Was Menschen bewegt

Ein schillerndes Geschäft

Fische um die Welt transportieren, nur damit sie in Europa, den USA und Japan als Aquarium-Zierde herhalten? Ein Wahnsinn, finden Tierschutzorganisationen. Im brasilianischen Amazonasbecken sieht man das anders. Eine Reportage vom Anfang der Lieferkette.




• „Krokodil!“, ruft Célia Castro Pinheiro ihrem Ehemann Jel Pereira da Silva zu und steigt in das knietiefe schwarze Wasser. Der Rio Negro, ein mehr als 2000 Kilometer langer Fluss, der im kolumbianischen Gebirge entspringt und unterhalb der brasilianischen Stadt Manaus in den Amazonas mündet, ist so trüb wie ein gut durchgezogener Tee. Die Frau watet vorsichtig voran, hält dabei eine Machete über ihrem Kopf. Dann erreicht sie die Reuse, eine etwa vier mal zwei Meter große Konstruktion, in die Fische hinein-, aber nicht wieder hinauskommen, und sieht das ganze Malheur: Die Holzstreben sind gebrochen, das Netz zerfetzt. Tausende Fische, der Fang von mehreren Tagen, sind durch die Löcher im Netz entkommen oder wurden vom Krokodil gefressen.

„Das war ein junges“, sagt die 42-Jährige erstaunlich gelassen, „höchstens zwei Meter lang.“ Ihr Mann, 39, geht am Flussufer in die Hocke, legt sein Gewehr auf den Knien ab. „Es wartet keine fünf Meter von hier“, sagt er. „Entweder wir bauen die Falle ab und suchen einen anderen Ort. Oder ich bleibe heute Nacht hier – bis das Krokodil aus seinem Versteck kommt.“ Er tippt vielsagend auf sein Gewehr.

Die beiden leben im Bundesstaat Amazonas im Nordwesten Brasiliens. Im Rio Negro fangen sie vielen Widrigkeiten zum Trotz tagein, tagaus Fische, die später irgendwo auf der Welt in einem Aquarium gehalten werden. Von Leuten wie Robert Kern.

Der jugendlich wirkende 36-jährige Marketingmanager öffnet in einer ruhigen Seitenstraße Berlins die Haustür und führt in eine eigenartige Welt. An den Wänden Tapeten mit dem Motiv tropischer Pflanzen, auf dem Boden Umzugskartons, darauf Korallen und ein zwei Meter langes Aquarium, in dem gestreifte, gescheckte und gepunktete Fische über den Boden gleiten. „Welse“, erklärt Kern, „ursprünglich stammen sie aus dem brasilianischen Amazonasbecken, aus Flüssen wie dem Rio Tocantins oder dem Rio Xingu. Jeder dieser Welse ist mehrere Hundert Euro wert.“ Kern hat sie nur übergangsweise aufgenommen, für einen Freund, der auf Reisen ist. Er besitzt aber auch ein eigenes Aquarium, mit Fischen, die im Wasser zu stehen scheinen, sie sind von der Körpermitte bis zur Schwanzflosse leuchtend rot, dazu durchzieht ein blau-grün glänzender Streifen ihren Körper. „Neontetras aus dem Rio Negro“, sagt Robert Kern, „sehr interessante Fische, ein Hingucker und unglaublich beruhigend.“

Aus den Aquarien kommen Kabel und Schläuche, laufen quer durch die Wohnung, zu einem Computer, mit dem Kern Salzgehalt, Temperatur und pH-Wert kontrolliert. Er versucht den natürlichen Lebensraum der Fische zu imitieren, tauscht sich darüber im Verein Aquaria Zehlendorf aus.

Es gibt hierzulande 15.000 organisierte Zierfischhalter und rund 1,6 Millionen Aquarien. Weltweit sind es schätzungsweise mehr als 100 Millionen. Zahlenmäßig sind Zierfische die beliebtesten Haustiere, vor allem in Europa, den USA und Japan.


Gigantisches Labyrinth aus Wasser und Wald: Der Rio Negro im Nordwesten Brasiliens ist die Heimat der Neontetras. Dort lebt Jel Pereira da Silva von der Zierfischerei

Mehr als 10.000 Süßwasserfischarten sind bekannt, 5300 davon werden gehandelt. Die meisten der Tiere, die man hier- zulande im Zoogeschäft kaufen kann, stammen aus Zucht- anlagen, ein geringerer Anteil sind Wildfänge aus tropischen Flüssen. Insgesamt wird das Volumen des Zierfischhandels auf jährlich zehn Milliarden Dollar geschätzt.

Doch das Geschäft steht unter Druck. Dass man Tiere in tropischen Gewässern einfängt und um die Welt fliegt, damit Menschen sich bei ihrem Anblick entspannen können, wird seit Jahren vor allem von Tierschutzorganisationen kritisiert. Sie verweisen auf übelste Praktiken, darauf, dass beim Wildfang die Fische manchmal immer noch mit Gift betäubt und dann eingesammelt werden. Dass sie von skrupellosen Zwischenhändlern oft nicht artgerecht gelagert und in mit Wasser befüllten Plastiktüten um die Welt geschickt werden. „Wenn sie nicht an den Schäden zugrunde gehen, die sie beim Fang und Transport erlitten haben, sterben viele Tiere an Krankheiten, die ihren durch ständig wechselnde Wasserbedingungen geschwächten Organismus befallen“, schreibt der Deutsche Tierschutzbund. Er appelliert an Fischfans, sich auf regional nachgezüchtete Arten zu beschränken. Die internationale Tierschutzorganisation Peta hingegen würde am liebsten auch das unterbinden.

Tatsächlich hat im Januar 2021 Hawaii die kommerzielle Aquarienfischerei vollständig verboten, andere Länder könnten folgen. Im Kieler Landtag hat die schwarz-grün-gelbe Koalitionsfraktion im Mai eine Gesetzesinitiative für den Bundesrat vorgelegt, um alle Arten von Wildfang zu unterbinden.

Aber was wird dann aus den Menschen, die von diesem Geschäft leben? Allein am Rio Negro sind das 40.000 Fischerinnen und Fischer. Dort, am Anfang der Lieferkette, bekommt man einen anderen Blick auf die Zierfischerei.

Es herrscht Wellengang wie auf offener See. Man sieht nicht, in welche Richtung der Strom fließt, so breit ist er um die Stadt Barcelos herum. An den Rändern geht er in Auwälder über. Zwischen März und August stehen Hunderte Quadratkilometer Regenwald bis zu den Baumkronen unter Wasser. Der obere Rio Negro ist dann doppelt so groß wie Deutschland. Jetzt, Anfang des Jahres, schlängeln sich Flussarme durch den Wald, und an deren Rändern ragen manchmal kleine Sandinseln aus dem Wasser: Terra Firme, feste Erde. Dort tummeln sich massenweise Zierfische, und darum haben an einer solchen Stelle Célia Castro Pinheiro und Jel Pereira da Silva ihre große Falle aufgestellt.

Nach der Krokodil-Attacke sind sie mit deren Reparatur beschäftigt. Jel Pereira da Silva schneidet mit seiner Machete einen Ast zu, bis er so spitz ist wie eine Nadel. Wickelt eine Angelschnur um eine Plastikflasche, steigt in das schwarze Wasser, watet bis zur Falle und beginnt, das zerbissene Netz zu nähen. „Wer keinen Hund hat“, sagt er, „der jagt eben mit der Katze.“

Sie holt aus dem Boot eine kleine Falle, stellt sie ins Wasser. Legt einen angefressenen Piranhakopf rein. Erzeugt mit einem Stöckchen eine Strömung. Sekunden später schwimmen die ersten Fische gierig dem Köder entgegen. „Wenn sie satt sind, merken sie, dass sie in der Falle sitzen.“

Zierfische am Rio Negro zu fangen ist prinzipiell gar nicht schwer: Der Fischer muss die richtigen Stellen kennen, der Rest erledigt sich fast von selbst. In den Flussarmen rund um Barcelos leben schätzungsweise vier- bis achttausend Fischarten. Dass die meisten so farbenfroh glitzern und leuchten, hängt einer Theorie nach mit dem dunklen Wasser zusammen: Fische erkennen ihre Artgenossen, mit denen sie sich fortpflanzen, am Aussehen, deshalb haben sich evolutionär die auffallendsten durchgesetzt.

Der Fischer lässt den Außenbordmotor an und lenkt das Boot durch das Labyrinth aus Wasser und Wald. Oft liegen Äste so tief, dass man sich legen muss. Es ist etwa elf Uhr, die Sonne beginnt zu brennen, Zeit den Fang vom Vormittag nach Hause zu bringen. Am Himmel schwirren Gelbbrust-Aras, direkt über den Köpfen fliegen Fledermäuse, auf dem Boot attackieren einen Moskitos. Überall fiepst und knirscht, knarzt und röhrt es.

Célia Castro Pinheiro und Jel Pereira da Silva wohnen eine Stunde von der Reuse entfernt, am Ufer des Dorfes Daracua. Ihr Zuhause ist ein stillgelegtes Boot. An Deck ist eine Plane über Holzbalken gespannt, darunter schlafen sie in Hängematten. Das Geld, das sie mit dem Fischfang verdienen, reicht für Reis und Bohnen, für Werkzeug, Benzin und medizinische Behandlungen. Fisch, Fleisch, Früchte und Gemüse beschert ihnen die Natur.

Alle in Daracua leben auf einem solchen Hausboot oder in einer einfachen Holzhütte. Gekocht wird in einer Gemeinschaftsküche unter freiem Himmel. Rund fünfzig Bewohner hat das Dorf, alle sind verschwägert oder verwandt. Célia Castro Pinheiros Vater hatte den Ort in den Neunzigerjahren entdeckt. Er liegt so hoch, dass er das ganze Jahr nicht überflutet wird. Also zog die gesamte Familie hierhin. Man fing zunächst Pirarucu und Piranhas, für den Eigenverzehr und den Verkauf.


War elf, als sie mit der Fischerei begann: Célia Castro Pinheiro. 

Das Paar fängt im Schnitt 10 000 Fische pro Tag. Dann sortiert es diese nach Tierart getrennt in weiße Plastikkisten

Seit den Neunzigern gilt Barcelos als Welthauptstadt der Zierfischerei

Seit den Achtzigerjahren kamen verstärkt Touristen und Sportangler aus den USA, Japan und Europa in die Region am oberen Rio Negro, angezogen von den dort lebenden riesigen Tucunaré-Buntbarschen. Einige der Anglerinnen und Angler waren auch Aquarienbesitzer und begeistert von den Neontetras-Schwärmen, die an ihren Booten vorbeischwammen. Nun stieg die Nachfrage nach Zierfischen aus der Region extrem an, Menschen aus dem gesamten Bundesstaat siedelten sich in Barcelos an, das Geschäft brachte Jobs in der Fischerei, im Handel, in der Gastronomie.

Die boomende Stadt erlangte den Ruf, Welthauptstadt der Zierfischerei zu sein. Heute sieht man dort überall Fischkontore und Werbetafeln, auf denen Zierfische aus dem Rio Negro abgebildet sind: Neontetras und Skalare mit ihren großen Segelflossen. Die Telefonzellen haben die Form von Diskusfischen. Jedes Jahr im Februar findet ein Festival statt, der Zierfischkarneval, bei dem sich die Bevölkerung aufteilt und in Fischkostümen aufeinander losgeht, Neontetras gegen Diskusse.

Célia Castro Pinheiro war elf, als sie begann, Zierfische zu fangen. Um zwei Uhr morgens schlichen sie und ihr Vater sich aus dem Haus, mit Kaffee und Maiskuchen im Gepäck, sie ließen ihr Kanu zu Wasser und ruderten los, vier, fünf Stunden, je nachdem, wo sich die Stellen mit der Terra Firme befanden. Gerade sortiert sie die gefangenen Fische, im Schnitt sind es 10.000 pro Tag. Neontetras, Beilbauchfische, Rotpunktsalmler – in der großen Wanne, in der das Paar den Fang zunächst sammelt, sind die Fische auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. Alle sind etwa gleich lang, leuchten und drehen in Gruppen ihre Runden. Sie rührt mit Keschern in der Wanne und katapultiert die Fische, nach Arten getrennt, ruhig und gekonnt in weiße Plastikkisten.

Die Neontetras bilden mit Abstand die größte Gruppe, die beiden fangen davon jede Woche rund 40.000 – viel mehr, als sie am Ende bezahlt bekommen, weil sie nicht alle loswerden und nicht alle den Weg bis zum Kunden überleben. Der Fisch mit dem markanten Längsstreifen ist der meistgehandelte Zierfisch der Welt. Im Dorf Daracua kosten 1000 Stück 30 Real, rund 5 Euro – runtergerechnet sind das 0,5 Cent pro Fisch.

Bis die Neontetras im Aquarium von Robert Kern in Berlin landen, durchlaufen sie eine Handelskette mit vielen Gliedern: Zwei, drei Zwischenhändler in Brasilien verdienen an ihnen, zudem ein Importeur in Deutschland, der etwa 50 Cent pro Fisch ausgibt und ihn für einen Euro verkauft, sowie Großhändler und Einzelhändler. Der Endkunde bezahlt für jeden wild gefangenen Neontetra zwei Euro und mehr – das 400-Fache dessen, was die Fischer bekommen. „Die Händler machen das Geschäft“, sagt Célia Castro Pinheiro, „wir Fischer haben fast nichts davon.“

Ihre Zwillingsschwester Mara holt die Fische in Daracua ab, lagert sie in ihrem Haus in Barcelos und gibt sie dann den Dampfern mit, die sie nach Manaus bringen, in die Hauptstadt des Bundesstaats Amazonas. Mara hat in eine Familie eingeheiratet, die sich ein Haus leisten kann, das groß genug ist, um ein paar Aquarien unterzubringen. Das qualifiziert sie zur Zierfisch-Zwischenhändlerin. „Viel verdient sie auch nicht“, sagt Célia Castro Pinheiro, „das große Geld machen Leute in Manaus oder São Paulo.“ Sie meint die Exporteure, die zum einen wissen, wie man Zigtausende Fische hält, ohne dass sie eingehen, zum anderen den globalen Markt kennen und Kontakte zu Importeuren auf der ganzen Welt haben.


Der Fischer und seine Reuse, eine Falle für den Fang.

Man muss die Stellen kennen, wo sich die Neontetras am liebsten aufhalten.

Als der König der Fischer verschwand, nutzen Kleinunternehmer ihre Chance

Bis vor zehn Jahren gab es einen Mann, der das Geschäft beherrschte: Asher Benzaken, ein Israeli, der in Manaus das Turkys Aquarium betrieb und in der Stadt „König der Fischer“ genannt wurde. Über ihn liefen 90 Prozent des Zierfischhandels aus dem Amazonasbecken. Er besaß knapp 2000 Aquarien und Tankanlagen, in denen die Fische, die gestresst vom Transport aus Daracua und anderen Dörfern der Region bei ihm ankamen, wieder aufgepäppelt wurden. Der Export ins Ausland lohnt sich erst ab einer bestimmten Menge und erfordert Kapital, da der Exporteur für den Transport in Vorleistung tritt. Benzakens Betrieb hatte die nötige Größe, doch 2010 schloss er aus bis heute nicht geklärten Gründen. Keines der anderen 13 Export-Unternehmen konnte die Lücke, die dadurch entstand, schließen. Vor allem die Nachfrage nach Neontetras konnte nicht mehr bedient werden, sodass Aquarienbetreiber außerhalb Brasiliens, vor allem in Tschechien und Indonesien, begannen, die beliebte Art in großem Maße zu züchten.

Die gezüchteten Fische gelten als weniger schön, die genetische Vielfalt fehlt, außerdem sind sie teurer. Aber die Lieferung erfolgt verlässlich, und das ist in Ländern wie Deutschland zunehmend wichtig geworden. Vor 20 Jahren kauften Hobby-Aquarianer hierzulande noch in inhabergeführten Zoohandlungen. Dort konnten Fische bestellt werden, jeder Händler und jede Händlerin hatte eigene Favoriten, eigene Verbindungen, es gab Spezialisten für Süßwasser, für Südostasien, für Welse. Doch heute wird der Markt von Fachhandelsketten wie Fressnapf und Zookauf und von den Zooabteilungen großer Baumärkte dominiert. Die Ketten wollen in jeder Filiale zu jeder Jahreszeit das gleiche Sortiment haben und fragen daher weniger Fischarten in großen Mengen nach. Als die Zulieferer vom Amazonas diesem Bedürfnis nicht gerecht werden konnten, verlor die Region Marktanteile. Heute ist das Volumen des Geschäfts etwa halb so groß wie zu Benzakens Zeit.


Die der Falle entnommene Ausbeute sammelt das Paar in einer Wanne


Die Hand von Romualdo Rodrigues, dem ältesten Fischer im Dorf

Der Zierfischhandel kann den Regenwald schützen

Lange Transportwege, schlecht bezahlte Fischer, sinkende Nachfrage – es scheint wenig für den wilden Zierfischfang am Amazonas zu sprechen. Bis man in Manaus im Garten von Joely-Anna Mota sitzt, in einer bewachten Wohnanlage weit außerhalb des Stadtzentrums. Mota, eine herzliche Mittvierzigerin, ist Biologin an der Universität in Manaus und am Nationalen Institut für Amazonasforschung INPA. Sie weiß um die Kritik der Tierschutzorganisationen – und sieht in diesem Wirtschaftszweig dennoch vor allem Chancen, sowohl für die Fischer als auch für die Natur. „Er kann ein sehr sauberes und faires Geschäft werden und überdies beim Schutz des Regenwaldes helfen.“

Mota ist in Carauari aufgewachsen, einer Gemeinde am Oberlauf des Rio Juruá, mitten im Regenwald. Die Menschen dort lebten traditionell vom Extraktivismus. Der Ausdruck steht für die Nutzung der Natur für den eigenen Lebensunterhalt, ein in Brasilien per Gesetz geschütztes Recht. Dazu zählen die Selbstversorgung und der Handel mit Açaí-Beeren oder Paranüssen, Harz, Kokosöl und auch Zierfischen. Allein schon um die Grund- lage ihrer Existenz nicht zu gefährden, pflegten die Menschen einen respektvollen Umgang mit der Natur, sagt Mota.

Heute werden an vielen Orten im Amazonas-Regenwald Schwemmflächen trockengelegt, Soja und Rinder sind die wichtigsten Exportgüter des Landes. Der Handel mit Tropenholz und Goldschürferei spielt ebenfalls eine große Rolle. Für diese Wirtschaftszweige wurde in den vergangenen 40 Jahren ein Fünftel des Regenwaldes abgeholzt. „Der Zierfischhandel kann diese dramatische Entwicklung abschwächen“, sagt Mota.

Ende der Achtzigerjahre untersuchte der taiwanesische Biologe Ning Labbish Chao die Folgen dieses Wirtschaftszweigs. Seine Studie zeigte nicht nur, dass die Zierfischerei ein Grundpfeiler der Existenzsicherung am oberen Rio Negro ist, sondern zudem nachhaltig. Eigentlich hatte er erwartet, dass die Fischbestände stark sinken. Dann aber zeigten Messungen über mehrere Jahre, dass sie konstant blieben. Seine Begründung: In der Trockenzeit sind viele Fischschwärme aus dem Rio Negro in kleinen Gewässerpfützen eingesperrt. Viele Fische verhungern oder werden von einem natürlichen Feind gefressen. „Nur ein verschwindend geringer Teil der Population überlebt die Trockenzeit“, sagt Mota. Angesichts dieser natürlichen Tatsache sei die Zierfischerei für die Bestände irrelevant.

Chao gründete 1991 eine Initiative zur Förderung der Zierfischerei, Projeto Piaba heißt es, Projekt Zierfisch, und wirbt mit dem Slogan „Buy a Fish, Save a Tree“. Unterstützt wird es von mehreren Partnern, der internationalen Natur- und Umweltschutzorganisation WWF, der Tiergesundheitsvereinigung World Pet Association, der Welternährungsorganisation der UN, dem INPA, und dem Internationalen Verband für Zierfischhandel OATA.

Joely-Anna Mota ist seit 2014 eine der Projekt-Koordinatorinnen. Mit ihren Kollegen und Kolleginnen arbeitet sie gerade an einer Aufwertung des wild gefangenen Fischs aus der Region. „Früher“, sagt sie, „legten die Menschen Wert auf Quantität, sie wollten möglichst viel für ihr Geld.“ Heute kauften Menschen Geschichten, wollten etwas über die Herkunft des Produkts und die Produzenten erfahren, schätzen das Handgemachte. Darum wurde mit dem brasilianischen Landwirtschaftsministerium ein Siegel für den Neontetra vom Rio Negro entwickelt – eines mit Herkunftsbezeichnung, ähnlich wie für Parmaschinken oder Champagner. Außerdem sind nun die Koordinatoren des Projeto Piaba, Fischer und Zwischenhändler in einer Kooperative vereint, der Vertriebsweg von den Dörfern bis zum Export wird zertifiziert. Unnötige Zwischenhändler sollen ausgeschaltet, die Preise reguliert und vor allem die Fischerinnen und Fischer besser bezahlt werden. Jens Crueger, Präsident des Verbands Deutscher Vereine für Aquarien- und Terrarienkunde, hält das für eine gute Idee. „Wir unterstützen eine solche Zertifizierung.“ Er und seinesgleichen seien bereit, mehr zu zahlen, wenn sie die Gewissheit bekämen, dass soziale und ökologische Standards eingehalten werden.


Ein Junge in Daracua: Alle im Dorf leben von der Zierfischerei.

 

Gegen elf Uhr wird es zu heiß zum Fischen, das Paar macht sich auf den Rückweg.


Neben der großen Falle arbeitet das Paar mit zehn kleinen, die es auf mehrere Flussarme verteilt

In der Region floriert der Kokainhandel

In Daracua geht die Sonne auf. Das Fischer-Paar ist seit Stunden auf dem Rio Negro unterwegs, während in der Pfahlhütte neben ihrem Hausboot Romualdo Rodrigues sich aus seiner Hängematte wuchtet. Er ist mit 56 Jahren der älteste Zierfischer in Daracua. Ein sportlich wirkender Mann mit groben Händen und ledriger Haut. Er lädt zu einer Tour in seinem schmalen, motorisierten Holzkanu und steuert kurz darauf in einen der Flussarme hinein, dabei schöpft er immer wieder mit einer Plastikflasche das übergeschwappte Wasser aus dem Fußraum des Kanus. Nach 20 Minuten schaltet er den Motor aus, lenkt in eine kleine Wasserstraße. Da kommt plötzlich ein toter Wald zum Vorschein, unzählige verkokelte Bäume ragen aus dem Fluss, so schwarz wie das Wasser.

„Das war ein Ribeirinho“, sagt Rodrigues. Ein Mensch, der am Ufer wohnt. In der Trockenzeit wollte er das Land roden, um es für Landwirtschaft zu nutzen. „Wenn es hier aber einmal brennt, löscht das keiner mehr.“ Das Feuer brannte tagelang. „Das ist die Gefahr“, sagt der Fischer. „Wer keine Arbeit hat, muss irgendetwas tun, um zu überleben.“

Dann erzählt er von einem Wirtschaftszweig, der sich in den vergangenen Jahren ausgedehnt habe. Entlang der Dörfer am Rio Negro verläuft die Hauptroute des Kokainhandels, sagt Romualdo Rodrigues, von Peru und Kolumbien Fluss hinab bis Manaus und von dort in die ganze Welt. „Jeder Ribeirinho, der nicht vom Extraktivismus leben kann, versucht sein Glück auf eine andere Weise.“ Der Fischer wirft den Motor an.

Am frühen Abend zieht er sich in seine Hütte zurück, während Célia Castro Pinheiro auf dem Hausboot die Füße über dem Rio Negro baumeln lässt und ihr Mann, wie immer um diese Zeit, im Wasser auf Köderfang geht. Als er auftaucht, piept auf dem Bootsdeck sein Handy. Er greift, noch tropfnass, danach. Nickt, tippt, sagt zu seiner Frau, dass sie morgen allein zu den Zierfischen müsse. Er hat einen Auftrag, in Barcelos. Sportfischer aus Südbrasilien suchen einen Guide. Sportfischen ist noch immer ein gutes Geschäft am Rio Negro: Viele Zierfischer arbeiten nebenbei für Touristen auf der Jagd nach den riesigen Tucunaré-Buntbarschen, die machen dann ein Selfie und werfen die Fische zurück in Wasser. „Die einen kaufen unsere Fische für ihre Aquarien“, sagt Célia, „die anderen fangen sie für ein Foto.“ Sie zuckt mit den Schultern und sagt: „Für uns ist beides gut.“ --

Neontetra und Roter Neon
gehören zu den beliebtesten Zierfischen. Sie kommen im gesamten oberen Amazonasbecken vor, vor allem im Rio Negro, Rio Purus und im Rio Putumayo an der Dreiländergrenze Peru–Kolumbien–Brasilien. Sie werden rund drei bis fünf Zentimeter lang und ernähren sich von wirbellosen Tieren wie Insektenlarven. Preis im deutschen Fachhandel: etwa ein bis zwei Euro.

Rotpunktsalmler
kommen auch in der Region rund um Barcelos vor. Sie werden rund sechs Zentimeter lang. Ihre Besonderheit sind die roten Punkte auf jeder ihrer Schuppen. Preis: rund sechs Euro.

Marmorierte Beilbauchfische
leben ebenfalls im oberen Amazonasbecken, von Peru bis in die Guyanas. Den Namen haben sie bekommen, weil ihre rund vier bis fünf Zentimeter langer Körper an ein Beil erinnern. Sie halten sich gern dicht unter der Wasseroberfläche auf, um Insekten zu jagen. Ein Fisch kostet rund sieben Euro.

Diskusfische
sind neben dem Roten Neon die Zierfisch-Ikonen aus Barcelos. Sie werden mindestens zwölf Zentimeter lang und gelten als schwierig zu halten, weil sie oft kein Flockenfutter annehmen. Sie zu züchten ist eine Herausforderung und gelingt nicht immer. Der Preis spiegelt das wider: Es gibt einige Diskusfische, die um 15 Euro kosten, je nach Färbung und Form können es aber auch mehr als 100 Euro sein.

Zebrawelse
wurden erstmals 1989 exportiert. Sie leben im Rio Xingú, heute sind sie durch den Bau des Belo-Monte-Staudamms massiv gefährdet. Seit Anfang 2005 wurde von der brasilianischen Regierung Fang, Zucht und Ausfuhr verboten. Die meisten Zebrawelse in Europa kommen deshalb mittlerweile aus der Privatzucht. Sie werden rund neun Zentimeter lang, können bis zu 15 Jahre alt werden und verstecken sich im Aquarium und in der Natur gern unter Steinen. Bei Stress kann sich der weiße Hintergrund ihres Zebramusters rosa färben. Preis: mindestens 200 Euro pro Tier.