T. C. Boyle

T. C. Boyle schreibt oft über Menschen, die andere manipulieren. Er selbst hält sich auch für einen Guru, aber für einen gutmütigen. Ein Gespräch über Drogen, Kunst und das Ende der Welt.




• In seinem neuen Roman „Das Licht“ erzählt T. C. Boyle von den Anfängen der Hippiekultur. Ein Protagonist ist angelehnt an den Psychologen Timothy Leary, der Anfang der Sechzigerjahre in Harvard lehrte. Um die Wirkung von LSD zu erforschen, veranstaltete er Sessions mit seinen Doktoranden und Freunden. Später führte Leary in einer Villa eine Wohngemeinschaft an, die oft als Sekte beschrieben wird.

Auf seiner Terrasse in Montecito, einem Vorort von Santa Barbara in Kalifornien, serviert T. C. Boyle Brot, Käse und Tomaten. Außerdem während des Interviews anwesend: sein schwarzer, zotteliger Hund, der der Reporterin immer wieder mit großer Begeisterung die Hand ableckt.

brand eins: Timothy Leary sah in LSD ein Mittel, aus den Zwängen der Gesellschaft auszubrechen. Haben Sie daran früher auch geglaubt?

T. C. Boyle: So weit habe ich damals nicht gedacht. Als ich Anfang 20 war, habe ich viele Drogen ausprobiert. Ich war ein Kind. Ich habe einfach alles genommen, was ich kriegen konnte, um high zu werden. Das war meine Art, meinen Kopf gegen die Mauern der Gesellschaft zu schlagen und herauszufinden, wer ich bin.

Haben die Drogen Sie frei oder unfrei gemacht?

Ich hatte schon eine großartige Zeit, wir hatten alle eine großartige Zeit. Musik, Sex, Drogen, das Leben in Kommunen gehörte einfach zur Hippiekultur, und ich habe sie geliebt. Aber ich bin nie von Drogen abhängig geworden. Mit 25 habe ich entschieden, dass ich Kunst machen will. Oder besser: Ich wurde von dem Wunsch gebissen. Da habe ich mit all dem aufgehört und bin erwachsen geworden.

In „Das Licht“ leben die Charaktere zwar in einer alternativen Gemeinschaft, geraten aber in neue Abhängigkeiten. Der Protagonist, den Sie wie die reale Person Timothy Leary genannt haben, sagt seinen Doktoranden, er wolle sie mithilfe der Droge neu formen. Das klingt nicht gerade nach Befreiung.

Die historischen Fakten im Roman stimmen alle. Timothy Leary hat sich tatsächlich auf das Prinzip der Prägung berufen, das auf den Biologen Konrad Lorenz zurückgeht …

… dem es Mitte des vergangenen Jahrhunderts gelang, Küken nach seinem Willen zu prägen, …

… aber die Details sind fiktiv. Ich habe mir vorgestellt, dass Leary seinen Doktoranden gesagt hat, er betrachte sich als Gänserich und sie als Küken. Ob es wirklich so war, weiß ich nicht. Damit ich mir so etwas ausdenken kann, bin ich Romanautor.

Warum ist es oft schwer, Manipulation zu erkennen?

Sobald man einer Ideologie folgt, wird man blind. Widersprüche würden die Logik stören, deshalb muss man sie ausblenden. So funktionieren auch totalitäre Staaten: Sobald es Zweifel gibt, bricht das Glaubenssystem zusammen. Oder denken Sie an religiöse Fanatiker. Wenn man sich mit ihnen an einen Tisch setzt, haben sie nur ein Thema: ihre Religion. Und natürlich wollen sie einen bekehren. Sie müssen ihre eigene Lehre ständig wiederholen, damit sie nicht selbst Zweifel bekommen. Denn dann würde ihre gesamte Welt auseinanderfallen.

Sie beschreiben häufig Charaktere, die andere manipulieren. Was fasziniert Sie an solchen Persönlichkeiten?

Ich schreibe oft Bücher über Gurus. Das sind für mich Anführer, die den Leuten sagen: Gib mir alles, was du hast, und ich führe dich ins gelobte Land. Dabei kann es um Politik gehen oder um einen gesunden Lebensstil wie bei John Harvey Kellogg, von dem ich in „Willkommen in Wellville“ erzähle. Ich selbst bin anderen nie einfach gefolgt, ich war immer Punk. Ich bin in New York aufgewachsen und habe von Anfang an gelernt, infrage zu stellen, was andere mir sagen. Aber viele Leute tun das nicht. Deshalb haben wir religiösen Fanatismus, deshalb haben wir Faschismus, deshalb haben wir Trump.

Welche Art Anführer sehen Sie in Donald Trump?

Er macht seinen Anhängern Versprechen, die deren Vorurteile bedienen. Aber in Wirklichkeit geht es ihm nur darum, für sich selbst mehr Geld auf die Seite zu schaffen, so wie jedem Anführer einer Gang. Gerade in der Arbeiterschicht unterstützen ihn viele, dabei werden die am meisten von ihm betrogen. Ich hoffe nur, dass die Leute vor der nächsten Wahl aufwachen und merken, dass dieses Land von einem Kriminellen geführt wird.

Glauben Sie, dass das passieren wird?

Ich hoffe es. Aber ich liege immer falsch mit meinen Prognosen. Vor der letzten Wahl war ich in Deutschland und habe allen versichert, dass dieser Clown auf keinen Fall Präsident wird.

Ist es immer etwas Schlechtes, einer Person zu folgen?

Nein, ich habe selbst viele Fans. Ich bin auch ein Guru, aber ein gutmütiger. Ich will die Leute nicht dazu bringen, etwas Bestimmtes zu tun. Ich will nur, dass sie Freude an Literatur haben und ihre Lebenserfahrung vertiefen. Mehr nicht.

Sie haben einmal eine Zeit lang als Lehrer an einer Schule in einem rauen Viertel New Yorks gearbeitet. Wie haben Sie sich Respekt verschafft?

Ich habe das nicht mit Strenge versucht, sondern habe die Schüler gut unterhalten, damit sie sich einigermaßen benehmen. Ich habe mich dort mit einem anderen Lehrer angefreundet, der die Ausstrahlung eines Schauspielers hatte und die härtesten Kids in den Griff bekam. Da habe ich verstanden: Ich muss eine starke Persönlichkeit entwickeln, Charisma. Die Erfahrung hilft mir heute noch dabei, auf der Bühne zu stehen.

Viele Schüler müssen heute Ihre Bücher lesen. Macht Sie das zu einer Autorität, gegen die Sie früher rebelliert hätten?

Es stimmt: An einigen Schulen in den USA und in Deutschland sind meine Romane Pflichtlektüre. Wenn man gezwungen wird, ein Buch zu lesen, kann es passieren, dass man es ablehnt. So ging es mir selbst in der Schule. Ich habe damals viel gelesen, was ich nicht lesen sollte. Das war für mich Freiheit. Ich hoffe aber, dass die Schullektüre heute interessanter ist als das, was wir damals lesen mussten. Ich habe da gemischte Gefühle. Denn natürlich gefällt es mir auch, zum Kanon zu gehören. Das ist der Traum jedes Schriftstellers.

Der Hund läuft unter dem Tisch durch und täuscht an, dass er gestreichelt werden will, leckt dann aber doch nur wieder an der Hand der Reporterin.

Mussten Sie jemals etwas tun, was Sie nicht wollten, um Geld zu verdienen?

Nein. Ich hatte das Glück, dass ich immer schreiben konnte, was ich wollte. Von Anfang an hatte ich ein Publikum, das mir gefolgt und mit mir gewachsen ist. Ich habe schon früh Angebote bekommen, beim Film zu arbeiten, da hätte ich sehr viel Geld verdienen können. Aber ich habe immer abgelehnt, weil ich für niemanden arbeiten wollte. Als Künstler will ich alle Entscheidungen selbst treffen, da bin ich ein absoluter Kontroll-Freak … Bitte entschuldigen Sie mich kurz, ich habe etwas auf dem Ofen stehen, da muss ich mal nachschauen.

Er geht in die Küche, der Hund läuft hinter ihm her. Als er wiederkommt, folgt der Hund ihm immer noch.

Der Autor mit Hündin Ilka, die bald geschoren werden muss

Sie überwacht jeden meiner Schritte, sie will immer wissen, was ich gerade tue.

Wie heißt sie denn?

Ilka. Sie ist ein ungarischer Puli.

Und sie mag es offenbar, Leuten die Hand abzulecken.

Ja, das mag sie. Leider riechen die Dreadlocks ein wenig.

Wird sie nicht so gerne gebürstet?

Diese Hunde kann man gar nicht bürsten. Das Fell sollte eigentlich geordnete Dreadlocks bilden. Bei ihr verfilzt es aber immer total. Deshalb müssen wir es ihr regelmäßig ganz abrasieren. Bald ist es wieder so weit, der Sommer kommt.

Sie beschreiben oft gesellschaftliche Zwänge, wie die Unterdrückung der Sexualität. Heute sind viele Restriktionen überwunden. Leben wir frei?

Nein, heute sind wir abhängig von den Maschinen, sie haben uns zu ihren Sklaven gemacht. Ich brauche zum Beispiel meine Musikanlage, weil ich ohne Musik schlechte Laune bekomme. Aber sie ist immer kaputt, auch die Autos gehen immer kaputt, ebenso der Kühlschrank. Die Ingenieure haben die Smartphones extra so konstruiert, dass sie uns süchtig machen. Immerhin weiß ich, wo der Ausschaltknopf ist. Andere wissen das nicht.

Wenn man Ihnen auf Twitter folgt, bekommt man den Eindruck, dass Ihnen die sozialen Netzwerke durchaus Spaß machen.

Vor vier Jahren habe ich den Verlag gewechselt, und die Kollegen von Ecco Press haben mir einen Twitter-Account eingerichtet. Ich folge kaum jemandem, das interessiert mich nicht, aber wer mir folgen will, soll das gerne tun. Ich mag es, Dinge aus meinem Alltag zu zeigen. Meistens schreibe ich irgendwas Albernes und stelle ein Bild dazu, und wenn ich am nächsten Morgen schaue, haben die Leute das kommentiert.

T. C. Boyle twittert so ziemlich alles: Bilder von seinem Hund („The Dog“), Bilder vom Flughafen („The morning, 5:30 (Oh, the horror!)“), Bilder von seinen Bäumen, seinem Bier, mehr Bilder von seinem Hund. Er antwortet Fans, selbst wenn sie immer wieder schreiben.

Sicher, dass Sie ab und zu offline sind?

Ja. Wenn ich anfange zu arbeiten, zeige ich den Leuten zum Beispiel ein Foto von meinem Bildschirm. Dann wissen sie, dass ich mich jetzt erst mal nicht melde. Zum Schreiben ziehe ich mich auch regelmäßig in die Berge zurück. Da ist die Internetverbindung schlecht. Deshalb zeige ich den Fans auf Twitter nur ab und zu ein Foto, aber ich antworte in der Zeit nicht so oft auf ihre Nachrichten.

Wie leben Sie dort in den Bergen?

Es ist langweilig. Extrem langweilig. Ich sitze hinter dem Haus und schreibe, im Sommer von Mücken bedeckt, im Winter zitternd. Das Leben in den Bergen ist allerdings schlecht für die Leber, weil das Einzige, wo man hingehen kann, eine Bar ist. Aus der darf ich auf keinen Fall rausfliegen, denn die nächste ist ungefähr zwanzig Kilometer entfernt.

Ihr Garten sieht auch recht wild aus.

Wir leben hier sehr naturverbunden. Den Garten habe ich den Tieren überlassen. Wenn es im Herbst kalt wird, kommen Monarchfalter, um hier zu überwintern. Es werden aber immer weniger, die Bestände schwinden. Schauen Sie, dieses Foto habe ich heute Morgen getwittert.

Er zeigt sein Smartphone, darauf sieht man das Bild einer jungen Ratte, die durch Stäbe schaut.

Das ist Ratte Nummer 213, die ich gerettet habe. Aus Versehen habe ich geschrieben, es sei Nummer 113, aber die Fans haben mich gleich korrigiert. Ich fange die Tiere mit Erdnussbutter lebend in Fallen und fahre sie in die Berge.

Tun Sie das wirklich?

Ja. Es kann natürlich sein, dass der Kojote sie dort sofort frisst, aber immerhin habe ich sie nicht getötet. Möchten Sie welche mitnehmen nach Deutschland?

Hm. Ich fürchte, ich mag Ratten nicht besonders.

Ich eigentlich auch nicht. Im vergangenen Winter haben sie im BMW meiner Frau die Kabel durchgebissen, das hat uns 6500 Dollar gekostet. Aber ich habe gelernt, Ratten trotzdem zu mögen.

Wahrscheinlich kommen sie auch alle zurück, weil ihnen die Erdnussbutter geschmeckt hat.

Nicht, wenn man sie weiter als acht Kilometer entfernt aussetzt.

In Ihrem Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“ geht es um das ökologische Gleichgewicht auf den Kanal-Inseln vor der Küste Kaliforniens. Eingeschleppte Ratten vermehren sich ungehemmt und bedrohen andere Arten. Eine Wissenschaftlerin will die Ratten vergiften, ein Umweltschützer dagegen jedes Tier retten.

Die Inseln sind ganz in der Nähe. Sie sollten mit dem Boot dorthin fahren, es ist wunderschön. Jedes Mal, wenn ich hingefahren bin, habe ich Wale gesehen.

Klingt gut. Anhand der Inseln beschreiben Sie, wie empfindlich gegenseitige Abhängigkeiten in Ökosystemen sind.

Das ist alles so passiert. Die Ratten kamen von einem gesunkenen Schiff auf die Insel Anacapa. Da die Vögel dort keine Feinde hatten, bauten sie ihre Nester einfach auf dem Boden. Nun fraßen aber die Ratten die Eier und Jungvögel. Der National Park Service vergiftete die Ratten. Auf der Nachbarinsel hatte ein ähnlicher Eingriff verrückte Folgen.

Erzählen Sie.

Ursprünglich lebten auf Santa Cruz Weißkopfseeadler. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte in der Gegend DDT ins Wasser. Die Adler fraßen die verseuchten Fische, woraufhin sie sich nicht mehr vermehren konnten. Steinadler erkannten die Chance, sich auf der Insel auszubreiten. Sie fressen keinen Fisch, sondern ernährten sich zunächst von den Frischlingen der Wildschweine, die Menschen auf Santa Cruz angesiedelt hatten. Worüber ich schreibe, ist der Eingriff in dieses Ungleichgewicht. Die Menschen schießen die Wildschweine ab, um die Steinadler von der Insel zu vertreiben. Daraufhin suchen sich die Adler aber neue Beute, und zwar den Insel-Graufuchs, der bald bedroht ist. Also fangen die Menschen die Adler und bringen sie zur Küste. Für den Fuchs ist es gut ausgegangen. Aber diese absurde Kaskade von Ereignissen hätte man sich nicht ausdenken können.

Ist Ihre Angewohnheit, Ratten in den Bergen auszusetzen, nicht ähnlich absurd?

Wahrscheinlich zerstöre ich damit etwas, und es ist auch gegen das Gesetz, Wildtiere zu transportieren, aber ich tue es trotzdem, weil ich die Ratten nicht töten will.

Vor einem Jahr gab es hier schwere Unwetter. Wie haben Sie die erlebt?

Die Waldbrände waren direkt hier in der Nachbarschaft. Der Sheriff hat angeordnet, dass wir unser Haus evakuieren sollen, aber wir sind geblieben, und es ist gut gegangen. Was um uns herum passiert ist, war überwältigend. Nach dem Feuer kamen die Erdrutsche. Der Ort wurde zerstört. Häuser, an denen ich 25 Jahre lang vorbeigefahren bin, waren verschwunden. Da gab es nicht mal mehr irgendein verbogenes Rohr oder einen Ziegelstein, da war einfach nichts mehr. Es war furchtbar.

Sie schreiben immer wieder von der bevorstehenden Öko-Apokalypse, etwa in „Ein Freund der Erde“, das 2000 erschienen ist.

Die Geschichte habe ich auf das Jahr 2025 datiert. Aber das war viel zu spät. Ich hätte es auf das Jahr 2016 datieren sollen, denn da gab es hier schon einmal verheerende Waldbrände. Ich bin in New York aufgewachsen, da gibt es keine Erdbeben oder Waldbrände oder Erdrutsche. Jetzt lebe ich in Kalifornien, das ist nun meine Heimat, aber hier ist man immer in Gefahr.

Machen Sie sich Sorgen um die Umwelt?

Natürlich. Als Umweltschützer kann ich nicht anders, als mir Sorgen zu machen. Ich habe keinen Funken Hoffnung für unsere Spezies. Wie gehen wir also damit um? Als Schriftsteller versuche ich, das zu ergründen.

T. C. Boyles Arbeitsplatz. Seine roten Chucks gefallen ihm offenbar auch als Gemälde

Appelle, die Umwelt zu schonen, haben immer etwas Moralisches. Der Mensch neigt dazu, sich gegen solche Zwänge aufzulehnen.

Ganz genau. Wenn einen jemand belehrt, was man tun soll und was nicht, rebelliert man natürlich dagegen. Als ich mit „Wenn das Schlachten vorbei ist“ auf Lesereise war, habe ich viele Biologen kennengelernt. Die haben gesagt, sie selbst versuchten schon lange, die Leute zu überzeugen, dass sie vorsichtiger mit der Erde umgehen, würden aber nur als Prediger wahrgenommen. Aber ich würde sie berühren. Ist doch großartig, dass Kunst das schaffen kann.

Wann fühlen Sie sich unabhängig?

Den Computer ausmachen, auf dem Ozean Kajak fahren, in den Bergen spazierengehen, wo es kein Netz gibt. Das ist Unabhängigkeit, denke ich. Soll ich Ihnen noch den Garten zeigen?

Sehr gern.

Ilka, gehst du vor? ---