Prinzip Nähe

Bei der Hilfsorganisation Plan International kann man mit regelmäßigen monatlichen Zahlungen Kindern in Not helfen. Besonders gut laufen die sogenannten Patenschaften – weil sie Beziehungen suggerieren.




• Anisa aus Äthiopien konnte nicht zur Schule gehen, weil sie stattdessen Wasser holen musste. Täglich vier Stunden hin und zurück. Vor einiger Zeit hat die deutsche Sektion der Hilfsorganisation Plan International einen Brunnen in ihrem Dorf gebohrt, und Anisa lächelt jetzt dankbar vor einem Wasserhahn auf der Homepage der Organisation. Das Dorf hat Wasser, sie geht zur Schule. Und in Deutschland freut sich jemand, dass er oder sie mit ein paar Euro im Monat helfen konnte.

Eine Win-win-Situation. Für das Mädchen, das Dorf, den Spender und Plan International. Das Kinderhilfswerk hat dieses Modell auf dem Spendenmarkt perfektioniert: Menschen aus wohlhabenden Ländern wie Deutschland unterstützen Kinder in armen Ländern regelmäßig mit einem gewissen Betrag. World Vision, SOS-Kinderdorf oder die Kindernothilfe bieten so etwas ebenfalls an, Plan International ist jedoch am erfolgreichsten auf dem Gebiet. Ab 28 Euro im Monat kann man diese Art von Abonnement bei der Organisation abschließen und jederzeit kündigen. Aber das tun die wenigsten. Denn hier geht es nicht um Gebrauchsgegenstände, sondern um Menschen. Die meisten Patinnen und Paten zahlen, bis ihr Kind erwachsen wird, durchschnittlich 14 Jahre lang.

Im Geschäftsjahr 2021 hat Plan International auf diese Art mehr als 117 Millionen Euro eingenommen (plus 95 Millionen aus öffentlichen Zuwendungen, zum Beispiel aus der Entwicklungshilfe). Die Abonnentinnen und Abonnenten bekommen dafür neben einem guten Gewissen alle zwölf Monate einen sogenannten Fortschrittsbericht über ihr Patenkind und die Projekte in dessen Umfeld – oft mit Fotos oder Videos. Sie können auf Antwort hoffen, wenn sie Briefe schreiben. Und wer unbedingt will, darf sein Kind auch besuchen. Das machen allerdings pro Jahr höchstens 400 der 330 000 Einzahlerinnen und Einzahler aus Deutschland. Viele Kinder leben mit ihren Familien in abgelegenen und schwer erreichbaren Gegenden.

Die Ursprünge der Organisation wurden vor 85 Jahren von dem britischen Journalisten John Langdon-Davies gelegt. Als Korrespondent der britischen Zeitung »News Chronicle« traf er im spanischen Bürgerkrieg auf einen Fünfjährigen, der einen Zettel bei sich trug: „Dies ist José. Ich bin sein Vater. Wenn Santander fällt, wird man mich erschießen. Wer immer meinen Sohn findet, den bitte ich, um meinetwillen für ihn zu sorgen.“ Langdon-Davies kümmerte sich um José und rief seine Landsleute dazu auf, Patenschaften für andere Kriegswaisen zu übernehmen.

Daraus entstand Plan International, eine Organisation mit Hauptsitz in Großbritannien, die in den 50 Ländern, in denen sie aktiv ist, an die 12 000 hauptamtliche und 100 000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Diese kümmern sich unter anderem um 1,3 Millionen Kinderpatenschaften weltweit. 390 000 davon werden von Deutschen finanziert.

Die deutsche Sektion wurde 1989 gegründet. Die ersten Jahre dümpelte sie mit ein paar Dutzend Patenschaften vor sich hin, bis sie am 16. September 1995 über Nacht um 35 000 weitere anwuchs. Das Kinderhilfswerk hatte es an diesem Abend in Linda de Mols „Prominenten Playback Show“ geschafft. Auch danach war das Fernsehen ein Booster für die Entwicklung der Spenden für Kinder. Shows im ZDF und in der ARD brachten in den kommenden Jahren 70 000 weitere Unterstützerinnen und Unterstützer. Inzwischen zählt Plan International zu den wichtigsten humanitären Hilfsorganisationen weltweit.

Die Idee, die Spenden in Form von Patenschaften zu akquirieren, war für den Erfolg entscheidend, denn sie sind das optimale Vehikel für soziales Marketing. Noch dazu, wenn als Dank für die Unterstützung Briefe in krakeliger Kinderschrift und Fotos zurückkommen. Mittlerweile hat Plan International noch viele andere Projekte im Angebot, um Kinder zu unterstützen. In denen geht es unter anderem um Bildung, die Stärkung von Mädchen, Hilfe in der Pandemie – oder um Unterstützung für Kinder in der Ukraine. Im Abo-Modell bezahlen kann man in allen Fällen, auch schon ab fünf Euro monatlich. Einzelspenden sind aber auch möglich.


Fotos: © Plan International / Rama Mmbetsa


Fotos: © Plan International

Fotos sind wichtig fürs Marketing

Kindergesichter rufen bei vielen Erwachsenen automatisch Aufmerksamkeit und Zuneigung hervor. Marketingleute wissen das und werben gern mit Fotos von Kindern. Auf dem aktuellen Jahresbericht von Plan International beispielsweise ist ein vielleicht sieben Jahre alter Junge im blauen Plan-Hemd zu sehen, strahlende Augen, dunkle Haut, ein glückliches Lachen und blitzweiße Zähne. Das öffnet Herzen und Portemonnaies.

Während das Spendenaufkommen bei klassischen Hilfsorganisationen stagniert, wenn es nicht gerade irgendwo eine Großkatastrophe oder einen Krieg in der Nähe gibt, ist die Wachstumsrate im Patengeschäft oft zweistellig. Deshalb nutzen auch andere Hilfsorganisationen dieses Modell. Menschen spenden ungern ohne einen festgelegten Zweck, obwohl das am effizientesten wäre, weil die Organisationen das Geld dann immer dort für Projekte einsetzen könnten, wo es gerade am dringendsten benötigt wird. Die meisten Leute aber überweisen lieber für etwas Konkretes – sehr gern für bedürftige Kinder in fremden Ländern oder für Tiere.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren kam allerdings heftige Kritik an den Kinderpatenschaften auf: Gezielte Zahlungen an einzelne Kinder, so der Vorwurf, führe zu Spannungen in den unterstützten Gemeinschaften, weil ein Kind gegenüber den anderen bevorzugt werde. Und wenn unterstützte Kinder mitunter in Heimen untergebracht würden, könnten Familien zerstört werden. Diese Kritik wurde aufgenommen: Plan International und andere Hilfsorganisationen bieten solche Einzelkinder-Patenschaften schon lange nicht mehr an.

Kathrin Hartkopf, 56, ist die Sprecherin der deutschen Plan-Geschäftsführung. Auch im internationalen Verbund der Organisation hat sie eine wichtige Stimme, denn etwa ein Drittel aller Paten und Spenden weltweit kommen aus der Bundesrepublik. Hartkopf trägt Jeans, Jackett und eine rosarote Brille, ihr Büro befindet sich in einem von zwei großen Geschäftshäusern in Hamburg, die der Organisation gehören. Sie wurden über eine Dachstiftung finanziert, die Hartkopf seit 2005 für Plan International aufgebaut hat. Diese verwaltet treuhänderisch 270 Einzelstiftungen mit einem Gesamtkapital von 68 Millionen Euro. Investoren sind vor allem Leute, die viel Geld, aber keine Erben haben und mit ihrem Reichtum etwas Gutes bewirken wollen.

Auch Kathrin Hartkopf fände es grob fahrlässig, einzelne Kinder in Krisenregionen zu subventionieren, während die anderen in der Dorfgemeinschaft leer ausgehen. „Das würde Neid und Missgunst erzeugen“, sagt sie. Deshalb erhielten die Plan-Kinder das Geld nicht selbst, es komme der Gemeinschaft zugute. „Mit dem Beitrag für ein einziges Kind“, sagt Hartkopf, „erreichen wir zehn Menschen in der Gemeinde.“ Dort würden mit den Spenden aus Deutschland unter anderem Brunnen gebohrt, Ambulanzen und Schulen ausgestattet, Unterrichtsmaterialien gekauft, Lehrkräfte fortgebildet und bezahlt. Die Patenkinder stünden zwar „im Spotlight“, sagt sie, „sind aber vor allem Botschafterinnen für die Gemeinschaft, in der sie leben. Die Kinder wissen das, und sie sind stolz darauf.“

Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) befürwortet diesen Ansatz. Die Organisation hat sich darauf spezialisiert, zu überprüfen, ob Spenden transparent und satzungsgerecht eingesetzt werden. Die meisten Patenschaftsorganisationen – auch Plan International – erhielten in den vergangenen Jahren das DZI-Siegel. Das Institut rät jedoch davon ab, die Kinder vor Ort zu besuchen. „Solche Besuche müssen von der Patenschaftsorganisation im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht für die Kinder intensiv vorbereitet und koordiniert werden, unter anderem in psychologischer Hinsicht und um die Kinder vor Kontakt suchenden Pädophilen zu schützen.“

Es gibt allerdings auch heute noch Kritik an dem Modell. Die Schweizerische Zertifizierungsstelle für gemeinnützige, Spenden sammelnde Organisationen (Zewo) stört sich an der Art des Marketings. Dieses wecke falsche Erwartungen, denn „viele Patinnen und Paten meinen, ihre Hilfe komme direkt dem persönlichen Patenkind zugute“.

Die mühsame Patensuche

Es lässt sich darüber streiten, inwiefern dieser Eindruck tatsächlich erweckt wird. Fakt ist: Das Spendensammeln ist auch für Plan International harte Arbeit. In Deutschland etwa spendet jeder vierte Bundesbürger regelmäßig, insgesamt kommen pro Jahr mehr als fünf Milliarden Euro zusammen. Der größte Teil des Geldes, 75,6 Prozent, fließt dabei in die humanitäre Hilfe. Aber die Spenderinnen und Spender werden immer älter (durchschnittlich 63 Jahre) und die Konkurrenz immer härter.

Daher muss das Kinderhilfswerk sich etwas einfallen lassen. Zunächst einmal braucht es ständig neue Spender und Spenderinnen. Das Wachstumsziel seien 10 000 bis 15 000 zusätzliche Patenschaften alle zwölf Monate, sagt Kathrin Hartkopf. Dafür wendet die Hilfsorganisation jedes Jahr etwa 25 Millionen Euro auf. Anzeigen in der »Brigitte« („das ist unsere Zielgruppe“), Beilagen in Wochenblättern vor Weihnachten („da werden 20 Prozent aller Spenden gewonnen“) und farbige Werbebriefe in den Paketen von Modehändlern funktionierten zurzeit am besten.

Wenn man Menschen für eine Patenschaft gewonnen habe, gehe die Arbeit aber erst richtig los, so Hartkopf. Die meisten Neu-Patinnen haben zwar eine klare Vorstellung davon, was sie wollen: ein Mädchen, gern in Afrika. Außerhalb Afrikas sind Peru, Nepal und Indien besonders beliebt. Timor-Leste dagegen, ein bedürftiger Inselstaat in Südostasien, läuft ganz schlecht. „Den kennt einfach niemand“, sagt Hartkopf. Aber wenn Pate und Kind sich schließlich gefunden hätten, begännen die Fragen: Mein Patenkind antwortet nicht, was tun? Welche Geschenke darf ich ihm schicken? Was genau passiert mit meinem Geld? Der Informationsbedarf ist groß – und auch das Bedürfnis nach Nähe. Menschen, die eine Patenschaft bei Plan International über- nehmen, sind mehrheitlich weiblich, durchschnittlich 53 Jahre alt und überdurchschnittlich gebildet.


Aktivitäten mit hohem Verwaltungsaufwand: Hier in Hamburg befindet sich die Geschäftsstelle von Plan International Deutschland

Bitte keine Erwartungen an die Kinder!

Aktuelle Informationen liefert ihnen das digitale Magazin der Hilfsorganisation, das man auf der Homepage findet, außerdem erhalten sie viermal im Jahr die »Plan Post«, ein 32-seitiges Heftchen mit Reportagen, Fallberichten und Anweisungen. Da steht dann zum Beispiel, dass man den Patenkindern gern ab und zu kleine Aufmerksamkeiten schicken kann, aber bitte keine Unterhosen, das komme im Ausland fast immer ganz schlecht an. Außerdem könne man sie kaum mit anderen teilen. Fußbälle dagegen seien optimal. Oder Buntstifte, weil man auch die tauschen oder mit anderen teilen könne.

Klare Anweisungen gibt es für eine „Kommunikation auf Augenhöhe“: Ermutigungen ja, Erwartungen nein. Und wer Fotos versende, solle beachten, dass „mein Haus, mein Auto, meine Jacht, mein Bikini“ gar nicht gehe, weil protzig und unangemessen. Die Organisation empfiehlt beschauliche Bilder vom deutschen Wald, von Hunden oder von der Familie, aber möglichst vor einem neutralen Hintergrund und ohne teure Besitztümer.

Eine Art Zensurabteilung überprüft jede Postkarte und jedes Päckchen auf Unbedenklichkeit, bevor die Kinder es erhalten. Das sei Plan International dem Kinderschutz schuldig, sagt Kathrin Hartkopf. Man weiß ja nie. Pädophile schmuggeln sich überall ein. Deshalb erhält auch kein Pate die Telefonnummer oder genaue Adresse seines Patenkindes, und Besuche finden nie allein und nie zu Hause, sondern in öffentlichen Räumen statt.

Der Verwaltungsaufwand von Kinderpatenschaften ist hoch und teuer – das wird nach wie vor kritisiert. Auch beim deutschen Ableger von Plan International sind Dutzende Mitarbeiter allein mit der Betreuung der Patenschaften beschäftigt. Doch die Altkunden zu pflegen ist einfacher und billiger, als neue zu gewinnen: Plan international muss etwa 350 Euro in die Werbung einer neuen Patin oder eines neuen Paten investieren – ein Jahr lang zahlen sie mit ihren monatlichen Beiträgen also diese Summe ab, bevor ihre Überweisungen tatsächlich einem Patenkind und seiner Gemeinde zugute kommen.

Positiv zu Buche schlägt die große Zufriedenheit der Paten mit ihrem Abo: 97 Prozent würden Plan International weiterempfehlen – und viele tun das auch. Oft an sich selbst. Viele Patinnen und Paten haben mehr als ein Patenkind. Kathrin Hartkopf zum Beispiel hat insgesamt zehn Kinder. Vier eigene und sechs von Plan International. ---

Vielen Organisationen hierzulande bescheren sie hohe Spendeneinnahmen:

Erträge aus dem ideellen Bereich * der Jahre 2020/2021, in Millionen Euro 252,6

davon: Spendeneinnahmen, in Millionen Euro 154,0
davon: Patenschaftsbeiträge, in Millionen Euro 117,4

Prozentsatz der Einnahmen, der in Projekte fließt 82,1

Zahl der deutschen Patinnen und Paten im Jahr 2021 330.000

Zahl der deutschen Patenschaften 390.000

Gesamte Einnahmen im Geschäftsjahr 2020, in Millionen Euro 64,9
davon: Spendeneinnahmen, in Millionen Euro 53,0
davon: Patenschaftsbeiträge, in Millionen Euro 29,3

Prozentsatz der Einnahmen, der in Projekte fließt 69,3

Zahl der Patinnen und Paten 67.500
Zahl der Patenschaften 73.600

Erträge aus dem ideellen Bereich im Jahr 2020, in Millionen Euro 131,2

davon: Spendeneinnahmen, in Millionen Euro 68,4
davon: Patenschaftsbeiträge, in Millionen Euro 50,9

Prozentsatz der Einnahmen, der in Projekte fließt 81,3

Zahl der Patinnen und Paten 160.000
Zahl der Patenschaften 139.000

Erträge aus dem ideellen Bereich im Jahr 2020, in Millionen Euro 364,7
davon: Spendeneinnahmen, in Millionen Euro 183,6
davon: Patenschaftsbeiträge, in Millionen Euro 23,5

Prozentsatz der Einnahmen, der in Projekte fließt 84,9

Zahl der Patenschaften 33.000

* Der ideelle Bereich umfasst alle Einnahmen des Vereins. Dazu gehören Spenden und Mitgliedsbeiträge sowie Zuschüsse von Kommunen und Ländern. Gemeinnützige Vereine müssen diese Gelder nicht versteuern.

Quellen: Plan international, Kindernothilfe, World Vision, SOS-Kinderdorf

Anfänglich waren Patenschaften auf einzelne Kinder beschränkt, auch bei World Vision. Der Gründer, Bob Pierce, finanzierte während des Korea-Krieges Anfang der Fünfzigerjahre zwei Kindern die Unterbringung in einem Waisenhaus, die dort zuvor abgelehnt worden waren. Darauf aufbauend, warb er zunächst vor allem dafür, Waisenkindern die Heimunterbringung zu ermöglichen.

Als sich die Kritik an Modellen wie diesem in den Siebziger- und Achtzigerjahren häufte, änderten die Hilfsorganisationen ihr Vorgehen. Statt einzelner Kinder wurden zunächst Waisenheime und Schulen gefördert und später dann auch ganze Dorfentwicklungs- und Regionalentwicklungsprogramme.

Organisationen wie Terre des Hommes, Misereor oder die Welthunger- hilfe stellten Kinderpatenschaften ganz ein.