Arbeitsplätze werden zu Produkten

Spitzenjobs!

Seit das Fachpersonal knapp wird, versuchen Unternehmen freie Stellen wie Produkte unter die Leute zu bringen. Wie funktioniert das?





/ Die Neuen sollten nur im Lager arbeiten, um dort Waren von A nach B zu packen. Die Logistikfirma in Hamburgs Hafencity aber nahm sie so in ihre Reihen auf wie alle anderen Mitarbeiter auch: Sie veranstaltete einen „Initiation Day“. So heißt das, wenn Neuankömmlingen ein Empfang mit Häppchen bereitet wird und die Einarbeitung zum Beispiel in Form spielerischer Workshops stattfindet.

Das Problem in Hamburg sei allerdings gewesen, erzählt der Berater Volker Jacobs, dass die Firma auch danach Probleme hatte, Mitarbeiter zu finden. Denn die herzliche Begrüßung sprach sich draußen nicht herum: Es kam nicht zum erhofften Employer Branding, die Mitarbeiter warben keine neuen Mitarbeiter. Auf die Frage nach dem Warum förderten die Analysten von Volker Jacobs’ Firma TI People eine verblüffend einfache Antwort zutage: Im Lager wurde die Arbeit den Leuten unnötig schwer gemacht – sie mochten nicht, was sie taten.

Wie das geändert werden konnte, dazu später mehr. Doch zeigt das Beispiel jetzt schon, was der heißeste, aber auch herausforderndste Trend im Wettbewerb um Mitarbeiter ist: Arbeitsplätze werden zu Produkten. Gekauft, behalten und weiterempfohlen wird von den Bewerbern nur, was ihnen gefällt. Die aktuelle Schlacht im War for Talents gewinnt, wer seinen Mitarbeitern die bestmögliche „Employee Experience“ liefert – eine sinnvolle, erfüllende und angemessen vergütete Aufgabe.

Laut einer Studie des McKinsey Global Institute (MGI) von 2017 könnten bis 2030 weltweit bis zu 375 Millionen Beschäftigte von der Digitalisierung und Automatisierung dazu gezwungen werden, ihren Beruf oder ihre Branche zu wechseln. Das wären gut 14 Prozent der arbeitenden Weltbevölkerung. Vergleichbar ist diese Verschiebung unter den werktätigen Massen wohl nur mit der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts. Nur dass diesmal alles viel schneller geht – innerhalb von fünf bis zehn Jahren. Und die haben schon begonnen.

Die meisten Unternehmen haben inzwischen zwar begriffen, dass sie sich mit freien Stellen nicht mehr wie früher auf einem Angebotsmarkt, sondern einem Nachfragemarkt bewegen, doch wissen viele noch nicht, wie sie damit umgehen sollen. Hinzu kommt ein Problem, das alle Branchen betrifft: Die hoch entwickelten Volkswirtschaften, schreibt das MGI, stehen vor der Aufgabe, Millionen von Menschen in der Mitte ihres Lebens umzuschulen und ihnen dabei Fähigkeiten zu vermitteln, von denen nur teilweise klar ist, wie sie überhaupt aussehen.

Wie also soll das gehen? Wir haben vier Beratungshäuser gefragt.

Das Produkt optimieren

Zurück zu den Lageristen, die ihre Arbeit nicht mochten. Volker Jacobs’ Beratung TI People ist, wie Jacobs selbst sagt, „ein großer Verfechter der Idee von Mitarbeiterzentrierung“. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, frustrierende Erfahrungen im Arbeitsalltag zu erkennen und durch bessere zu ersetzen. In Hamburg führten die Berater Interviews mit den Lageristen, liefen mit ihnen mit und machten Fotos. Sie fanden heraus: Was die Mitarbeiter im Lager bewegten, war schwer, es musste sehr schnell auf unterschiedliche Ebenen geschafft werden – und dabei mussten die Leute ständig die Bahnen herumdüsender Gabelstapler überqueren. Danach fiel es nicht schwer, Verbesserungsvorschläge zu machen.

TI People wurde 2016 von einem Team international erfahrener Human-Resources-Manager gegründet und ist seitdem darauf spezialisiert, Arbeitsabläufe und Unternehmensstrukturen strikt von den Mitarbeitern her zu betrachten, um daraus eine bessere Personalentwicklung abzuleiten. Zwänge des Marktes, Zielvorgaben des Vorstands, Erwartungen der Stakeholder – das alles spielt die zweite Geige. „Das ist unbequem und fällt den Kunden anfangs echt schwer“, sagt Jacobs. „Aber wenn man die Lösungen konsequent an den Erfahrungen der Mitarbeiter ausrichtet, erhöht das den Unternehmenserfolg signifikant. Und zwar messbar.“

Dazu müssen die Probleme aber erst mal erkannt werden, was nicht leicht ist, denn sie liegen oft woanders, als die Auftraggeber vermuten. Deshalb verlassen die Berater regelmäßig ihre Büros in Hamburg, London oder Washington und besuchen Versicherungen, Krankenhäuser oder Technologiefirmen, um akribisch zu sammeln, was sie „Momente“ nennen: Das Bewerbungsgespräch beispielsweise ist so ein Moment, der erste Arbeitstag, Schichtwechsel, Mittagessen in der Kantine, ein Meeting, eine Kundenpräsentation, der Montag mit zu vielen E-Mails, Überstunden am Donnerstagabend. Zudem werden Fragebögen per Mail verschickt, die anonymisiert Daten erfassen, etwa zu Abläufen, Zufriedenheit, Kritik, Motivation, Zuständigkeiten und Hierarchien.

Aus den Daten entstehen Bilder, die Augen öffnen, wie etwa bei einem US-Klinikbetreiber: Der musste gutes medizinisches Personal nicht mehr mit viel Geld und einem Plus an Urlaubstagen für sich gewinnen und bei der Stange halten. Es reichte, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter ihre eigentliche Arbeit, die Krankenversorgung, besser erledigen konnten. Bis dahin waren die Schwestern und Pfleger von umfangreichen Dokumentationspflichten auf Papier davon abgehalten worden. Das hatte Frust, Stress, Fehler verursacht – und gute Leute vertrieben.

Jacobs meint, ein Dreiklang bestimme, ob eine Arbeit den Menschen zufrieden macht und damit so leistungsfähig, wie er sein kann: die Attraktivität der Tätigkeit, ihre Relevanz und die Bindung an die Aufgabe und den Arbeitgeber. Selbst wenn das Kollegium harmoniert, der Chef kompetent ist und die Bezahlung stimmt, kann ein Mitarbeiter seine Erfahrungen als schlecht empfinden und unzufrieden sein. „Man muss genau hingucken“, sagt Jacobs: Wo liegt das Werteversprechen eines Unternehmens – und wird es gehalten?

Können Mitarbeiter folgenden drei Aussagen zustimmen, bestehe Handlungsbedarf – aber auch ein Potenzial, die Leistung des Unternehmens zu verbessern:

1. Meine Arbeit ist mühsam. Ich schaffe nicht, was ich soll. Mir fehlen Erfolgserlebnisse.

2. Meine Arbeit ist irrelevant. Es ist unwichtig, was dabei herauskommt.

3. Ich würde die Stelle, das Projekt nicht noch einmal annehmen.

Jacobs glaubt, dass bei der Arbeit die Erfahrungen des Einzelnen als Konsument auf die als Mitarbeiter prallen. Er nennt das den Sonntag-Montag-Unterschied: Sonntags reagieren Algorithmen von Netflix, Alexa oder dem Thermomix sekundenschnell auf unsere Wünsche, Vorlieben und Launen. „Die kennen uns und wissen, was uns gefällt.“ Dann ist Montag, und das Zoom-Meeting startet mit zu vielen Teilnehmern und ohne Agenda. Eine Rundmail mit einem Rüffel vom Chef landet bei einem Empfänger, der mit dem Projekt gar nichts zu tun hat. Oder die versprochene Software-Korrektur aus der IT, ohne die das Angebot für den Kunden nicht vorankommt, ist immer noch nicht da.

Sind die Probleme gefunden, nutzen die Berater Methoden wie Design Thinking, um Prozesse und Strukturen zu verändern und die Situation zu verbessern. „Es geht nicht um Perfektion“, sagt Jacobs. „Aber die Faktoren, die meine Arbeitserfahrung bestimmen, müssen in einer guten Balance sein, damit ich als Mitarbeiter dem Unternehmen zum Erfolg verhelfen und dabei selbst zufrieden sein kann.“

Das Produkt verkaufen

Doch auch der beste Arbeitsplatz muss erst einmal wahrgenommen werden. Dabei hilft Heyjobs. Marius Luther und Marius Jeuck gründeten ihre Firma 2016, nachdem es ihnen nicht gelungen war, für ihr damaliges Start-up passende Entwickler zu finden. In dem Prozess war ihnen aber klar geworden, dass es nicht mehr reicht, einen Job nur über ein Stellenportal anzubieten, um passende Mitarbeiter zu finden. Und das, weiß Marius Luther, werde sich in Zukunft noch verschärfen – der Fachkräftemangel werde enorm sein. Bis zu fünf Millionen Mitarbeiter werden in dieser Dekade allein in Deutschland fehlen. Deshalb müsse sich bei der Rekrutierung alles ändern: „Prozesse, Systeme, Mindset.“

Heyjobs nutzt für die Rekrutierung Mechanismen, die sich im Onlinehandel bewährt haben. Jobangebote werden nicht nur auf entsprechenden Websites platziert, sondern auch dort, wo die Kandidaten ohnehin sind: auf Facebook, Instagram und Onlinehandelsplätzen oder bei Streamingdiensten. Danach geht es per Tracking weiter. Hat etwa ein Mechatroniker in seiner Facebook-Gruppe für Autosport eine neue Stelle über den Heyjobs-Link gesehen und sich beworben, folgen ihm womöglich andere aus seinem Umfeld – also platziert der Algorithmus dort vergleichbare Angebote.

Dasselbe gilt, wenn die Marketingassistentin auf Ebay-Kleinanzeigen beim Klamottenkauf auf einen Arbeitgeber aufmerksam wurde – vielleicht gelingt das auch bei einer Kollegin? Im besten Fall erwischt man so Interessenten, die gar nicht aktiv auf der Suche sind, aber womöglich zu einem Wechsel animiert werden können. Insbesondere diese „passiven“ Kandidaten sind in Zeiten des Fachkräftemangels Gold wert.

Damit das gelingt, zerlegt die Software von Heyjobs Stellenangebote und ihre Zielgruppe in bis zu 230 Parameter, um so dicht wie möglich an geeignete Kandidaten heranzukommen. „Wir analysieren auch, was der Zielgruppe bei einem neuen Job wichtig ist“, erklärt Luther. Das können Klassiker wie Gehalt, Arbeitszeiten, Ruf der Firma oder Entfernung zur Arbeit sein, aber auch Aufstiegschancen, Weiterbildungsangebote oder Umweltbewusstsein. Zugleich wird darauf geachtet, dass nur Bewerber durchkommen, die gewisse Mindestanforderungen erfüllen. „Die Personaler haben uns gesagt, dass sie höhere Einstellungsquoten brauchen statt hoher Kontaktzahlen.“

Ganz nebenbei verändert Heyjobs in diesem Prozess das Denken in den Personalabteilungen ihrer Auftraggeber. Das hilft, Konzepte und Instrumente zum Anheuern von Mitarbeitern zu modernisieren.

Die größte Personalnot, sagt Marius Luther, herrsche nicht in den Softwareschmieden oder IT-Abteilungen der Konzerne. Er zeigt ein Diagramm in Form einer Pyramide. Die Spitze, etwa 20 Prozent, seien gut vernetzte Akademiker: Unternehmensberater, Ingenieure, Ärzte, Wissenschaftler, Programmierer, Manager. „Die“, sagt er, „brauchen uns nicht unbedingt. Die wissen, wie sie etwas Neues finden oder gefunden werden. Doch die anderen 80 Prozent wissen nicht, wie sie an einen Traumjob kommen.“ Handwerker, Facharbeiter, Pflegekräfte, Hotel- und Restaurantfachkräfte, Kauffrauen und Kaufmänner: „Hier können wir einen großen Beitrag leisten.“

Herausfordernd seien Berufsgruppen, die stark umworben werden, für die aber Anreize wie Home Office unmöglich oder Gehalt aufgrund von Tarifbindungen keine große Stellschraube seien. Doch auch da liefern die Daten Ansätze: Eine Intensivkrankenschwester lockt man aus ihrem bisherigen Krankenhaus vielleicht, indem sich ein Team in einem Video sympathisch präsentiert und verlässliche Schichtpläne zugesichert werden. Bei einem Vertriebler kann ein neues iPhone als Einstiegsprämie helfen. Und einem Metzgermeister wird auch schon mal ein neuer A6 als Dienstwagen vor die Tür gestellt, damit er die Fleischwarenabteilung eines Großhandelsmarktes in der Provinz leitet, weiß Luther.

Materielle Anreize bringen aber nur etwas, wenn sie kleinere Nachteile ausgleichen, etwa die zwischen Stadt und Land. Sie brächten wenig, sagt Luther, „wenn das eigentliche Produkt, der Arbeitsplatz, die Arbeitsinhalte und die Arbeitsatmosphäre schlecht sind“.

Das Umfeld verbessern

Kein Arbeitsplatz ist eine Insel: Auch zu den besten Jobs gehören Chefs und Strukturen, die gut sein müssen, sollen Mitarbeiter länger bleiben. Bestehende Strukturen effizienter zu gestalten ist eine klassische Berateraufgabe, doch die Berliner Beratung Undconsorten, die vor knapp 15 Jahren von zwei auf Personalfragen spezialisierten ehemaligen McKinsey-Führungskräften gegründet wurde, kümmert sich daneben auch um den Führungsstil, der zu den neuen Abläufen passen muss. Die rund 40 Mitarbeiter haben bereits bei der Deutschen Bahn, bei Tengelmann und Bertelsmann, in mittelständischen Familienbetrieben und für öffentliche Institutionen Abläufe neu entwickelt, Abteilungen restrukturiert und Teams agiler gemacht. Dabei müssen sie einiges richtig gemacht haben – für ihren Kernbereich Führung und Organisation wurde die Beratung schon dreimal mit dem Hidden Champion Award ausgezeichnet.

Partner Axel Hüttmann erzählt von einem Transportunternehmen, das aufwendig agile Strukturen einführte, seine Ziele aber trotzdem nicht erreichte. „Wie so oft stellten wir auch hier Reibungsverluste auf der mittleren Führungsebene fest“, sagt er. Dahinter stecke oft die Angst, dass selbstorganisierte agile Teams ohne Führung auskommen und so die eigene Position überflüssig werden könnte. Ein anderer Kunde aus der Autobranche, der sehr schnell vom Familienunternehmen zum global operierenden Firmenkonglomerat gewachsen ist, muss sich nun digitalisieren und mit Elektromobilität beschäftigen. Dafür muss das Unternehmen neu aufgestellt werden. Nur: wie?

In beiden Fällen fragen die Berater zunächst: Was ist gute Führung? Erstaunlicherweise werden häufig vor allem die Defizite auf allen Ebenen ähnlich benannt. Beim Automobilkunden waren es Mängel beim Feedback, bei der Fehlerkultur und in der Mitarbeiterentwicklung.

Danach starten die Consorten den Veränderungsprozess – meist auf der Leitungsebene. „Wenn in Unternehmen kollaborative Arbeitsformen eingeführt werden sollen, muss sich auch die Führung verändern“, sagt Gründer Jens Müller-Oerlinghausen.

Eine Führungskraft sollte Befähiger ihres Teams sein, also Entscheidungen und Prozesse ermöglichen, statt sie vorzugeben. In vielen Firmen werden zudem Rollen neu verteilt oder aufgelöst: Führungskräfte steuern parallel mehrere Fachbereiche – und Mitarbeiter haben je nach Thema andere Vorgesetzte. Das gelinge nur, meint Müller-Oerlinghausen, wenn sich auch die Kultur eines Unternehmens ändere.

Deshalb sei es vor allem wichtig, Sinn, Zweck und Ziel von Veränderungen zu definieren und die Beteiligten darauf einzuschwören. Deshalb gehen die Consorten in die Teams und holen auch Personalmanager und Führungskräfte dazu. Im Alltag, hat sich gezeigt, kommt man damit weiter als mit Trainings. In großen Firmen versuchen sie, mit Pilotprojekten schnelle Erfolge zu erzielen, die sich herumsprechen und unternehmensweit Schule machen. Laufe die Arbeit auf neue Art irgendwo spürbar besser, „gibt das einen enormen Schub“, weiß Hüttmann aus Erfahrung.


Druck bringt gar nichts. Erkenntnis ist alles.
Volker Jacobs

Und niemals nachlassen

Auch wenn Fachkräfte händeringend gesucht werden – entscheidend bleibt ihre Qualifikation. Und die wird immer anspruchsvoller: Digitalisierung, Umstrukturierungen und agile Prozesse sorgen für wachsende und immer breiter gefasste Anforderungen an Mitarbeiter. Erhebungen des Weltwirtschaftsforums besagen, dass sich bereits dieses und nächstes Jahr 42 Prozent der Kernkompetenzen, die zur Ausübung existierender Tätigkeiten nötig sind, verändern werden.

Kein Wunder, dass laut der McKinsey-Umfrage „Retraining and reskilling workers in the age of automation“ 62 Prozent der weltweit befragten Vorstände von Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Dollar Jahresumsatz glauben, dass sie bis 2023 mehr als ein Viertel ihrer Belegschaft weiterbilden müssen. 66 Prozent sehen Weiterbildung als eine ihrer Top-Ten-Aufgaben, doch nur 16 Prozent dieser Führungskräfte fühlen sich gut genug vorbereitet, um potenzielle Qualifikationslücken überhaupt zu benennen. Das Gros weiß also gar nicht, welche Fähigkeiten es sich ins Haus holen muss.

Ein Grund dafür mag sein, dass es nicht nur um fachliche Qualifikationen geht. Marius Luther von Heyjobs empfiehlt, um auch in Zukunft gebraucht zu werden, sollten sich Fachkräfte auf gefragte Berufsbilder spezialisieren, Akademiker ihre digitalen Fähigkeiten und ihr Verständnis für Technologie verbessern. Genauso wichtig sei es jedoch für beide Gruppen, stetig dazuzulernen und Neuem gegenüber aufgeschlossen zu bleiben.

Volker Jacobs von TI People sieht das ähnlich: MItarbeiter sollten den Wert ihres heutigen Wissens kennen, sagt er, und sich fragen, ob Roboter oder künstliche Intelligenz ihnen in den nächsten zehn Jahren ihren Job streitig machen könnten. Sie sollten zudem die „benachbarten“ Skills ihrer heutigen Fertigkeiten zumindest kennen, sodass sie schon einmal wissen, was sie in Zukunft lernen sollten. Vor allem aber sollten sie aktiv werden und ihr Lernen selbst steuern – das wird in der neuen Arbeitswelt niemand für sie übernehmen.

Lernwille, Lernfähigkeit, Lernbegeisterung – die Zukunft will gelernt sein. Aber nicht wie früher, mit eingekauften Top-Dozenten im Konferenzraum II-b. Besser sei es, Arbeit und Lernen miteinander zu verknüpfen, meint Jacobs. So könnte zum Beispiel in einer Tech-Firma ein neues Projekt zu künstlicher Intelligenz starten, Laufzeit acht Monate, für die intern ein Software-Ingenieur gesucht wird, der eine weitere Programmiersprache lernen will. Umfang: zehn Stunden der Wochenarbeitszeit.

Bisher, sagt Jacobs, „habe ich vielleicht zufällig von der Sache gehört, musste meinen Teamleiter überreden, dabei mitmachen zu dürfen, und ihm zugleich die Sorge nehmen, ich könnte ihn hängen lassen“. Die Folge: Stress durch schlechtes Gewissen und Mehrarbeit. Besser sei es, die Firmen richteten Lernplattformen und digitale Schwarze Bretter ein, auf denen Schulungen und projektbezogene Weiterbildung ausgeschrieben werden, sodass sich jeder bewerben kann.

Jacobs hat bei Here Technologies erlebt, wie das geht: Das niederländische Unternehmen für Karten- und Standortdaten, das auch in Berlin und den USA Dependancen unterhält, versorgt unter anderem die Autoindustrie mit Material für Navigationssysteme, wofür Analysten weltweit Geodaten erfassen und bearbeiten. In entlegenen Regionen ist der Aufwand allerdings überschaubar, und so sind die Mitarbeiter dort häufig nicht ausgelastet. Das ist teuer für die Firma und langweilig für die Spezialisten. Deshalb bietet Here seinen Leuten für solche Zeiten Weiterbildungen an. Jacobs erzählt von einem Analysten in Südafrika, der während der Flauten an seinem Standort nach Seattle wechselte und dort auf ein Projekt zur Softwareentwicklung aufsprang – wo er sich neue Fähigkeiten aneignete.

Am besten funktioniert so ein Re-Skilling, wenn die neue Aufgabe mit dem ausgeübten Beruf verwandt ist: Eine Marketingmanagerin geht in die Datenanalyse, ein Konstruk-tionsingenieur erwirbt Programmierkenntnisse. Transparenz bei der Ausschreibung der Angebote zum On-the-Job-Learning und der Vergabe von Schulungsmaßnahmen sind dabei ebenso wichtig wie individuelle Lernpfade, die Mitarbeitern ein eigenes Lerntempo gestatten.

Hilfreich ist auch die Unterstützung von Personalern, die dafür allerdings ebenfalls neue Fähigkeiten brauchen: Als Mentoren und Coaches müssen sie die Angst vor Veränderung nehmen. Und im besten Fall Lust machen. Erfolgreich sei so eine Weiterbildung am ehesten, wenn sie freiwillig gemacht werde. „Druck bringt gar nichts“, sagt Jacobs. „Erkenntnis ist alles.“ //