Gute Leute finden und binden

Auf Augenhöhe, fertig, los!

Die kleine IT-Schmiede MaibornWolff schafft es seit elf Jahren, ein gefragter Arbeitgeber in einem heiß umkämpften Fachkräftemarkt zu bleiben.





Volker Maiborn
ist einer der Gründer von MaibornWolff und findet seine Leute cool.

/ Bevor Martina Beck mit einem Neukunden ein Angebot für das künftige digitale Design seines Unternehmen durchgeht, malt sie manchmal etwas, so richtig mit Buntstift.

Für einen großen Versicherungskonzern sah ihr Entwurf aus wie ein Bühnenbild fürs Kindertheater: Auf der gut sortierten Grafik geht eine Sonne auf, deren aufgefächerte Strahlen zeigen, was und wer von einem geplanten Neubau der IT erfasst und profitieren würde. In den Strahlen steht beispielsweise: „Organisation“, „Governance“, „IT-Kosten“. Wolken am hellblauen Firmament tragen Zielscheiben, deren Beschriftungen klarmachen, was Becks Team liefern muss: „Implementieren“, „Beraten“, „Enablen“. Ein Geldsäckel am Rand symbolisiert, was für den Kunden drin ist. Und über allem schwebt ein Banner, auf dem steht: „Was wir verstanden haben …“

Das klarzustellen sei ihr wichtig, sagt Martina Beck. Denn nicht immer sei das, was der Kunde im Pitch ausgeschrieben habe, auch das, was er laut der Analyse ihres Teams braucht. Die Versicherung hat nach einigen Stunden lebhafter Bildinterpretation eingeschlagen.

„Was wir verstanden haben“ – man kann das als Metapher lesen für den Erfolg der IT-Schmiede MaibornWolff, für die die 53-jährige Martina Beck als Partnerin und Bereichsleiterin Digital Design manchmal malt. Denn wie mit ihren Kunden geht die Firma auch mit ihren Leuten um: Man findet erst heraus, ob man zueinander passt, um dann zusammen loszulaufen und gemeinsam Erfolge zu erzielen. Kein Wunder, dass der IT-Spezialist mit Hauptsitz in München 2020 das elfte Jahr in Folge zu einem „Great Place To Work“ gekürt wurde. Mit diesem Etikett lassen sich gut neue Talente locken, sogar wenn man keine Spitzengehälter zahlen kann, sagt Volker Maiborn, einer der Firmengründer.

MaibornWolff, gegründet 1989 von einigen Studenten um Volker Maiborn und Holger Wolff, ist im vergangenen Jahrzehnt stark gewachsen, von knapp 80 auf 528 Mitarbeiter. Sie stammen aus 28 Nationen und arbeiten neben München auch in Augsburg, Frankfurt am Main, Hamburg, Darmstadt, Berlin und Tunis. Eine zweite Auslandsdependance in Spanien wird gerade aufgebaut. Die drei großen deutschen Autobauer zählen ebenso zu den Kunden wie Ökostrom-Anbieter, Banken, Hausgerätehersteller, Versicherungen, Carsharing-Flotten und die Deutsche Bahn.

MaibornWolff übersetzt Geschäftsideen ihrer Kunden in Software, entwirft IT-Architektur, programmiert Apps und die dazugehörige Datenverarbeitung für die Betreiber. Sie bietet an, Bestandstechnologien zu sanieren oder sie zu erneuern. Dafür braucht die Beratung die Fachkräfte, die alle wollen: Datenanalysten, Programmierer, Produktmanager. Also Leute wie die Medieninformatikerin Jana Helgath, 28, oder den Software-Ingenieur Khaled Labidi, 43.

Jana Helgath ist gleich nach dem Studium in die Firma gekommen, der Familienvater Labidi verließ vor gut drei Jahren seinen damaligen Arbeitgeber, weil der in seinen Augen stagnierte. Ihn reizte, was er von einer Freundin über MaibornWolff gehört hatte: Statt eines Assessmentcenters gibt es dort einen auf jeden Einzelnen zugeschnittenen Bewerbertag, der bis zu vier Stunden dauern kann und an dessen Ende man sofort erfährt, ob man ein Angebot erhält. Das passiert zudem wohl so wertschätzend, dass selbst abgelehnte Bewerber den Tag in den sozialen Netzen loben.

Volker Maiborn sagt, er könne schwerlich für sich und die drei anderen Geschäftsführer sagen, was so toll an ihrer Firma sei. Aber er könne die Grundpfeiler nennen, die ihr Unternehmen von Anfang an trügen: „Immer auf Augenhöhe bleiben und nie von oben herab kommunizieren. Vertrauen haben und schenken. Und Diversität als Reichtum begreifen, auch wenn wir das als Studenten nicht so genannt haben. Aber wir haben es gelebt. Als angehende Volkswirte, die vom Programmieren keine Ahnung hatten, haben wir das tunlichst unserem italienischstämmigen Mitstreiter überlassen. Denn der konnte es.“ Er lacht. Den Spaß an der Arbeit zu erhalten ist vielleicht der vierte Pfeiler. „Man darf nie mehr Ressourcen rausnehmen als reingehen“, sagt Maiborn.

Familienfreundliche und flexible Arbeitszeiten, bestätigen Khaled Labidi und Jana Helgath, seien selbstverständlich und Überstunden nicht gern gesehen. Später ein Sabbatical nehmen zu können wird schon beim Bewerbungsgespräch in Aussicht gestellt. Und wer sich zu übernehmen drohe, wird freundlich davon abgehalten, denn: „Auf ein Burnout zuzusteuern bringt niemandem etwas“, sagt Maiborn, 55, der Chef.

Franziska Schleuter
leitet die Abteilung Weiterbildung bei den IT-Beratern und hat sich für ein System zur Förderung neuer Führungskräfte von der Gamer-Welt inspirieren lassen.

Klar sei es anstrengend und aufwendig, immer wieder zu evaluieren, was gut läuft und was nicht, sagt Martina Beck, die vor zehn Jahren dazustieß. Aber die Firma profitiere davon immens – auch weil es sie vor Fehlentscheidungen bewahre.

Die promovierte Linguistin erinnert sich an die Bewerbung eines Kollegen, der aus der Bankenwelt kam. Vom Portfolio her schätzten sie ihn als unpassend ein: zu glatt, zu selbstbewusst, zu verdorben von einem Anreizsystem, das so gar nicht ihrem entsprach, in dem flache Hierarchien, hohe Eigenverantwortung und das Lernen aus Fehlern groß geschrieben werden. „Dann haben wir mit ihm drei Stunden in Frankfurt geredet, es wurde Abend darüber, und wir waren einfach nur begeistert.“ Sie hatten sich in dem Kandidaten getäuscht, auf eine überraschend gute Art. Der Mann bekam, klar, noch am selben Abend ein Angebot.

Einen guten Start zählen Personalberater zu den wichtigsten Momenten in der Mitarbeiterführung. Jana Helgath, die sich auch deshalb für die Firma entschieden hat, weil dort ein Drittel der Mitarbeiter Frauen sind, konnte schon an Tag zwei loslegen. Ihre Aufgabe in der Business-Analyse füllte sie aber schnell nicht mehr aus. Also wünschte sie sich von ihrem Bereichsleiter, auch Software zu entwickeln – und tat kurz darauf beides. „Das geht ganz unproblematisch. Unsere Firmenkultur fördert es, einfach zu fragen“, sagt Helgath.

Vor allem ist es ausdrücklich erwünscht, dass sich Mitarbeiter profilieren und weiterbilden, „mit Ehrgeiz, aber ohne Ellenbogen“, wie Volker Maiborn, sagt. „Wir möchten sie so gut qualifizieren, dass wir sie jederzeit wieder einstellen würden.“

MaibornWolff unterhält dafür den Campus, die firmeneigene Lernorganisation. Das klingt bei der Firmengröße nach Luxus, aber in Wahrheit wäre die Firma ohne nicht möglich: Eine IT-Beratung, die seit Jahrzehnten davon lebt, andere Unternehmen zu digitalisieren oder sie dabei zu beraten, muss ihnen um Längen voraus sein und zudem wendiger und origineller als die IT-Riesen. Lebenslanges Lernen ist nicht Floskel, sondern Pflicht.

Jana Helgath
hat sich auch deshalb für MaibornWolff als Arbeitgeber entschieden, weil ein Drittel der Mitarbeiter Frauen sind.

Netzplan und Lernpfad

Doch der Mensch muss nicht gerne müssen. Er lerne nur gut, weiß Maiborn, „wenn er das Wissen braucht“. Deshalb wird unentwegt geforscht, wie sich Lernen und Arbeiten am besten verbinden lässt. Neue Methoden werden ausprobiert und Angebote, die es nicht bringen, aus dem Programm geworfen.

Rund 70 Schulungen bietet der Campus im Moment an, durch firmenfremde oder eigene Experten, über Plattformen wie Blinkist oder Youtube, als zweistündiges E-Learning oder projektbegleitendes Coaching im Team. Campus-Leiterin Franziska Schleuter ließ zur besseren Übersicht sogar interaktive Netzpläne anfertigen. Die heißen so, weil sie wie U-Bahn-Pläne aussehen, nur eben mit Haltestellen wie „Working agile“ oder „Futureproof cloud architecture“.

Es gibt Netzpläne für Kommunikation, Führung oder Agile Software Engineering – und an den Endstationen warten Ziele oder Zertifikate. Je nach Interesse und Absprache können Mitarbeiter in selbst gewählte Angebote einsteigen und ihrem Lernpfad folgen, der mithilfe von Schleuters Team nach den Bedürfnissen der Mitarbeiter angelegt wird.

Kahled Labidi, der bei dem Durchschnittsalter der Belegschaft von 32,2 Jahren schon zu den Älteren zählt, hat sich vergangenes Jahr für „Remote Work“, Arbeit auf Distanz, schulen lassen und an einem Workshop zu den Chancen kultureller Vielfalt teilgenommen. Er sagt, sich ständig weiterbilden zu können sei die stärkste Motivation für seinen Wechsel gewesen. Das sei sogar im Arbeitsvertrag festgelegt. „Jedem von uns steht pro Jahr ein Budget in Höhe eines Monatsgehalts für Qualifizierungsmaßnahmen zu.“ Hinzu kämen fünf „Forschungstage“, an denen man sich auf einem ganz neuen Gebiet ausprobieren könne.

Für die Arbeitspsychologin und Informatikerin Franziska Schleuter, 37, wurde das Pandemiejahr zu einer Entdeckungsreise. Sie nutzte die Zeit, um ein neues Programm zur Führungskräfteentwicklung aufzubauen. Klar: Je größer Belegschaft und Kundenportfolio werden, desto mehr Mitarbeiter müssen nicht nur bereit sein, Verantwortung zu übernehmen – sie müssen dazu auch in der Lage sein. Ihr Ansatz: Learning by doing. Aber mit wissenschaftlichem Unterbau und emotionalem Rückhalt. Genau wie neue Arbeitsmethoden oder Programmiersprachen während der Arbeit besser erlernt werden als auf der Schulbank, soll auch das Managen in der Praxis trainiert werden.

Schleuter hat sich dafür die aktuellen neurobiologischen Erkenntnisse zur Organisations- und Verhaltenspsychologie angelesen. Mithilfe von Beratern hat sie Ende 2020 ein System eingerichtet, das in „Challenges“, Herausforderungen, gestaffelt ist, ein mit Absicht der Gamer-Welt entlehnter Begriff. So etwas mögen sie bei MaibornWolff, auch in der Kommunikation mit ihren Kunden – es macht Dinge leichter verständlich.


Die Mitarbeiter sollen sich profilieren und weiterbilden – mit Ehrgeiz, aber ohne Ellenbogen. „Wir möchten sie so gut qualifizieren, dass wir sie jederzeit wieder einstellen würden.
Volker Maiborn

Martina Beck
ist die Frau, die manchmal mit Buntstiften malt, um den Kunden etwas verständlich zu machen.

Arbeitsplatz und Lebensort

Im neuen Programm wird gute Führung immer in echten Projekten gelernt – Chefin werden beim Chefin-Sein sozusagen. Für jede Station gibt es ein Ziel, einen Zeitraum sowie das Feedback durch feste Mentoren aus der Führungsebene. Zusätzlich benennen die Programmteilnehmer Buddies für den kleinen Wissenshunger oder Durchhänger zwischendurch. Die ersten zehn Pioniere durchlaufen gerade das Programm.

Aber natürlich antwortet niemand auf die Frage, was MaibornWolff als Arbeitgeber besonders macht, spontan mit: „Der Netzplan.“ Oder: „Weil sie so toll Führungskräfte entwickeln.“ Martina Beck fällt als Erstes ein: „Wir haben nicht nur eine Firmenband, sondern drei: in Augsburg, Frankfurt und München.“

Es gibt noch mehr Schönes und Gutes, das den Arbeitsplatz bei MaibornWolff zu einem Lebensort machen soll: einmal die Woche Yoga auf Firmenkosten (zurzeit als Stream), zweimal die Woche Physiotherapie (wenn nicht gerade Pandemie ist) oder dass im Frühjahr 2020 spontan ein Büro zum Klassenzimmer mit Privatlehrerin umfunktioniert wurde – für die vom Lockdown betroffenen Grundschulkinder der Mitarbeiter.

Methode hat auch, dass an allen Standorten der schönste und größte Raum als Empfang, Treffpunkt und Kantine dient. Der Stil: zwischen lässiger Hotellobby und Clublounge. In München schaut man dort vom Dachgeschoss über die Theresienwiese direkt in den Himmel. „Übrigens steht an diesen Treffpunkten mit Absicht die einzige Kaffeemaschine“, sagt Maiborn. „Man soll hingehen und sich begegnen.“

Zumindest solange kein tödliches Virus grassiert. Zurzeit steht auch hier ein Irrgarten aus Plexiglas auf den Tischen, was aber egal ist, denn die meisten Mitarbeiter sind ohnehin im Home Office. Das nehmen sie mit Humor: Ihre Videokonferenzen nennen sie manchmal „Mad Tea Party“.

Einen großartigen Platz zum Arbeiten bieten zu wollen, sagt Volker Maiborn, sei weder Selbstzweck noch Selbstläufer. „Wir nehmen aus jedem Wettbewerb wertvolle Hinweise mit.“ Im vergangenen Jahr war es, dass bei den Gehältern Unzufriedenheit aufgekommen war. In einigen Karrierestufen klaffte eine Lücke zur Konkurrenz, die über Benefits wie die alljährlichen Sommercamps oder das Spielzimmer für Kindergartenkinder, das für Notfälle bereitsteht, nicht geschlossen werden konnte. Während die Einstiegsgehälter für gut befunden wurden, hätten sie erfahren, dass nach drei, vier Jahren die Schere zu weit aufgehe. Also haben sie nachjustiert.

Sein stärkster Antrieb aber, nicht bloß ein gutes, sondern ein großartiges Arbeitsklima schaffen zu wollen, sagt Volker Maiborn, sei „der Spaß. Ich freue mich am meisten darüber, dass ich so viele interessante Kolleginnen und Kollegen kennenlernen darf. Die haben Humor, die sind politisch, sie bringen so viele Geschichten mit und so unterschiedliche Erfahrungen. Die sind einfach cool!“ //