Peter Sloterdijk

Der Philosoph Peter Sloterdijk über die Zumutung makelloser Körper, Sport als Religionsersatz und die Ignoranz von Corona-Leugnern.





Peter Sloterdijk, 74,
ist einer der einflussreichsten Philosophen der Gegenwart. Seine Wortmeldungen, etwa zu Gentechnik und Identitätsdebatten, oder die Kritik etwa an Jürgen Habermas lösen seit Jahrzehnten weitreichende Debatten aus. Sloterdijks Debüt, „Kritik der zynischen Vernunft“ (1983), ist eines der meistgelesenen philosophischen Werke in der Geschichte der Bundesrepublik. In seinem Buch „Du musst Dein Leben ändern“ (2009) stellt er den Menschen als übendes Wesen dar. Zuletzt ist erschienen: „Der Staat streift die Samthandschuhe ab – Ausgewählte Gespräche und Beiträge 2020 – 2021“.

brand eins: Herr Sloterdijk, in Ihren Tagebüchern berichten Sie häufig von langen Fahrradtouren. Macht Bewegung den Kopf frei?

Peter Sloterdijk: Ich bin erst mit Anfang dreißig in die sportliche Ambition hineingeraten und dabei geblieben. Bevor ich das Fahrrad für mich entdeckt habe, habe ich als Jogger meine Strecken gemacht. Für das Denken ist der Sport wie ein Zurückstellen auf null. Wenn man eine Stunde läuft oder drei, vier Stunden Rad fährt, wirkt die Bewegung wie ein großer Schwamm, mit dem die schwarze Tafel des Bewusstseins wieder blank gewischt wird. Derjenige, der vom Training zurückkommt, ist nicht derselbe, der losgefahren ist.

Das innere Leerwerden bei einer gleichmäßig wiederholten Bewegung gehört zu den Entdeckungen der alten spirituellen Praktiken. Die monotone Bewegung fördert Bewusstseinszustände jenseits der ichgebundenen Sorgen. Man löscht etwas aus und lässt einem anderen Zustand den Vortritt, entweder einem klareren Gedanken oder einer Form des Nichtdenkens, für den man den Begriff Wachheit verwenden kann. Andere Methoden, den Geist über den Körper zu bearbeiten, sind weniger freundlich. Ich selbst habe noch in meinen Münchner Jugendjahren, Anfang der Sechzigerjahre, einen Jesuiten gekannt, der in aller Diskretion eine Oberschenkel-Garotte getragen hat.

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Er ist Teil unserer Ausgabe Körper

Es war immer schon naiv zu glauben, dass man sich selbst gehört. – Peter Sloterdijk
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