ihm auf dem Tisch. Zufrieden ist er damit nicht. „Kaum Crema“, meckert er. Aber von der Steuer absetzbar ist der Espresso trotzdem.

Was gut läuft:
Steuertricks, mit denen man mehr Netto aus seinem Bruttogehalt herausholen kann

Was nicht so gut läuft:
Kryptogewinne bei der Steuer anmelden

Lieblings-Accounts:
@versicherungmitkopf und @karriereguru auf Instagram


Ordnung ist ihr Leben: Maja Wörner beim Ausbau ihres Dachbodens

@eswirdnochbesser

Follower auf Instagram:
20 200
Abonnentenauf Steady:
1100
Umsatz: rund
120 000 Euro pro Jahr

Das Dorf bei Baden-Baden hat einen Rewe-Supermarkt und einen Aldi. Dahinter geht es links ab, bis zu dem großen Haus mit den Solar-Fensterläden und der gelben Sonne auf der Eingangstür. Dort wohnt Maja Wörner mit ihrem Mann, zwei Kindern und mehr als 20 000 Followern, die ihr gern beim Aufräumen zuschauen. Wörner ist Ordnungs-Coach und Minimalistin.

Das ist nicht zu übersehen. Sie trägt, was sie immer trägt: Leggings, T-Shirts, Baumwolljacke, mehr hat sie nicht im Schrank. Das Wohn-/Esszimmer ist nicht nur aufgeräumt, sondern leer. Ein Sofa, ein Schrank, ein Tisch. Fertig. Kein Bild an der Wand, keine Accessoires. Nichts.

Maja Wörner arbeitete als Shopmanagerin für Gameforge, einen Online-Spiele-Anbieter aus Karlsruhe, als sie 2016 ihr erstes Kind bekam und während der Elternzeit begann, Mama-Videos auf Instagram hochzuladen. Das machen viele Mütter, aber bei ihr achteten die Follower weniger aufs Kind als auf die stets besenreine kahle Wohnung. Also sattelte sie von Mama auf Ordnung um und hatte 2019 etwa 3000 Follower, als sie Steady (siehe auch „Die Machtverhältnisse verschieben sich“, Seite 72) entdeckte.

Steady ist eine Berliner Firma, die Creators Abonnenten beschafft, die jeden Monat Geld überweisen, um entweder deren Arbeit grundsätzlich zu unterstützen oder exklusive Inhalte sehen zu können. Wörner packte schnell ihre erfolgreichsten Videos hinter die Bezahlschranke und meldete sich 2019 bei Steady an. 2,50 bis 9,95 Euro pro Monat zahlten die ersten Abonnenten, im Juli 2020 überwies Steady bereits 450 Euro, im November waren es 1900 Euro, einen Monat später 2200 Euro – so viel, wie sie bei Game-forge brutto verdiente. Maja Wörner kündigte ihren Job. Keine leichte Entscheidung, vor allem als sie ausrechnete, wie viel weniger Netto vom Brutto übrig bleibt, wenn man plötzlich Krankenversicherung und alles andere selbst bezahlen muss. Im Februar 2021 kamen 4000 Euro pro Monat rein. Da war das Problem gelöst. Heute sind es mehr als 10 000. Mittlerweile verdiene sie mehr als ihr Mann, der als Projektleiter in einer Solaranlagenfirma arbeite, sagt Wörner.

Sie dreht jeden Tag mindestens zwei Reels, so heißen die Filme auf Instagram. „Feierabend“, sagt sie, „gibt es nicht.“ Am besten laufen lustige Filmchen über ihren Aufräumfimmel, Themenwochen wie „Grundordnung“ und „Challenges“, eine Art Aufräum-Wettbewerb. Man nennt das „Gamification“ – aus einer unbequemen Aufgabe ein Spiel machen. Besonders viele Fans aber hat sie für das, was sie „meinen Fäkalhumor“ nennt. „Ich sende manchmal direkt vom Klo“, sagt sie, „das ist mein Alleinstellungsmerkmal. Außer mir macht das, glaube ich, niemand.“ Ihre Zuschauerinnen scheinen die Liveshow von der Schüssel zu lieben, wahrscheinlich weil viele Mütter die Situation kennen: Nur dort findet man gelegentlich Ruhe vor Mann und Kindern.

Ihr Erfolgsrezept? „Ich sende jeden Tag rund um die Uhr, ich mache keine bezahlte Werbung, und wenn ich etwas teste, zum Beispiel Küchenschwämme, dann gehe ich rüber zu Aldi und kaufe die selbst ein.“ Marketing macht sie mithilfe von Steady und durch Shout-outs: Sie feiert auf ihrem Account andere Creators und wird im Gegenzug auch von ihnen gefeiert.

Der Laden brummt. Aber was macht eine Minimalistin mit dem ganzen Geld? Möbel, Klamotten, Schmuck – braucht sie alles nicht. Wörner hat sich zwei One-Pieces gekauft, eine Art Strampelanzug für zu Hause. Und eine Jahreskarte für den Europapark Rust. Außerdem hätte sie gern noch eine Therme im Keller. Mehr fällt ihr beim besten Willen nicht ein.

Was gut läuft:
„Wenn mein Mann mich dabei erwischt, wie ich eigenmächtig unser gesamtes Haus wegminimalisiere“

Was nicht so gut läuft:
nur Räume, vorher/nachher

Lieblings-Accounts:
@seiten.verkehrt auf Instagram


Will später einen Gnadenhof für Tiere eröffnen: Marie von den Benken

@regendelfin

Follower auf Instagram:
218 000
Follower auf Twitter: 218 000
Umsatz: 500 000 Euro pro Jahr (geschätzt)

Marie von den Benken empfängt in der Elbphilharmonie, in einer Suite des Hotels The Westin in Hamburg. Gratis. Der General Manager wartet schon auf den „sustainable luxury creator“, so bezeichnet sie sich selbst. Nachhaltiger Luxus, klingt wie eine Greenwashing-Mogelpackung. Aber von den Benken meint es ernst. Sie mag es teuer, aber ökologisch korrekt: Stella McCartney gern, aber bitte kein Pelz oder Leder. Ihre Autos müssen elektrisch fahren, und auf ihren Teller kommt nichts vom Tier. Später wird sie im nahe gelegenen Portugiesenviertel vegan essen gehen.

Warum sind Sie Creator?

Ich möchte mit meiner Überzeugung für Tierschutz, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit werben und eines Tages einen Gnadenhof für Tiere eröffnen. Darauf arbeite ich hin.

Wie haben Sie es geschafft, so viele Follower zu bekommen?

Ich würde gern sagen, exzellenter Mega-Content setzt sich halt durch, aber näher an der Wahrheit ist wohl, dass ich einfach etwas ungewöhnlich war. Ein junges Model, das billige Wortspiele macht, sich gleichzeitig auch sozialkritisch und politisch äußert und sogar noch an Fußball interessiert ist. Das passte irgendwie nicht in die gängigen Social-Media-Schubladen.

Was posten Sie?

Was mich beschäftigt. Das kann morgens ein bescheuerter Wortwitz sein, drei Stunden später ein flammendes Plädoyer für die Corona-Impfung und abends dann mein Frust darüber, dass Borussia Dortmund mal wieder weit unter seinen Möglichkeiten geblieben ist.

Wie viel posten Sie?

Ich erstelle täglich mehrere Tweets beziehungsweise Replies auf Twitter und Instagram-Storys. Instagram Postings oder Videos aktuell etwa dreimal pro Woche.

Wie setzt sich der Umsatz zusammen?

Langfristige Werbepartner: 40 Prozent, neue Werbepartner: 20, Plattformen wie Instagram: 10, Model: 20, Autorin für »FAZ«, Web.de, »Bunte«, TV-Produktionen: 10 Prozent.

Wer sind die wichtigsten Werbepartner?

Volvo, Tier Mobility, Rügenwalder Mühle, Apple, Sheba, Peta, Greenpeace, Carlsberg.

Wie entscheiden Sie, mit wem Sie zusammenarbeiten?

Es muss ein Konzept für Nachhaltigkeit und Klimaneutralität geben. Es muss nicht alles perfekt sein, aber das Thema sollte in der Strategie für die Zukunft so verankert sein, dass man spürt, es handelt sich nicht nur um Greenwashing.

Wie groß ist Ihr Team?

Fest angestellt sind es nur zwei. Dazu kommen natürlich Fotografen, Stylisten und viele andere sehr talentierte Menschen, mit denen ich ständig und gerne frei zusammenarbeite.

Was sind die schlimmsten Hass-Mails, die Sie je bekommen haben?

Es gibt die reinen Beleidigungen und die Drohungen. Meine schlimmste Mail war wohl mal die, als mir jemand sehr ausführlich und detailreich geschildert hat, wie er sich wünscht, dass mich ein Asylsuchender vergewaltigen sollte. Das war in der Zeit, als Refugees Welcome das Hauptthema bei Twitter war. Und dann gibt es natürlich auch noch die echten Briefe, die auf Papier ankommen. Das hat natürlich noch mal eine andere Qualität.

Haben Sie deshalb schon mal Anzeige erstattet?

Ja. Das funktioniert auch besser, als man am Anfang denkt.

Was gut läuft:
nackte Haut

Was nicht so gut läuft:
keine nackte Haut

Lieblings-Accounts:
Peter Wittkamp (@diktator) auf Twitter, @rianne.meijer auf Instagram

 

Diabetes, Politik, Religion Nicht allen Creators geht es um Geld. Manche haben auch ein Anliegen. Drei Beispiele:

@lyn_k44

Lyn Eimann, 30, aus Dresden ist Beamtin bei der Bundeswehr und nutzt Instagram, um Werbung für die Diabetes-Forschung zu machen. Sie leidet unter Diabetes Typ 1 und muss sich täglich Insulin spritzen. Mit freizügigen Fotos in hautengen Kleidern hat sie bereits 140 000 Follower erreicht und kleinere Werbekunden akquiriert. Ihr (Neben-)Verdienst als Creator: 300 bis 500 Euro pro Monat. Was gut läuft: Weiblichkeit und Sinnlichkeit. Was nicht so gut läuft: Produktwerbung. Lieblings-Account: @aworldwithout1 auf Instagram.

 

@C.Storch

Christian Storch, 33, war Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen und ist seit März 2022 Pressesprecher des Berliner Landesverbandes der Partei. Er hat auf Twitter mehr als 63 000 Tweets zu politischen Themen gepostet, 11 600 Menschen folgen ihm. Geld verdient Storch damit nicht, aber er gilt als einflussreicher grüner Politikflüsterer. Was gut läuft: exklusives Wissen aus Berlin, klare politische Statements. Was nicht so gut läuft: private Inhalte. Lieblings-Accounts: @igorpianist, @db_cargo, @clausvonwagner auf Instagram.

 

@BruderPaulus

Der Kapuzinermönch Paulus Terwitte, 62, postet auf Twitter (9000 Follower) und Instagram (2000 Follower) über Gott und die Welt, um Spenden für seinen Obdachlosentreff in Frankfurt zu sammeln. Etwa 150 000 Euro pro Jahr nimmt er durch seine Online-Aktivitäten ein. Was gut läuft: persönliche Erfahrungen, Gedanken, Schicksale, gute Fotos. Was nicht so gut läuft: Betteln, Politik. Lieblings-Accounts: @homelessinlosangeles auf Instagram, @Tango-Argentino-Online auf Facebook.

Was da eigentlich kreativ geschaffen wird, wie das Geschäftsmodell funktioniert, warum damit ein neuer Mittelstand entstehen kann und Individualität gefördert wird.