Das geht

Rauchmelder für Bäume

Ein Unternehmen in Brandenburg hat ein smartes Frühwarnsystem für Waldbrände entwickelt.





• Jürgen Müller könnte man einen professionellen Brandstifter nennen. Regelmäßig zündet er Nadeln, Blätter und Rinden an: mal auf einem Testgelände in einem Kiefernforst, mal in einer alten Industriehalle, mal im Labor. Der 69-jährige Waldökologe will dafür sorgen, dass Brände künftig nicht mehr außer Kontrolle geraten.

Er ist Mitgründer der im brandenburgischen Eberswalde ansässigen Dryad Networks GmbH. Deren Geschäftsführer Carsten Brinkschulte, 55, sagt: „Spätestens eine Stunde, nachdem jemand eine Zigarette in den Wald geworfen hat, soll unser System Alarm schlagen.“

Die bisherigen Früherkennungssysteme arbeiten meist mit Satelliten oder optischen Sensoren, die auf ehemaligen Feuerwachtürmen angebracht sind. Ihnen bleibt einiges verborgen. „Wenn ein Brand zunächst nur schwelt, wirken Baumkronen wie ein Deckel: Sie halten den Rauch unten“, sagt Brinkschulte. Erst wenn sich ein Feuer ausbreitet und der Rauch aufsteigt, werde er für die Systeme sichtbar. „Dann ist ein Brand aber häufig schon so groß, dass er nur noch mithilfe vieler Feuerwehrleute zu löschen ist.“

Um schon schwelende Brände zu erkennen, setzt Dryad auf ein handtellergroßes Gerät mit solarbetriebenem Sensor. Dieser misst nicht nur Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Luftdruck, sondern auch die Gaszusammensetzung in der Luft. Die Sensoren hängen im Abstand von hundert Metern in drei Metern Höhe an den Bäumen und erschnuppern, ob ein Waldbrand droht. Die Software dahinter wurde mit den bei den Versuchsbränden von Jürgen Müller gesammelten Daten darauf trainiert, bei Brandgasen Alarm zu schlagen.

Da große Wälder nicht vom Mobilfunknetz abgedeckt sind, hat Dryad ein eigenes Sensornetzwerk entwickelt. Es funktioniert auf der Basis von LoRaWan, einem Funkprotokoll, das das Senden von Daten über lange Strecken bei niedrigem Energieverbrauch ermöglicht. So erfährt der Waldbesitzer davon, wenn ein Sensor Alarm schlägt.

Carsten Brinkschulte hat 25 Jahre Erfahrung mit Telekommunikationsinfrastruktur. Er gründete drei Firmen und verkaufte sie. Während seines dritten Exits im Jahr 2018 sah er im Fernsehen, wie Brände im Amazonasgebiet und Australien riesige Waldgebiete vernichteten. Seine Tochter ging für die Klimabewegung Fridays for Future auf die Straße. Für ihn war das der Auslöser, darüber nachzudenken, was er mit seinem Wissen und Kapital zum Schutz der Umwelt beitragen kann.

Zusammen mit seinem Freund und späteren Mitgründer Marco Bönig, 58, kam Brinkschulte auf die Sensor-Idee. Bei der Recherche stießen sie auf Jürgen Müller, der am Thünen-Institut für Waldökosysteme bereits einen Prototyp entwickelt hatte. Weitere Leute kamen dazu. Inzwischen sind 22 Beschäftigte in Eberswalde und Berlin tätig.

Den Sensor und die Netzwerkkomponenten baut eine Firma in Bayern. Der Vertrieb in den einzelnen Ländern läuft über Partner, wie Stihl oder Bosch Sicherheitssysteme. Einnahmen will Dryad zum einen durch den Verkauf der Hardware erzielen. Zum anderen soll eine Servicegebühr für den technischen Support des Systems für laufende Einnahmen sorgen.

Die Firma strebt für 2024 ein ausgeglichenes Ergebnis an. Ihr eigentliches Ziel: bis 2030 kanpp vier Millionen Hektar Wald schützen – und so unter anderem zu verhindern, dass das in den Bäumen gespeicherte CO2 in die Atmosphäre gelangt.


Wollen Bäume retten: Carsten Brinkschulte (links) und Jürgen Müller (rechts)


„Spätestens eine Stunde, nachdem jemand eine Zigarette in den Wald geworfen hat, soll unser System Alarm schlagen.“

Derzeit werden die Sensoren – bislang sind es noch kleinere Aufträge – bei Kunden unter anderem in Griechenland und Spanien, den USA und Südkorea getestet. „Wir haben aber auch schon Signale für einen größeren Roll-out“, sagt Carsten Brinkschulte. Zur Kundschaft zählen private Waldbesitzer und Kommunen. Auch Betreiber von Stromtrassen gehören zu den Interessenten. 2018 hatte eine defekte Stromleitung in Kalifornien einen riesigen Waldbrand ausgelöst, durch den 84 Menschen starben.

Einer, der das Dryad-Produkt prüft, ist Philipp Nahrstedt. Er ist Forstamtsleiter in Annaburg, wo sich die einzige Waldbrandzentrale für Sachsen-Anhalt befindet. Einen ersten kleinen Test hat das System bereits bestanden. Besonders interessant ist dessen Anwendung aus Nahrstedts Sicht in Waldgebieten, in denen auch abends viele Menschen unterwegs sind. „Dryad bietet den Vorteil, dass es auch nachts läuft.“ Optische Systeme kämen bei Dunkelheit an ihre Grenzen. Als Schutz für den gesamten Wald in Sachsen-Anhalt mit seinen mehr als 500 000 Hektar sei das Produkt aber ungeeignet. „Die Installation wäre zu aufwendig.“

Inzwischen hat Dryad mit der Serienproduktion begonnen: 10 000 Sensoren sind verkaufsbereit, im kommenden Jahr sollen es 230 000 werden. Und 2030 sollen 120 Millionen Sensoren in Wäldern hängen. Dafür hat Dryad im Sommer dieses Jahres 10,5 Millionen Euro Kapital erhalten.

Carsten Brinkschulte hat bereits weitere Pläne für die Sensoren. Künftig sollen sie auch ermitteln, wie viel CO2 in einem Wald gespeichert wird – und so wichtige Informationen für Projekte mit CO2-Zertifikaten liefern. ---