Editorial

Irgendwas ist immer

• Ob ein Plan aufgeht, erweist sich in der Regel erst hinterher – mit dem richtigen Zeitpunkt ist es nicht anders. War es eine gute Idee, Ende der Neunzigerjahre ein Magazin für den Wandel in der Wirtschaft zu gründen?

Foto: André Hemstedt & Tine Reimer


Kurzzeitig sah es so aus, aber dann brach der Neue Markt zusammen. Kaum hatten wir das verdaut, kam die Finanzkrise, später nagte die Digitalisierung an den Auflagen, nun ist Corona da. Irgendwas ist immer, haben wir in gut 20 Unternehmerjahren gelernt. Entscheidend ist nicht der richtige Zeitpunkt, sondern die Geschwindigkeit, mit der man sich anzupassen versteht.

So betrachtet, ist der Schwerpunkt Timing auch eine Aufforderung zur Gelassenheit. Selbstverständlich schadet es nicht, wenn man sorgsam plant und wie bei der bevorstehenden Umfirmierung des Dänischen Bettenlagers jedes Detail vorausdenkt. Aber der Deutschland-Chef Christian Schirmer weiß auch, dass etwas schiefgehen wird. Und dass ihn ein dritter Lockdown in eine brenzlige Lage bringen kann. Aber soll er deshalb warten (S. 60)?

Die Erkenntnis, dass der 1. Dezember 2020 nicht der ideale Zeitpunkt für die Eröffnung eines Hotels im Allgäu war, haben die Geigers schon hinter sich. Vor drei Jahren geplant, sollte das Flax-Hotel zu einem Schmuckstück in Dietmannsried werden, nun steht es leer. Und es ist ein Glück für den Sohn und den Neffen, dass der Patriarch Ulrich Geiger, der das Ganze finanziert, nur wenig Sinn für Zeitpläne hat: Er macht, was er will, wann es ihm passt (S. 100).

Das muss nicht immer gut gehen, und gerade die Technikgeschichte ist voll von Beispielen dafür, dass die gute Idee zur falschen Zeit ins Abseits führt. Der Pionier ist oft zu früh, der Nachzügler zu spät dran. Und ob die deutsche Automobilindustrie in Sachen Elektromobilität den Vorsprung des Pioniers Tesla und der Chinesen noch aufholen kann, muss sich zeigen. Dass die einstigen Vorreiter so weit zurückfallen konnten, ist für den Branchenexperten Christof Horn vor allem ein Zeichen von Risikoscheu: Man habe den zweifelsfrei richtigen Zeitpunkt abwarten wollen. Und ihn verpasst (S. 70, 84, 52, 38).

Das kommt im Management nicht so selten vor, weiß Bernhard Denne, Professor für Innovationsmanagement und im ehrenamtlichen Nebenberuf Feuerwehrmann. Als Manager bei Bosch hat er die unterschiedlichsten Vermeidungsstrategien beobachtet, bei der Feuerwehr lernte er, dass Entscheidungen nie hundertprozentig sicher sind und Warten keine Option ist, wenn es brennt (S. 96).

Das erfahren wir alle gerade, wenn es um Covid-19 geht. Weil Beschlüsse verzögert und zerredet wurden, droht zumindest hierzulande der Vorsprung verspielt zu werden, den deutsche Wissenschaftler mit der Entwicklung von Impfstoffen im Rekordtempo erarbeitet haben. Das kann man beklagen oder fürs nächste Mal daraus lernen. Die Infektiologin Marylyn Addo ist sicher, dass uns unterschiedliche Viren noch eine Menge Gelegenheiten bieten werden, bei der nächsten Pandemie besser zu sein (S. 80).

Der Kabarettist Josef Hader, der von der richtig gesetzten Pointe lebt, lernt jeden Tag dazu. Sein wichtigster Rat: Gelassenheit. „Es gibt keine richtigen und falschen Augenblicke im Leben, denn solange es nicht vorbei ist, weiß man ja nicht, ob eine vermeintlich glückliche Fügung sich später als fatal herausstellt (S. 106).“

Es war übrigens, da sind wir uns hier alle einig, die richtige Idee, Ende der Neunzigerjahre brand eins zu gründen. ---

Abonnieren Sie unseren Newsletter um Artikel aus den Magazinen und Neuigkeiten aus dem Hause brand eins zu erhalten. Wir geben Einblicke in unsere Redaktion – inklusive Empfehlungen von Kolleginnen und Kollegen.
 

Ich habe die Informationen zum Datenschutz gelesen und bin damit einverstanden, dass die brand eins Medien AG mich künftig per E-Mail über interessante Medien- und Produktangebote ihrer Marken informiert. Der Nutzung meiner Daten kann ich jederzeit widersprechen.