Das Gespenst.

Wenn es um „den Kapitalismus“ geht, regieren schnell die Gefühle. Die Philosophen Sabine Döring und Lars Neth appellieren an die Vernunft.





brand eins: Frau Döring, Herr Neth, wenn Sie das Wort Kapitalismus hören, welches Gefühl haben Sie zuallererst: ein gutes oder ein schlechtes?

Sabine Döring: Ein schlechtes. Denn typischerweise will mir der Sprecher damit seine politische Grundhaltung unterschieben.

Dann würde ich Ihnen als jemand, der das Wort benutzt, sagen: Ist doch nur ein Wort. Was haben Sie denn?

Döring: Kapitalismus beschreibt eine bestimmte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, ist aber durch seinen Gebrauch in jahrhundertelangen politischen Debatten zu einem Kampfbegriff geworden.

Wer Kapitalismus sagt statt Marktwirtschaft, führt also etwas im Schilde. Was genau?

Döring: Ein Kampfbegriff ist ein Spezialfall dessen, was Philo-sophen wie Bernard Williams oder John McDowell „Thick Concept“ nennen, einen dichten Begriff. Es ist nicht möglich, Kapitalismus zu sagen, ohne zugleich zu werten. Dabei kann die Wertung interessanterweise positiv oder negativ sein.

Der Kapitalismus ist an allem schuld?

Lars Neth: Der Begriff ist eine Art Sammelbecken für all die Probleme, die in einem System mit Privateigentum entstehen; da geht es um Ungleichheit, Ausbeutung, Umweltprobleme. Es gibt gute liberale Gründe, diese zu kritisieren, ohne gleich die Abschaffung des Privateigentums zu fordern – dessen kausales Verhältnis zu den Problemen alles andere als klar ist. Darüber hinaus gibt es auch noch das Phänomen, alle möglichen anderen Dinge, die schlecht in der Welt sind, auf den Kapitalismus oder das System zu schieben.

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