Lieferketten

Das neue Lieferkettengesetz bringt für fast alle Firmen großen Aufwand und erhebliche Kosten mit sich. Ist das gerechtfertigt? Wie kommen die Unternehmen damit klar? Und was bringt es wirklich? Antworten von sechs Experten.





Foto: Rödl & Partner

1 – Carla Everhardt ist Anwältin, hat selbst in Ländern mit problematischen Arbeits- und Umweltbedingungen gearbeitet und weiß, welche Sorgen insbesondere den Mittelstand umtreiben.

„Die Stimmung im Mittelstand ist durchwachsen, wenn es um das Lieferkettengesetz geht. Die deutsche Wirtschaft fremdelt mit dem Gedanken, dem Schutz der Menschenrechte per gesetzlicher Vorgabe Bedeutung einzuräumen. Spricht man mit Unternehmern, betonen sie, dass Menschenrechte ein wichtiges Anliegen sind. Selbstverständlich sollen etwa für Vorprodukte keine Kinder arbeiten! Doch ein Gesetz, um das zu verbieten? Da herrscht Zurückhaltung, zu groß ist die Befürchtung vor neuen bürokratischen Anforderungen ohne praktische Relevanz.

Aber das Thema ist nicht neu – das Gesetz hat in Deutschland eine Vorgeschichte. Wenn zwischen 2016 und 2021 nur die Hälfte der deutschen Unternehmen die Bestimmungen des Nationalen Aktionsplan Deutschland auf freiwilliger Basis umgesetzt hätten, gäbe es kein Gesetz. Doch das haben weniger als 20 Prozent getan – das von der Bundesregierung vorgegebene Ziel wurde einfach dramatisch verfehlt.

Ich bin als Juristin in der Außenwirtschaft in einigen sogenannten Schurkenstaaten dieser Erde tätig gewesen und kann sagen: Ich halte das Gesetz für gut und überfällig. Doch ich teile die Befürchtung, dass das ehrenwerte Vorhaben in der Praxis zu bürokratischem Wahnsinn verkommt und dem eigentlichen Ziel des nachhaltigen Wirtschaftens und der globalen Achtung der Menschenrechte nicht dient.

Nur ist es zu früh, um wirklich sagen zu können, ob das Gesetz gelungen ist. In den kommenden Jahren wird wohl dessen Anwendung, insbesondere durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) darüber entscheiden, ob das Gesetz in der Praxis Zähne hat und es zugleich im Verwaltungsaufwand beherrschbar bleibt. Dass das BAFA als aufsichtführende Behörde gewählt wurde, finde ich aber schon mal gut, da es außenwirtschaftserfahren ist und nah an der Praxis agiert.

Gerade der Mittelstand hat jedenfalls Arbeit vor sich. Viele handeln in ihren Lieferketten grundsätzlich richtig, müssen nun aber Struktur in ihre Unternehmensabläufe und ihr Berichtswesen bringen. Wenn sie alle Daten zur ersten Garde ihrer Zulieferer strukturiert erfasst haben, ist schon viel geschafft. Dafür müssen sich die Unternehmensführungen professionalisieren – nicht nur in Sachen Compliance, sondern auch im Zusammenspiel mit Vertrieb und Einkauf.

Einen Kritikpunkt verstehe ich: Ob ein Unternehmen unter das Gesetz fällt, sollte nicht von der Zahl der Mitarbeiter abhängen, sondern auch vom Umsatz. Personalintensive Branchen wie die Pflege haben in Deutschland künftig einen erhöhten Bürokratieaufwand, obwohl ihre internationalen Lieferketten überschaubar sind. Und einige Forderungen sind noch strukturbedingt unrealistisch, beispielsweise die aktuell im EU-Parlament diskutierte Forderung nach einer vollkommenen Transparenz der Wertschöpfungskette. Noch ist das nicht möglich. Es wird ein ziemlicher Ritt, aber ich bleibe zuversichtlich, das schaffen wir schon.“

Foto: Mina Esfandiari

2 – Laura Marie Edinger-Schons ist Professorin für BWL, insbesondere nachhaltiges Wirtschaften, an der Universität Hamburg. Dass ein Gesetz hermusste, liegt für sie auf der Hand.

„Ich glaube, die Mehrheit der Manager hat verstanden, dass es mit Einzelmaßnahmen nicht getan ist und Nachhaltigkeit jedes Geschäftsmodell, jede Strategie betrifft. Das Thema liegt deshalb häufig direkt beim Vorstand. Das Lieferkettengesetz ist schließlich nur ein Teil eines großen Pakets an Änderungen im Bereich Nachhaltigkeit. Aber hier gibt es endlich etwas Konkretes.

Die Unternehmen, die das Thema bislang – irrationalerweise – weggeschoben haben, bekommen jetzt Panik: Sie könnten bestraft werden, wenn sie nicht den Regeln folgen. Und ich finde das gut. Es lässt sich darüber streiten, ob das Gesetz aus juristischer Perspektive gut gemacht ist. Aber seine Funktion als Weckruf ist viel wichtiger.

Die nächste Frage ist, wie das Gesetz im Einzelnen umgesetzt wird. Die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen stehen meist am Anfang der Lieferkette – dort, wo die Rohstoffe abgebaut werden. An alle Daten zu kommen ist oft unmöglich. Das Problem erhöht aber gleichzeitig den Innovationsdruck. In Deutschland entstehen gerade viele Start-ups, die daran tüfteln, wie sich beispielsweise mit künstlicher Intelligenz Daten besser erheben und vernetzen lassen. Durch das Gesetz werden unter unfairen Bedingungen geschöpfte Rohstoffe ausgeklammert, wodurch es zu einer weiteren Rohstoffverknappung kommen wird. In diesem Markt werden sich die Unternehmen mit dem besten Kreislaufmanagement durchsetzen. So wird ein Anreiz geschaffen, sozialer und ökologischer zu wirtschaften.

Ich verstehe Branchenvertreter, etwa Mittelstandsverbände, die den Aufwand fürchten. Aber sie haben auch lange die Chance nicht genutzt, sich besser aufzustellen. Wer seit Jahren umsteuert, hat es jetzt leichter. Die Opferrolle, in die sich viele flüchten, finde ich problematisch. Transformation ist teuer – aber das will natürlich niemand hören. Es wäre schön, wenn Unternehmensberatungen diese Wahrheit häufiger aussprechen würden. Aber leider verkauft sich die Illusion eines ‚Win-win- Wunderlands‘, in dem ESG-Transformation und monetärer Erfolg ab der ersten Sekunde Hand in Hand gehen, am besten.“

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Foto: Coffee Circle

3 – Martin Elwert gründete 2010 das Sozialunternehmen Coffee Circle. Seine Idee: im Kaffeehandel eine durchgehend nachhaltige und faire Wertschöpfungskette aufzubauen, von der alle Beteiligten profitieren. Dass nachhaltige Lieferketten nun auch außerhalb von Sozialunternehmen Standard werden sollen, ist aus seiner Sicht längst überfällig.

„Wir bemerken, dass mit dem Lieferkettengesetz etwas in Bewegung gekommen ist. Wir bekommen immer häufiger Anfragen auch von großen Marken und Unternehmen, die von uns wissen wollen: Wie habt ihr das gemacht? Was musstet ihr tun, um eure Lieferketten und eure Prozesse als Sozialunternehmen zertifizieren zu lassen?

Viele merken, dass es nicht mehr reicht, sich mit selbst ausgedachten oder bezahlten Nachhaltigkeits-Siegeln zu schmücken, weil genauer hingeschaut wird. Das bedeutet auch, dass man wirklich Zeit und Geld investieren muss und dass man bereit sein muss, mit bestehenden Strukturen ernsthaft zu brechen. Das ist eine große Herausforderung, denn oft sind die Unternehmen nur noch Designer und Vermarkter – mit den eigentlichen Produktionsprozessen in Afrika oder Asien kennen die sich gar nicht aus. Jetzt müssen sie sich damit beschäftigen, was dort eigentlich passiert. Und da muss ich sagen: Das ist sicher unbequem, aber auch absolut notwendig.

Wir haben Dekaden damit verbracht, das globale Handelssystem auf maximale Profite und niedrige Preise zu optimieren – auf Kosten der Umwelt und vieler Stake-holder. Natürlich ist es nicht einfach, diese Strukturen zu verändern – mit etwas Optimieren hier und da ist es nicht getan. Die Firmen, ihre Mitarbeiter und auch die Konsumenten müssen umlernen. Aber wir haben jetzt die Chance, vieles neu aufzustellen. Wenn das Gesetz dafür sorgt, dass man sich auf Nachhaltigkeits-Claims verlassen kann und sich Unternehmen wirklich verantwortlich verhalten, ist das ein Riesenerfolg.“

Foto: col_Hoffotografen

4 – Antje Gerstein ist beim Handelsverband Deutschland (HDE) Geschäftsführerin für EU-Politik und Nachhaltigkeit. Sie fürchtet, dass mit dem deutschen Lieferkettengesetz ein Wettbewerb um immer strengere Vorgaben für den internationalen Handel in Gang gekommen ist.

„Um das gleich klarzustellen: Das Ziel, die Arbeitsbedingungen im globalen Süden zu verbessern, teilen wir unbedingt. Schaut man sich an, wie viele verschiedene Produkte in den Läden stehen und wie viele einzelne Rohstoffe und Komponenten sie enthalten, sieht man schnell: Die Kontrolle, die ein Händler in so einem komplexen globalen Liefernetzwerk ausüben kann, ist begrenzt.

Zugleich greift das Lieferkettengesetz sehr tief ins operative Geschäft ein. Die Vorschriften sind extrem detailliert und die Berichterstattungen sehr aufwendig. Nun könnte man sagen: Da müssen wir halt durch – wenn alle den Prozess einmal durchlaufen haben, ruckelt sich das schon zurecht. Aber als Nächstes kommt das EU-Lieferkettengesetz, das nach allem, was wir bisher wissen, noch deutlich schärfer wird. Und dann setzt typischerweise ein „Goldplating“- Prozess ein: Jedes Land legt in der Umsetzung eine Schippe drauf, also eine landestypische Besonderheit oder ein eigenes politisches Projekt – denn dafür kann man schließlich die EU verantwortlich machen. Und dann wird es unübersichtlich.

Ich würde mir wünschen, dass als generelles Grundprinzip die Unternehmen immer die Möglichkeit erhalten, nach Ermittlung und Gewichtung der entsprechenden Risiken ihre Priorisierung vorzunehmen. Also zum Beispiel: Wenn ich Produkte aus einem Land beziehe, in dem der rechtliche Rahmen für sichere Arbeitsbedingungen nicht klar gesetzt ist, prüfe ich genau – aber wenn ich in der EU unterwegs bin oder in Kanada, darf ich mich darauf verlassen, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Man könnte auch mit einer Negativ-Liste arbeiten, die problematische Lieferanten kenntlich macht. Das würde es für Unternehmen deutlich einfacher machen. Und mal vom Ende gedacht: Damit würde dort, wo der Veränderungsbedarf am größten ist, auch am meisten bewirkt.“

Foto: Beiersdorf

5 – Harald Emberger beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Lieferketten-Themen. Seit 2015 arbeitet er beim Konsumgüterriesen Beiersdorf, mittlerweile als Corporate Senior Vice President Supply Chain und Mitglied im Executive Committee.

„In den meisten Lieferkettenabteilungen wuchs erst im Lauf der 2000er das Bewusstsein, dass wir nicht nur Kosten optimieren müssen, sondern auch eine ökologische und soziale Verantwortung haben. Die Digitalisierung hat die Lieferkettentransparenz leichter gemacht: Wir können heute die Daten einzelner Lieferkettenschritte erfassen und damit Prozesse besser strukturieren. Mit digitalen Werkzeugen und entsprechend qualifizierten, engagierten Mitarbeitern können Unternehmen zum Beispiel den Materialaufwand viel präziser abschätzen. Dadurch lässt sich unter anderem Abfall vermeiden.

Seit ein paar Jahren hat das Thema auch jenseits der Regulierung Fahrt aufgenommen. Unsere Mitarbeiter erwarten heute, dass ihr Arbeitgeber verantwortungsvoll handelt. Bei Beiersdorf gab es 2010 die erste größere Debatte zum Thema Palmöl, da das in vielen Produkten enthalten war und für Palmplantagen Regenwälder gerodet werden. In den vergangenen fünf Jahren haben wir Rezepturen verändert und uns schrittweise immer ambitioniertere Nachhaltigkeitsziele gesteckt. Heute ist Nachhaltigkeit ein CEO-Thema.

Natürlich stellt sich die Frage: Was kostet das? Ist eine nachhaltige Lieferkette teurer? Während der Umstellung müssen wir in der Tat mehr zahlen, wir haben zum Beispiel viel Geld in neue Fabriken investiert. Innovationen lassen sich aber langfristig mit Effizienz verbinden, etwa wenn man das Investment mit zusätzlichen Maßnahmen (Fotovoltaik, Energierückgewinnung) verbindet. An anderer Stelle sparen wir schon jetzt, beispielsweise verbinden wir den Einsatz von wiederverwerteten Kunststoffen mit dünnwandigeren Verpackungen. Das spart CO2 und Kosten.

Wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht, kann ich nur sagen: Da haben wir unsere Lieferkette schon lange streng im Blick. Wir sind sehr nah an unseren Fabriken dran. Unsere Herausforderung ist: Wir setzen viel Spezialchemie ein und sehen die Emulsionen und Formulierungen, die zugeliefert werden, erst in einem fortgeschrittenen Stadium. Aber auch hier gibt es Überwachung und Compliance-Codes.

Dass das Lieferkettengesetz kommt, finde ich richtig. Für uns bedeutet das keine große Transformation, eher eine Weiterentwicklung dessen, was ohnehin im Gange ist. Perfekt vorbereitet fühlt sich wahrscheinlich kein global agierendes Unternehmen, das mit vielen Lieferanten arbeitet. Wir haben die Zahl der Auditierungen hochgeschraubt und sind Verträge kritisch durchgegangen.

Insgesamt sind wir gut aufgestellt, aber es gibt natürlich immer noch etwas zu tun. Kleine Unternehmen oder welche mit engen Margen haben mit der Komplexität der neuen Anforderungen sicher mehr zu kämpfen. Ein großes Thema bleibt, die richtigen Talente zu finden, um die Organisation so aufzustellen, dass wir die enormen Herausforderungen der Zukunft managen können.“

Foto: Caroline Pitzke

6 – Markus Löning war von 2010 bis 2014 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik. Anfang 2014 gründete er die Nachhaltigkeitsberatung Human Rights & Responsible Business, die bereits 2016 die Studie „Lieferketten sind Menschenketten“ veröffentlichte.

„Die Debatte rund um das Lieferkettengesetz ist mir viel zu pessimistisch. Auf der einen Seite stehen viele NGOs und sagen: Alles zu wenig, alles ganz schlimm. Und auf der anderen Seite Unternehmen, die sagen: Alles zu viel, wir haben hier Krise, lasst uns in Ruhe! Für so was haben wir keine Zeit und kein Geld! Was mir fehlt, ist die Perspektive. Welche Möglichkeiten stecken in den Veränderungen der Lieferkettenpolitik?

Kreislaufwirtschaft, Klima, Menschenrechte, Soziales – da gibt es so viele Ansätze, die Globalisierung für alle besser zu machen. Die Unternehmen sagen natürlich zu Recht: Wir wollen und brauchen eine offene Welt, den freien Fluss von Ideen, Produkten und Technologie. Fakt ist aber auch, dass die Arbeitsbedingungen in unseren globalen Wertschöpfungsketten verbesserungswürdig sind. Und da kann man nicht sagen: Wenn irgendwo in meiner Lieferkette jemand Zwangsarbeiter beschäftigt, weiß ich nichts davon und kann auch nichts dafür.

Wenn es nun ein Gesetz gibt, das klarstellt, dass es eine Verantwortung auf Unternehmensseite gibt, ist das richtig so. Ich würde mir wünschen, dass man öfter aus den Unternehmen hört: Stimmt, das ist eine gute Sache, lasst uns das mal machen!

Man muss auch sehen: Es kommen gerade große Dinge in Bewegung, die Unternehmen im Wandel unterstützen. Wir sehen neue Handelsverträge, mit denen die Politik die Bemühungen der Unternehmen um nachhaltige Handelsbeziehungen flankiert. Wir sehen riesige grüne Investitionspakete in den USA und der EU. Wir richten unsere Beziehungen zu Asien neu aus und bauen dort neue, verbindende Strukturen, auch jenseits von China. Wir haben die neue EU-Rohstoffstrategie und die Kreislaufwirtschafts-Initiative.

Die Chancen, die sich aus diesem Umbau für Unternehmen und ihre Lieferketten ergeben, sind riesig. Das ist kein Anlass für Abstiegsängste – das wird richtig gut!“ //

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