Editorial

Swing!

• Der Hinweis kam von einer Trainerin für öffentliche Auftritte, unserem Kolumnisten Stephan Jansen und dem Spiegel im Flur: Es lohnt, sich mit dem Körper zu befassen. Nicht weil er nach anderthalb Jahren Brustbild endlich wieder als Ganzes eine Rolle spielen darf. Vielmehr, so schrieb Jansen schon in der November-Ausgabe zum Thema Handel, weil der Körper eines der Transformationsgüter mit Zukunft ist: Es ist sinnvoll, hier zu investieren.

Foto: André Hemstedt & Tine Reimer


Sportartikelhersteller, Modefirmen und Influencerinnen machen daraus ein gutes Geschäft. Und bei Peloton, dem Spitzenmodell unter den Heimtrainern, wirkte der pandemiebedingte Rückzug in die eigenen vier Wände besser als jede Marketingkampagne. Obwohl sich der Körper an bequeme Kleidung gewöhnt und Studien zufolge um durchschnittlich knapp sechs Kilo zugelegt hat, übt sich eine einflussreiche Minderheit in heimischer Selbstdisziplin. Aus eigenem Antrieb – oder weil man mit wohlgeformtem Körper als Influencer gut verdienen kann. Dass die Mode-Industrie von Home Office und partiellem Körperbewusstsein nur mäßig profitierte, versteht sich von selbst. Die entscheidende Frage ist jetzt, ob der Spaß an der äußeren Hülle wiederkommt (S. 60, 70, 40, 68).

Aber ist das nicht sowieso alles Oberfläche? Wo bleibt der Geist, der Sinn? Letzterer kann besonders gut gedeihen, wenn Körper und Geist in Einklang sind. Dass Genies schwächlich und Bodybuilder einfältig sind, ist eine längst widerlegte Vorstellung, die sich dennoch in so manchem Vorurteil hält. Zu den prominentesten Gegenrednern gehört Peter Sloterdijk, der in seinen Tagebüchern gern über seine ambitionierten Fahrradtouren schreibt. „Für das Denken“, so erklärt er im Gespräch mit Peter Laudenbach, „ist der Sport wie ein Zurückstellen auf null. Die monotone Bewegung fördert Bewusstseinszustände jenseits der ichgebundenen Sorgen (S. 34, 50).“

Die eigene Kraft zu spüren und zu steigern, scheinbar unwiderstehlich zu sein, das ist der Menschentraum, der in unzähligen Superhelden-Figuren steckt. Und es ist nicht verwunderlich, dass Ingenieure in aller Welt daran arbeiten, diesen Traum auch Normalbürgern zu erfüllen. Cyborgs, also mit Technik aufgerüstete Menschen, sind im Silicon Valley inzwischen interessanter als selbstfahrende Autos. Doch was nach Hybris klingt, hat auch handfesten Nutzen: für Menschen mit Behinderung oder Schwerarbeiter (S. 76, 90).

Überhaupt ist die Digitalisierung nicht so körperfeindlich, wie junge und alte Smartphone-Süchtige glauben machen. Tino Sehgal, der Kunst mit vollem Körpereinsatz betreibt, beobachtet im Gegenteil bei seinen Kindern im Teenager-Alter, wie das Digitale den Spaß an der Bewegung weckt: „Computerspiele wie Fortnite und das Portal Tiktok haben mehr für den Tanz getan als alle Choreografen zusammengenommen, mich eingeschlossen“ (S. 82).

Wenn das keinen Freudentanz wert ist. ---

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