Doubleslash

Der Gründer des Softwareunternehmens Doubleslash mag es gern bequem und harmonisch. Deshalb verkauft er Firmenanteile an die eigenen Mitarbeiter. Jetzt hat er, was er will: seine Ruhe.





Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 12/2020.

• Manchmal sitzt Konrad Krafft bei offener Tür in seinem Büro und wartet darauf, dass irgendjemand irgendetwas von ihm will. Schließlich ist er ja bekannt dafür, dass man alles mit ihm besprechen kann, wirklich alles. Er ist ein Chef zum Anfassen. Immer da für seine Mitarbeiter. Mit allen 230 Leuten per Du. Aber dann kommt wieder keiner, und Konrad legt die Beine hoch für ein kleines Nickerchen. „Auch gut“, sagt er, „Muße und Langeweile sind der Schlüssel zur Kreativität.“

Krafft, 50, ist Informatiker und einer der sechs Gründer von Doubleslash Net-Business, einer Softwarefirma, die sich auf Mobilität und das Internet der Dinge (IoT) spezialisiert hat, zum Beispiel die Vernetzung von Autos oder die computergestützte vorausschauende Wartung von Maschinen.

Die anderen fünf Gründer sind längst ausgeschieden, einer von ihnen ist bei einem Tauchunfall gestorben. Seitdem macht Krafft, was er will – und das ist einfach erklärt: Ärger und Stress vermeiden, Wohlbefinden steigern. Grundsätzlich, sagt er, sei er nämlich faul und harmoniebedürftig. Deshalb hat er Doubleslash so umgebaut, dass er jetzt seine Ruhe hat.

Zufällig ist dabei ein Modell für die Arbeit der Zukunft entstanden: ein Machttransfer von oben nach unten. Der Chef gibt Verantwortung ab, die Beschäftigten übernehmen sie.

Das Prinzip ist ziemlich simpel. Krafft verkauft Anteile der Firma an seine Leute, dadurch werden sie von Mitarbeitern zu Miteigentümern und legen sich doppelt ins Zeug. Für das Unternehmen ist das prima, für die Mitarbeiter auch. Wenn die Bude brummt, steigt der Wert ihrer Beteiligung. Seit 2018 hat er sich verdreifacht, von 28,44 Euro pro Anteil auf 91,55 Euro.

Für Krafft heißt das: weniger Stress. Der Laden läuft notfalls auch ohne ihn. Ganz entspannt könnte er jeden Morgen mit seinem Carbon-Rennrad vom nächsten Dorf, wo er wohnt, zum Büro am Flughafen in Friedrichshafen fahren, wenn es nicht einen firmeninternen Wettbewerb gäbe, wer schneller radelt. Auf der Tracking-Plattform Strava vergleichen die Doubleslash-Leute ihre Performance, und der IT-Consultant Walter hat leider im Moment die Nase vorn. Das nervt Krafft ein wenig: „Ich bin der kompetitive Typ“, sagt er. Also tritt er verstärkt in die Pedale, und niemand würde sich wundern, wenn er heimlich trainierte. Mitarbeiterbeteiligung hin, Teambildung her: Krafft verliert nicht gern.

Jetzt sitzt er im sechsten Stock der Firmenzentrale am Konferenztisch mit 1,50 Meter Corona-Abstand zu seinen Leuten. Draußen fliegt ein Luftschiff vorbei, nebenan sind die Zeppelin-Werke, und hinter dem Bodensee sieht man die Alpen. Ein schöner Ausblick, aber niemand guckt hin, weil Krafft gerade spricht. Da konzentriert man sich besser, weil er jetzt mal kurz erklärt, wie er sich das alles vorstellt.

„Ich bin Informatiker“, sagt Krafft, „ich gucke mir Systeme an.“ Ein System in der Informatik ist eine definierte Menge von Gegenständen, die miteinander in Beziehung stehen, zum Beispiel die Software-Module in einem Programm. „Die Firma ist nichts anderes als ein System“, sagt Kraft, „nur dass sie statt aus Modulen aus Menschen besteht.“ Die Informatiker am Tisch nicken, und Krafft bringt jetzt noch schnell die Chaostheorie ins Spiel: kleine Ursache, große Wirkung. Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Honduras kann zu einem Hurrikan in Honolulu führen. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall muss man mit allem rechnen. Aber wenn man gut programmiert hat, drückt man auf „run“, und dann funktioniert es, sagt Krafft.


Muße als Schlüssel zur Kreativität: Konrad Krafft


Der Chef und seine Co-Chefs (von links): Konrad Krafft, Findan Eisenhut, Michael Rotter, Walter Melcher, Regina Samaga

Es hat ein wenig gedauert, bis Krafft im Run-Modus war. Er stammt von einem Bauernhof im Hohenlohischen, Baden-Württemberg, und es war nicht ganz so idyllisch, wie man sich das vorstellt. Erstens mästete der Vater Bullen, und der kleine Konrad hatte Angst vor den großen Tieren, zweitens ging der Hof pleite, und die Familie zog mit den letzten 3000 D-Mark in den Schwarzwald. Die Kraffts waren gescheitert, behielten den Kopf aber oben und hielten sich an die christlichen Werte der Nächstenliebe. Alle Menschen sind gleich, egal ob arm oder reich, Arbeiter oder Manager. „Das hat mich geprägt“, sagt Krafft.

Mit 17, auf dem Gymnasium in Villingen-Schwenningen, erkannte er: „Mathematik ist genau mein Ding.“ Im Gegensatz zu anderen Fächern „kann man da mit wenig Aufwand viel erreichen, wenn man es erst mal gecheckt hat“, sagt Krafft. Und das könnte sein Lebensmotto sein: Aufwand reduzieren, Gewinn erhöhen.

So war das auch mit der Mitarbeiterbeteiligung. 1999 hatte Krafft mit fünf Freunden Doubleslash gegründet. 2015 war er allein übrig, mit einem gewaltigen Schuldenberg, er hatte die anderen ausbezahlt. „Ich habe sogar ein Foto vom damaligen Kontoauszug für meine Familie gemacht“, sagt Krafft, „sieben Stellen mit einem Minus davor.“ Das kam nicht richtig gut an zu Hause.

Krafft selbst fand die Gesamtsituation ziemlich stressig. „Und Stress ist blöd“, sagt er. Eine Lösung musste her. Warum nicht das Minus sozialisieren und die Belegschaft mit an Bord nehmen? Dann hätte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Schulden wären weg und die Mitarbeiter langfristig an die Firma gebunden. Eine Win-win-Idee!

Aber zunächst verkaufte er 40 Prozent der GmbH an die benachbarte Zahnradfabrik Friedrichshafen, einen der größten Automobilzulieferer der Welt. Vom Rest behielt er 35,1 Prozent und transferierte 24,9 Prozent an die neue Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft, ein Anteil unter der Sperrminorität. Mitarbeiterbeteiligung schön und gut – aber übertreiben wollte es Krafft dann doch nicht.

Seit 2018 werden monatlich etwa 1000 der insgesamt 50 000 Anteilsscheine ausgegeben. Ein kompliziertes Regelwerk soll für eine gerechte Verteilung der Papiere an die Belegschaft sorgen. Jeder, der mindestens ein Jahr bei Doubleslash fest angestellt ist, kann einmal im Quartal Aktien kaufen, der Mindesteinsatz pro Runde beträgt 1000 Euro und ist bei 10 000 Euro gedeckelt, falls es zu viele Interessenten gibt. Mindestens zwei Jahre muss man die Papiere halten, spätestens drei Jahre nach dem Austritt aus der Firma zurückgeben. Zum Tageskurs. Der wird mit einem Algorithmus berechnet, der das Nettoumlaufvermögen und den Gewinn der vergangenen fünf Jahre beinhaltet. Krafft malt die Formel an das Whiteboard, er hat sie sich selbst ausgedacht und findet sie ziemlich fair.

Bisher sind etwa 75 Prozent der Scheine verkauft, ungefähr jeder zweite Mitarbeiter hält ein Paket. Der anderen Hälfte ist ein Invest in die eigene Firma zu riskant. Wenn Doubleslash pleitegeht, ist dann nämlich nicht nur der Job weg, sondern auch das Ersparte. „Eine heiße Nummer“, findet sogar Michael Rotter, 35, der ehrenamtliche Vorstand der Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft. Aber ihn stört das nicht. „Welche Firma kannst du besser beurteilen?“, fragt er. „Daimler oder die, bei der du arbeitest?“ Eine rhetorische Frage. „Da, wo du arbeitest, kriegst du alles hautnah mit“, sagt Rotter. Er hält ein großes Aktienpaket.

Hauptamtlich ist er seit 2011 Business Consultant bei Doubleslash und damit so etwas wie der Prototyp des Mitarbeiters in Unternehmerposition. Eine etwas seltsame Zwitterrolle: Einerseits ist er weisungsgebundener Angestellter, andererseits Chef. Aber genau das wollte Krafft: Verantwortung teilen. Das nimmt den Druck aus seinem Leben und verteilt ihn auf viele Schultern. So sehen stabile Systeme aus: Wenn ein Modul ausfällt, können die anderen übernehmen.


Auf eine Formel gebracht: die Firma als System

Die Doubleslash Net-Business GmbH wurde 1999 in Friedrichshafen gegründet. Heute beschäftigt sie dort und an den Standorten Stuttgart und München mehr als 230 Mitarbeiter. Die wichtigsten Kunden sind neben BMW die Deutsche Post und die Zahnradfabrik Friedrichshafen, die 40 Prozent der Anteile hält. 2018 gab der Gründer Konrad Krafft 24,9 Prozent seiner Anteile an eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft ab und hält noch 35,1 Prozent.

Umsatz 2017: 13 Millionen Euro
Mitarbeiter 2017: mehr als 100

Umsatz 2018: 18 Millionen Euro
Mitarbeiter 2018: mehr als 150

Umsatz 2019: 22,5 Millionen Euro

Mitarbeiter 2019: mehr als 200

Quelle: Doubleslash

So läuft es mittlerweile auch mit den Ideen. Wenn denen oben nichts mehr einfällt, sind die unten dran. Wer eine gute Idee hat, postet sie auf einer eigens dafür eingerichteten Plattform. Dann müssen nur noch möglichst viele Kolleginnen und Kollegen dafür stimmen – und schon wird sie umgesetzt. Der Ideengeber bekommt einen Bonus, von einem Essensgutschein bis zu einer finanziellen Beteiligung.

Bislang hat das allerdings hauptsächlich Kleinkram und einen Flop gebracht. „Die Leute neigen dazu, ihren Arbeitsplatz zu optimieren“, sagt Krafft, „statt Produkte von morgen zu erfinden.“ Deshalb gibt es jetzt zum Beispiel Getränkespender mit Wasser aus dem Hahn statt Plastikflaschen und höhenverstellbare Schreibtische in den Team-Abteilen hinter den Raumtrennern mit Grünpflanze. Das Innovationsprojekt Bike-Crowd, eine smarte Plattform für vernetzte E-Fahrräder, dümpelt dagegen vor sich hin.

Aber jetzt soll der große Wurf kommen. Findan Eisenhut, ein junger Teamleiter aus der Münchener Niederlassung, stellt privat hohe Ansprüche an sein Leben, insbesondere was Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Menschenwürde betrifft, und möchte nicht, dass sein Arbeitgeber ihn dabei unterbietet. „Wenn ich jeden Tag meine Skills, meine Energie und meine Leistung einbringe, dann will ich, dass das Unternehmen, für das ich arbeite, ethisch handelt“, sagt er. Da war ihm Doubleslash nicht transparent genug. Deshalb hat Eisenhut auf dem Innovationsportal eine Gemeinwohlbilanz gefordert und 30 Stimmen aus der Belegschaft erhalten. Das Audit durch die Organisation Gemeinwohl-Ökonomie läuft gerade an.

Krafft ist der Mentor des Projekts und hat das nötige Geld freigegeben. Wer positiv bewertet wird in der Gemeinwohlbilanz, hat einen Wettbewerbsvorteil auf dem umkämpften Markt der IT-Dienstleister. Gut programmieren können viele. Grundsätzlich gut zu sein ist viel schwieriger.

Der Fragenkatalog zum Thema Gemeinwohl ist umfangreich. Wie sieht es etwa mit der Lieferkette für Laptops aus? Wurden die Geräte umweltfreundlich hergestellt? Gibt es an irgendeinem Punkt der Produktion Kinderarbeit? Wird die Menschenwürde in den chinesischen Fabriken gewahrt? Oder beim Umgang mit den Mitarbeitern: Sind die Arbeitsverträge befristet? Werden Leiharbeiter eingesetzt? Sind Gehalt und Aufstiegschancen fair und transparent?

Die ersten Ergebnisse liegen bereits vor, und Eisenhut sagt, dass es gar nicht so schlecht aussehe. Der Innovationsprozess ist demnach gut, die Lieferanten und Kunden werden anständig behandelt, die Rücklagen sind groß genug, um auch in Krisenzeiten alle Gehälter problemlos bezahlen zu können, und die Möglichkeiten zur Mitentscheidung sind überdurchschnittlich. Andererseits ist der CO2-Fußabdruck noch nicht konkret erhoben, und Abzüge gibt es auch für die fehlende Sperrminorität der Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft. Eisenhut: „Wenn’s hart auf hart geht, haben wir nichts zu sagen.“

Und wieso gibt es eigentlich keinen Betriebsrat? Das fragt sich Konrad Krafft auch und war deshalb sogar schon mal bei seiner Personalabteilung. „Bist du verrückt?“, haben die gesagt, „Betriebsräte bringen nur Stress.“ Und Stress findet Krafft ja eigentlich blöd. In diesem Fall würde er allerdings eine Ausnahme machen. „Ich habe nichts gegen einen Betriebsrat“, sagt er. Könnte ja ein wertvolles Modul im System sein. Aber bisher hat sich noch keiner aus der Belegschaft dafür starkgemacht. Warum auch, wenn einem die Firma teilweise selbst gehört und der Laden seinen Umsatz jedes Jahr um 20 Prozent steigert?

Anruf beim zuständigen Sekretär der Gewerkschaft Verdi. „Stimmt“, sagt der, „von Doubleslash hat sich noch niemand bei uns gemeldet.“ Er kennt auch den Grund dafür, von einem Kumpel, der dort arbeitet und selbst an der Firma beteiligt ist. „Der fühlt sich da richtig wohl“, sagt der Gewerkschaftsmann.

Dann ist ja gut. Konrad Krafft kann sich wieder zurücklehnen, die Beine hochlegen und ein Nickerchen machen. ---