Fritz-Kola

Die Limo-Marke Fritz-Kola ist zum Mittelständler gewachsen, inszeniert sich aber immer noch erfolgreich als unangepasst. Wie anders muss ein Unternehmen sein, das sich als anders darstellt?





• Das Unternehmen Fritz hat Limo-Trinken politisch gemacht: Zur Europawahl 2019 zeigte es ein Video mit einem niedlichen Wal, dazu die Zeile „sie sehen: walwerbung – genug gelacht. geh wählen.“ Im selben Jahr forderte es dazu auf, für die Organisation Exit zu spenden, die Aussteiger aus der Nazi-Szene unterstützt. Der Aufruf war auf der Bande des Hamburger Millerntorstadions zu lesen, in dem der linksgerichtete FC St. Pauli spielt. In einem Nachhaltigkeitsbericht verweist das Unternehmen auf die eigenen Prinzipien, darunter Engagement für obdachlose Menschen. Der Punkt ist überschrieben mit den Worten „sozial is’ muss“, anders gelesen: Sozialismus.

Wer eine Limonade im Supermarkt aus dem Regal nimmt oder im Café bestellt, entscheidet meistens nicht nur nach dem Geschmack, sondern auch nach dem Image des Getränks. Fritz-Kola, 2003 von Mirco Wolf Wiegert und Lorenz Hampl gegründet, steht bis heute für eine rebellische, linksalternative Haltung, wirkt dabei zugleich nah und sympathisch. Damit können sich vor allem in Hamburg viele identifizieren. Hier gehört das Logo zum Stadtbild: An den Deichtorhallen und an der Werft Blohm und Voss, auf die man vom Elbufer aus schaut, wurde großflächig plakatiert. In Bars ziert das Logo Kühlschränke und Getränketafeln. Im Merchandise-Shop kann man sich vom T-Shirt bis zu den Socken in Fritz einkleiden und gleich noch die Wohnung tapezieren mit legendären Werbesprüchen wie „Koksen ist Achtziger“, eine Anspielung auf den hohen Koffeingehalt.

Fritz-Kola begann tatsächlich als Rebell, als David im Kampf gegen den Goliath Coca-Cola. Inzwischen hat das Unternehmen, das jetzt Fritz Kulturgüter heißt, 272 Mitarbeiter, in den vergangenen Jahren ist es rasant gewachsen. Laut Bundesanzeiger betrug der Rohertrag – also der Umsatz abzüglich der Materialkosten – im Geschäftsjahr 2018 knapp 44 Millionen Euro, der operative Gewinn lag bei gut 9 Millionen Euro (wie hoch der Umsatz ist, verrät die Firma nicht). Einer der Gründer, Hampl, stieg 2016 aus, Wiegert übernahm die Mehrheit der Anteile und holte neue Gesellschafter dazu: Florian Rehm, Mehrheitseigner von Jägermeister, und Dirk Lütvogt, Geschäftsführer der Mineralwasser-Firma Auburg Quelle.

In der Führung sitzt heute Personal, das von großen Unternehmen kommt und weiß, wie man auf dem Markt richtig mitspielt: Christoph Gröne etwa, seit 2018 Vertriebschef, war zuvor beim Dax-Konzern Beiersdorf tätig, davor bei British American Tobacco. Für aggressive Vertriebsmethoden stand Fritz immer wieder in der Kritik. Und trotzdem hält sich öffentlich weiterhin das Bild des netten, eigensinnigen Cola-Herstellers, bei dem man in jedem Fall auf der richtigen Seite steht. Wie gelingt es dem Unternehmen, das Image des Unangepassten so erfolgreich zu erhalten, obwohl es kaum anders wirtschaftet als die Konkurrenz?

Mirco Wolf Wiegert trägt T-Shirt und College-Jacke aus dem eigenen Merchandise-Shop, wie auch auf den meisten Fotos: schwarz mit weißem Fritz-Aufdruck. Auch mit 45 Jahren wirkt er immer noch jungenhaft. Im Gespräch in der Firmenzentrale nahe des Hamburger Hauptbahnhofs ist er nahbar, duzt gleich. Über Fragen denkt er kurz nach, bevor er antwortet.

Schon die Gründungsgeschichte der Firma eignet sich zum Mythos: „Lorenz und ich kennen uns schon aus unserer Zeit als Pfadfinder“, erzählt Wiegert. Während des Studiums lebte er im Hamburger Stadtteil Othmarschen im Studentenwohnheim. „Als uns klar wurde, dass auch das schönste Studium eines Tages endet und wir wohl arbeiten müssen, haben wir nach einer Idee gesucht, mit der wir uns selbstständig machen können. Ein wichtiges Ziel war für uns, weiterhin ein entspanntes, unabhängiges Leben zu haben.“ In den Läden im Hamburger Schanzenviertel fiel ihnen auf, dass es nur Coca-Cola, Fanta, Sprite und Apfelschorle gab. Eine alternative Cola für die alternative Szene war eine naheliegende Idee.

Die beiden Gründer lösten ihre Bausparverträge auf und bekamen so 7000 Euro Startkapital zusammen. Die erste braune Limo versuchten sie selber zu mixen, scheiterten aber und beauftragten einen Profi damit, die Rezeptur zu verbessern. Umso mehr mussten sie beim Branding sparen: „Ein Logo entwerfen zu lassen, konnten wir uns nicht leisten.“ Also fotografierten sie sich gegenseitig und fügten mit einem einfachen Grafikprogramm die Gesichter in Schwarz-Weiß zusammen. Die Etiketten ließen sie im Copy-Shop ausdrucken – das Logo mit den verfremdeten Gesichtern der beiden Gründer ist heute noch auf den Flaschen zu sehen.

Die Idee hielten sie selbst vor Freunden und Familie geheim, bis die erste Kiste mit Cola fertig war. Mit einem alten VW-Bus und einem alten Golf klapperten sie dann die Betreiber und Betreiberinnen von Restaurants, Bars und Clubs zunächst in Deutschland ab, bald auch in anderen europäischen Ländern.

Die Gründung passte in die Zeit: Zur Jahrtausendwende wurden multinationale Konzerne leidenschaftlich gehasst. Globalisierungskritiker prangerten Unternehmen an, die in ärmeren Ländern oft unter schlechten Arbeitsbedingungen oder zulasten der Umwelt produzieren ließen. Besonders Coca-Cola galt als Symbol für rücksichtslosen Kapitalismus. Die aufgeheizte Stimmung war ideal, um ein Unternehmen wie Fritz-Kola zu gründen. Wiegert und Hampl sprachen eine Zielgruppe an, die Cola mag, aber keine Konzerne.

Tatsächlich gelang es ihnen, den Giganten zu ärgern: Auf einem Werbeplakat zeigten sie eine Hand, die ein Getränk wegschüttet (der Schriftzug darauf sah dem von Coca-Cola ziemlich ähnlich), und Lippen, die ihr Getränk schlürfen. „Trink lieber Fritz“, lautete der Spruch dazu. Der Marktführer war empört, woraufhin die Gründer die Plakate zurückzogen.

Bekannt wurde Fritz mit lustiger Werbung, die sich auf die schlichte Botschaft konzentrierte, dass das Getränk wach mache. Heute gehe es vor allem darum, relevant zu bleiben, sagt Wiegert. Dazu zeige man Haltung. Zum Beispiel mit den Plakaten zum G20-Gipfel in Hamburg 2017, auf denen die Politiker Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin schlafend zu sehen waren. Daneben stand: „mensch, wach auf!“ Wichtig sei ihm gewesen, dass die Leute über das Gipfeltreffen reden, sagt Wiegert.

Mit politischer Werbung eckt man zuverlässig an. Diesen Vorzug erkannte das Unternehmen recht früh. Erst im Jahr 2018 machte der Sportartikelhersteller Nike diese Art der Werbung groß: in einer Kampagne mit dem Footballspieler Colin Kae-pernick, der mehrmals als Zeichen gegen rassistische Polizeigewalt während der Nationalhymne niedergekniet war.

Bei den Kunden scheint die Selbstinszenierung des Limoherstellers weiterhin gut anzukommen. Doch wer seine Haltung so laut vor sich herträgt, weckt entsprechende Erwartungen – etwa bei manchen Gastronomen, die Fritz im Sortiment haben. „Der Vertriebler stand regelmäßig bei mir auf der Matte“, erzählt eine Hamburger Restaurantbetreiberin. Sie hatte Limonaden von Fritz im Angebot, bisher aber keine Werbemittel des Unternehmens angenommen. „Der hat dann immer ganz freundlich gefragt, ob ich denn noch irgendwas bräuchte, eine Getränketafel oder einen Kühlschrank. Die tun ja immer so, als wollten sie die kleinen Läden unterstützen.“ Irgendwann nahm sie das Angebot an, zwei Sonnenschirme mit Fritz-Logo zu leihen. „Der Vertrag, der dann kam, war allerdings ziemlich heftig.“

In der Vereinbarung heißt es, es werde ein Zuschuss in Höhe von 1600 Euro gewährt, und zwar in Form einer „Gratisleihe von 2 Sonnenschirmen“. Im Gegenzug verpflichtete sich die Gastronomin, zwei Jahre lang sechs verschiedene Getränke des Unternehmens „ununterbrochen und exklusiv“ anzubieten und 700 Kisten pro Jahr abzunehmen. Weiter heißt es: „Für die Einhaltung der exklusiven Bezugsverpflichtung hat der Vertragspartner auf alle Erfrischungsgetränke zu verzichten, die den Limonaden geschmacklich ähneln.“

Dass die Gastronomen vergleichbare Getränke anderer Hersteller nicht mehr anbieten dürfen, sobald sie einen Zuschuss akzeptieren, meint das Unternehmen ernst. Eine Zeit lang hatte die Hamburger Restaurantbetreiberin weiterhin eine Schorle auf der Karte, die einem Produkt von Fritz ähnlich war. Als der Vertriebler das bei einem Besuch feststellte, wies er sie darauf hin, dass sie die Schorle besser aus dem Angebot nehme. Sein Chef mache hin und wieder Stichproben, der solle das besser nicht sehen.

Die Gastronomin verpflichtete sich in der Vereinbarung auch, die Limonaden gut sichtbar zu präsentieren, zum Beispiel „durch Flaschen im Rückbuffet, auf dem Tresen und/oder im Sichtfeld des Kühlschranks“. Falls sie die Getränke nicht so lange wie vereinbart beziehe, müsse sie den Zuschuss anteilig zurückzahlen. Das gelte auch für die „Missachtung der Limonadenpräsenz“.

Was andere Limonaden-Hersteller ärgert, ist die Vereinbarung der Exklusivität – sobald ein Lokal von Fritz einen Zuschuss akzeptiert, ist es für sie verlorenes Gebiet. Uwe Lübbermann, der Premium Cola im Jahr 2001 als Kollektiv gegründet hat, kritisiert die Vertriebsmethoden des Konkurrenten: „Die sind von Anfang an nicht wie David aufgetreten, sondern wie Goliath.“ Obwohl man schon 2002 eine Art Nichtangriffspakt vereinbart habe, habe Fritz immer wieder die linksalternativen Läden abgeworben, die auch Premium Cola anspricht.

Nun kann man fragen: Ist es besonders aggressiv, wenn ein Unternehmen so vorgeht, oder eher normal? „Exklusivität zu vereinbaren ist in der Gastronomie nicht unüblich“, sagt Detlef Groß, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke (wafg), die in Deutschland Konzerne wie Coca-Cola, PepsiCo und Red Bull sowie Mineralbrunnen und andere meist mittelständische Unternehmen vertritt. „Mag sein, dass solche Praktiken verbreitet sind“, sagt auch Lübbermann von Premium Cola. „Aber wir hatten weder mit den Marktführern noch mit kleineren Unternehmen diese Probleme, nur mit Fritz.“

Wiegert kennt die Kritik an seinen Vertriebsmethoden, „sie begleitet uns schon von Anfang an“. Er sieht es so: „Viele Gastronomen und Clubbetreiber rechnen mit den Zuschüssen von Getränkeherstellern, Zigarettenmarken und Spirituosen zur Deckung ihrer Kosten.“ Der Getränkemarkt sei hart umkämpft, das bekomme sein Unternehmen außerhalb der Fritz-Hochburg Hamburg selbst zu spüren.

Ein ehemaliger Vertriebs-Mitarbeiter bestätigt das: „Es gab von Beginn an Versuche, das Unternehmen aus dem Markt zu drängen. Zum Beispiel übten andere Anbieter Druck auf die Abfüller aus, die Limonaden von Fritz nicht zu produzieren. Da wird man mit der Zeit selbst auch härter im Umgang mit anderen.“

Kritik kommt auch aus den eigenen Reihen. Auf dem Portal Kununu, auf dem Mitarbeiter anonym ihre Arbeitgeber bewerten, sind die Stimmen ambivalent: Einige schwärmen von ihrem Unternehmen, andere wirken verbittert. Liest man Wiegert ein paar kritische Stimmen vor, hört er geduldig zu: „Image deutlich besser, als es hinter den Kulissen aussieht“, schreibt einer. Ein anderer kritisiert die Firma dafür, „das unverhältnismäßige Wachstum beizubehalten und somit die Marke zu verbrauchen“. Und schlägt vor: „Know-how nicht von Konzernen einkaufen, von denen wir uns jahrelang abheben wollten.“ Wohl eine Anspielung auf die neuen Führungskräfte.

Wiegert sieht solche Stimmen als Ausdruck von Reibung, zu der es ab einer bestimmten Unternehmensgröße zwangsläufig kommt. Er steht dazu, dass er mit dem Unternehmen wachsen will: „Als wir ein Start-up waren, hatte natürlich jeder Einzelne mehr Freiheiten. Jeder hat viele Jobs gemacht und war breit aufgestellt. Inzwischen sind die Mitarbeiter spezialisierter, sie arbeiten weniger in die Breite, dafür mehr in die Tiefe.“ Er sieht in der zunehmenden Größe des Unternehmens Chancen: Man könne es sich nun leisten, Rezepturen intern zu entwickeln, und sei weniger abhängig von Händlern – an eine niederländische Supermarktkette, die nur Einwegflaschen ins Sortiment aufnehmen wollte, habe man nicht geliefert, sondern eine andere gesucht, die Glasmehrweg akzeptierte.

Was sich aus Wiegerts Sicht auch geändert hat: „Wir haben mehr Verantwortung als früher. Für einige Abfüller sind wir der größte Auftraggeber, da müssen wir Kontinuität gewährleisten.“ Auch viele Mitarbeiter seien inzwischen keine Studenten mehr, sondern hätten Familien und damit auch mehr Verantwortung. „Um weiterzukommen, brauchte ich Führungskräfte mit Erfahrung in unterschiedlichen Branchen. Ich selbst habe zwar BWL studiert, danach aber immer nur in meinem eigenen Unternehmen gearbeitet.“

Dass die Mitarbeiter offenbar gegensätzliche Meinungen zu ihrem Arbeitgeber haben, erklärt der ehemalige Vertriebler so: „Leute, die neu ins Unternehmen kommen, finden die heutige Professionalisierung oft sogar gut. Diejenigen, die schon lange dabei sind, waren eher irritiert von der Buzzword-Schlacht in den Konferenzen, von den Powerpoint-Präsentationen und Flowcharts.“ Auch die geänderte Praxis habe nicht jedem eingeleuchtet: „Früher sind wir Vertriebler dorthin gegangen, wo die Nachfrage ohnehin gerade hoch war, und haben den Absatz dort verstärkt. Später wurde strategisch entschieden, wo wir expandieren wollen, und dort wurden die Leute hingeschickt – oft mit kaum zu erreichenden Zielvorgaben.“ Das linksalternative Außenbild und die Organisation selbst „haben nichts mehr miteinander zu tun“.

Mit ihrer alternativen Limonade hat Fritz-Kola inzwischen kein Alleinstellungsmerkmal mehr, in den vergangenen Jahren sind etliche neue Produkte auf den Markt gekommen. „Viele Gründer, die frisch von der Uni kommen und es cool finden, eine neue Limo rauszubringen, scheitern jedoch“, sagt Detlef Groß. „Sie unterschätzen, was es erfordert, im Getränkemarkt zu bestehen.“ Wer aus der Nische herauswolle, müsse sich von Gastronomie und Barszene allein lösen und in den Handel hinein. „Und dazu muss man sich mit den großen Einzelhandelsketten verständigen“, sagt Groß. Dafür brauche man gute Strukturen und einen langen Atem. „Fritz-Kola hat den Weg aus der Nische gut hinbekommen.“ Ein großes Lob – ausgerechnet von der Organisation, in der die Konzerne dominieren. ---

Zusammenrücken, trotz gebotener Distanz – das war das Thema des Jahres 2020. Und es scheint, als habe das Marketing vieler Unternehmen dieses Gebot in ganz eigener Form übersetzt. Nie war mehr Liebe, mehr Nähe, mehr Aufforderung zum Zusammenhalt: Eine Pandemie bedroht die Gesellschaft? Wir, die Wirtschaft und ihre Marken, kämpfen mit euch dagegen an.