Was wäre, wenn …

… es kein Ehegattensplitting mehr gäbe?

Ein Szenario.



Was waere wenn 0521


• Das Ehegattensplitting wurde 1958 in Deutschland eingeführt, begründet unter anderem als „eine besondere Anerkennung der Funktion der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“. Vereinfacht gesagt, muss bei diesem Verfahren nicht jeder Ehepartner individuell für sein Einkommen Steuern zahlen. Stattdessen wird das Einkommen beider Eheleute addiert und dann halbiert („gesplittet“). Für diesen geteilten Betrag wird dann jeweils die Einkommensteuer berechnet.

Dabei können die Ehepartner wählen: Entweder werden beide in der Steuerklasse 4 besteuert – oder einer wechselt in die günstigere Steuerklasse 3, der andere in die höher besteuerte Klasse 5. Vor allem Paare, bei denen einer deutlich mehr verdient als der andere, haben dadurch Vorteile. Aus diesem Grund steht das Ehegattensplitting seit seiner Einführung in der Kritik. Was wäre, wenn man dieses Steuerprivileg abschaffte?

Etwa 13 Millionen Verheiratete profitieren in Deutschland derzeit davon. Spitzenverdiener sparen durch diese Regelung bis zu 15 000 Euro pro Jahr. Dem Staat wiederum gehen insgesamt rund 20 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren. Das ist gewollt, schließlich soll durch das Splitting die Familie gefördert werden – so argumentieren die Befürworter. Kritiker bemängeln, dass es nur Hochzeiten sind, die subventioniert werden: Denn es profitieren auch kinderlose Ehepaare.

Mindestens genauso große Kritik entzündet sich daran, dass das Modell Paare mit einem Alleinverdiener begünstigt und somit viele Frauen davon abhält, erwerbstätig zu sein – zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes.

„Die klassische Verteilung ist, dass der gut verdienende Ehemann in der Steuerklasse 3 landet, in der sein hohes Einkommen vergleichsweise niedrig besteuert wird“, sagt Gisela Färber, Professorin an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. „Die Partnerin oder der Partner mit dem geringeren Verdienst – statistisch meistens die Ehefrau – kommt in die Steuerklasse 5, in der das niedrigere der beiden Einkommen einem sehr hohen Steuersatz unterliegt.“ Unterm Strich ergebe sich zwar eine vorübergehende Ersparnis für das Paar – bei dem Partner, der ohnehin schon weniger verdient, bleibe netto durch die ungünstige Steuerklasse jedoch noch weniger übrig. „So manche Frau schaut dann auf ihre Gehaltsabrechnung und fragt sich, ob es sich überhaupt lohnt, wieder arbeiten zu gehen“, so Färber.

Selbst wenn sie das täte, können sich durch das Splitting gravierende Nachteile ergeben: Leistungen wie Arbeitslosengeld, Wohngeld oder Elterngeld bemessen sich am individuellen Nettoeinkommen. Der Ehepartner, der aufgrund des niedrigeren Einkommens in die höher besteuerte Klasse 5 geht, erwirbt also nur deutlich reduzierte Ansprüche. „Im schlimmsten Fall führt das zu Altersarmut oder dazu, dass Frauen im Fall einer Scheidung schlechter dastehen, weil sie sich steuerlich motiviert darauf eingelassen haben, von ihrem Partner versorgt zu werden“, so Gisela Färber. Auch bei Kurzarbeit durch die Corona-Pandemie stünden Frauen tendenziell schlechter da, weil sich auch dieser Betrag am Nettogehalt bemisst.

International ist Deutschland mit dieser Regelung ziemlich allein: Nur Luxemburg und Polen haben ein ähnliches System, in Frankreich und Portugal gibt es ein Familiensplitting, das auch die Zahl der Kinder berücksichtigt. „Weltweit dominiert aber eine Individualbesteuerung, oft mit einer Berücksichtigung von Unterhaltspflichten für Ehepartner und Kinder, damit Ehepaare oder Familien nicht schlechter gestellt sind als Singles“, sagt Gisela Färber.

Eine internationale Vergleichsstudie der Frankfurter Ökonomin Nicola Fuchs-Schündeln kam zu dem Ergebnis, dass das deutsche Ehegattensplitting Frauen tatsächlich vom Arbeitsmarkt fernhält: Frauen sind zwar in Deutschland nicht seltener erwerbstätig als in anderen Industrieländern, arbeiten aber deutlich weniger Stunden pro Woche. „Das Ehegattensplitting setzt entsprechend Anreize innerhalb der Familie, sich zu spezialisieren“, sagte Fuchs-Schündeln in einem Interview. Entweder Arbeitsmarkt oder Haushalt. In Deutschland sind es zu rund 90 Prozent Frauen, die in die ungünstige Steuerklasse 5 gehen.

Obwohl seit Jahrzehnten Einigkeit zu herrschen scheint, dass das Frauenbild, auf dem das Splittingmodell basiert, überholt ist, wagte sich trotzdem keine Partei an seine Abschaffung (siehe „Der ewige Zankapfel“ in brand eins 11/2015). Vor der diesjährigen Bundestagswahl findet sich das Thema zwar in den Entwürfen der Wahlprogramme wieder, aber nicht sehr prominent. Wirklich beenden will die Praxis nur die Linke. Die SPD möchte es für künftige Ehen durch eine Individualbesteuerung ersetzen, bereits Verheiratete sollen wählen können. Die Grünen sprechen sich dafür aus, dass auch neue Ehepaare die Wahl zwischen dem herkömmlichen Splittingmodell und einem neuen „Familientarif“ haben. Sowohl CDU/CSU als auch die AfD wollen das Ehegattensplitting beibehalten und durch ein „Familiensplitting“ ergänzen. Die FDP hat sich nicht festgelegt, war bislang aber immer für eine Beibehaltung.

Schaffte man das Ehegattensplitting tatsächlich ab, und sei es nur schrittweise, könnte man damit wahrscheinlich noch ein weiteres Problem lösen: Derzeit werden im Dezember deutlich mehr Ehen geschlossen als in den restlichen Wintermonaten des Jahres. Die Standesämter wären also etwas gleichmäßiger ausgelastet. ---

Hinweis:
Mehrere Leserinnen und Leser haben uns freundlicherweise darauf aufmerksam gemacht, dass uns in der Kolumne ein Fehler unterlaufen ist: In einer früheren Version stand, dass Ehegatten, die um Splittingvorteile mitzunehmen, in die höher besteuerte Steuerklasse gehen, später eine niedrigere Rente bekommen. Das stimmt nicht, da sich die Rente nicht am Nettoverdienst bemisst. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Die möglichen Nachteile beim Arbeitslosengeld lassen sich zumindest umgehen: Da die Steuerklasse ausschlaggebend ist, bei der man sich zum Zeitpunkt des Antrags auf Arbeitslosengeld befindet, kann die betroffene Person vor dem Antrag in eine für sie günstigere Steuerklasse wechseln.

Abonnieren Sie unseren Newsletter um Artikel aus den Magazinen und Neuigkeiten aus dem Hause brand eins zu erhalten. Wir geben Einblicke in unsere Redaktion – inklusive Empfehlungen von Kolleginnen und Kollegen.
 

Ich habe die Informationen zum Datenschutz gelesen und bin damit einverstanden, dass die brand eins Medien AG mich künftig per E-Mail über interessante Medien- und Produktangebote ihrer Marken informiert. Der Nutzung meiner Daten kann ich jederzeit widersprechen.

 

 

Buchwww

Das Buch zur Rubrik

33 Alternativen zur Welt, wie wir sie kennenChristoph Koch hat Expertinnen und Experten befragt und zahllose wissenschaftliche Studien zu Rate gezogen, um Antworten auf Fragen zu finden, die Sie garantiert noch nie zu Ende gedacht haben. Und dabei fördert er Erstaunliches zutage.

Zum Shop