Peter Hahn

Das schwäbische Versandhaus Peter Hahn verkauft gediegene Mode für gehobene Ansprüche – online, stationär, aber vor allem aus dem Katalog. Der Mittelständler ist damit erfolgreich, weil er weiß, dass guter Geschmack nicht bei der Kleidung endet.





• Es gibt Werbesprüche, die das Zeug zu geflügelten Worten haben, obwohl oder gerade weil sie eigentlich fies sind. „Geiz ist geil“ war so ein Slogan: Eine kalkulierte Provokation, denn der Preis war schon immer das billigste Verkaufsargument, aber auch der blanke Hohn, denn schließlich machen Saturn-Kunden seit jeher nur mit Sonderposten echte Schnäppchen. Zalando importierte die Idee, an niederste Instinkte zu appellieren, in die Modewelt: „Schrei vor Glück oder schick’s zurück!“ Passend überdreht chargierten die Darstellerinnen in den TV-Spots: Laut kreischend mimten sie Begeisterung über Allerweltsprodukte, von denen im echten Leben wohl sehr viele retour gingen.

Das Kontrastprogramm zu diesem schrillen Auftritt kommt aus Winterbach im Remstal. Am Rand der beschaulichen Ortschaft, umrahmt von Maisfeldern und bewaldeten Hügeln, steht die Zentrale der Peter Hahn GmbH. Deren Kundinnen lassen sich zwar ebenfalls Anziehsachen nach Hause kommen, freuen sich über das, was gut sitzt, und schicken zurück, was ihnen nicht passt. Mit den Protagonistinnen der Zalando-Reklame können sie sich aber wohl kaum identifizieren.

Marktschreierei hat bei Peter Hahn Hausverbot. In ihren Werbespots setzt die Firma Frauen lieber in einem warmtönigen Wohlfühl-Ambiente dezent in Szene. Wer bei dem alteingesessenen Versender Pullover, Hosen oder Kleider bestellt, liest dazu unaufdringliche, zeitlose Claims wie „Ich bin ich“ oder „Unsere Mode, Ihr Stil“. Man darf annehmen, dass die Damen, die in den in Millionenauflage gedruckten Katalogen des schwäbischen Mittelständlers blättern, über ein pseudo-hippes Heranwanzen à la „Finde Deinen Style“ indigniert die Nase rümpfen würden.

Wer nicht gerade zu den Stammkundinnen des Unternehmens gehört, könnte es für ein Überbleibsel aus der guten alten Zeit des Distanzhandels halten, in der die Elf-Länder-Bundesrepublik das häusliche Einkaufsglück bei Neckermann und Quelle fand, bei Schwab, Heine, Baur Burgkunstadt und Witt Weiden – Versandhäusern, die eines nach dem anderen im großen Markenzoo der Otto Group landeten. Vom Shopping in Stuttgart, Hamburg, München, Zürich und einigen anderen Städten sind vielleicht die Schaufenster der Ladengeschäfte vertraut, die nicht ganzjährig mit knallroten „%%% SALE %%%“-Plakaten eine geizgeile Laufkundschaft anspringen, als gäbe es kein Morgen. Im Gegenteil: Die daran interessierte Klientel wird mittels Respekt gebietender Preisschilder auf Distanz gehalten. „Peter Hahn“ klingt mehr nach Tradition als nach Avantgarde, mehr nach mittelständischem Familienunternehmen als nach strategisch durchgeplantem Omnichannel-Commerce des 21. Jahrhunderts.

Doch das stimmt nicht. Schon ein Blick in den 500-Seiten-Katalog oder den Smartphone-kompatiblen Onlineshop irritiert: lauter überraschend junge Frauen, elegant bis sportlich gekleidet. Eine der Damen trägt ein hellgraues Hoodie mit eingestrickten farbigen Sternen, das allerdings nicht aus ordinärer Baumwolle gewebt ist, sondern aus 100 Prozent Kaschmir und deshalb stolze 299 Euro kostet. Doch keine Sorge, die Stammkundinnen können sich so etwas leisten. Denn sie könnten in der Regel glatt als die Mütter der Millennials durchgehen, die das Sortiment präsentieren. Daniel Gutting, 51, einer der drei Geschäftsführer, schwärmt: „Wir haben eine traumhafte Zielgruppe.“


Geschäftsführer Daniel Gutting hat eine gute Zielgruppe und ein gutes Gewissen.

Die 50+-Generation hat Geld und ist zuverlässig

Das Unternehmen am Winterbacher Peter-Hahn-Platz, der kein Platz ist, sondern Teil des Firmenareals zwischen Mühlstraße und Remsufer, ist ein Nischenanbieter: Der Hahnsche Mix aus Fremd- und Eigenmarken ist mit vollem Bedacht auf die als „Best Agers“ umschmeichelte Alterskohorte zugeschnitten. Sie beginnt offiziell bei 45, inoffiziell steht eine Fünf vorn. So wie Versicherungen Kunden in gute und schlechte Risiken unterteilen, schauen Versender auf ertragsrelevante Unterschiede zwischen den Käufergruppen. Kaufkraft, Zahlungsbereitschaft, Qualitätsbewusstsein oder Berechenbarkeit korrelieren mit dem Alter – was diese Zielgruppe sehr wertvoll macht. Das Wort „konservativ“ hört Geschäftsführer Gutting allerdings nicht so gern.

„Unsere Kundinnen sind gesettelt und finanziell gut aufgestellt“, erklärt Gutting. „Und sie wissen, was sie wollen.“ Das liest er unter anderem aus dem sogenannten Retourenverhalten heraus, einem für die Branche wichtigen Indikator. Die idealtypische Dame ab 50, die sich Hahn-Mode leisten kann, ist so geschmackssicher, dass sie ihre Kaufentscheidung schon abgeschlossen hat, wenn sie ihre Bestellung abschickt. Ihr fiele es im Traum nicht ein, sich für den großen Auftritt auf einer Party ein schickes Kleid zu bestellen und es hinterher zur Gutschrift zurückzuschicken.

Dass die Generation unter 30 da weniger Hemmungen kennt, ist in der Branche kein Geheimnis. Schlechtes Retourenverhalten drückt auf die Marge, denn vor einer erneuten Auslieferung muss sichergestellt werden, dass die Ware beim Anprobieren nicht gelitten hat. Die beste Prophylaxe gegen unangenehme Überraschungen scheint eine Werbeansprache zu sein, die zielsicher die Zalando-H&M-Primark-Klientel kaltlässt – kombiniert mit einer im wörtlichen Sinn exklusiven Sortimentsgestaltung. 299 Euro für puren Luxus wie das Kaschmir-Hoodie, dessen Charme im Spannungsverhältnis aus Extravaganz und Understatement liegt, muss ein junger Mensch erst einmal lockermachen.

Bekanntlich steigt das frei verfügbare Einkommen, wenn die Kinder endlich aus dem Haus sind und ihr eigenes Geld verdienen. Dann kann man sich Dinge gönnen, die man schon immer haben wollte, und wird interessant für Peter Hahn, deren Geschäftsberichte beweisen, dass Menschen ab 50 sehr wohl noch „werberelevant“ sind: Gemeinsam mit der nach Madeleine Schickedanz benannten Schwesterfirma Madeleine Mode macht das Unternehmen einen Umsatz von mehr als einer halben Milliarde Euro im Jahr. Rund 30 Prozent des Nettoumsatzes investieren die Schwaben in die Gewinnung von Neukundinnen und die Pflege des aktiven Kundenbestandes.

Dabei geht der Trend klar in Richtung Online, insbesondere Smartphone. Der gedruckte Katalog sei allerdings nach wie vor sehr wichtig, sagt Daniel Gutting. „Wir bewegen uns in einem Segment, das eine Printaffinität hat. Mode ist Inspiration. Mode ist Bedarfsweckung, keine Bedarfsdeckung. Und über gut gemachte Printwerbemittel lässt sich Bedarf wecken und Inspiration schaffen.“ Etwa die Hälfte der Bestellungen, sagt er, sei noch immer katalogbasiert.

Der Firma geht es mit ihrer Marktpositionierung heute besser, als jemals unter dem namensgebenden Gründer Peter Hahn und seiner Frau Margit. Das Ehepaar versuchte sich ab 1960 im Reformkostvertrieb, bis es 1964 Lamahaar entdeckte und die Branche wechselte. Die Hahns verschickten Mäntel, Jacken und Decken aus der Wolle des Andenkamels, eröffneten in ganz Deutschland und der Schweiz Modehäuser, erweiterten ihr Versandsortiment um Textilien aus anderen Naturfasern, dann um Möbel, Haushaltsgeräte, Schmuck und Gartenartikel. Bis 1980 hatten sie sich dermaßen verzettelt, dass sie die Firma verkaufen mussten. Der neue Eigentümer, die Warenhauskette Horten, dokterte sieben Jahre an ihr herum, ohne ein profitables Konzept zu finden, und reichte das Millionengrab schließlich an die Schickedanz-Gruppe weiter. Dort wurde das Geschäft auf den Versandhandel fokussiert und 23 der 27 Läden geschlossen – inzwischen sind es wieder 15 sowie vier Outlets, die immerhin sieben Prozent zum Umsatz beisteuern. Nach weiteren Besitzerwechseln gehört der Löwenanteil der Firma seit 2015 dem Münchner Finanzinvestor Equistone.

Oben: Schon der Schriftzug suggeriert traditionelle Wertarbeit.



Unten: Mode von Peter Hahn ist konsensfähig. Und für keines der feinen Stücke musste ein Tier sterben.

Die Werte der Firma sind die ihrer Kundinnen

Genau genommen steckt also nicht mehr viel Peter Hahn in „Peter Hahn“. Das Unternehmen hat sich von seinem Namensgeber längst emanzipiert. Heute ist es ein moderner Mittelstandshändler, dessen Tätigkeit deutlich von den Werten seiner Zielgruppe geprägt ist. Zu Peter Hahns Erfolgsrezept gehört, dass es darstellt, was seine Kundschaft richtig findet.

„Unsere Kundin ist wertegetrieben und hat einen gewissen Status“, charakterisiert Daniel Gutting den Menschentyp, dem er sich verpflichtet fühlt. „So wie sie von uns eine sehr hohe Korrektheit erwartet, ist sie auch selbst korrekt.“ Einer der Werte, die seiner Klientel wichtig sind, ist der Tierschutz. Die Marke steht zwar unter anderem für eine große Auswahl an Produkten aus Naturfasern auch tierischen Ursprungs. Gleichwohl flog vor ein paar Jahren die Angora-Unterwäsche aus dem Programm, weil sich herausgestellt hatte, dass sie sogenannte Lebendrupf-Fasern enthielt, also Wolle, die den Kaninchen bei lebendigem Leib ausgerissen worden war. Nur ein Anbieter mit Sitz auf der Schwäbischen Alb durfte bleiben. Er garantiert mit einem Gütesiegel, dass die Tiere, deren Haare er zu Garnen verarbeitet, geschoren werden.


Kaufkraft, Zahlungsbereitschaft, Qualitätsbewusstsein und Berechenbarkeit korrelieren mit dem Alter, was die Best Ager als Zielgruppe sehr wertvoll macht.

„Wir haben ethische Prinzipien“, sagt Daniel Gutting. „Uns ist wichtig zu wissen, woher die Ware kommt, auch die Wolle, die wir verarbeiten.“ Wegen der Skandale um Tierquälerei in Zuchtbetrieben sind Pelzmäntel oder Krägen mit Fellbesatz ebenfalls tabu. Auf Kompromisse, etwa nur Felle von Tieren aus nachhaltiger Jagd zu verwenden, mag sich der Geschäftsführer nicht einlassen. „Echtpelz passt nicht zu uns.“ Alles, was im Angebot nach Pelz aussieht, ist tatsächlich Webpelz. Ein Höhepunkt der aktuellen Winterkollektion ist ein veganer Persianermantel aus Acetat, Baumwolle und Polyester. Für die Trägerin bietet das unter der Eigenmarke angebotene Produkt vermutlich mehr Gesprächsstoff, als es ein Designer-Kleid je könnte.

Wer als authentisch und verlässlich wahrgenommen werden will, darf nichts dem Zufall überlassen. Deshalb unterhält Peter Hahn eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung, die sich nicht nur um Tier- und Umweltschutz, sondern auch um die Einhaltung sozialer Standards in der Produktion und der Lieferkette kümmert. „Das ist ein wichtiges Thema für uns“, sagt Gutting mit Blick auf die Brand- und Einsturzkatastrophen von Textilfabriken in Bangladesch vor fünf und sechs Jahren. Er verlässt sich bei der Kontrolle nicht allein auf Zertifikate: Im Zweifelsfall besichtigen seine Mitarbeiter auch selbst Betriebe oder überprüfen, ob die Lieferanten ihre Vorgaben einhalten. Gegenüber seinen Kundinnen hat der Geschäftsführer deswegen ein gutes Gewissen. „Wir können unsere Werte mit einer hohen Glaubwürdigkeit vermitteln, weil wir sie wirklich leben.“

In der Zentrale in Winterbach wird der Wertekosmos im Foyer unübersehbar ausgestellt. Dort hängt eine Tafel mit den Unternehmenswerten, unterschrieben von 115 Führungskräften. Im Gebäude gibt es zudem eine lange Glaswand, in die in großen Lettern Begriffe wie „Wertschätzung“ oder Parolen wie „Wir vertrauen uns“ geätzt sind. Dass das nicht nur Worthülsen sein sollen, zeigt das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Gutting muss kurz überlegen, bevor er sagt: „Ich glaube, wir bieten 170 unterschiedliche Arbeitszeitmodelle an.“ Er lässt die Zahl checken, und siehe da: Es sind sogar 221. Die Fluktuation ist entsprechend gering. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit der rund 1000 Beschäftigten liegt bei elf Jahren.

Peter Hahns Weiterempfehlungsquote, der sogenannte Net Promoter Score, ist enorm hoch: Laut Gutting liegt er bei 68. Zum Vergleich: NPSbenchmarks.com ermittelt für die Branche „Kleidung und Mode“ einen durchschnittlichen NPS von 43. Es gibt viele potenzielle Gründe für diesen Erfolg, doch die meisten sind total bodenständig. Wie etwa die trotz zunehmender Onlinenutzung immer noch sehr gefragte Telefonberatung.

Peter Hahn betreibt ein eigenes Callcenter und schult sein Personal speziell für den Umgang mit älteren Kundinnen. „Wir stehen nicht mit der Stoppuhr hinter unseren Mitarbeitern“, sagt Gutting. Mit der im Direktmarketing verbreiteten Unart, Produktivität an der Zahl von Telefonaten zu messen, die jemand geschafft hat, will er nichts zu tun haben. „Wir sagen: Nehmt euch die Zeit, die die Kundin für ihr Anliegen braucht.“ Dasselbe gilt für die Frauen, die sich persönlich in eine der 15 Filialen bemühen: Sie werden bedient, bis sie zufrieden sind. Ganz wie früher. //