Reputation

Thorsten Hennig-Thurau über die Grundlagen eines guten Rufs – und was man alles falsch machen kann.




Thorsten Hennig-Thurau ist Professor für Marketing & Medien am Marketing Center der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, einem der renommiertesten deutschen Marketing-Lehrstühle. Für den 51-jährigen Wirtschaftswissenschaftler ist Marketing das, was sämtliche Verbindungen eines Unternehmens mit seinen Märkten und Stakeholdern steuert – und damit auch der Schlüssel für hohes Ansehen und gute Reputation. Was das bedeutet, erklärt der Marketingexperte an den wichtigsten Stellschrauben.

BEZIEHUNG

Schwer zu glauben, aber wahr: Viele Unternehmen meinen noch immer, sie könnten sich mit einer aufwendigen Imagekampagne einen guten Ruf schaffen. Das ist natürlich albern, schon weil es DEN guten Ruf nicht gibt. Ich kann zum Beispiel bei meinen Kunden ein gutes Image genießen, aber bei meinen Geldgebern zugleich noch lange nicht.

Reputation ist der Ruf, den ein Unternehmen bei seinen Interessengruppen hat, bei Kunden, Arbeitnehmern, Lieferanten, Investoren, der Öffentlichkeit. Dieses Ansehen ist nicht bei allen gleich, aber es sind auch nicht alle Gruppen gleich wichtig.

Es geht um Beziehungen, und die entstehen durch Austausch. Damit ist klar: Reputation ist nicht nur Kommunikation und schon gar nicht Sache einer einzigen Abteilung. Sie ist das Ergebnis des Handelns aller Beschäftigten in einer Firma. Und sie entsteht im Zuge intensiv verwobener Prozesse, bei denen sich viele kleine Bausteine zu einem Gesamtbild fügen.

Firmen mit einem guten Ruf haben starke Werte und einen Kern, um den sich alle sammeln. Welche Werte das sind, ist letztlich nicht entscheidend. Einige liegen nahe, klar: Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Verantwortung. Die klingen auch gut. Aber am Ende sind das nur Metawerte und Zuschreibungen ohne große Unterscheidungskraft. Interessant wird es immer dann, wenn es konkret wird: Kümmert sich das Unternehmen wirklich um die Bedürfnisse seiner jeweiligen Stakeholder?

VERÄNDERUNG

Wir kennen das auch privat: Das Ansehen, das eine Person bei uns genießt, entsteht maßgeblich dadurch, dass wir unsere Erwartungen mit der von uns wahrgenommenen Realität vergleichen. Bei Unternehmen ist das nicht anders. Ihre Reputation ist damit auch abhängig von der Kultur. Die US-Warenhauskette Walmart ist in Deutschland unter anderem gescheitert, weil sich der deutsche Kunde lieber von einem Angestellten bedienen lässt, der distanziert, aber authentisch ist, als von jemandem mit einem penetrant freundlichen, aber falschen Grinsen. Ein Wert wie Freiheit – in manchen Ländern ist es eine Sehnsucht, in anderen ein Schimpfwort. Die Zeit spielt ebenfalls eine Rolle, schließlich prägen auch politische oder technologische Veränderungen unser Bild von dem, was gut ist.

Einige Metawerte ändern sich nie? Mag sein, aber was Menschen konkret unter Glaubwürdigkeit, Mitarbeiterorientierung oder Verantwortung verstehen, ist nicht in Stein gemeißelt. Das kann selbst Unternehmen mit einer starken Wertebasis in Schwierigkeiten bringen. Nehmen Sie Starbucks: Der Kaffeekonzern gründet seine Reputation darauf, ein weltoffenes und sozial verantwortliches Unternehmen zu sein, und erteilt damit all jenen eine klare Absage, die liberale Werte ablehnen. Nun haben wir aber einen Kulturwandel in den USA, für viele Amerikaner ist Liberalismus zum Schimpfwort geworden. Damit steht Starbucks in einem Kulturkampf. Wenn sich die konservative Entwicklung fortsetzt, kann das für den Konzern den Untergang bedeuten.

Ein global agierendes Unternehmen kann mit seinen Werten nicht in jedem Land punkten. Ein Dilemma, keine Frage. Dem entkommt man aber nicht, indem man seine Werte verwässert oder verändert, denn das zerstört, was die Organisation groß gemacht hat. Apple stand immer für Freiheit – und nun gibt der Konzern in China seine Kundendaten an die Behörden weiter. So etwas ist extrem gefährlich, denn die Wahrnehmung ist heute global. Und der Versuch, einen Konflikt über Zweitmarken oder Ableger für bestimmte Länder zu umgehen, greift meist zu kurz. Schlauer ist im Zweifel die Einsicht: Mit meinen Werten bekomme ich hier kein Bein auf den Boden, also muss ich auf Marktanteile verzichten.

GEFAHR

Es gibt kein Unternehmen, das in Sachen Reputation fehlerfrei agiert. Welche Fehler wirklich gefährlich sind, ist aber nicht so leicht zu sagen. Menschen sind nun mal emotional, irrational und damit schwer prognostizierbar. Eines aber weiß ich genau: Dieses Problem muss man bei allem mitdenken.

Wenn ein CEO in Zeitnot einmal auf einem Behindertenparkplatz parkt, wird ihm das eher verziehen, als wenn es seine tägliche Routine ist. Doch manche Entwicklungen lassen sich nur schwer abschätzen. Das Management der Drogeriekette Schlecker hat über die Zeit viele Fehler gemacht. Wirklich schlimm war aber erst, dass es den Filialen die Telefone genommen hat, sodass die Mitarbeiter im Notfall nicht mal die Feuerwehr rufen konnten. Das haben weder die Kunden noch die Angestellten verziehen.

Nehmen Sie den Abgas-Skandal von VW: Zuerst scheint das Problem abstrakt und fern. Die schummeln? Wir schummeln doch alle ein bisschen. Die Autos stoßen Dreck aus? Die Luft draußen riecht noch gut. Wirklich gefährlich wird es, wenn das Problem näher rückt. Drohen Fahrverbote, die das Leben der Leute konkret beinträchtigen, wird das Problem zum Skandal.

Leider lassen sich keine klaren Kriterien für den Wendepunkt festlegen. Es gibt zwar diverse Messinstrumente, vor allem die Kommunikation in den sozialen Medien kann man einem ausgefeilten Reputations-Monitoring unterwerfen. Verlassen würde ich mich darauf aber nicht, denn eine kleine Kritik kann sich binnen Stunden zu einer enormen Rufschädigung auswachsen. Und wann etwas wirklich bedrohlich wird, sagt einem das beste Monitoring-Tool nicht. Den Schwellenwert muss vielmehr jedes Unternehmen selbst definieren.

Wir wissen nicht, ob Thorsten Henning-Thurau die in seinem Büro lagernde Darth-Vader-Maske (oben) benutzt, haben aber gesehen, dass der Flipper (oben) in Betrieb ist.

IGNORANZ

In Führungsetagen herrscht eine große Unsicherheit beim Umgang mit Kritik. Für den guten Ruf ist das natürlich fatal, denn selbst wenn Manager einen Reputationsschaden wahrnehmen, reagieren sie oft nicht. Lieber streiten sie alles ab, denn sonst müssten sie sich infrage stellen. Das Problem dahinter ist strukturell. Der zukünftige Schaden ist schwer zu beweisen, die Gefahr bleibt diffus – deshalb gibt es in den Unternehmen auch wenige Fürsprecher für Reputationsaktivitäten. Was zählt, ist die Gegenwart. Der Reputationsmanager, der seinen Chef auf langsam wachsende Probleme hinweist, hat deutlich schlechtere Karten als der Sales-Manager, der noch gute Verkaufszahlen präsentiert.

Doch Vorsicht: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich eben nicht völlig ungeniert – es sei denn, Sie sind Monopolist. Man darf sich nicht täuschen lassen. VW beispielsweise verkauft zwar noch gut, aber das Unternehmen war immer Teil der deutschen Identität. Millionen Menschen haben gar nicht daran gedacht, sich jemals ein anderes Auto zu kaufen. Doch diese Reputation schmilzt Volkswagen nun ab, und ich bin mir sicher: Der Konzern wird noch massive Konsequenzen spüren.

HALTUNG

Reputation ist immer Zuschreibung. Unternehmen werden auch an Dingen gemessen, die sie nicht vollständig kontrollieren können, etwa extrem verzweigte, globale Lieferketten oder die Tweets von wütenden CEOs. Das ist unfair, aber nicht zu ändern. Sie haben es allerdings in der Hand, wie sie darauf reagieren.

Falls sie darauf reagieren. Es gibt keinen Grund, sich unentwegt zu erklären. Man kann und muss es nicht jedem recht machen. Dafür muss ein Unternehmen entscheiden, worauf es seine Reputation gründen will. Erst dann kann es einordnen, welche Kritik das eigene Image überhaupt ankratzen könnte.

Sie mögen Kunden eigentlich nicht, haben aber tolle technische Ideen? Stehen Sie dazu, dann sind Sie eben die Firma mit den besten Produkten. Was landläufig als gut gilt, ist nicht für jeden ein Ziel. Man kann sich auch als Dealmaker positionieren: Bei uns bekommst du das billigste T-Shirt, das dich nicht krank macht. Alles andere geht dich und uns nichts an.

Ein Unternehmen kann es nie allen Stakeholdern recht machen. Aber es sollte sich bemühen, es den richtigen recht zu machen. Reputation bedeutet Abwägungsentscheidungen mit Blick auf diejenigen, die für die Firma wirklich wichtig sind. Für ein Energieunternehmen ist das die Politik, für Amazon hingegen sind es fast ausschließlich die Kunden.

Ein gutes Image bei der einen Gruppe geht fast immer zulasten einer anderen. Doch das ist nicht tragisch, solange die Organisation konsistent ihren Werten folgt. Aldi hat seine Lieferanten geknechtet, aber das passte absolut zur Marke, die auf Qualität und günstigen Preisen basierte. Die Position war klar: Das machen wir alles im Interesse des Kunden. Und es hat funktioniert, auch weil die Brüder Albrecht keine Milliardäre waren, die ihre Lieferanten ausbeuteten, um luxuriöse Swimmingpools zu beheizen.

Bei Amazon funktioniert es genauso. Wir hören immer wieder Kritik an den Arbeitsbedingungen in den Warenlagern. Aber kaufen wir deshalb bei Amazon nicht mehr ein? Das sehr strenge Regiment lässt sich mit der extremen Kundenorientierung prima begründen – und vor allem darauf beruht Amazons gute Reputation.

SPANNUNGEN

Im Bemühen um einen guten Ruf schaffen Unternehmen immer Diskrepanzen: Was für den einen gut ist, ist für den anderen schlecht. Die Frage ist, wie man mit diesen Diskrepanzen umgeht. Den Konflikt aussitzen oder verschweigen – das ist möglich, aber suboptimal, weil das Eskalationspotenzial nicht beseitigt wird. Klüger ist es, sich aktiv um Ausgleich zu bemühen. Wie übrigens auch sonst im Leben.

Ein gutes Beispiel ist die Übernahme von Monsanto durch Bayer. Bayer hat sich für seine Kunden entschieden – die Bauern wollen den Unkrautvernichter „Roundup“ nutzen, trotz des Wirkstoffs Glyphosat, der im Verdacht steht, krebserregend zu sein. In den Köpfen der Bürger aber hat Monsanto genau deshalb und wegen seines Gentechnik-Saatguts einen miserablen Ruf. Bayer versucht also, eine Teilöffentlichkeit zulasten einer anderen Teilöffentlichkeit für sich zu gewinnen.

Natürlich ist Bayer die Reputationsgefahr bewusst. Und was macht der Konzern? Er übernimmt einfach den Namen Monsanto nicht und lässt stattdessen die Produkte unter seinem eigenen Firmennamen laufen. Wen bitte soll das überzeugen?

Wäre es nicht schlauer, beide Stakeholder ernst zu nehmen, etwa nach dem Vorbild der Fluggesellschaften? Die können nichts daran ändern, dass ihre Dienstleistung der Umwelt schadet, aber sie haben Modelle für Ausgleichszahlungen entwickelt. Warum adaptiert Bayer nicht so ein Modell, um beispielsweise die Schäden durch Unkrautvernichter zu kompensieren? Das würde zwar Geld kosten, aber es wäre klüger, als zu versuchen, sich dem Konflikt durch Verschweigen zu entziehen.

STRATEGIE

Die meisten Unternehmen betreiben Reputationsmanagement ohne Planung. Dabei wäre ein strategisches Vorgehen möglich – und unbedingt nötig. Grundlage dafür muss das klassische, wertebasierte Management sein. Richte ich alles, was ich tue, an dem aus, wofür ich stehe? Das klingt nach einer Phrase, ist aber die entscheidende Frage. Und sie betrifft neben der Kommunikation vor allem Produkte und Personen.

Die Reputation eines Unternehmens manifestiert sich maßgeblich in seinen Produkten, das wird nur oft übersehen. Systematisches, wertorientiertes Produktschaffen ist nichts anderes als Reputationsmanagement. Wenn ein Unternehmen vor allem dafür steht, mit seinen Produkten Status zu verleihen – dann muss die Kaffeemaschine nicht besonders gut sein, sondern teuer und sollte toll aussehen. Wenn Sie aber für funktionale Qualität stehen, sollte Ihre Maschine schon anständigen Kaffee kochen können. Was nicht funktioniert, ist ein Mischmasch.

Disney ist auch deshalb so erfolgreich, weil es nichts anderes macht als Familienfilme – man kann seine Kinder ohne Sorge in einen Disney-Film gehen lassen. Dafür steht der Konzern. Und er sollte es dabei belassen, selbst wenn man ihm ein Milliardenprojekt andient, das nicht dazu passt. Mal schauen, wie man nach der Übernahme des Fox-Studios mit dessen deutlich weniger kindgerechten Marken wie Alien oder Predator umgeht.

Und wären Produkte nicht auch mächtige Hebel für reaktive Strategien im Krisenfall? Mal ehrlich, überzeugt Sie das wirklich, wenn VW im Abgas-Skandal gegen seinen Reputationsschaden anarbeitet, indem es alles mit Anzeigen zukleistert? Ein viel stärkeres Signal wäre doch eine Produktreaktion gewesen und das Nachbessern jedes betroffenen Autos. Natürlich hätte das eine Stange Geld gekostet, aber damit wäre die Krise wahrscheinlich ein für allemal behoben gewesen.

Genauso bedeutsam wie das Produkt ist das Personal. Beziehungen werden von Menschen gemacht. Der Mitarbeiter ist der Spiegel des Unternehmens, und er ist Freund, Nachbar, Sportkollege. Wird er schlecht behandelt, schadet er bei nächster Gelegenheit dem guten Ruf. Verkäufer, Einkäufer, Außendienstler, der Servicetrupp – sie alle sind Vermittler zwischen Unternehmen und Märkten und damit im Grunde Teil des Produktes. Es rächt sich, wenn Sie an Produkten und Prozessen drehen, aber die Menschen vergessen. Reputation entscheidet sich auch daran, ob Sie es schaffen, eine Stufe tiefer zu gehen.

KOMMUNIKATION

Ein falscher Tweet vom Vorstand, ein geschickt platzierter Hass-Kommentar vom Kunden – das kann viel kaputt machen in unserer Multikanalwelt, in der sich jeder mit jedem austauscht. Um dieses Chaos zu managen, muss ein Unternehmen akzeptieren, dass es sich nicht völlig unter Kontrolle hat. Mitarbeiter machen Fehler. Auch ein CEO verliert mal die Selbstbeherrschung.Man sollte nur vorbereitet sein. Unternehmen brauchen Regeln, was in welchem Fall zu tun ist. Und von wem.

Ein aktives Reputationsmanagement erfordert vor allem Präsenz und eine schnelle Reaktion. Die Mitarbeiter müssen reden dürfen. Aber dafür brauchen sie Autonomie und eine Vorgabe, wie sie sich äußern können. Es kann nicht sein, dass jeder Tweet vom Chef freigegeben werden muss. Reputationsmanager sitzen nicht in der PR-Abteilung und entwerfen Kampagnen. Für die Reputation ist jeder im Unternehmen gefragt. Es geht nicht darum, negative Stimmen einzufangen oder Stimmungen abzuwiegeln. Es geht um Moderation: Die Leute wollen kommunizieren, also muss man ihnen die Gelegenheit geben, in sozialen Medien und darüber hinaus.

Ein entsprechend geschulter und autorisierter Verkäufer oder Vertriebler kann für den guten Ruf langfristig mehr erreichen als so manche schicke Broschüre, weil er nicht ins Blaue kommuniziert, sondern auf konkrete Gerüchte oder Vorwürfe reagieren kann. Ein Mensch wirkt immer überzeugender als ein offizielles Statement. //

Thorsten Hennig-Thurau, 51, hat Betriebswirtschaft studiert und lehrt als Professor für Marketing & Medien am Marketing Center der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf digitalen und sozialen Medien, Relationship-Marketing und Dienstleistungsmanagement. Sein persönliches Steckenpferd ist die Filmwirtschaft, mit der er sich auch in seinem aktuellen Buch „Entertainment Science“ befasst.

Die besten Partner Deutschlands

Wer bemüht sich hierzulande wirklich um Fairness, Qualität, Ehrlichkeit und Transparenz? Wer genießt in welcher Branche den besten Ruf? Auf unserer interaktiven Website finden Sie die 300 besten Partner des Jahres 2019.

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Das Schaufenster der Besten

Wo zieht es Sie hin? Zu Chemie, Pharma oder Logistik? Zum internationalen Konzern? Oder doch eher zum mittelständischen Familienunternehmen? Wo auch immer Sie sich künftig sehen: Die besten Partner des Jahres 2019 sind in jedem Fall eine gute Adresse.

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