Die wachsende Alternative zur Festanstellung: Beraternetzwerke

Mehr Erfahrung für weniger Geld

Plattformen für freiberufliche Berater sind oft noch nicht ausgelastet, haben aber eine große Zukunft vor sich, sagt Jon Younger. Der US-amerikanische Branchenkenner hat erforscht, was Erfolg verspricht: die Spezialisierung auf eine Art Superpower. Wie geht es den Beraternetzwerken? Was bringt die Zukunft? Wir haben bei den Betreibern amerikanischer und deutscher Plattformen nachgefragt.





Jon Younger, Experte für Personal- und Führungskräfteentwicklung sowie Changemanagement, hat sich in den vergangenen Jahren auf das Thema Freelance Economy spezialisiert.

Der 72-jährige Sozialpsychologe ist Partner bei der Agentur The Human Cloud und Gründer des Agile Talent Collaborative. Er war zuvor Partner bei der US-Personalberatung RBL Group.

Younger hat mehrere Bücher zum Thema Personalwesen („HR from the Outside In“) und Freelancing („Agile Talent: How to Source and Manage Outside Experts“) geschrieben. Als Dozent lehrt er an der Fakultät für Führungskräfte der University of Michigan und an der Indian School of Business in Hyderabad.

Foto: privat

Herr Younger, Online-Plattformen für freiberufliche Consultants gibt es noch nicht sehr lange, aber sie gewinnen zunehmend an Bedeutung. Richtig?

Jon Younger: Absolut. Die ersten Online-Plattformen für Freelancer entstanden vor gut 20 Jahren. Elance wurde 1999 in den USA gegründet. Odesk im Jahr 2003. Heute kennt man die beiden Firmen unter dem Namen Upwork. Später kamen Freelancer.com aus Australien und Fiverr aus Israel dazu. Das waren aber noch Plattformen ohne jede Spezialisierung. Alle Arten von Freelancern konnten dort ihr Glück versuchen: Programmiererinnen, Grafiker, Marketingleute.

Mit der nächsten Welle vor etwa zehn Jahren differenzierten sich die Plattformen stärker nach Branchen aus. Auf dem Consultingmarkt kamen zum Beispiel Comatch in Deutschland, Catalant in den USA, Talmix in Großbritannien, One Man Support in Frankreich oder Expertera in der Türkei als wichtige Vermittler hinzu. Einige von ihnen konzentrieren sich allein auf Beraterinnen und Berater, andere vermitteln auch Interimsmanager oder Fachleute für bestimmte Branchen. Aber sie machen eben auch nicht mehr alles, so wie die Freelancer-Börsen der ersten Generation. Und vor allem haben sie erkannt, dass sich mit Consultants, die vierstellige Tagessätze verlangen, bessere Provisionen verdienen lassen als mit Freischaffenden, die für fünf Dollar ein Logo entwerfen.

Wie sieht der Markt jetzt aus?

Einerseits kommen viele kleine Plattformen hinzu, die sich teilweise noch stärker spezialisieren. Etwa auf eine Region oder durch einen Fokus auf bestimmte Beratungsdienstleistungen oder Branchen.

Wir sehen aber auch, dass die großen Player weiterhin wachsen oder sich zusammenschließen. In den USA haben Heidrick & Struggles die Business Talent Group übernommen. Malt aus Frankreich und die deutsche Plattform Comatch sind in Europa sicherlich eines der bekanntesten Beispiele. Malt, eine allgemeine Freelancer-Plattform mit breitem Spektrum, hat mit Comatch eine eher spezialisierte Plattform für Consultants übernommen. So etwas erleben wir wahrscheinlich noch häufiger, dann aber vermutlich eher zwischen kleineren Playern.

Wie konnten sich diese Anbieter in vergleichsweise so kurzer Zeit erfolgreich neben den Großen etablieren?

Zum einen gibt es einen stetig wachsenden Bedarf an Unternehmensberatung. Neue Technologien wie KI-Systeme oder Cloud-Computing, aber auch neue Trends wie Remote-Arbeit, neue Märkte und Regeln zwingen die Unternehmen, sich und ihre Strategie schnell und regelmäßig an die neuen Gegebenheiten anzupassen.

Früher deckten die etablierten Consultingfirmen diesen Bedarf noch gut ab. „Niemand wurde je gefeuert, weil er McKinsey beauftragt hat“, war eine Redewendung, die jahrzehntelang Gültigkeit hatte. Aber ich weiß nicht, ob sie noch stimmt. Denn – Überraschung! – McKinsey, Bain und BCG sind echt teuer. Sie schicken einem zwar superschlaue Leute, die auf den besten Unis waren. Aber der Preis ist dementsprechend. Für einen internationalen Konzern, der ein großes Investment oder einen wichtigen Merger plant, kann es sich lohnen, das zu bezahlen. Aber es gibt eben auch viele kleine Unternehmen, die Beratung brauchen. Oder kleinere Projekte. Da sind freiberufliche Consultants oft die bessere Wahl.

Nur wegen des Preises?

Nicht nur, Qualität und Erfahrung werden immer wichtiger. Die klassischen Beratungen gewähren einem ein wenig Zeit mit einem Partner, etwas mehr Zeit mit einer Projektmanagerin und viel Zeit mit Junior- Associates. Letztere kommen meist frisch von der Uni. Bei den Freelancer-Plattformen dagegen bekommt man für weniger Geld mehr Erfahrung. Man bucht eine Person, die üblicherweise bereits zehn oder zwanzig Jahre bei einer großen Beratung gearbeitet hat und unter Umständen genau das Problem, mit dem man an sie herantritt, schon mehrmals gelöst hat.

Also rundum rosige Perspektiven für die Beraternetzwerke?

Keineswegs. Natürlich sind solche Plattformen stark abhängig von der allgemeinen Wirtschaftslage und vor allem von der Stimmung, mit der die Klienten in die Zukunft schauen.

Aktuell sehen wir in Europa noch eine zurückhaltende Nachfrage, mit der alle Arten von Freiberufler-Plattformen zu kämpfen haben. Langfristig jedoch wird sich das Modell durchsetzen. Das heißt aber auch, dass es zu noch mehr Neugründungen kommen wird, die den Wettbewerb weiter verschärfen. Nicht alle kleinen Plattformen werden überleben.

Welche werden sich durchsetzen?

Diejenigen, die ein differenziertes Angebot an Freelancern haben und ihren Klienten irgendeine Art von Superpower bieten. Das können KI-Spezialistinnen und -Spezialisten sein, eine besondere Kenntnis bestimmter Branchen oder die besten Köpfe im Bereich Lieferkette. Man muss sich seine Daseinsberechtigung verdienen. Die kann in einer besonderen Expertise in Sachen Südamerika bestehen oder in Form exzellenter Kenntnisse im Finanzbereich. Ein bisschen was von allem, und das in mittlerer Qualität, wird nicht mehr reichen.

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