„Gründerinnen müssen Haie sein“

Mit 19 hatte die New Yorkerin Sophia Sunwoo ihre erste Firma. Heute ist sie 33 und hilft anderen Unternehmerinnen.





Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 02/2021.

brand eins: Frau Sunwoo, was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem für Gründerinnen?

Sophia Sunwoo: Die meisten sind nicht sichtbar. Daran sind wir Frauen teilweise selbst schuld, weil wir uns oft nicht trauen, auch mal nach vorne zu preschen und etwas aggressiv zu vermarkten.

Wie kommen Sie da ins Spiel?

Wenn Unternehmerinnen wenig verkaufen, hängt das in vielen Fällen nicht mit der Preisgestaltung oder dem falschen Webshop zusammen – sondern mit Ängsten, die sie zurückhalten. Genau diese finde ich und gehe sie an.

Welche Ängste meinen Sie?

Es beginnt schon bei der Selbstvermarktung. Ich würde sagen: 90 Prozent der Frauen, mit denen ich arbeite, haben Angst, sich vor eine Kamera zu stellen und bei Instagram oder Tik Tok mit ihrem Gesicht für ihr Produkt zu werben. Was denken die Leute von mir? Was, wenn sie mich zurückweisen? Diese Barriere im Kopf hindert sie daran, richtig gutes Geld zu verdienen.

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Und woran liegt das?

Die meisten von uns sind mit Rollenbildern aufgewachsen, denen zufolge es unweiblich ist, auf die eigene Arbeit stolz zu sein und damit zu prahlen. Das sei nicht wünschenswert für eine Frau. In der Geschäftswelt aber gilt: Wenn du nicht auffällst, verdienst du kein Geld. Ich sage immer: Mit einem 30-Sekunden-Video kannst du 2000 Dollar Umsatz machen. Warum solltest du dir das entgehen lassen?

Sie vertreten die Ansicht, Gründerinnen müssten „Haie“ sein. Was meinen Sie damit?

Viele Frauen sprechen beispielsweise von „Small Businesses“ statt von „Start-ups“. Kein Mann würde das Wort „klein“ gern mit seinem Unternehmen in Verbindung bringen. Frauen müssen ihr Selbstbild ändern: Es ist nicht ihre Schuld, wenn sie in den Augen anderer nicht weiblich genug erscheinen. Es ist egal, was die anderen denken. Sie dürfen sich nicht einschränken lassen.

Sie wollen Frauen dabei helfen, aus einem Nebenverdienst einen Vollzeitjob zu machen. Wie sieht das in der Praxis aus?

Ich habe beispielsweise eine Gründerin beraten, die Schmuck herstellt. Als sie mich kontaktierte, arbeitete sie unter der Woche an den Stücken und verkaufte diese am Wochenende auf Märkten. Ich habe mit ihr einen Onlineshop aufgebaut, in dem sie ausschließlich Sondereditionen anbietet, die nur für wenige Stunden erhältlich sind. Das hat sie sich vorher nicht getraut – jetzt verkauft sie den gesamten Schmuck in wenigen Minuten. Das geht viel schneller als der Verkauf auf Wochenmärkten, und sie verdient damit mehr Geld.

Sie kommen aus einer Unternehmerfamilie. Inwiefern hat Sie das geprägt?

Meine Eltern sind Einwanderer aus Südkorea, die mit ein paar Dollar in der Tasche in die USA kamen. Den Großteil meiner Kindheit waren wir arm, wir lebten in der Bronx in New York. Aber meine Eltern haben viel gearbeitet, sie haben Cafés und Restaurants aufgebaut, und mit den Jahren ging es uns immer besser. Die Erfahrung, dass man mit der eigenen Firma aufsteigen kann, hat mich stark geprägt. Und sie ist einer der Gründe, warum ich selbst Unternehmerin wurde.

Ihre Eltern hat das bestimmt gefreut.

Im Gegenteil. Meine Eltern haben immer gesagt, dass sie Unternehmer geworden sind, damit ich es nicht werden muss. Als ich älter wurde, hat meine Mutter mir gesagt, dass sie sich gewünscht hätte, dass ich reich geheiratet hätte und heute vielleicht bei den Vereinten Nationen arbeiten würde.

Sie haben stattdessen mit 19 Jahren Ihre erste Firma gegründet. Wie kam es dazu?

Ich war damals mit meiner besten Freundin ständig auf Punkrock-Konzerten. Dort wurden viele Fanartikel verkauft. Leider waren die Klamotten nur für Männer ausgelegt und sahen an uns eher bescheiden aus. Wir wollten damals eigentlich gar keine Firma gründen, sondern einfach nur auf Konzerte gehen und dabei nicht bescheuert aussehen. Also haben wir Kleidung entworfen, die auch Frauen passt und diese bei Konzerten in einer kleinen Ecke verkauft.

Wie fand die männliche Konkurrenz das?

Denen war das ziemlich egal. Die gingen vorbei und dachten sich: Ach, lass die ihren Spaß haben. Wir machen unser Geschäft einfach weiter.

Sie wurden schnell erfolgreich.

2010, drei Jahre nach der Gründung, waren wir bei 250 Einzelhändlern vertreten, auch bei einigen großen. Musikerinnen haben unsere Sachen getragen, ein Fotograf hat Miley Cyrus für das »People«-Magazin fotografiert, als sie einen unserer Hoodies anhatte. Das war verrückt – ich meine, wir waren Anfang 20.

Sind Sie durch diese Gratis-Werbung einer Prominenten bekannt geworden?

Das hat sicherlich einen großen Teil dazu beigetragen. Aber wir haben schon vorher relativ gutes Marketing gemacht – obwohl wir keine Ahnung davon hatten. Es gab damals kein Instagram, kein Tiktok. Wenn man auffallen wollte, musste man 2000 Dollar hinblättern, um eine ganzseitige Anzeige in einer Zeitschrift zu bekommen. Wir haben uns stundenlang mit dem Design beschäftigt, die Seite musste perfekt sein.

Dank sozialer Medien haben Gründer es heute leichter, auf sich aufmerksam zu machen.

Heute ist alles kostenlos, jeder Post, jede Story, jeder Kommentar. Deshalb glauben die meisten Gründer, dass sie ständig belangloses Zeug posten müssten. Am schlimmsten ist so etwas wie: „Hey, hier ist mein Büro, was haltet ihr davon? Schreibt einen Kommentar.“ Das interessiert niemanden.

Welche anderen Fehler machen Gründer beim Marketing?

Der größte ist, sich zu sehr anzupassen. Viele Newcomer haben Angst aufzufallen, weil sie denken, als kleines Unternehmen sei das nicht gerechtfertigt. Stattdessen kopieren sie die führenden Firmen in der Branche und machen auf super professionell. Aber genau das lehnen die Kunden ab.


Marketing ist wie Flirten – man sagt etwas, um den anderen rumzukriegen.

Wie sollten sie stattdessen vorgehen?

Zunächst sollten sie eine Art Dating-Profil für ihren Kunden anlegen: Was mag er, was nicht, womit interagiert er, was findet er lustig und was eklig. Am Ende ist es wie Flirten – man sagt als Marke Dinge, um den anderen rumzukriegen. Kluge Gründer haben das begriffen. Ich sage deshalb: Stellt euch vor die Kamera, sprecht mit den Leuten, macht Umfragen, bildet euch eine Meinung, postet sie und benutzt vor allem keinen Managerjargon.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die US-amerikanische Kosmetik-Firma Glossier hat das sehr erfolgreich gemacht: Sie entstand aus einem Beauty-Blog, die Produkte basieren fast ausschließlich auf den Empfehlungen und Wünschen der Frauen, die dort diskutiert haben. Die Betreiberin des Blogs, Emily Weiss, hat daraus eine moderne Marke geschaffen. Der Austausch im Forum machte die Marke für Frauen interessant, die etwas Neues suchten. Hätte sich Glossier wie eine große Firma verhalten, wäre diese persönliche Note verloren gegangen.

Millennials und die Generation Z schätzen Marken mit menschlichem Touch. Auf Instagram und Tiktok ist die Kommunikation auf persönlicher Ebene alles. Das bedeutet für Firmen auch, auf diesen Portalen Nachrichten mit Fans so auszutauschen, als wäre man ihnen ganz nahe.

Können auch große Firmen diese Nähe herstellen?

Das Streetwear-Label Supreme ist ein großartiges Beispiel dafür. Supreme hat viel in den Aufbau einer Gemeinschaft investiert und ist so für seine Anhänger zum Kult geworden. Die Kunden sind so besessen von der Marke, dass sie bereit sind, für ausverkaufte Produkte, die sie anderswo beschaffen können, 30-mal mehr als den ursprünglichen Preis zu bezahlen. Das Erstaunliche am Erfolg des Labels ist, dass es nicht in bezahlte Werbung investiert. Supreme hat sich allein auf die Kraft seiner Gemeinschaft verlassen, um zu dem Milliarden-Dollar-Unternehmen zu werden, das es heute ist.

Kann ein so persönlicher Ton nicht auch anbiedernd rüberkommen?

Nein, nicht in diesem Zeitalter. Die Menschen lieben Marken, die Gemeinschaft, Nähe und Verbundenheit betonen. Und das zahlt sich finanziell aus: Der Video-Blogger Nuseir Yassin hat mal gesagt, dass Geld ein Nebenprodukt der Aufmerksamkeit ist. Das stimmt heute zu hundert Prozent.

Zu große Nähe zur Kundschaft kann einem Unternehmen also nie schaden?

Sie kann nur dann schaden, wenn sie so groß ist, dass der Austausch mit den Kunden zu zeitintensiv und finanziell nicht tragfähig ist. Bei Neugründungen kann dies der Fall sein. In diesem Fall empfehle ich, entweder einen Zeitplan zu erstellen und darin täglich ein bis zwei Stunden für sinnvolle Interaktionen einzuplanen oder, bei ausreichendem Budget, jemanden damit zu beauftragen.

Was halten Sie von Unternehmen, die politische Statements nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen?

Firmen sollten nicht nur Aussagen über Vielfalt und politische Korrektheit machen, weil das die Mehrheit tut. Die Menschen merken, wenn etwas kopiert und nicht authentisch ist – und es schreckt sie ab. Als Marke muss man also sehr vorsichtig mit dem Thema umgehen und sich überlegen: Wer sind meine Kunden, und was wollen sie? Darauf muss man aufbauen, und dann sind wir wieder beim Flirten

Sie haben Ihr erstes Unternehmen mit 22 Jahren verkauft. Wie viel haben Sie damit verdient?

Es war genug, um mir ohne Sorgen eine Auszeit zu gönnen und anschließend ein zweites Start-up in Kamerun aufzubauen, das Water Collective.

Die Organisation unterstützt ländliche Gemeinden in Kamerun und Indien dabei, Wasserquellen zu erschließen oder zu reparieren. Nach eigenen Angaben haben Sie bereits 80 000 Menschen geholfen. Warum sind Sie damals nach Kamerun gegangen?

Wir haben lange nach einem Dorf gesucht, das uns gestattet, unser Projekt umzusetzen. Schließlich schrieb uns der Vorsteher einer Dorfgemeinschaft in Kamerun, dass er daran Interesse hätte.

Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

Das Projekt hat mich an meine Grenzen gebracht. Ich musste jeden Tag mit sozialem, politischem und wirtschaftlichem Druck umgehen. Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, die das ihr Leben lang machen, beneide ich wirklich nicht. Auch meine Rolle als Frau war dort eine ganz andere als in den USA.

In welchen Situationen ist Ihnen das aufgefallen?

Beispielsweise bei Terminen mit Politikern und anderen hochrangigen Personen. Wenn jemand in der Runde eine Frage gestellt hat und ich sie beantwortet habe, hat sich der Fragesteller daraufhin nicht an mich gewandt, sondern an meinem männlichen Co-Gründer.

Wie empfanden Sie das?

Es hat mich verrückt gemacht.

Und wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe es runtergeschluckt. Ich bin mit meiner Firma nicht nach Kamerun und später auch nach Indien gegangen, um dort die Rollenbilder von Mann und Frau zu ändern. Das ist eine Aufgabe, die viel zu groß für eine einzelne Person ist. Ich will deshalb nicht die Denkweise der Männer verändern, sondern den Frauen vor Ort ein Beispiel sein. ---

Sophia Sunwoo, 33,
studierte Betriebswirtschaftslehre und Politikmanagement in Boston und New York. 2007 gründete sie ihre erste Firma Bank Clothing – ein Mode-Label, dessen Kleidung Stars wie Miley Cyrus und Katy Perry trugen. Nach dem Verkauf schuf Sunwoo 2011 das Water Collective, die gemeinnützige Organisation unterstützt Menschen in Kamerun und Indien beim Zugang zu sauberem Wasser. 2016 kürte das Magazin »Forbes« sie für ihr Engagement zu einer der „30 unter 30“. Im selben Jahr gründete Sunwoo ihre dritte Firma Ascent Strategy, mit der sie seitdem Unternehmerinnen berät. Sie wolle, sagt Sunwoo, Frauen dabei helfen, schneller zum Erfolg zu kommen und so „in einer von Männern dominierten Start-up-Szene aufzuholen“.

Ob Werbung für Wodka, Pizza, Räder, Cannabis und T-Shirts mit und ohne Körpergeruch – das Produkt kann noch so geschmackvoll sein, die Werbung ist fade. In unserem neuen Heft widmen wir uns einem Marketing, das es allen recht machen und dabei keinesfalls anecken, keinen Shitstorm provozieren und kein Tabu verletzen will.