Top-Juristen auf Zeit

Über kurz … oder lang

Freie Mitarbeiter gehören in vielen Branchen zum Alltag. Sie können auch Rechtsabteilungen zeitweise helfen – wenn Unternehmensjuristen die Scheu vor Vermittlern wie Eqwal verlieren.





/ Anwälte sind pfiffige Kerle – aber leider auch darauf trainiert, in allem ein Problem zu sehen. Daniel Biene und Alexander Aran aus Berlin bekommen das immer wieder zu spüren, wenn sie als Gründer des Personalvermittlers Eqwal Freiberufler anpreisen, die Rechtsabteilungen eine Weile im Alltagsgeschäft verstärken.

Viele Gesprächspartner denken da offenbar reflexhaft an Leute aus der zweiten Liga sowie an potenzielle Risiken wie „Haftung“ oder „Scheinselbstständigkeit“ und machen zu. „Für einen Unternehmensjuristen, der nur das Angestelltenverhältnis in Firmen und Kanzleien kennt, sind Interim-Juristen ein Mysterium“, sagt Daniel Biene. „Wir bohren, wie alle Vermittler in diesem Bereich, ein sehr dickes Brett.“

Was eigentlich überrascht, denn die Arbeitslast in den Rechtsabteilungen stieg in den vergangenen Jahren durch neue Gesetzgebungen zu Datenschutz, Lieferkettensorgfalt, Compliance und weiteren Themen erheblich. Zugleich wuchs der Kostendruck: Einfach neue Stellen zu schaffen, wenn Mitarbeiter durch Elternzeit und Krankheit länger ausfallen oder ein großes Projekt gestemmt werden muss, ist meist nicht drin. Und selbst wenn es drin wäre, geht bis zur Besetzung viel Zeit ins Land.

In dieser Situation ist es ein Glück, dass es flexible Kräfte für den Übergang gibt wie in der IT- und Consultingbranche: hoch qualifizierte, über Eqwal und andere erreichbare Juristen. Sie kommen schnell und sind, wenn der Job getan ist, schnell wieder weg.

Bislang läuft es so: Merkt eine Rechtsabteilung, dass sie für einige Monate an ihre Kapazitätsgrenze stößt, bittet sie eine Wirtschaftskanzlei um Hilfe. Die stellt beim Klienten einen meist jungen Mitarbeiter für ein zeitlich begrenztes Secondment ab – für gern mal 2000 Euro pro Tag. „Viel Geld für eine Kraft, die nicht immer die nötige Erfahrung mitbringt“, sagt Alexander Aran.

Eqwal ist zuerst einmal günstiger. Die Unterstützung kostet je nach Profil des Interim-Juristen rund 30 bis 40 Prozent weniger, weil Freiberufler geringere Grundkosten haben als Kanzleien. Zugleich bringen sie mehr Erfahrung mit. „Die meisten Juristen in unserem Pool waren einige Zeit in großen Kanzleien sowie ein paar Jahre in Rechtsabteilungen tätig. Sie haben verinnerlicht, dass die Arbeit in einer Rechtsabteilung einen bestimmten Pragmatismus verlangt, ein gewisses Risikobewusstsein und auch eine eigene Art der Kommunikation.“

Die Kosten für die Vermittlung sind in der Beispielrerechnung enthalten. Davon werden auch die Personalgespräche finanziert, die vor der Aufnahme neuer Interim-Juristen in die Datenbank geführt werden, genau wie die Gespräche mit den Firmen, die ihren Bedarf schildern, und die Rahmenverträge, die von einer Arbeitsrechtskanzlei erstellt wurden. Eqwal ist kein digitaler Marktplatz, der Projekte und Juristen auf Knopfdruck automatisch zusammenbringt, sondern ein Dienstleister mit hohem Service-Anteil.

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Vermittelt gut: Alexander Aran. Fotocredit: EQWAL GmbH

Für die freiberuflichen Juristen sind die Aufträge ein gutes Geschäft. Anders als vielleicht vermutet, treibt sie nicht die vergebliche Suche nach einer festen Stelle zu ihrem Job, im Gegenteil: Viele sehnen sich nach Jahren des Angestelltendaseins nach einer freien, selbstbestimmten Form des Arbeitens. „Gerade die guten, leistungsfähigen, ambitionierten Leute“, sagt Daniel Biene, „haben den steigenden Druck in den Rechtsabteilungen als Chance für sich erkannt.“

Jana Tschernig zum Beispiel. Sie arbeitete nach dem Referendariat zwei Jahre lang für eine namhafte Großkanzlei im Bereich Finanzierung und danach fünf Jahre in der Rechtsabteilung einer Bank. Ein LinkedIn-Beitrag von Eqwal beflügelte ihre Fantasie: Sie las von den Möglichkeiten, die das Arbeiten im Homeoffice bietet, und dachte an den Yoga-Unterricht, den sie bei einer flexiblen Zeiteinteilung geben könnte, ohne sich rechtfertigen zu müssen, und an die Abwechslung, die unterschiedliche Auftraggeber bringen würden. „Das Politische im Angestelltendasein ist auch nicht so meins“, sagt sie. „Ich halte mich aus der ständigen Frage, wer wann weshalb befördert werden müsste, ganz gern raus.“

Jetzt arbeitet Tschernig frei, aktuell für die Rechtsabteilung eines jungen Fintech-Unternehmens, wo sie die Zeit überbrückt, bis eine ausgeschriebene Stelle besetzt werden kann, und für eine Bank, die ihr Know-how bei einem Lizenzantrag benötigt. Wird sie von Juristenfreunden skeptisch gefragt, ob sie immer so arbeiten will, antwortet sie: „Vielleicht ja, vielleicht nein. In meiner jetzigen Lebenssituation fühlt es sich jedenfalls richtig an.“

So ähnlich formuliert das auch Patric Urbaneck, der früher für große Wirtschaftskanzleien in Düsseldorf gearbeitet hat und nun mit seiner Familie in Bielefeld lebt. Die Selbstständigkeit ermöglicht es ihm, auch mal die Kinder ins Bett zu bringen oder weniger als fünf Tage pro Woche zu arbeiten. Agenturen wie Eqwal, sagt er, böten ihm ein „Grundrauschen“ und eine Kundschaft, die er auch in der Großkanzlei hatte. „Ich bin auf Datenschutz spezialisiert, da hat man keine Laufkundschaft wie der klassische Anwalt aus dem Familien- und Arbeitsrecht. Und an große internationale Firmen, bei denen alles auf Englisch läuft, was ich sehr mag, käme ich allein nicht so leicht ran.“

Die Betriebs- und Volkswirtin Maxie- Lina Mehling, die als Expertin für den Aufbau eines Compliance-Managements zum Pool von Eqwal gehört, hebt vor allem die Möglichkeit zum fortwährenden Ausbau ihrer Expertise hervor. Sie hat acht Jahre lang angestellt gearbeitet, „aber irgendwann kommt da ein Punkt, an dem die aufgebauten Systeme routiniert laufen und in erster Linie gewartet werden müssen.“

Als Freiberuflerin arbeite sie „bestimmt nicht weniger“ als früher. Aber dafür gehört ständig Neues zu ihrem Alltag – was auch die Auftraggeber schätzen. Die Firmen, bei denen sie gerade das Compliance-Management aufbaut oder optimiert, waren ausdrücklich auf der Suche nach einer Praktikerin, die verschiedene Lösungen aus anderen Unternehmen und Branchen kennt.

Nicht zuletzt sind die Einsätze gut bezahlt. Nach einem Rechenbeispiel von Eqwal verdient ein angestellter Unternehmensjurist in einer Fünf-Tage-Woche rund 100 000 Euro brutto im Jahr, während ein Jurist auf Zeit, der über die Agentur vermittelt wird, bei drei Tagen pro Woche auf 106 250 Euro brutto kommt, bei vier Tagen sogar auf 131 500 Euro.

Die unterschiedlichen Modelle sind allerdings schwer zu vergleichen. Denn bei den Selbstständigen gibt es auch Zeiten ohne Einsatz, die angloamerikanische Freelancer romantisierend als „on the beach“ bezeichnen. Doch die Tendenz ist klar: Wenn es läuft, kommt der Interim-Jurist sehr ordentlich über die Runden.

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Daniel Biene kam von Axiom.

Noch ist die Nachfrage für diese Dienstleistung überschaubar. Zurzeit arbeiten rund 200 Freiberufler und 40 Unternehmen mit Eqwal zusammen, vom Start-up über viele Mittelständler abseits der großen Städte bis zum Konzern. Doch der Vermittler, der im Sommer 2021 an den Start ging, ist nicht der einzige Anbieter in diesem Bereich und auch nicht der erste – Pioniere wie Xenion und Perconex starteten in Deutschland schon vor mehr als zehn Jahren, und auch der internationale Marktführer Axiom ist hierzulande schon lange aktiv.

Die einen haben sich wie Eqwal, Vario Legal (Xenion) oder die neue Abteilung des Personalberaters Schollmeyer & Steidl auf Freiberufler spezialisiert. Bei den anderen wie Axiom, Hays Legal und Flex Suisse werden die Interim-Juristen formal angestellt und im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassungen verliehen – das Modell Zeitarbeit. Alles in allem dürften so rund 1000 Juristen übergangsweise die rund 35 000 Unternehmensjuristen in Deutschland unterstützen.

Der große Boom, davon sind alle Vermittler überzeugt, kommt erst noch. In den USA arbeiten schon etwa fünf Prozent der Juristen auf Projektbasis, sagt Richard Ossen vom Schweizer Start-up Flex Suisse, das 2021 mit Perconex fusionierte. Europa sei damit noch nicht zu vergleichen, aber „die Akzeptanz des neuen Berufsstands wächst und wird sich durch die jungen Juristen, von denen viele flexible und abwechslungsreiche Arbeitsbedingungen suchen, schnell weiterentwickeln.“

Bénédicte Ziegler-Hussenet von Vario Legal sieht das „Project-Lawyering“, die projektbezogene Juristenarbeit, hierzulande in wenigen Jahren als „dritten Karriereweg“ etabliert. Die Corona-Pandemie, die das Arbeiten im Homeoffice auch unter Juristen forciert hat, habe die Entwicklung spürbar verstärkt: „Wenn Sie als Vermittler früher ein perfektes Match hatten und der Anwalt in Stuttgart saß, aber der Mandant in Hamburg, war das eine Hürde. Das ist heute nicht mehr so.“

Alexander Aran und Daniel Biene von Eqwal, die nach eigenen Angaben bereits schwarze Zahlen schreiben, sprechen von einem „riesigen Markt“. Das Interesse an Interim-Juristen werde nicht zuletzt durch die krisenhafte Gesamtlage und den Fachkräftemangel weiter anwachsen, prognostizieren sie. „Denn die Wirtschaftskanzleien, an die sich die Rechtsabteilungen bei Kapazitätsproblemen früher gewendet haben, arbeiten auch an ihren Grenzen. Sie leihen ihre Leute nicht mehr so gern aus, weil sie jede Arbeitskraft selber brauchen. Inzwischen empfehlen einige sogar Anbieter wie uns, wenn sie von ihren Kunden um Unterstützung gebeten werden.“ //

Eqwal wurde 2021 von Alexander Aran, Patrick Kusak und Daniel Biene gegründet, dem früheren General Manager von Axiom für Deutschland und die Schweiz. Im Pool sind aktuell 200 freischaffende Juristen – hauptsächlich Volljuristen, aber auch Wirtschaftsjuristen, Juristen mit ausländischen Abschlüssen wie einem Master of Laws (LL.M.) oder auf Themen wie Compliance spezialisierte Berater. Die meisten von ihnen sind zwischen 40 und 50 Jahre alt, rund ein Viertel ist jünger, ein Drittel älter – bis hin zum 71-jährigen Senior. Eingesetzt werden sie im Schnitt für eine Dauer von sechs Monaten, wobei sie als Selbstständige in der Regel in mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten. Große internationale Namen auf diesem Markt sind Lawyers on Demand mit 4500 und Axiom mit 14 000 Interim-Juristen weltweit.