Was will dieses Heft?

Mehr sind mehr

/ Dass sich Menschen in schwierigen Zeiten Verbündete suchen, ist nicht ungewöhnlich. Wenn es kalt wird, rücken wir zusammen, Schicksalsgemeinschaften bilden sich. Aber so viele Partnerschaften und Bündnisse – das ist neu. Liegt das nur an der Art der Probleme, die uns dieser Tage das Leben schwer machen? An den Wachstumsschmerzen der Digitalisierung, den steigenden Energiekosten, gestörten Lieferketten, fehlenden Fachkräften und geostrategischen Verwerfungen? Oder haben wir in jüngster Vergangenheit vielleicht schon gelernt, dass wir zur Lösung komplexer Fragen, wie sie sich heute stellen, neue Strategien und Werkzeuge brauchen?

Susanne Risch – Chefredakteurin


Die Unsicherheit und der Veränderungsdruck sind jedenfalls hoch. Was vor wenigen Jahren noch als richtig galt, gilt heute nicht mehr. Alte Gewissheiten lösen sich auf, und mit dem Schwinden erprobter Konzepte wächst offenbar unsere Experimentierfreude – und die Einsicht, dass wir für die neue Zeit neue Wege und neues Wissen brauchen.

Gerade als Berater. „Wir verstehen uns als Kooperationspartner, wir sind Co-Creators, Mitspieler in wechselnden Öko-Systemen“, formuliert Christian Wrage, Vorstand und Sprecher der Sopra Steria SE das moderne Credo. „Consultants sind ja nicht schlauer als ihre Kunden. Die kennen ihre Branche, ihre Wettbewerber und Herausforderungen sehr genau, im Zweifel besser als wir. Aber wir wissen, wie man mit dem Auftraggeber eine Lösung entwickeln, testen, optimieren und dann umsetzen kann.“

Ähnlich klingt es bei der Unternehmensberatung Innovative Management Partner (IMP), einer mittelgroßen Boutique in München. Weil nicht nur ihre Klienten, sondern auch die Berater mit ihrem Können an Grenzen stießen, haben sich die Consultants schon vor Jahren einer Art offener Strategieberatung verschrieben. Ihre Kunden müssen sich nicht mehr auf das Wissen Einzelner verlassen, sondern bekommen Zugang zum dezentral geknüpften, kollaborativen Expertennetzwerk der Beratung. Rund 1700 Managerinnen, Tech-Profis und Kreative aus unterschiedlichsten Bereichen arbeiten inzwischen regelmäßig in den IMP-Expert-Communitys mit. Unentgeltlich, zu eigenem Nutzen und dem anderer (Seite 10).

Der Campus von Merantix in Berlin funktioniert ähnlich. Dort forschen, analysieren und programmieren rund 1000 Fachleute an Entwicklungen für künstliche Intelligenz (KI). Sie beschäftigen sich mit KI-basierten Anwendungen zur Früherkennung von Brustkrebs, zur Prüfung rechtlicher Verträge, zum Datenmanagement oder der Entwicklung neuer Materialien. Merantix ist eine Art Co-Working-Space und soll zu einem fruchtbaren Ökosystem werden, in dem die Bewohner durch das Teilen ihres KI-Wissens mehr Werte schaffen als jede beteiligte Firma es je für sich allein könnte (Seite 66).

Tebis Consulting, ein kleines Beratungshaus aus Göppingen, geht noch einen Schritt weiter. Weil sie ihre Klienten aus der gebeutelten Werkzeug-, Formen- und Modellbaubranche bestmöglich unterstützen wollen, agieren die Berater wie Branchenpaten – und bringen neuerdings sogar Wettbewerber an einen Tisch, um Bündnisse und Partnerschaften zu schmieden (Seite 34).

Das sind alles erst zarte Pflänzchen, keine Frage. Aber dahinter steckt mehr. Schließlich haben auch die Großen im Consulting längst erkannt, dass sie neues Wissen brauchen, und erweitern zielstrebig ihre Portfolios durch die Übernahme von Werbern, Kreativagenturen und Data-Spezialisten.

So viel scheint sicher: Der Berater der neuen Zeit muss es nicht besser wissen – sondern Wissen schaffen. Das erfordert ein verändertes Selbstbild, einen realistischen Blick auf die eigene Größe und eine gewisse Bescheidenheit. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen Dienstleister. //