Fliesenhandel Schittek

Was für die einen Ballast ist, kann anderswo Geschäftsgrundlage sein. Oder der Anfang einer einzigartigen Sammlung, aus der ein florierendes Unternehmen geworden ist.






Historische Fliesen aus verschiedenen Zeiten im firmeneigenen Museum. Rechts: die Brüder Jan (links) und Felix Schittek


Wow! So farbenfroh badete man in den Fünfzigern

1978 gründete Konrad Schittek (heute 75) in Hamburg-Altona den damals noch künstlerisch ausgerichteten Betrieb. Dort bemalte er in traditioneller Technik handgefertigte Fliesen und fertigte Reproduktionen an. So restaurierte er beispielsweise die 70 Jahre alten Fliesen im heutigen Brahms Kontor in Hamburg oder brannte neue wie die für den Empfangssaal der Flensburger Brauerei

• Der Vergleich ist seltsam und völlig zutreffend: „Hier liegt das alles und reift vor sich hin wie in der Parmesankäserei“, sagt Jan Schittek mit einer Mischung aus Stolz und leichter Ironie, während er auf das Hochregallager weist. „Das alles“, das sind aktuell rund sieben Millionen Fliesen, Bordüren – dekorative Bänder aus mehreren Fliesen – und Mosaiken in mehr als 60 000 Motiven und Ausführungen. Gestapelt auf mehr als 8500 Europaletten in zwei riesigen Lagerhallen im Gewerbegebiet von Hamburg-Sinstorf an der A7. Eine dritte Halle für weitere 8000 Paletten ist im Bau. Und doch fährt hier kein Heim- noch Handwerker vor, um sich mit modischen Fliesen für ein neues Bad einzudecken.

Die Brüder Jan, 39, und Felix Schittek, 40, betreiben einen in dieser Dimension nach eigenen Angaben einzigartigen Handel. Zu ihnen kommen die Hoffenden, die Verzweifelten und die Versicherungen. Immer wenn durch Rohrbrüche oder Umbauten ein paar alte Fliesen kaputtgegangen sind. Und es nur zwei Möglichkeiten gibt: den kompletten Raum neu fliesen oder passenden Ersatz bei den Schitteks auftreiben. Manchmal geht es nur um ein einziges Exemplar. Die ältesten unter den sieben Millionen Fliesen sind rund 120 Jahre alt, die jüngsten gab’s vor Kurzem noch im Baumarkt.

Um die Nachfrage müssen sich die Schitteks nicht sorgen. „Laut Versicherungsstatistik bricht alle zwei Minuten in Deutschland ein Rohr“, sagt Jan Schittek. „Oder es fällt etwas herunter, oder die Leute ersetzen im Alter ihre Badewanne durch eine ebenerdige Dusche.“ Sein Bruder hakt ein: „Neue Fenster, neue Heizungsanlagen werden eingebaut …“

Oder das Hotel, bei dem vor ein paar Jahren alle 200 Bäder nachträglich mit fest installierten Fönen ausgestattet wurden, dafür mussten Fliesen abgeschlagen werden. Die Direktion stand vor der Wahl, 200 Bäder komplett neu fliesen zu lassen oder jeweils drei, aber nicht mehr im Handel erhältliche Fliesen auszutauschen. Letzteres spart Geld und ist umweltfreundlich: „Die Bauchemie, die Kleber, die Abdichtung, das gehört ja auch noch alles dazu, das ist ja ein riesiger Berg an Material“, sagt Felix Schittek.

Die Fliesen-Trefferquote liege bei 75 bis 80 Prozent, schätzt er. Haben sie kein identisches Modell auf Lager, können die Brüder meist ein ähnliches anbieten. Ihr Geschäft ist sehr deutsch – dass die Kundschaft den Anspruch hat, eine Fliese auch nach 30 Jahren nachkaufen zu können, das gibt es in anderen Ländern nicht. Dass die Schitteks dieses Bedürfnis erfüllen können, hat mit Glück zu tun – und der Übertreibung einer Wohnzeitschrift.

1978 hatte der Vater Konrad Schittek den Betrieb gegründet, in dem er handgefertigte Fliesen und Reproduktionen herstellte. In jener Wohnzeitschrift stand, er könne jede beliebige Fliese nachmachen – und Schittek konnte sich plötzlich vor Anfragen kaum retten. Er erkannte die Marktlücke und begann mit der systematischen Sammlung und Einlagerung. Das war 1988.

Damals waren die Bäder noch bunt und genormt: „Da gab es wenige Dutzend Modelle, die gut liefen, die hat man sich aufs Lager gelegt, und damit konnte man schon einen Grundumsatz machen“, erzählen die Brüder. „Unser Vater ist erst einmal durch ganz Deutschland gefahren, in jedes Dorf, in jeden Winkel und hat im Anhänger zusammengesammelt, was ihm angeboten wurde.“ Damals hätten die Hersteller manche Fliesenserien 15 oder 20 Jahre im Programm gehabt: „Heute sind zwei Jahre schon viel.“ Mehr Hersteller bringen ein breiteres Sortiment mit kürzerer Laufzeit auf den Markt: „Wir müssen viel mehr vorhalten, um diese Serien zu bedienen.“

Nadeln auf einer Deutschlandkarte an der Bürowand zeigen an, wo ihnen gerade Fliesen angeboten werden. Sobald sich daraus eine sinnvolle Route ergibt, fährt sie ein Außendienstmitarbeiter ab. Seit 28 Jahren macht er das so. Auch Felix und Jan Schittek gehen ab und zu auf Tour, vor allem wenn es dringend ist, die Fliesen sonst im Müll landen. Die Großhändler seien froh, ihre alte Ware nicht teuer entsorgen zu müssen und wieder Platz im Lager zu haben.

Oft kommen auch Handwerker mit Fliesen aus einem Altbau, der entkernt wird, oder Privatleute, die ihren Keller aufgeräumt haben. „Selbst wenn sie für uns nichts wert sind, geben wir immer ein paar Euro Benzingeld“, sagt Jan Schittek. So kommen in jedem Jahr Fliesen für weitere 600 Paletten zusammen, 4000 neue Sorten. Etwa 250 Paletten gehen pro Jahr raus. Mit dem neuen Lager sind somit Kapazitäten für die kommenden 20 Jahre gewährleistet – mindestens.

Die Fliesenmode hat sich über die Jahre verändert. Gingen früher noch 44 Stück auf einen Quadratmeter, sind es heute nur sechs. Wie kommt’s? „Das hat viel mit Mode zu tun“, sagt Felix Schittek. Sein Bruder ergänzt: „Die Fliese soll heute nicht mehr aussehen wie eine Fliese. Sondern wie Holz, Naturstein, Beton, Asphalt, Vintage … Alles, was schick und modern aussehen soll, ist immer groß, mit möglichst wenig Fugen.“


Das Kapital der Firma: das enorme Lager


Mal maritim, mal floral: Motive aus der Vergangenheit

Die meiste Arbeit haben die Schitteks mit der Beschaffung. Und das nicht, weil es an Angeboten fehlte: „Deutschland liegt voll mit Fliesen, und so eine Halle könnten wir auch in einem Jahr füllen, wenn wir sagen würden: Wir kaufen alles. Das wäre nicht einmal teuer, die Leute sagen teilweise: Holt das ab, ich schenke es euch.“ Doch die Brüder müssen entscheiden, ob sich die Lagerung lohnt: In welche Richtung gehen die Trends? Wie lange bleibt ein Modell im Programm? Geld wert sind die vielen, gut gepflegten Kontakte zu den Außendienstlern deutscher Fliesenwerke, die Hinweise auf Top-Serien geben, die gerade auslaufen. Doch auch Bauchgefühl und der eigene Geschmack spielen eine Rolle.

Schlichter ist das Preismodell: „Bei uns gilt ein Einheitspreis von 300 Euro pro Quadratmeter“, sagt Jan Schittek. „Wir müssen unsere Gewinnspanne so kalkulieren, dass wir an einigen Fliesen gut verdienen und an anderen weniger.“ Nur bei historischen Fliesen oder seltenen Einzelstücken schlagen sie auf.

Mit beiden Chefs zusammen kommt der Betrieb auf 21 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für Versand und Logistik sei es schwer, Leute zu finden, bedauert Felix Schittek. Die Pflege und das Instandhalten der oft jahrelang gehorteten Paletten sei extrem aufwendig. Alles, was heruntergenommen oder aufgefüllt wird, muss in die Software eingepflegt werden. „Einerseits geht es um Gewicht, die Arbeit mit dem Gabelstapler, einen typischen Arbeiterjob also. Gleichzeitig muss man die Qualitäten eines Bibliothekars mitbringen. Denn wenn etwas in den Tiefen des Lagers verschwindet, dann ist das weg. Und zwar für immer“, ergänzt sein Bruder. Selbst Einzelstücke bleiben so lange auf der Palette liegen, bis sie jemand braucht. Hier wird nichts aussortiert, nichts weggeschmissen, das steht in der Firmenphilosophie ganz oben.

Was dabei herauskommt, ist nichts für ordnungsliebende Geister: „Es ist ein chaotisches Lager – es wird dort eingelagert, wo Platz ist“, sagt Jan Schittek. Kommt ein Stapel Fliesen von einer bereits gelagerten Sorte herein, kann sie in der Regel nicht einfach obendrauf oder dazugepackt werden: „Manches Modell ist auf bis zu 30 Lagerplätze verteilt.“ Neue großformatige Fliesen könnten nicht die Plätze von kleinformatigen einnehmen, da müsse umgebaut, neu kombiniert werden: „Das ist wie beim Tetris.“

Erst im vergangenen Jahr haben die Unternehmer in eine neue Software investiert, mit der sie die Lagerplätze, die einzelnen Chargen und kleinste Abweichungen erfassen können. Ziel ist, jedes Modell digital fotografisch zu erfassen. „Für die Einlagerung haben wir ein spezielles Formular entwickelt“, sagt Jan Schittek. Sein Bruder ergänzt: „Das geht alles von Hand. Es gibt nicht einfach einen Barcode, den man scannt, dafür sind die Eigenschaften der Fliesen und unser Lagersystem zu komplex.“

Die Brüder haben sich die Aufgaben aufgeteilt. Der Kaufmann Felix Schittek kümmert sich um den Einkauf und die Lagerkartei. Sein Bruder, der Betriebswirt, ist für das Personal sowie das Kaufmännische verantwortlich und zurzeit für den Hallenneubau. Und er muss dem Finanzamt erklären, dass das Gewerbe der Brüder nicht mit den üblichen Maßstäben zu messen ist.

„Schauen Sie hier“, sagt Jan Schittek und klopft auf eine angestaubte Fliesenpalette. Mittendrin die Serie „Vulkan“ von Villeroy & Boch, „ein ehemals erfolgreiches Dekor, wie es das nur in den Siebzigerjahren geben konnte“. Die Struktur der Fliese erinnert an Krater. Sie entstanden durch chemische Reaktionen beim Brennen (siehe auch das Foto auf Seite 107). „Diese Palette steht bei uns seit über 30 Jahren. Ob tatsächlich irgendwann irgendjemand diese hässlichen Dinger will, wissen wir nicht. Das ist ein bisschen wie Lotto. Wenn ich jetzt einen Mitarbeiter bitte, diesen Stapel aus der Palette auszubauen, ist der zwei Stunden beschäftigt, und ich habe noch keinen Platz gewonnen für neue Ware. Das Wegschmeißen ist teurer, als die Fliesen auf der Palette zu lassen.“

Es habe mithilfe seines Anwalts zwei Jahre gebraucht, das Finanzamt davon zu überzeugen: „Unser Geschäftsmodell ist sehr erklärungsbedürftig.“ Für teilweise viel Geld eingekaufte Ware füllt ganze Lagerhallen und ist abgeschrieben – und wird in dem Moment schlagartig wertvoll, wenn genau diese eine Fliese nachgefragt wird. Dann verdient auch das Finanzamt wieder mit. ---

Welche sind Ihre ältesten Fliesen?

Jan Schittek: „In Deutschland fing der Fliesentrend mit der Badkultur an, davor gab’s nur Plumpsklos. Um 1900, als die Städte wuchsen, ganze Viertel entstanden, kamen die ersten Industriefliesen auf, zuvor gab es nur die handgemalten für Herrenhäuser. Wir haben in unserer Ausstellung auch spanische von den Mauren. In die Wohnkultur der Deutschen hielten Bodenfliesen ab 1880 Einzug, Wandfliesen etwas später. Wir hatten jüngst die Anfrage einer Stiftung, die ein Ledigenheim von 1912 sanieren will und die alten Bordüren ersetzen. Da konnten wir helfen. Solche Aufträge sind zwar aufwendig, dafür besonders befriedigend. Sie machen aber nur einen Bruchteil unseres Geschäfts aus.“