„Magie sollte nicht vom Gesetz geschützt werden“

Die Juristin Katya Assaf kritisiert die Privilegien, die berühmte Marken genießen. Ein Gespräch über den Zauber großer Namen, leicht beinflussbare Konsumenten und Harley-Davidson als Religion.





Katya Assaf, Jahrgang 1976, hat in Jerusalem und München Jura studiert und ist heute Assistenzprofessorin an der Hebräischen Universität Jerusalem, wo sie sich vor allem mit dem US-amerikanischen und deutschen Recht beschäftigt. In ihren wissenschaftlichen Arbeiten kritisiert sie immer wieder, wie inkonsequent Markenrecht und Fragen des geistigen Eigentums von Gerichten behandelt werden. Derzeit beschäftigt sie sich mit Graffiti und anderer Straßenkunst.

brand eins: Frau Assaf, viele Menschen würden von sich selbst behaupten, dass sie nicht an übersinnliche Kräfte glauben. Sie aber sagen, dass der Glaube an Magie allgegenwärtig ist. Wie kommen Sie darauf?

Katya Assaf: Empirische Untersuchungen zeigen, dass es erstaunlich wenige Unterschiede zwischen Gesellschaften gibt, in denen magisches Denken offen praktiziert wird, und solchen, die es ablehnen.

Was bedeutet magisches Denken?

Kurz gesagt ist es der Glaube, mit der Kraft der Gedanken auf die materielle Welt einwirken zu können. Zum Beispiel wurde ein Experiment mit britischen Studenten gemacht, die alle von sich gesagt haben, dass sie nicht an Zauberei glauben. Den Studenten hat sich dann eine Frau als Hexe vorgestellt, und sie hat einer Hälfte der Gruppe angeboten, einen Glückszauber auszusprechen. Und der anderen einen Unglückszauber. Viele Studenten haben den Glückszauber angenommen. Aber kein einziger den Unglückszauber.

Man könnte sagen: Sicher ist sicher.

Ja, aber das Irrationale sitzt oft tiefer, als wir uns eingestehen wollen. Ein anderes Beispiel: In einem Experiment hat man Probanden Zuckerwasser in einer Flasche abfüllen lassen. Anschließend hat man sie gebeten, einen Aufkleber anzubringen, auf dem Zyanid stand. Die Probanden haben sich danach geweigert, aus der Flasche zu trinken, obwohl sie diese selbst abgefüllt hatten. Auch das ist magisches Denken. Und die Werbung macht sich unsere Tendenz zur Irrationalität zunutze.

Inwiefern?

Wir alle kennen diese Szenarien: Ein eher schüchterner Mann wird dank seines Aftershaves zum Herzensbrecher. Ein Schokoriegel macht einen faulen Menschen sportlich. Durch ein Kaugummi finden wir die große Liebe. All das sind Spielarten des magischen Denkens.

Aber jeder weiß doch, dass das, was die Werbung uns vorgaukelt, nicht stimmt, oder?

Sicher – aber magische Versprechen lassen sich nicht so leicht widerlegen. Obwohl wir nicht wortwörtlich daran glauben, dass zum Beispiel ein Mars-Riegel uns sportlich werden lässt oder ein Mercedes-Benz unser „guter Stern auf allen Straßen“ ist, schafft die Suggestion trotzdem eine positive Einstellung.

Die meisten Menschen würden von sich wohl sagen, dass sie Werbebotschaften nicht trauen.

Es gibt eine lange währende Debatte darüber, wie wir Informationen aufnehmen. Der Denker René Descartes vertrat die Meinung, dass wir jede Information erst prüfen, bevor wir sie akzeptieren. Baruch de Spinoza, ein weiterer Philosoph der Aufklärung, war dagegen der Ansicht, dass wir Informationen zunächst glauben müssen – wenn auch nur für einige Sekunden –, um sie überhaupt zu verstehen. Und Spinoza hatte recht. Wir sind grundsätzlich aufnahmebereit. Erst in einem zweiten Schritt lehnen wir unglaubwürdige Behauptungen ab. Aber der zweite Schritt ist energieaufwendig. Es ist oft zu mühsam, all die Botschaften zu widerlegen, die täglich auf uns einprasseln. Wer im Supermarkt steht und das Gefühl hat, ein bestimmtes Produkt sei gut, müsste mit sich selbst ringen, um zu verstehen, wie es zu dieser Einstellung gekommen ist. Das macht kein Mensch. Deshalb funktioniert magische Werbung.

Haben die Menschen kein Recht darauf, Unsinn zu glauben?

Doch, natürlich! Das lässt sich gar nicht vermeiden. Man könnte sogar argumentieren, dass bekannte Marken tatsächlich magische Kräfte freisetzen. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen, die teure Brillenmodelle tragen, plötzlich Matheaufgaben besser lösen konnten. Marken steigern das Selbstwertgefühl und haben auch eine Signalwirkung: Mit einer teuren Rolex-Uhr am Arm wird man anders behandelt als ohne sie. Mein Punkt ist ein anderer: Das Rechtssystem sollte nicht darüber bestimmen, welchen Unsinn wir glauben sollen.

Wie mischen sich Gerichte bei dem Thema ein?

Einerseits geht das Recht vom rationalen Verbraucher aus, der sich durch falsche Versprechungen nicht beeinflussen lässt. Deswegen werden Klagen gegen übertriebene Werbung fast immer abgewiesen. Und das ist richtig so. Wir müssen Kunden nicht vor der Aussage schützen, dass der Energiedrink Red Bull Flügel verleihe. Andererseits privilegiert das Rechtssystem aber eine ganze Reihe von berühmten Marken. Man könnte sagen: Sie werden wie heilige Objekte geschützt. Hier tritt das Ideal der Rationalität plötzlich in den Hintergrund.

Können Sie Beispiele dafür nennen?

In den USA wurden Poster gerichtlich untersagt, auf denen in der Schrift von Coca-Cola „Enjoy Cocaine“ stand – genieß Kokain. In Deutschland wurde ein gelber Kastenwagen, der die Aufschrift „Deutsche Pest“ trug, von den Richtern als Verunglimpfung der Deutschen Post verboten. Worum ging es bei diesen Fällen im Kern? Darum, die heiligen Objekte vor dem Kontakt mit dem Vulgären zu schützen. Solche Gebote zum Schutz des Heiligen vor der Kontaminierung mit dem Profanen gibt es in fast allen Religionen.

Aber Religionen werden durch das Gesetz doch auch geschützt. Bei uns in Deutschland kann zum Beispiel das Verunglimpfen religiöser Symbole mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden.

Der Markenschutz geht allerdings oft viel weiter als die sogenannten Blasphemie-Paragrafen. So ist zum Beispiel eine satirische Auseinandersetzung mit Religion durch die Meinungsfreiheit geschützt. Man darf den Papst mit Karikaturen also in den meisten Fällen ungestraft aufs Korn nehmen. Bei geschützten Marken werden derart scharfe Angriffe von den Gerichten sofort unterbunden.

Für den Schutz von Marken gibt es auch gute Gründe, sie sollen Kunden davor schützen, verschiedene Hersteller zu verwechseln.

Das ist die eigentliche Aufgabe. Der Markenschutz geht aber heute weit darüber hinaus – auch wenn keinerlei Verwechslungsgefahr besteht. So hat Harley-Davidson mit Erfolg einen Fleischhersteller verklagt, der „Harley-Hog“ anbot, Harley-Schweinefleisch. In Deutschland wurde der Markenname Ma Chérie für eine Seife verboten, weil er zu sehr an die Pralinenmarke Mon Chérie erinnerte. Man kauft aber nicht aus Versehen Seife statt Kirschpralinen. Tatsächlich ging es um etwas anderes: den Schutz der magischen Aura des Produktes.

Ist es nicht richtig, Marken davor zu bewahren, dass andere sich ihrer Bekanntheit bedienen?

Ich sehe ein anderes Problem: Inhaber großer, berühmter Marken dehnen diese immer weiter aus. Die Unternehmen wollen uns davon überzeugen, dass Marken die Kraft haben, Dinge zu verbinden, die nichts miteinander zu tun haben. Harley-Davidson zum Beispiel verkauft nicht nur Motorräder, sondern auch Unterwäsche, Kosmetika, Gartenzwerge. Aber selbstverständlich hat die Firma bei der Herstellung solcher ganz anderer Produkte keine besondere Kompetenz. Dennoch gilt der Markenschutz für ein extrem weit gefasstes Sortiment.

Wieso funktioniert eine derartige Überdehnung einer Marke?

Das Prinzip hat Ähnlichkeit mit dem, was australische Aborigine-Gruppen Tjuringa nennen: Für die Aborigines sind zum Beispiel Steine, Pflanzen oder Tiere, die zufälligerweise an ein Totem erinnern, automatisch ebenso heilig. Genauso sind auch berühmte Marken Symbole, die weit entfernte Dinge miteinander verbinden können.

Wie ist es dazu gekommen, dass im Markenrecht Konzerne so großzügig geschützt werden, im Vergleich zum Konsumenten?

Die Käufer sind schlechter organisiert als die Konzerne. Der Schaden, der beim Kauf eines Produktes entsteht, ist klein und diffus. Wer wegen irreführender Werbung einen Laib Brot kauft, wird kaum vor Gericht ziehen. Der Schaden für die Unternehmen wird dagegen schnell offensichtlich. Da geht es leicht um Millionen Euro. All das ist gut messbar – und wird von Richtern deshalb auch eher anerkannt.

Welche Rolle spielt die Berühmtheit einer Marke vor Gericht?

Eine große. Nur Marken, die nahezu jeder kennt, genießen diesen erweiterten Schutz, der weit über die Verwechslungsgefahr hinausreicht. Die Idee stammt ursprünglich aus der Weimarer Republik. Frank Schechter, ein deutscher Jurist, der später in die USA auswanderte, stellte sie dem amerikanischen Kongress vor. Schechter war ein Bewunderer von Marken. Er argumentierte sehr früh, dass ihr eigentlicher Wert nicht darin liege, Informationen zu übermitteln, sondern in ihrem Zauber und den Assoziationen, die sie auslösen.

Hatte er nicht recht?

Natürlich hatte er das. Marken sind heute auch deshalb so wertvoll, weil Produkte verschiedener Hersteller häufig nahezu identisch sind. Nur Etikett oder Logo unterscheiden sich. Und dieser Zauber wirkt: Wenn ich weiß, dass ich Coca-Cola trinke, dann scheint das Getränk besser zu schmecken als ein No-Name-Produkt. Allerdings denke ich anders als Frank Schechter nicht, dass solche Magie gesetzlich geschützt werden sollte.

Wie leicht ist es eine Marke durch negative Assoziationen zu beschädigen?

Das geht manchmal ganz schnell. Es gab einmal einen Pornofilm, in dem die Hauptdarstellerin eine Uniform trug, die aussah wie die der American-Football-Cheerleader der Dallas Cowboys. Das Cheerleader-Team verklagte daraufhin die Produktionsfirma und bekam recht. Der Richter sagte in seiner Begründung: Wer einmal diesen Film gesehen hat, wird die Assoziation mit den Cheerleadern nie wieder vergessen.

Was würde passieren, wenn Marken ihren weit gefassten Schutz verlören?

Hohe Investitionen in Markenzauber würden sich weniger lohnen als heute. Der Wettbewerb würde sich stärker auf Produktqualität ausrichten. Und die Funktion von Marken als Statussymbolen würde geschwächt.

Sie hoffen also auf eine Entzauberung.

Und darauf, dass die Bedeutung von Konsum für den Status von Menschen abnimmt. Vielleicht hat das auch etwas mit meiner Biografie zu tun: Ich bin die ersten zwölf Jahre meines Lebens in der Sowjetunion aufgewachsen, bevor meine Eltern nach Israel ausgewandert sind. Wir hatten dort am Anfang wenig Geld, und ich habe gemerkt, dass ich nicht angezogen bin wie andere Kinder. Damals dachte ich: Wenn ich nur Reebok-Schuhe hätte, dann wäre ich der glücklichste Mensch der Welt.

Haben Sie das später nachgeholt?

Nein (lacht), jetzt, da ich es mir leisten kann, will ich die Sneaker nicht mehr. ---

Zusammenrücken, trotz gebotener Distanz – das war das Thema des Jahres 2020. Und es scheint, als habe das Marketing vieler Unternehmen dieses Gebot in ganz eigener Form übersetzt. Nie war mehr Liebe, mehr Nähe, mehr Aufforderung zum Zusammenhalt: Eine Pandemie bedroht die Gesellschaft? Wir, die Wirtschaft und ihre Marken, kämpfen mit euch dagegen an.

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