Klimaschutz durch digitale Transformation?

Grün geht anders

Corona hat Telearbeit mehrheitsfähig gemacht, für mehr Homeoffice und weniger Dienstreisen gesorgt, was der Atmosphäre Milliarden Tonnen an CO2 erspart hat. Aber hilft die IT wirklich, nachhaltiger zu arbeiten? Professor Klaus Fichter vom Berliner Borderstep Institut hat da seine Zweifel.



Klaus Fichter kann mit Daten belegen, wo die Probleme liegen.


/ Das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in Garching hat vor wenigen Monaten einen Computer in Betrieb genommen, der an die Grenzen siliziumbasierter Halbleitertechnik geht: Im Inneren eines gefrierschrankgroßen Gerätes ist auf einem einzigen quadratischen Chip, dessen Kantenlänge ungefähr der kurzen Seite eines DIN-A4-Blattes entspricht, alles untergebracht, was einen Supercomputer, auch High-Performance Computer, HPC genannt, ausmacht.

Der Cerebras CS-2 ist mit 850 000 parallel arbeitenden Prozessorkernen dafür ausgelegt, aus ungeheuren Datenmassen zu lernen. Institute der Münchner Universitäten, die ihn für Forschungsprojekte zur künstlichen Intelligenz buchen, können für sich in Anspruch nehmen, die Möglichkeiten des Cloud Computings wirklich auszureizen, denn dank des Deutschen Forschungsnetzes (DFN) muss niemand persönlich im LRZ anwesend sein, um das Elektronen-Gehirn für sich arbeiten zu lassen.

So beeindruckend der Deep-Learning-Bolide auch ist: Er gehört zu den Innovationen, die den Stromverbrauch der angewandten Informatik peu à peu nach oben treiben. Denn der CS-2 ersetzt keine ineffizienteren alten Computer – er kann Dinge, die vorher nicht möglich waren. Und er belastet das Stromnetz zusätzlich mit bis zu 23 Kilowatt dank seiner unvermeidlichen Wasserkühlung. Das entspricht etwa dem Durchschnittsbedarf von 50 Vier-Personen-Haushalten.

Während das ganze Land vom Energiesparen redet, gehe der Bedarf der Rechenzentren stetig nach oben, weiß Professor Klaus Fichter, Gründer des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit in Berlin-Zehlendorf. Mit seinem Team erforscht er, inwieweit der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik der Umwelt nützt oder schadet. Anfang 2022 veröffentlichte Borderstep gemeinsam mit dem Mannheimer ZEW (Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) den Abschlussbericht des Projekts „Klimaschutz durch digitale Transformation“ (CliDiTrans), das auch den Boom der Telearbeit im Zuge der Corona-Maßnahmen untersuchte. Der skeptische Titel lautet: „Realistische Perspektive oder Mythos?“

Professor Fichter, bei der dezentralen Büroarbeit läuft immer mehr über cloudbasierte Systeme, oder?

Klaus Fichter: Wir schätzen, dass ungefähr ein Drittel der Rechenzentren in Deutschland über die Cloud arbeitet. Weltweit ist es sicherlich deutlich mehr. Es dürften um die 40 Prozent sein.

Wie sieht da die Ökobilanz aus? Verschlingt der Traffic sehr viel Strom?

Ja. Zum Cloud-System gehören drei Stromverbraucher: Rechenzentren, Netzinfrastruktur, Endgeräte – und der Energieverbrauch der Rechenzentren steigt kontinuierlich an. Das zeigt unser Monitoring, das wir seit 2010 durchführen. Im vergangenen Jahr waren es in Deutschland ungefähr 17 Terawattstunden – das ist mehr Strom, als Berlin verbraucht. 30 Prozent davon können wir Cloud Computing zuordnen. Fünf Milliarden Kilowattstunden im Jahr, Tendenz klar steigend.

Das ist fast jede hundertste verbrauchte Kilowattstunde hierzulande.

Die Hoffnung war, dass es mal einen Knick gibt, dass zwar die Rechenleistung weiter wächst, der Energieverbrauch aber runtergeht. Doch das sehen wir leider nicht, obwohl die Rechenzentren kontinuierlich effizienter werden. Die Betreiber tun eine Menge, schon weil Strom recht teuer geworden ist. Aber die Nachfrage nach Rechenleistung ist einfach enorm. In der Summe steigt deshalb der absolute Energieverbrauch der Informations- und Kommunikationstechnik kontinuierlich weiter an, besonders in Rechenzentren. Doch wenigstens der Stromverbrauch der Endgeräte ist rückläufig.

Milliarden Kilowattstunden im Jahr, Tendenz klar steigend. (Energieverbrauch für Cloud Computing in Deutschland)


Je mehr sich die Arbeit ins Homeoffice verlagert, desto weiter ziehen die Leute aus der Stadt raus.

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Die CliDiTrans-Studie zeigt deutlich, dass der PC sowohl im Büro als auch zu Hause kein so großer Stromfresser mehr ist wie noch vor zehn Jahren. Obwohl in der Gamer-Community wattstarke Rechner mit Hochleistungsgrafikkarten beliebt sind und die Menschen mehr Zeit im Internet verbringen, sank der Gesamtverbrauch von Elektrizität durch PCs zwischen 2010 und 2020 auf weniger als die Hälfte. Ein naheliegender Grund: Statt Desktop- und Tower-PCs nutzen immer mehr Menschen für Office-Anwendungen und zum Surfen Notebooks und Tablets, die auf niedrige Leistungsaufnahme optimiert sind, damit sie im Akkubetrieb lange durchhalten. Viele Nutzungen haben sich sogar aufs Smartphone verlagert, das noch weniger Strom verbraucht.

Auch die Festnetze (DSL, Koaxkabel und Glasfaser) kamen trotz steigender Bandbreiten mit etwas weniger Energie aus, während die Kurve beim Mobilfunk wegen des Netzausbaus deutlich stieg. Da der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix ebenfalls steigt, sinkt zwar die bei der IT-Nutzung anfallende CO2-Last, was aber konterkariert wird durch den häufigen Austausch mobiler Endgeräte gegen neue Modelle. Ihre Herstellung in Fernost fließt nicht in deutsche Energiebilanzen ein, muss für eine vollständige Ökobilanz aber selbstverständlich mitgerechnet werden.

Ein Problem ist dabei die sogenannte geplante Obsoleszenz: Hardwarehersteller legen einen begrenzten Produktlebenszyklus fest, in dem sie die Systemsoftware pflegen und Sicherheits-Updates bereitstellen. Deshalb landen insbesondere Smartphones oft nicht im Elektroschrott, weil das Gerät kaputt ist – es ist nur unbrauchbar, weil das Betriebssystem veraltet ist und es keine Updates mehr gibt.

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Was steht denn auf der anderen Seite der Bilanz? Durch Telearbeit und Videokonferenzen sparen wir doch Benzin.

Man muss trennen zwischen normaler Arbeit im Homeoffice und Geschäftsreisen. Wir hatten beim CliDiTrans-Projekt das Riesenglück, dass wir eine erste Erhebung mit Mitarbeitern aus verschiedenen Unternehmen gemacht hatten, bevor es mit der Pandemie losging. Die zweite Befragung folgte Ende 2020 während Corona und die letzte im Sommer 2021. Dabei haben wir eine erhebliche Verminderung des Pendelverkehrs festgestellt, allerdings auch erhebliche Rebound-Effekte: Die Leute fahren zwar seltener ins Büro und verursachen weniger CO2-Emissionen, aber sagen dann: Wenn ich mehr zu Hause arbeite, kann ich doch ins Umland ziehen, wo die Mieten nicht so teuer sind, und mir ein Arbeitszimmer einrichten.

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Wir sollten nicht glauben, dass Digitalisierung per se zu Energie- einsparung und CO2-Reduktion führt. So einfach ist das nicht.

Und fahren an zwei oder drei Tagen so viele Kilometer wie vorher an fünf?

Ja, das gleicht sich ungefähr aus. Am Ende gewinnen wir sehr wenig. Die Dynamik, die wir da sehen, stützt Annahmen aus früheren Studien. Da konnten wir es nur nicht so gut untersuchen wie jetzt während Corona. In Schweden gab es schon in den 2000er-Jahren ein paar schöne Studien: Je mehr sich die Arbeit ins Homeoffice verlagert, desto weiter ziehen die Leute aus der Stadt raus. Und zu Hause wird dann auch mehr geheizt.

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Sogenannte Rebound-Effekte (negative Kompensation von externen Effekten) ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Gebiete, auf denen technische Innovation die Effizienz steigert. Das klassische Beispiel ist die Entwicklung von Autos mit Verbrennungsmotor: Seit Jahrzehnten schafft es die Industrie, den Wirkungsgrad der Antriebe stetig zu steigern, also aus der gleichen Menge Kraftstoff mehr Leistung herauszuholen. Dieser Fortschritt schlägt sich aber nur zu einem kleineren Teil in sinkendem Verbrauch nieder. Der Löwenanteil wird dazu genutzt, immer größere, schwerere und schnellere Fahrzeuge zu konstruieren, die im Idealfall nicht mehr Benzin schlucken als ein alter Käfer. Und die Käufer finden diese „besseren“ Autos attraktiver als sparsamere – den 3-Liter-Lupo von VW wollte seinerzeit fast niemand kaufen.

Ähnliche Phänomene sind aus der Konsum-güterindustrie bekannt: Sinken durch Skaleneffekte, Automation, billigere Materialien oder Produktionsverlagerung die Stückkosten, steigen die Stückzahlen, denn die Verbraucher können sich mehr leisten. So kam es unter anderem zum Fast-Fashion-Trend, der die Textilindustrie zu einer wesentlichen Quelle von Treibhausgasen werden ließ.

In der Elektronik ist das klassische Beispiel Moore’s Law: Die Möglichkeit, immer mehr Schaltkreise auf einen Chip zu packen, führt zu einer Aufwärtsspirale aus schnellerer Hardware und leistungshungrigerer Software. Auch kompakte KI-Supercomputer wie der CS-2 könnten eines Tages, in größerer Stückzahl produziert, für den Mittelstand erschwinglich werden und so den Energiebedarf der IT wie auch das Klima weiter anheizen.

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Wenn viele Angestellte im Homeoffice sitzen, müssen die Firmen aber zumindest die Büroräume weniger heizen.

Die werden meist trotzdem weiter geheizt.

Diesen Winter vielleicht nicht mehr.

Da kommen wir zu einem wichtigen Punkt: Anreize, wirklich Energie zu sparen. Die Digitalisierung ist lediglich eine Möglichkeit – am Ende müssen andere Faktoren hinzukommen, damit sich etwas bewegt, wie etwa jetzt die sehr hohen Heizkosten.

Die alte Leier: It’s the money, stupid!

Ja, fürs Homeoffice können wir das sagen. Bei Geschäftsreisen sieht es anders aus. Wir vergessen manchmal, dass wir schon vor Corona den Trend zu immer leistungsfähigeren Videokonferenz- und Telefonkonferenz-Systemen hatten. Ihr Einsatz hat kontinuierlich zugenommen, während gleichzeitig auch die Zahl physischer Geschäftsreisen stieg.

Wurde diese Entwicklung gebremst?

Bis vor Corona nicht. Man kann die Entwicklung bis zurück in die Achtzigerjahre vergleichen – der Bruch kam tatsächlich mit Corona. Vorher hieß es immer: „Ach, ich brauche den persönlichen Kontakt.“ Jetzt waren auf einmal alle gezwungen, sich mit den lästigen Videokonferenzen auseinandersetzen. In kurzer Zeit gab es einen viel stärkeren Lerneffekt als in den 30 Jahren davor. Und der hat sehr deutlich dazu geführt, auf Geschäftsreisen zu verzichten.

Auch Wissenschaftler reisen deutlich weniger zu Kongressen. Ich war kürzlich selbst für einen Vortrag auf einer Hybrid-Konferenz in den USA zugeschaltet, für den ich früher hätte hinfliegen müssen. Wir sehen bei beruflichen Reisen tatsächlich eine Reduzierung, das stützen auch unsere Befragungen vor, während und gegen Ende der coronabedingten Einschränkungen. Die Pandemie hat einen Bruch in den Linien bewirkt: Bei „Video mehr nutzen“ geht es steil nach oben, bei „reale physische Geschäfte“ wirklich runter.

Die Kurven schneiden sich.

Genau. Einiges kommt zurück: Geschäftsreisen nehmen wieder zu, aber wir gehen davon aus, dass sie nicht mehr dasselbe Niveau wie davor erreichen. Während im Homeoffice die Rebound-Effekte greifen, beobachten wir bei Geschäftsreisen eine Veränderung der Kultur. Es wird differenziert: Kennt man sich schon gut, geht es auch kurz online. Wenn nicht, ist der persönliche Kontakt oft noch notwendig. Natürlich spielen auch andere Faktoren mit hinein. Fliegen ist ja nicht immer angenehm.

Wir sollten jedenfalls nicht glauben, dass Digitalisierung per se zu Energieeinsparung und CO2-Reduktion führt. So einfach ist es nicht. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es bei Geschäftsreisen auf dem niedrigeren Niveau bleiben wird.

Was heißt niedriger? Was schätzen Sie?

Es ist schwierig, das genau zu prognostizieren, vielleicht ein Viertel weniger. Wir sind aktuell in einer Phase, in der es Nachholbedarf gibt. Die Leute wollen sich einfach wieder persönlich treffen.

Mehr nicht?

Es könnte auch um 30 Prozent runtergehen. Aber an eine Halbierung glaube ich nicht. Das hängt auch von gesetzlichen Rahmenbedingungen ab und von den Arbeitskulturen. Wird zum Beispiel von mir erwartet, dass ich persönlich vor Ort bin?

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Ausgerechnet Tesla-Chef Elon Musk, sonst immer für Fortschritt und Digitales offen, sorgte Anfang Juni für Verwunderung mit einem Tweet, in dem er unterstellte, im Homeoffice werde nur gefaulenzt. „Die können woanders so tun, als arbeiteten sie“, reagierte der Unternehmer auf Kritik an einer geleakten E-Mail von ihm, die den Betreff trug: „Telearbeit ist nicht mehr hinnehmbar.“ Darin hatte er seine Führungskräfte informiert, er erwarte eine Mindestanwesenheit von 40 Stunden pro Woche im Büro, wobei es für ihn nicht zähle, sich an einem anderen Standort von Tesla an einen Schreibtisch zu setzen. Überstunden im Heimbüro stören Musk aber nicht.

Als Folge von Musks Nachricht gab es nicht nur einen gepflegten Shitstorm auf Twitter, sondern auch enormes Chaos im Tesla-Hauptquartier. Viele der ins Büro beorderten Arbeitskräfte fanden keinen Parkplatz, manche nicht mal einen freien Schreibtisch. Das Unternehmen hatte seine Arbeitsorganisation längst auf einen Anteil Heimarbeit ausgerichtet.

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Ist Homeoffice eine Generationsfrage?

Ja. Tendenziell wollen ältere Chefs sehen, wer da ist und dass gearbeitet wird. Auch Elon Musk ist nicht mehr der Jüngste. Jemand, der supermisstrauisch ist, hat heute aber andere Möglichkeiten, das zu kontrollieren. Ich habe viel mit Start-ups zu tun, eines begleite ich strategisch, das ich durchaus für repräsentativ halte. Da haben die ersten zwei Jahre alle im Homeoffice gearbeitet. Die brauchen zwischendrin auch Team-Events, wo sie sich persönlich sehen – das ist sogar extrem wichtig. Aber die lernen das Miteinander ganz anders. Das Modell „Wir haben ein großes Büro, und es sind alle die meiste Zeit da“ gab es da nie. Es war von vornherein klar: Es gibt differenzierte Hybridmodelle.

Irgendwo braucht man einen Ort, an dem man sich trifft, ganz klar. Es reicht nicht, alle paar Monate physisch zusammen zu sein. Es muss aber nicht das klassische Büro sein. In der Wirtschaftsgeografie und der Innovationsforschung wird von „Dritten Orten“ gesprochen, also zum Beispiel einem Coworking Space, der auf halbem Weg zwischen Firma und Wohnung liegt.

Im Südosten von Berlin haben wir den größten Wissenschafts- und Technologiepark Deutschlands, Adlershof. Er hat eine sehr gute Büro-Infrastruktur, aber es gab früher jeden Morgen erhebliche Verkehrsprobleme, die man nie in den Griff gekriegt hat. Dann kam Corona. Und da recht viele Mitarbeitende im östlichen Brandenburg wohnen, Richtung Cottbus, wurde für die in Lübben im Spreewald ein Dritter Ort eingerichtet. Zu solchen Modellen mit verteilten Standorten sehe ich einen ganz starken Trend. Es wird im Homeoffice gearbeitet, beim Kunden, an einem Dritten Ort oder im Betrieb in einem non-territorialen Bürokonzept.


Das unabhängige und gemeinnützige Borderstep Institut in Berlin erforscht die Zukunft und untersucht, was kommt (Innovation) und was bleibt (Nachhaltigkeit). Klaus Fichter lehrt neben seiner Institutstätigkeit an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und hat dort die außerplanmäßige Professur für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit (PIN) inne.

Non-territorial heißt: In der Firma hat niemand mehr ein eigenes Büro oder einen Schreibtisch für sich, also ein persönliches Revier, in dem er seine Duftmarke hinterlässt?

Ja. Das ist grundsätzlich nichts Neues. Vor 30 Jahren habe ich eine Fallstudie zum damaligen IBM-Hauptquartier in Stuttgart-Vaihingen gemacht. Dort standen die Räume zu 60 Prozent leer. Ein Controller hat damals gefragt: Wieso ist das so? Die sind bei den Kunden, war die Antwort. Trotzdem hatten alle ihr eigenes Büro. Am Ende wurde ein Großraumbüro-Konzept umgesetzt, in dem es keine feste Zuordnung von Schreibtischen mehr gab. Das nennt man heute non-territorial.

Anfangs gab es schon auch Widerstände, vor allem aus dem mittleren Management, weil das Vorzimmer weggefallen ist. Letztlich hat es aber funktioniert, weil das Topmanagement mitgemacht hat und die Vorteile den Betriebsrat überzeugt haben.

In der kurzen Zeit, in der die Leute in Vaihingen waren, kamen sie dank des Großraumbüros lockerer miteinander ins Gespräch als vorher, als noch jeder im eigenen Hasenstall hockte. In unseren Interviews haben die meisten diese Vernetzung sehr positiv bewertet. Heute verlagert sie sich zum Teil an Dritte Orte. Wir müssen also die Arbeitswelt sehr anders denken als bisher.

Aber das braucht mehr Absprachen, oder? Die gemeinsame Zeit im Büro oder im Coworking Space kann man schlecht dem Zufall überlassen.

Persönliche Begegnungen sind extrem wichtig für das Zusammengehörigkeitsgefühl, für den Teamgeist. Ich sehe das auch bei uns. Wir arbeiten schon lange viel im Homeoffice – das muss stärker organisiert werden. Für manche Organisationen mag es reichen, alle zwei Monate für zwei Tage ein Event zu machen, zu dem alle kommen, und danach arbeitet wieder jeder zu Hause. Doch für die meisten reicht es nicht. Das Konzept muss an die Arbeit, die Aufgabe angepasst sein, an die Kultur des Unternehmens.

Das Start-up, das ich betreue, hat Team-Events eingeführt: Man trifft sich abends, und da erfahren alle, wie es den anderen geht. Darauf muss man in Zukunft viel Wert legen, das ist auch Teil der Personalführung. Man darf die Leute nicht allein lassen, nach dem Motto: „Du hast zu Hause doch eine schnelle Internetanbindung und sogar ein richtiges Arbeitszimmer.“ Vorgesetzte müssen die Leute ins Team einbinden und aufpassen, dass sich niemand isoliert fühlt. Auf der anderen Seite – Stichwort Mobbing – ist es nicht so schlecht, wenn man Leute, die zu zweit oder zu dritt in einem Büro sitzen und sich gegenseitig nerven, aus so einer konfrontativen Situation herausholt. Der Fortschritt schafft da ganz neue Möglichkeiten.

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Zwei Fachbegriffe haben es in den vergangenen Jahren aus der Welt der (Software-)Ingenieure in den Sprachgebrauch anderer Berufe geschafft: „Scrum“ und „Agilität“. Projekte werden dabei entlang kurzer Etappen organisiert, der Weg von einem Etappenziel zum nächsten heißt Sprint. Der Clou an diesem agilen Arbeiten ist, dass die Sprinter allein laufen. Danach kommen sie zu einem Meeting zusammen, bei dem sie unter Anleitung eines Scrum Masters den Zwischenstand diskutieren und festlegen, wie es weitergeht. Eine physische Präsenz im Betrieb ist für diese getakteten gruppendynamischen Prozesse nur alle ein bis zwei Wochen erforderlich – der Rest wird in der Regel im stillen Kämmerlein erledigt. Gerade in Organisationen, die an ihrer digitalen Transformation arbeiten, ist das Arbeitsmodell auch außerhalb der IT im Kommen.

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Zurück zum Energieverbrauch: Ist der Energieverbrauch im B2B-Sektor überhaupt relevant, verglichen mit dem Entertainment-Traffic von IP-TV, Netflix oder Youtube?

Die Rechenzentrumsleistung in Deutschland wird zu 75 Prozent von Unternehmen in Anspruch genommen. Die Netze dagegen werden vor allem von den Endverbrauchern stark genutzt. Auch bei den Endgeräten ist der Energieverbrauch der Konsumenten größer als der von Unternehmen. Alles in allem verbrauchen Unternehmen und Verbraucher jeweils ungefähr die Hälfte. Die großen Fernsehgeräte und hochauflösende Videostreams sind leider große Energiefresser.

Stichwort Video: Energieeffizienz hat viel mit Software zu tun, Entwickler reden inzwischen über „Green Coding“. Apple warnt seine Kunden sogar vor besonders stromfressenden Websites und Apps. Sind die Programmierer zu nachlässig im Umgang mit den Hardware-Ressourcen der Nutzer?

Software so schlank zu entwickeln, dass sie bei der Nutzung energiesparend ist, war bisher selten eine Vorgabe für Programmierer. Je schneller die Rechner wurden, desto aufwendiger wurden auch die Programme. Doch energiesparendes Programmieren kommt seit ein paar Jahren langsam aus der Nische der Spezialisten. Das Umweltbundesamt leistet Hilfestellung und vergibt auch Blaue Engel, um die IT-Szene dafür zu sensibilisieren.

Schlanke Software dürfte auch ein Thema für die Aus- und Fortbildung sein.

Absolut. Das Prinzip des Green Programming, also den Effizienzgedanken, von vornherein in der Konstruktion von Software zu berücksichtigen ist in Informatik-Studiengängen noch nicht genug verankert. Die Bewusstseinsbildung und Qualifizierung reichen nicht aus, solange Rechenleistung und Speicherkapazität jederzeit billig verfügbar sind. Damit es in Zukunft grüne Software geben kann, braucht es auch hier einen monetären, ökonomischen Anreiz. Den gibt es aber eher selten, etwa wenn ich für rechenintensive KI-Anwendungen Kapazitäten im High-Performance-Computing buchen muss.

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Dass der Stromverbrauch der Informationstechnik erheblich sein kann, ist seit der Zeit der Röhrenmonitore bekannt. Auf denen zeigte früher ein „Energy Star“-Aufkleber der US-Umweltschutzbehörde EPA, ob sie stromsparend konstruiert waren, etwa durch minimalen Verbrauch im Standby-Betrieb. Mittlerweile vergibt die RAL gGmbH (Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung) nach dem Kriterienkatalog des Umweltbundesamtes Blaue Engel auch für IT-Dienstleistungen, zum Beispiel für Rechenzentren, die für verschie- dene Kunden Server hosten (Co-Location). Ein wichtiges Thema ist dort effiziente Kühlung: Die Rechner laufen buchstäblich heiß, sodass sich ihre Abwärme über Wärmetauscher für die Warmwasserversorgung nutzen lässt. Auch schlanke Software, die die Hardware wenig beansprucht, kann erheblich zum Stromsparen beitragen – das Umweltbundesamt hat auch für ihre Bewertung einen Kriterienkatalog erstellen lassen. Zu den Baustellen gehören Entwicklungen insbesondere beim IT-Einsatz für Unterhaltungszwecke, etwa Videostreaming übers Internet. Typische Fernsehgeräte fallen in die Energieeffizienzklasse G, wobei der Stromverbrauch auf die Bildschirmdiagonale bezogen ist. Ein großes TV-Gerät verbraucht proportional zur Größe mehr Strom als ein kleines mit demselben Buchstaben. Selbst auf den größten Geräten mit einer 8K-Auflösung kann das menschliche Auge kleinste Details, die auch übertragen werden, nicht erkennen. Doch von diesem Maximum hängt die übertragene Datenmenge ab. Und es gibt bisher keine Vorschrift, den Stream passend zum Endgerät zu minimieren – obwohl das möglich wäre.

Das beste Beispiel für maßlos übertriebenen Rechenaufwand bleibt allerdings das Bitcoin-Mining, das mit geschätzten 200 Terawattstunden pro Jahr mehr Energie verbraucht als die Niederlande. Kürzlich wurde bei der technisch verwandten Ethereum-Blockchain das Verfahren geändert, das Manipulationen verhindern soll. Mit der neuen Methode (Proof-of-Stake statt Proof-of-Work) soll der Stromverbrauch angeblich um 99 Prozent sinken.

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Auch unnötiger Datenverkehr, etwa Videos in zu hoher Auflösung und das ständige Nachladen von Content auf werbefinanzierten Websites, ist ein Energiefresser.

In der Tat. Das ist definitiv ein Problem, aber es lässt sich nur schwer eingreifen. Man müsste die Nutzer dazu bringen, auf werbefreie Bezahlangebote umzusteigen – oder der Gesetzgeber muss das regulieren.

Nicht nur im Büro, sondern auch in der Industrie gab es Hoffnungen, durch IT effizienter zu werden. Was halten Sie von Konzepten wie Industrie 4.0?

Die Energie- und Materialeffizienz steigt, aber nicht so, dass wir Energie sparen würden. Solange der Ressourcenverbrauch und die Emissionen nicht gedeckelt werden, etwa durch gesetzlich festgelegte CO2-Kontingente, wird einfach mehr produziert. Im Rahmen der CliDiTrans-Studie haben wir auch dort die Rebound-Effekte untersucht: Die Bilanz ist eher negativ. Dieses extreme Effizienzdenken ist allerdings völlig veraltet. Die großen Krisen – Pandemie, Ukraine-Krieg, Gaspreis, Lieferketten – zeigen, dass wir mehr auf Resilienz als auf Effizienz achten müssen.


Software so schlank zu entwickeln, dass sie bei der Nutzung energiesparend ist, war bisher selten eine Vorgabe für Programmierer. Die großen Krisen zeigen, dass wir mehr auf Resilienz als auf Effizienz achten müssen.

Foto: sdecoret / iStockphoto

Sieht nur kühl aus, denn jedes elektronische Bauteil und ganz besonders die Prozessoren erzeugen beim Betrieb Wärme.

Und wie bringt man den Menschen einen bewussteren Umgang mit Ressourcen und größeres Verantwortungsgefühl fürs Klima nahe?

Ich gebe Ernst Ulrich von Weizsäcker recht, der sagt: „Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen.“ Es geht da los, wo die Leute merken: Das kostet mich Geld. Die richtigen Anreize sind für viele ökonomischer Art, für Unternehmen sowieso. Nachhaltig zu wirtschaften muss also belohnt werden. Wenn ich sage „Bitte sei nachhaltig“, aber die Wettbewerber günstiger anbieten, weil sie sich einen Dreck um die Umwelt kümmern, wird das dauerhaft nicht funktionieren. Deswegen brauchen wir ein Ordnungsrecht. Klare Rahmenbedingungen setzen und nachhaltiges Handeln belohnen – das ist die richtige Mischung. //