Ist der Ruf erst ruiniert

Das Ansehen eines Unternehmens ist ein hoher Wert. Und was einem teuer ist, sichert man gern ab. Deshalb gibt es jetzt Versicherungen gegen Reputationsschäden.




• Ob durch einen Skandal oder einen Shitstorm in den sozialen Medien, ob durch üble Nachrede oder einen echten Missstand – leidet der gute Ruf eines Unternehmens oder einer Marke, kann das schlimme Folgen für die Bilanz haben. Spätestens wenn der Endverbraucher mit Boykott reagiert, wird es unangenehm. Die Firma Birkel etwa, einst der größte deutsche Nudelhersteller, überlebte Mitte der Achtzigerjahre nicht den Verdacht der Verwendung mikrobiell verseuchter Ei-Produkte. Der Umsatz brach so stark ein, dass die Eigentümerfamilie ihr Traditionsunternehmen an den Danone Konzern verkaufen musste.

Reputationsschäden sind kein Kleinkram. Im Gegenteil: In gut geführten Unternehmen einer gewissen Größe sind sie ein Thema fürs Risikomanagement. In der Umfrage für das Risikobarometer der Allianz Versicherung unter Führungskräften und Schadenexperten, Risikoberatern und Underwritern, also Fachleuten, die anhand der Risikoprofile der Versicherungsnehmer deren Gefährdungslage bewerten, landen Reputationsschäden regelmäßig auf einem der vorderen zehn Plätze.

Für eine Versicherung, die Unternehmen gegen Risiken absichern will, heißt das: Eine Nachfrage ist da und der Markt dafür riesig – zumindest theoretisch. Fehlt nur das passende Angebot.

Dabei gerät der Ruf eines Unternehmens heute leichter in Gefahr denn je. Da ist zuerst einmal die gewachsene Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für Themen wie Umweltschutz, Produktqualität, Arbeitsbedingungen oder sexuelle Belästigung. Nichtregierungsorganisationen (NGOs), deren Spendenvolumen im direkten Verhältnis zur erhaltenen Aufmerksamkeit steht, wissen, wie sich Diskussionen verstärken lassen, bis sie eine hohe Durchschlagskraft haben. Und die Zahl möglicher Krisenherde ist dank der Globalisierung gestiegen. Risiken und Fehlverhalten können auch innerhalb der langen, komplexen Lieferketten auftreten – die Subunternehmer der Subunternehmer oder Lieferanten der Lieferanten lassen sich vom Hersteller des Endproduktes nicht immer kontrollieren. Ein weiterer wichtiger Treiber ist laut Joachim Albers, Leiter der Produktentwicklung Financial Lines bei der Allianz Global Corporate & Specialty SE, einer Tochter des Allianz Konzerns, die Parallel-Öffentlichkeit in den sozialen Medien, die für eine deutlich erhöhte Aufregungsbereitschaft sorgt. Im Prinzip kann jeder Smartphone-Besitzer potenziell einen Shitstorm lostreten.

Kurz: Es gibt gute Gründe, sich gegen mögliche finanziellen Folgen von Rufschäden abzusichern, doch bisher ist es den Versicherungen nicht gelungen, diesen Markt zu erschließen.

Alexander Skorna, Business Development Manager beim internationalen Versicherungsmakler und Risk Consultant Funk, schätzt die Zahl der in Deutschland bisher abgeschlossenen Reputationsversicherungen knapp dreistellig. Nach seinen Angaben liegen ihre Deckungssummen meist zwischen 10 und 15 Millionen Euro. Verglichen mit der Zahl und dem Volumen anderer Industrieversicherungen ist das bescheiden. Dabei gibt es durchaus Anbieter. Die wichtigsten sind in Deutschland die Allianz-Tochter AGCS, die Rückversicherer Munich Re, Swiss Re und Lloyds Market in London. Doch noch klafft eine erhebliche Lücke zwischen potenziellem Bedarf und tatsächlichem Handeln.

Ein Schutz für das Firmen-Image

Seit Juni dieses Jahres versucht der Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) die Lücke zu schließen: mit einer neu entwickelten Versicherung gegen Reputationsschäden und deren Folgen für Umsatz und Gewinn. In Deutschland und Österreich gibt es sie schon, im Herbst wird Skandinavien folgen, bald auch Großbritannien. Weil betroffene Unternehmen im Schadensfall schnell Hilfe brauchen, gehört zur Versicherungsleistung ein Servicepaket, das von der Unterstützung durch eine Krisenkommunikationsagentur bis zur professionellen Beobachtung der Medien reicht. Die Kopplung von Expertenunterstützung bei der Schadensbegrenzung und Schadenversicherung ähnelt vergleichbaren Angeboten gegen Cyber-Angriffe. Die Idee, nicht nur die Schäden abzusichern, ist allerdings relativ neu. „Diese Leistung müssen die Kunden erst noch verstehen“, sagt Martin Zschech. Er ist bei AGCS für Zentral- und Osteuropa zuständig und damit auch für die Markteinführung der Reputationsversicherung in Deutschland.


Der Ruf eines Unternehmens gerät heute leichter in Gefahr denn je … Im Prinzip kann jeder Smartphone-Besitzer potenziell einen Shitstorm lostreten.

Der Rundumschutz ist für Allianz-Produktentwickler Joachim Albers, einem der Väter der Reputationsversicherung, von zentraler Bedeutung für ihren Erfolg. Weil eine möglichst schnelle Reaktion gefragt ist, wenn der Krisenfall eintritt, entscheidet allein das versicherte Unternehmen, ob zum Beispiel externe Experten für Krisenkommunikation aktiv werden sollen. „Der oder die Vorstandsvorsitzende, der Geschäftsführer, der Leiter Recht oder der Leiter der Kommunikationsabteilung stellen fest, dass etwas die Reputation negativ beeinflussen könnte – und ihr subjektiver Eindruck genügt. Es sind keine Abstimmungsschleifen mit dem Versicherer nötig“, stellt Albers klar. Weil für den Versicherungsnehmer dabei keine zusätzlichen Kosten anfallen, werden interne Abstimmungsprozesse, die viel Zeit kosten, überflüssig.

Die Versicherungsanbieter sagen, es sei ihr erklärtes Ziel, den Versicherungsnehmer vor, während und nach einer Krise zu unterstützen: davor durch eine Risikoanalyse, während der Krise mit einer Kommunikationsagentur, danach durch die Regulierung von Gewinneinbußen. AGCS-Manager Zschech beobachtet seit Einführung der Versicherung ein, wie er sagt, „reges Interesse am Markt, vor allem bei größeren Mittelständlern aus den unterschiedlichsten Branchen“. Als ihr Zielsegment haben er und seine AGCS-Kollegen vorerst Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis fünf Milliarden Euro definiert.

Jeder Vertrag wird individuell ausgehandelt. Wichtig für die Risikoeinschätzung sind die Bekanntheit eines Unternehmens und die Marke, die Branche und die Vorgeschichte des potenziellen Kunden. „Wenn es in einem Unternehmen schon Vorfälle gab und erkennbar ist, dass zum Beispiel weiter unter fragwürdigen Bedingungen produziert wird, werden wir es uns sehr genau überlegen, ob wir ihm Reputationsschäden versichern, und im Zweifel davon Abstand nehmen“, erklärt Zschech. Als besonders sensibel gilt die Lebensmittelindustrie: Bei schlechten Zutaten ist der Ekelfaktor hoch und die Toleranz des Verbrauchers sehr gering.

Die AGCS erhält aber auch Anfragen aus Bereichen, mit denen sie nicht gerechnet hat: zum Beispiel von Kommunen, die sich zwar nicht gegen Umsatz- und Gewinneinbrüche versichern wollen, aber im Krisenfall, etwa bei kommunalen Unternehmen, gern schnell und unkompliziert professionelle Unterstützung hätten. Die Zahl der Abschlüsse hält sich allerdings trotzdem in sehr überschaubaren Grenzen. Für Zschech nicht überraschend: „Es braucht Zeit, das neue Produkt breit im Markt durchzusetzen.“ Er rechnet mit ein bis zwei Jahren.

Viel Interesse, wenig Abschlüsse

Auch der Versicherungsmakler Skorna sieht in der deutschen Industrie ein massives Interesse an solchen Versicherungen. Er glaubt, der gute Ruf sei für viele Unternehmen deutlich wertvoller und wichtiger geworden. In einzelnen Branchen ist er der entscheidende Hebel, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Und je wertvoller die Marke ist, desto gefährlicher können Reputationskrisen werden. Auch deshalb richtet sich das neue Angebot vor allem an etablierte Unternehmen. „Die Versicherungsbranche bewegt sich eher am Ende einer Wertschöpfungskette“, sagt Skorna.

Der Makler hält vor Abschluss der Versicherung eine Risikoanalyse für sinnvoll: „Unter Umständen sagen wir einem Unternehmen, dass es eine Reputationsversicherung nicht unbedingt braucht – etwa wenn seine Kunden nur wenig Ausweichmöglichkeiten auf andere Produkte haben oder wenn Nachhaltigkeit ohnehin nicht zum Markenkern gehört. Wir sprechen über potenzielle Risikoereignisse und bewerten ihre möglichen Folgen auf die Unternehmensbilanz. Wir simulieren Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe. Die Versicherer versichern nur außergewöhnliche Ereignisse, nicht absehbare Folgen gängiger Unternehmenspraxis.“

Keine einfache Rechnung

Hinzu kommt, dass die Versicherungsleistungen und vor allem die Berechnung des Schadensvolumens bei Reputationsschäden sehr komplex sind und damit alle Beteiligte Neuland betreten. Auch deshalb hat AGCS die Obergrenze der Schadenssumme vorerst bei 25 Millionen Euro gezogen. Am Londoner Lloyds Market liegt sie noch niedriger, in der Regel bei zehn Millionen Euro. „Wir hören von großen Konzernen, dass sie Interesse haben, aber erst bei Deckungssummen ab einer Milliarde Euro“, berichtet AGCS-Manager Martin Zschech. „Doch das Produkt ist für uns noch zu neu, um solche Verträge aufzusetzen. Wir wollen erst mal in Bereichen Erfahrungen sammeln, die besser handhabbar sind.“

Die Frage, wie sich mögliche Umsatz- und Gewinneinbrüche infolge eines Reputationsschadens berechnen lassen, sorgt für jede Menge Probleme. Nicht jedes öffentlich bekannte Fehlverhalten drückt den Umsatz – 2017 meldete Volkswagen nach einem der größten Skandale der Firmengeschichte Rekordverkäufe. Und nicht jeder Umsatzeinbruch nach einem Shitstorm oder Skandälchen hat seine Ursache zwangsläufig in der öffentlichen Aufregung. Auslöser für Umsatzrückgänge können der Gesamtmarkt sein, Wechselkursschwankungen, das bessere Angebot eines Konkurrenten oder das Wetter. Wie also lässt sich ein für die Schadensregulierung notwendiger Kausalzusammenhang herstellen? Wie lässt sich die Dimension eines Reputationsschadens halbwegs valide erfassen? Fängt er an, wenn ein anonymer Blogger über ein Produkt lästert? Oder erst wenn Bild-Zeitung und Tagesthemen einen Skandal melden?

Klar ist, dass das Versicherungsangebot nur funktioniert, wenn all diese Grauzonen halbwegs objektiv erfasst werden können. „Die Regulierung muss zufriedenstellen. Die Höhe der Schadensregulierung muss nachvollziehbar sein, das Verfahren sollte zügig und für alle handhabbar sein. Das ist die Herausforderung“, erklärt Allianz-Produktentwickler Albers.

Schon um Interessenkonflikte zwischen der Versicherung und ihren Kunden zu vermeiden, ist bei der AGCS für die Bewertung von Image-Krisen und den aus ihnen resultierenden Gewinneinbrüchen ein externer, neutraler Partner zuständig. Die auf die Beobachtung des öffentlichen Klimas in Medien aller Art spezialisierte Agentur Media Tenor arbeitet seit zwei Jahrzehnten für Unternehmen in der Reputationsforschung. Ihre Erfahrungswerte helfen einzuschätzen, ab wann eine negative Berichterstattung für den Rückgang des Verkaufs oder gar eine Schädigung der Marke verantwortlich ist. Produktentwickler Albers betont ausdrücklich, wie wichtig diese Analysen für die gesamte Konstruktion der Police sind.

Matthias Vollbracht ist Leiter Research bei Media Tenor. Er erzählt, was die Agentur tut: Analysten werten Tonalität, Quantität und Themen von Beiträgen bei Meinungsführern in TV, Radio, Print und Social Media aus. „Das kann in dieser Qualität bisher keine Software“, sagt er. Die Veröffentlichungen und die in ihnen transportierten Wertungen werden in Zahlen übersetzt, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen und Entwicklungskurven darzustellen. Berichten viele oder wenige Medien über einen vermeintlichen Skandal? Ist die Tonlage abwägend oder schrill? Bei der Entwicklung der Messmethode greifen Vollbracht und sein Team auf einen riesigen Datenschatz und jahrzehntelange Erfahrung zurück. „Wir haben Millionen von Artikeln analysiert und daraus Kennziffern entwickelt, die für eine gute oder weniger gute Reputation stehen“, erklärt der Wissenschaftler. Das Informationsangebot ist durch die sozialen Medien immens gestiegen – aber am Analyse-Instrumentarium hat sich nichts geändert.

Metrik & Methoden

Um eine Krise zu erkennen, ist ein Vergleich mit dem Ist-Zustand notwendig. Deshalb beginnt die Versicherung mit einem Workshop. Der Kunde erfährt in einer Status-quo-Analyse, die ein bis zwei Jahre abdeckt, wie die Öffentlichkeit ihn sieht. „Mit diesem Wert steigt der Kunde in die Police ein“, erklärt Vollbracht. Löst das Unternehmen den Versicherungsfall aus, beginnt Media Tenor unmittelbar mit krisenbegleitenden Messungen. Ziel dieser Untersuchungen ist es, herauszufinden, wie sich die Krise entwickelt und ob das Krisenmanagement Erfolg hat. Blinder Alarm, ausgelöst durch ein nervöses Management, und Krisen ohne relevante Folgen für das Meinungsklima sind damit ebenfalls relativ schnell erkennbar.

Die Dokumentation des Krisenverlaufs hilft dem Kunden, die Dimension des Reputationsschadens und den Zusammenhang zwischen Meinungsklima und Umsatzentwicklung zu erfassen. Das ist wichtig, denn die Aufgabe, für die Schadensregulierung krisenbedingte Umsatz- und Gewinneinbrüche nachzuweisen, liegt beim versicherten Unternehmen. Media Tenor liefert dafür nur die notwendigen Daten. „Wenn die Umsätze schon vorher gesunken sind, wird man das mit einem Korrekturfaktor rausrechnen“, sagt Business Development Manager Skorna. Zur Berechnung von entgangenem Gewinn werden zudem externe Dienstleister herangezogen, die zum Beispiel kalkulieren, wie der Geschäftsverlauf ohne Krise verlaufen wäre. „Je weicher die Kriterien, desto schwieriger der wissenschaftliche Nachweis“, erklärt Allianz-Produktentwickler Albers.

Auch für Skorna ist die unkomplizierte Schadensregulierung entscheidend, sowohl bei Umsatzschäden wie bei Maßnahmen gegen Rufschädigung. „Wir als Vermittler legen Wert darauf, dass die Zahlungen des Versicherers zweckungebunden erfolgen. Das betroffene Unternehmen agiert im Krisenfall eigenverantwortlich in der Maßnahmengestaltung, etwa mit der Schaltung von Anzeigen bis zum Limit der Deckungssumme. Der Versicherer sollte dem Unternehmen nicht vorschreiben, was zu tun ist, sondern lediglich als Makler zur Seite stehen“, meint Skorna.

Ein Problem sind auch in seinen Augen die in Deutschland noch sehr geringen Erfahrungswerte im Schadensfall. Erst wenn erste Schäden schnell und fair geregelt sind, dürfte die Versicherung das nötige Vertrauen am Markt gewinnen – ähnlich wie bei den vor einigen Jahren eingeführten Versicherungen gegen Cyber-Schäden. So gesehen, wären ein oder zwei spektakuläre, zügig abgewickelte Rufschädigungen das Beste, um den Ruf der neuen Versicherung zu stärken. //