Was Menschen bewegt

Wald werden

Die Firma Recompose bietet einer naturverbundenen Kundschaft eine Alternative zu herkömmlichen Bestattungen: Aus Körpern wird Kompost.




Fotos: © Abby Wilcox
Foto: © Sabel Roizen

Links: In Gegenden wie dem Bells Mountain Forest im US-Bundesstaat Washington hilft die aus Menschen entstandene Erde dem Ökosystem.
Rechts: So gehen sterbliche Überreste auf ihren letzten Weg, im Bild ohne einen echten Körper veranschaulicht

• Robert Michael Cantisano wollte zu Erde werden. Wie passend, war der Mann aus North San Juan, den alle nur Amigo nannten, doch ein Pionier der kalifornischen Bio-Landwirtschaft. Besonders setzte er sich dafür ein, Böden aufzuwerten. Zwei Tage nach Heiligabend 2020 starb er mit 69 Jahren auf seiner Farm namens „Heaven and Earth“. Gut zwei Monate später fuhr seine Frau Jennifer Bliss zum „Greenhouse“, einer eher schlichten Lagerhalle in Kent, einem Vorort von Seattle.

Innen hat das Gebäude etwas von einem Raumschiff. Das liegt an den zehn metallisch-weißen Gefäßen, Sechsecke, die so über- und nebeneinandergestapelt sind, dass sie an eine Honigwabe erinnern, aber auch an eine Requisite aus einem Weltraumfilm. Bliss holte dort den Kubikmeter Erde ab, der nun den Acker der Familien-Farm anreichern soll. Denn Robert Michael Cantisano ist einer der ersten Menschen weltweit, die nach einem neuen Bestattungsverfahren innerhalb von wenigen Wochen oberirdisch zu Kompost wurden.

Der Bio-Bauer hätte sich wohl verbrennen und die Asche auf der Farm ausstreuen lassen – wäre da nicht Katrina Spade gewesen. Die 43-Jährige ist die treibende Kraft hinter dem Prinzip der Natural Organic Reduction, wie sie die Kompostierung von Menschen nennt. Sie hat fast ein Jahrzehnt in Planung, Forschung und Spendensammeln gesteckt und in eine Kampagne, um die Bestattungsgesetze im US-Bundesstaat Washington zu ändern. Jetzt hat sie ihr Ziel erreicht: Ihr Unternehmen Recompose darf Menschen oberirdisch in Erde verwandeln.

Bestattungen sind ein Multimilliarden-Markt: In den USA liegt der Jahresumsatz der Bestatter bei rund 13 Milliarden Euro. In Deutschland starben im Jahr 2019 rund 940 000 Menschen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes erhöhte sich der Jahresumsatz der Bestatter in Deutschland zwischen 2009 und 2018 um etwa ein Drittel auf mehr als zwei Milliarden Euro. Es profitieren auch angeschlossene Branchen, darunter Steinmetze und Floristen. Und der Markt wächst: Bis 2050 könnte die Zahl der Toten in Deutschland pro Jahr auf mehr als 1,1 Millionen steigen.

Eine durchschnittliche Erdbestattung kostet in Deutschland zwischen 6000 und 13 000 Euro, eine Urnenbestattung etwas mehr als 1000 Euro. Fast 70 Prozent der Verstorbenen werden hierzulande inzwischen in einem der rund 150 Krematorien verbrannt. Die Kirche spielt dabei immer seltener eine Rolle, dafür steigt seit Jahren die Nachfrage nach erdnahen Beisetzungen, etwa in sogenannten Friedwäldern.

In diese Nische drängen nun Unternehmen wie Recompose. Der Basispreis für eine Kompostierung liegt bei rund 4500 Euro, das Angebot ist also durchaus bezahlbar für die Klientel, die Recompose anspricht: eher gebildete, gut verdienende Großstädter. Bei der National Funeral Directors Association NFDA, dem Dachverband der US-Bestatter, glaubt man an das Potenzial der Firma: „Trends bei Bestattungen beginnen in der Regel an der Westküste und breiten sich von dort aus“, sagte ein Sprecher, als das Unternehmen sein Angebot im vergangenen Jahr vorstellte. Westküsten-Staaten wie Washington waren die ersten gewesen, in denen sich mehr Menschen verbrennen als beerdigen ließen.

In Deutschland dürfen Unternehmen wie Recompose derzeit nicht tätig sein, denn hier herrscht Friedhofszwang. Sowohl die Humankompostierung als auch das Ausbringen der Erde auf privatem Grund müsste erst gesetzlich erlaubt werden.

Foto: © Craig Willse

Die Architektin und Bestatterin Katrina Spade

Katrina Spade hatte die Geschäftsidee nach der Geburt ihrer Tochter. Der Beginn des Lebens brachte sie dazu, über dessen Ende nachzudenken. Sie recherchierte – und ärgerte sich über das, was sie über die Folgen von Bestattungen herausfand. Feuerbestattungen verbrauchen viel Energie und verursachen Emissionen, Erdbestattungen benötigen Rohstoffe und den in Städten kostbaren Platz. Von da an suchte sie nach einem würdevollen Weg, wieder mit der Natur eins zu werden, ohne ihr zu schaden.

Spade ist auf einer Farm in Neuengland aufgewachsen und erinnerte sich daran, dass man dort Tiere kompostierte, statt sie zu verbrennen. 2013 schrieb sie ihre Masterarbeit im Fach Architektur, Titel: „Of Dirt and Decomposition: Proposing a Place for the Urban Dead.“ Kompostierung war also ihr „Vorschlag, in Städten einen Ort für die Toten zu schaffen“. Der Grundstein für Recompose war gelegt.

Die Idee, Leichen möglichst schnell zu kompostieren, ist nicht neu. Die schwedische Biologin Susanne Wiigh-Mäsak entdeckte schon vor 30 Jahren eine Technik namens Promession. Dabei wird der Leichnam bei minus 190 Grad Celsius gefriergetrocknet und dann durch Rütteln in grobes Pulver verwandelt. Das Pulver wird in einem kompostierbaren Sarg beigesetzt und ist nach spätestens 18 Monaten Humus. Das Verfahren ist in Dutzenden Ländern patentiert, es wird sogar im niedersächsischen Bestattungsgesetz erwähnt. Der Bau einer ersten Anlage in Schweden scheiterte jedoch an der Finanzierung. Susanne Wiigh-Mäsak starb im vergangenen Jahr.

Foto: © Sabel Roizen

Hinter jeder Öffnung kann ein Körper kompostiert werden

Katrina Spade wollte in kürzerer Zeit und mit weniger Energieaufwand ans Ziel. Bei ihrer Suche traf sie auf Lynne Carpenter-Boggs, Professorin für Bodenkunde an der Washington State University. Die forschte längst zur Kompostierung von Tieren und war begeistert von der Idee. Sechs Menschen spendeten ihren Körper nach dem Tod für das gemeinsame Pilotprojekt. Es zeigte: Die Humankompostierung funktioniert.

Die Toten werden dabei auf ein Bett aus Holzspänen und Stroh gelegt. Sensoren messen alle zehn Minuten die Temperatur. „Dies ist ein kontrollierter Prozess, der vollständig von Mikroben angetrieben wird“, sagt Spade. Sie muss sicherstellen, dass das Material für mindestens 72 Stunden eine Mindesttemperatur von 55 Grad Celsius erreicht, damit Krankheitserreger wie Salmonellen sicher beseitigt werden. Die US-Umweltschutzagentur EPA untersucht regelmäßig das am Ende des Prozesses verbliebene Material auf solche Erreger und auf Schwermetalle wie Arsen, Blei und Quecksilber.

Nach 30 Tagen kommt das Material für weitere 30 Tage in eine Ruhekammer, in der weiteres Kohlendioxid austreten kann. Danach bleibt von den Verstorbenen und dem anderen organischen Material etwa ein Kubikmeter Erde. Fremdstoffe wie Prothesen werden aussortiert und, wenn möglich, recycelt. Die Kompostierung erzeugt viel Wärme. „Stellen Sie sich vor, Sie nutzen diese Wärme, um Energie zu erzeugen und die Trauernden an einem kalten Tag zu trösten“, sagt Katrina Spade. „Die Revolution der Bestattungsbranche hat begonnen.“

Seit Mai 2020 ist die Methode im Bundesstaat Washington erlaubt. Auch in anderen Staaten wie Kalifornien, Colorado und Oregon werden derzeit entsprechende Gesetzesentwürfe geprüft, die in der Beschreibung genau auf das Verfahren der Natural Organic Reduction zugeschnitten sind. Die Nachfrage bei Recompose ist schon jetzt erstaunlich: Hunderte Menschen hatten schon vor der Eröffnung angefangen, Geld auf ein Treuhandkonto einzuzahlen.

In der Bestattungsbranche wird Recompose aufmerksam verfolgt, bedient es doch die wachsende Nachfrage nach einer naturnahen letzten Ruhe. In den USA setzen weitere Unternehmen auf oberirdische Kompostierung, darunter Return Home, das in Washington noch im Frühjahr eine Anlage mit Dutzenden Behältern eröffnen will. Der Gründer Micah Truman nennt seine Verfahrensweise „Terramation“, nach der Eigenbeschreibung klingt es wie eine exakte Kopie des Recompose-Prinzips. Katrina Spade, die ihr Verfahren zum Patent angemeldet hat, blickt gelassen auf mögliche Nachahmer: Die Welt brauche mehr ökologische Beisetzungen.

Spade hatte das Scheitern der schwedischen Pionierin Susanne Wiigh-Mäsak vor Augen, als sie ihre Version der Humankompostierung vorantrieb. Deshalb bemühte sie sich von Anfang an, unterschiedliche Branchen einzubinden. Schon für den 2014 gegründeten Recompose-Vorläufer „Urban Death Project“, finanziert über Crowdfunding, traf sie sich regelmäßig mit Künstlern, Architektinnen, Wissenschaftlern und Politikerinnen.

Sie wusste, dass eine gute Idee ohne Vernetzung kaum funktioniert. Und sie plante groß: Bei einer Finanzierungsrunde Anfang 2020 hatte ihr drei Jahre zuvor gegründetes Unternehmen schon einen großen Teil der anvisierten 6,75 Millionen Dollar eingesammelt. Alles schien bereit für den 1700 Quadratmeter großen, modernen Sakralbau im Hafenviertel Sodo in Seattle, mit Bäumen, die für Zeremonien verschoben werden können, und Platz für zunächst 75 wiederverwertbare Stahlkästen, alles geplant vom renommierten Architekturbüro Olson Kundig. Das Areal sollte Anfang 2021 eröffnet werden. Dann kam das Coronavirus, Investoren zogen sich zurück, gleichzeitig verdoppelten sich die geplanten Baukosten. Das Projekt drohte zu scheitern.

Doch Spade fand die Lagerhalle im Vorort. Alles ein bisschen kleiner, schlichter, ohne Raum für Zeremonien. Sieben Mitarbeiter kümmern sich mit ihr um das Projekt. Der Beginn der Revolution, wie Katrina Spade ihr Projekt unbescheiden nennt, verlief still. Am 20. Dezember 2020 wurden die ersten Verstorbenen in die Metallgefäße gelegt, die Trauerfeiern waren zu Beginn nur online möglich. Auf der Internetseite von Recompose kann man die ersten Nachrufe lesen. Schon nach wenigen Tagen waren die zehn Gefäße in der Lagerhalle gefüllt.

Das Verfahren soll auch der Umwelt zugute kommen. Recompose gibt an, dass pro Verstorbenem zwischen 0,84 und 1,4 Tonnen Kohlendioxid gegenüber konventionellen Bestattungen eingespart würden. Außerdem sei der Boden weitgehend frei von Schadstoffen. „Das Material, das wir den Familien zurückgeben, ähnelt der Erde, die sie in ihrer örtlichen Gärtnerei kaufen können“, sagt Spade.

Bis ein Mensch in der Natur zu Erde wird, kann es dauern. Die meisten Friedhöfe sehen Ruhezeiten von 25 bis 30 Jahren vor – danach sollte der komplette Körper verwest sein. „Der Schlüssel für eine schnelle Zersetzung ist die Größe der Partikeloberflächen. Je kleiner, desto schneller“, sagt Matthias Kästner, Leiter des Departments Umweltbiotechnologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und Professor für Mikrobiologie an der Universität Leipzig. Wenn in der Natur ein Lebewesen sterbe, dann werde der Körper erst durch größere Lebewesen zerkleinert, also durch Säugetiere, Fliegen und Würmer. Danach haben dann Pilze und andere Mikroorganismen viel Platz, um die endgültigen Zerkleinerungs- und Zersetzungsarbeiten zu erledigen.

Die Zersetzung verläuft ungewöhnlich schnell, weil Recompose-Mitarbeiter den Prozess beeinflussen: Mehrfach steuern sie Sauerstoffgehalt, Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Behältnis und durchmischen die sterblichen Überreste und das zugesetzte organische Material. Eventuell verbliebene Knochen- fragmente und Zähne werden dabei aufgebrochen, um die Zersetzung zu beschleunigen.

Ein Problem für das Unternehmen: Nicht jeder Kunde hat eine eigene Farm. Die meisten Angehörigen werden also nicht den ganzen Kubikmeter Erde mitnehmen können. Hier kommt Elliot Rasenick ins Spiel. Der besitzt 640 Hektar Land im Süden Washingtons, das als Schutzgebiet eingetragen ist. Der Boden war durch jahrzehntelang bestehende Monokulturen und den Einsatz von Herbiziden zerstört worden. Rasenick grübelte lange, woher er massenhaft reichhaltigen Kompost bekommen könnte, um das Land zu sanieren. Dann hörte er von Recompose – und dem Problem, dass dort zu viel gute Erde anfiel.

Künftig können Recompose-Kunden ihre sterblichen Überreste dem Land am Bells Mountain im Staat Washington spenden. Auch Katrina Spade will hier ihre letzte Ruhe finden, mit Blick auf den Vulkan Mount St. Helens. ---

Der Ingenieur Gebhardt Schetter, der seit mehr als zwanzig Jahren Betreiber von Krematorien berät, rechnet vor, dass bei einer einstündigen Kremation im Durchschnitt etwa zehn Kubikmeter Gas verbraucht werden. Pro Tag finden etwa ein Dutzend Kremationen statt. Dabei entstehen Kohlenmonoxid und Kohlendioxid, Staub und weitere Stoffe, darunter Dioxine. Bei der Verbrennung von Amalgamfüllungen entsteht Quecksilber, für das in Deutsch- land bislang kein Grenzwert festgelegt ist. Mit modernen Abgasreinigungsverfahren können allerdings schon jetzt bis zu 99 Prozent des Quecksilbers gebunden werden.

In die Ökobilanz einer Erdbestattung fließt auch der Energieaufwand ein, der bei der Herstellung und dem Transport von Grabstein und Sarg sowie bei der Pflege der Friedhöfe entsteht. Die chemischen Bestandteile werden wieder freigesetzt und gelangen in die Atmosphäre, ins Grundwasser oder in die Böden. Der Körper besteht überwiegend aus Kohlenstoff und Wasser, aber auch aus anderen Stoffen wie Phosphor, Magnesium oder Kalium.

Wie viele Schadstoffe bei der Humankompostierung wirklich abgebaut werden, lässt sich noch nicht unabhängig bewerten. „Pharmazeutika, einschließlich Antibiotika und Mittel aus der Chemotherapie, werden beim Abbau durch Mikroorganismen auf sichere Werte reduziert“, heißt es dazu bei Recompose.