Gut gebaut

Der Körper ist ein ewiger Quell des Missbehagens. Fragt man nur lange genug nach, haben fast alle irgendwas an der eigenen Statur auszusetzen. Hierzulande ist nur jeder Fünfte mit seinem Aussehen rundum zufrieden – ohne Kleidung nur noch jeder Siebzehnte. Immerhin: Der Arbeitsmarkt hat für jeden Wuchs etwas im Angebot. Eine tröstliche Umschau in vier Beispielen.





• Wer groß ist, verdient mehr Geld – das ist nicht fair, aber bekannt. Eine breit angelegte Studie aus London im Jahr 2000 hat ergeben, dass groß gewachsene Briten im Mittel zehn Prozent mehr verdienen als kleine. Bei Frauen bringt die Überlänge fünf Prozent mehr Lohn.

Wichtiger als die erwachsene Körpergröße ist laut einer Studie aus den USA aber das Gardemaß in der Jugend. Wer kurz nach der Pubertät die Mitschüler überragt, erlangt später wahrscheinlich einen höheren Abschluss und verdient mehr Geld. Promovierte sind im Schnitt etwas mehr als vier Zentimeter größer als jene mit einer beruflichen oder gar keiner Ausbildung.

So überrascht es kaum, dass neun von zehn männlichen Vorständen größer sind als der Normalbürger. Der durchschnittliche Vorstandschef ist 1,83 Meter groß. Wer noch mal sechseinhalb Zentimeter länger ist, verdient vier Prozent mehr. Allerdings hat das Lohnwachstum seine Grenzen. Bei 1,91 Meter ist das Optimum erreicht, darüber hinauszuwachsen lohnt sich finanziell nicht mehr.

Der bislang letzte US-Präsident, der kleiner war als sein Durchschnittswähler, wurde im Jahr 1900 gewählt. Fortan regierten Hochgewachsene. Deutlich bunter geht es in der bundesrepublikanischen Geschichte zu, die in ihrer kurzen Dauer bereits überdurchschnittlich kleine (2), überdurchschnittlich wohlgenährte (2), überdurchschnittlich alte (1) sowie überdurchschnittlich weibliche (1) Kanzler kennt.

Größe ist schon lange lukrativ: Bereits die Potsdamer Riesengarde von 1675 ließ nur die längsten Recken in ihre Reihen. Jeder Soldat ein Baum von einem Mann, manche größer als zwei Meter, keiner kleiner als 1,88. Vor dreieinhalb Jahrhunderten war solches Gardemaß derart selten, dass die Freiwilligkeit der Rekruten eine untergeordnete Rolle spielte. Wer so groß war, dass er sich nicht verstecken konnte, wurde eingezogen. Ob er wollte oder nicht. Dafür entlohnte ihn König Friedrich Wilhelm I. trotz klammer Kassen weit übertariflich. Einzige Ausschlusskriterien: außerordentliche Hässlichkeit, Hautkrankheiten oder fehlende Schneidezähne. Gern schmückte sich der soldatennärrische Preußenkönig mit seinen „Langen Kerls“ und verschenkte einzelne Exemplare an befreundete Herrscher. Dabei waren die Recken zum Kriegsdienst ungeeignet, nicht zuletzt weil viele von ihnen wohl an krankhaftem Riesenwuchs litten und daher kaum belastbar waren.

Insgesamt sorgt Größe zwar für ein Plus auf dem Lohnzettel, wird aber mit einem kürzeren Leben bezahlt. Je länger jemand ist, desto mehr kann auch kaputtgehen. Zumindest legen Studien aus verschiedenen Erdteilen den Verdacht nahe, dass kleinere Menschen länger leben. Dazu kommen praktische Vorteile: Wer kurz im Wuchs ist, kann nicht nur nackenwirbelschonend im Flugzeug aus dem Fenster sehen, er kann dort auch arbeiten. Zwar erwarten Fluglinien von ihrem Personal meist eine Fin- gerspitzengepäckfachreichweite von 2,12 Meter (Zehenspitzen erlaubt), doch zu groß dürfen Flugbegleiter auch nicht sein. Strenge Airlines ziehen die Obergrenze bei 1,83 Meter.

Auch im Cockpit gelten Mindestgrößen, sind aber nicht immer gerichtsfest. So wurde die Fluglinie Lufthansa vor wenigen Jahren von einer angehenden Pilotin verklagt, die mit einer Höhe von 1,62 knapp unter den Voraussetzungen blieb. Man einigte sich auf einen Vergleich. Andere Airlines verzichten ganz auf derartige Vorgaben. Ihre überzeugende Begründung: Die Sitze sind höhenverstellbar. Nicht einmal Kurzsichtigkeit ist für sie ein Problem. Bis zu minus sechs Dioptrien sind beim Fliegen von Passagiermaschinen erlaubt. Die ähnlich einleuchtende Begründung: Es gibt Brillen.

Und wer anderen beruflich die Haare schneiden will, tut sich mit einem großen Wuchs ebenfalls schwer. Zwar gibt es kein Längenlimit für die Branche, aber kleinere Friseure sind einfach näher am Kunden.

Größe fällt ins Gewicht

Wer etwas bewegen will, braucht Masse. Zwar gibt es kaum Berufe, die ein besonders hohes Gewicht vorschreiben, wohl aber kann es dienlich sein. Etwa beim Kampfsport. Viele Disziplinen gleichen den Massevorteil zwar durch Gewichtsklassen aus, doch es gibt Ausnahmen. Beim Sumo darf auch ein 70 Kilo leichter Ringer versuchen, einen viermal so schweren Gegner aus dem Ring zu drücken. Da das nur selten funktioniert, wiegen Sumo-Ringer in Japan heute durchschnittlich 160 Kilogramm. Pro Person. Das sind 15 Kilo mehr als in den Neunzigerjahren. Dafür nehmen die Kraftmenschen täglich mindestens 7000 Kalorien zu sich (manche schaffen 20 000), halten Mittags- schlaf direkt nach dem Essen – und sind überraschend gesund. Zudem werden sie als Volkshelden verehrt und verdienen ein Heiden- geld, solange sie sich nichts brechen.

Zwar gibt es im Sumo keine Gewichtsgrenze, wohl aber eine Mindestgröße. Zumindest offiziell. Denn seit sich der 16-jährige Takeji Harada im Jahr 1994 ein 15 Zentimeter dickes Silikonimplantat unter die Kopfhaut operieren ließ, um das damalige Sumo-Mindestmaß zu erreichen (mit Erfolg), lockerte der Verband die Regeln. Außerdem höhlt der Nachwuchsmangel die Regelstrenge aus.

Wer nicht das nötige Gewicht fürs Ringen auf die Waage bringt, der möge sich bei Pakistan International Airlines andienen. Die Fluggesellschaft hat ihre Belegschaft im Jahr 2019 zum Abspecken verdonnert. Wer künftig 13 Kilogramm über dem erlaubten Gewicht liegt (bei einer Frau mit „mittlerer Statur“ sind das laut Airline knapp 67 Kilo), bleibt am Boden. Wer leicht ist, spart dem Arbeitgeber Kerosin.

Pferderennreiter dürfen zwar laut Statuten so groß sein wie sie wollen, das Gewicht darf aber 55 Kilogramm nicht überschreiten (Amateur-Jockeys dürfen 60 Kilo wiegen). Während die Pferde eine halbe Tonne schwer sind, drohen Rennreitern schon ab 300 Gramm Übergewicht Vertragsstrafen. Manche halten dafür ein Berufsleben lang Diät. Doch bevor sich Leichtgewichte zu früh freuen: Wer hauptamtlich Jockey werden will, muss zuerst eine dreijährige Ausbildung zum Pferdewirt bestehen und später ein Berufsleben mit 70 Kilometer pro Stunde ohne Airbag überleben.

Und wer mit wachem Auge auf antike Statuen blickt, der wird erkennen, dass auch in der Körpermitte weniger mehr sein kann. Das altgriechische Idealgemächt von Bildhauerlegenden wie Myron, Phidias oder Polyklet war nach heutigen Maßstäben nicht gerade Dickpic-tauglich. Begründet wurde das einerseits mit dem Realismus (so weit sind die Darstellungen auch vom heutigen Herrendurchschnitt nicht entfernt), andererseits assoziierte man ein üppiges Gemächt dereinst mit Tumbheit und Einfalt. Für antike Denker galt: kleiner Penis, großer Geist.

So zeigt sich, ob als großer Denker oder kleine Pilotin, der Arbeitsmarkt findet noch für jede Wölbung oder Delle, für jede Kürze oder Länge eine Verwendung. Und am Ende steigen wir ohnehin alle in die gleiche Kiste; wenn die für den einen am Boden verstärkt und für die andere im Fußraum verlängert werden muss, dann ändert das im Grunde kaum etwas. ---

Gespräche mit Influencerinnen, einem Philosophen und einem Tänzer. Geschichten über die Zukunft der Mode, über Cyborgs und Heimtrainer. Gedanken über das Verhältnis von Körper und Geist.

Ein Heft voller Schönheit, Kraft und Selbstoptimierung. 😉

Jetzt bei uns bestellen und bis zum 5. August innerhalb Deutschlands die Versandkosten sparen!