Editorial

Wer fragt denn so was!

• Wir wollten das schon immer mal. Uns mit der großen Frage beschäftigen, wie eine bessere Welt aussehen kann und was dafür nötig wäre. Aber kann man mitten im Halb-Lockdown eine solche Frage stellen?

Man kann nicht, man muss. Denn gerade jetzt, da so viele Gewissheiten über den Haufen geworfen werden und die Welt erneut stillzustehen scheint, ist die beste Zeit für eine Revision: Was war, was ist und was kann werden?

Foto: André Hemstedt & Tine Reimer


Die Antwort, und das ist schon die erste Erkenntnis, kann nur individuell sein. Denn wie „wir“ leben wollen, weiß nur, wer einen Plan für die anderen hat. „Was brauchst du, um ein gutes Leben zu führen?“, wäre die richtigere Frage – aber was ist gut (S. 44)?

Was zu bestimmten Zeiten dafür gehalten wurde, verraten zum Beispiel Familienserien. Klaus Raab ist dafür bis in die Fünfzigerjahre zurückgegangen, im Zeitraffer zeigt er, wie sehr sich die Vorstellung vom idealen Leben verändert hat. Und heute? Wir haben drei Künstlerinnen gefragt, wie sie leben wollen. Und von Elke Heidenreich, Renan Demirkan und Tizia Koese Stoff zum Nach- und Weiterdenken bekommen (S. 52, 70, 88, 108).

Überhaupt liefert diese Ausgabe keine definitive Antwort auf die Titelfrage, wohl aber Anknüpfungspunkte, Anregungen, Ideen. Was wäre zum Beispiel zu tun, um unsere Städte lebenswerter zu machen? Wie könnte ein Steuersystem aussehen, das alle fordert, aber keinen überfordert? Und welche Innovationen werden gebraucht, um Probleme zu lösen, die uns Innovationen von gestern eingebracht haben (S. 58, 74, 64)?

Auf allzu schnelle Antworten sollten wir auch in der Zukunft nicht setzen. Wohin sich unser Wirtschaftssystem entwickeln sollte, ist eine offene Frage, auf die die Gemeinwohl-Ökonomie wohl noch nicht die abschließende Antwort ist. Schon eher könnte sie von Menschen kommen, die dem alten Genossenschafts-Gedanken neues Leben einhauchen. Oder die dabei helfen, dass er – etwa bei Baugemeinschaften – nicht zu früh untergeht (S. 78, 90, 102).

Gemeinsam, das wird gerade auch in diesen Zeiten deutlich, sind wir stärker. Das wissen die am besten, die im Alter einsam sind. Wie das zu verhindern wäre, erforscht eine neue interdisziplinäre Institution, die unter anderem auch für Pflegeroboter offen ist. Wie wollen wir leben? Manchmal bedeutet das auch: Was hältst du aus (S. 94)?

Und wenn man es nicht mehr aushalten will? Wenn man die Zeit für den Abschied gekommen sieht? Dann wehren die meisten Gesellschaften ab: Selbstbestimmtes Sterben ist für viele ein Tabu. Für den ehemaligen Arzt Philip Nitschke ist es die Voraussetzung dafür, selbstbestimmt leben zu können: „Die Leute wollen nicht sterben – sie wollen wissen, dass sie sterben können, wenn sie es wollen (S. 120).“

Aber erst einmal wollen wir leben. Wie? Die Antwort kennen Sie am besten. ---

PS: Für viele Freiberufler, Künstler, Veranstalter und Gastronomen stellt sich im Moment eher die Frage: Wovon können wir leben? Und wovon das brandeins-Abo bezahlen? Für alle Abonnenten in wirtschaftlich schwieriger Situation verweisen wir deshalb auf das Solidar-Abo (S. 144) – gemeinsam kommen wir auch durch diese herausfordernde Zeit.

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