Im grünen Bereich

Wirtschaft und Naturschutz passen nicht zusammen. So weit das Klischee. In der Südpfalz halten sie sich lieber an die Wirklichkeit. Sie schauen hin. Reden miteinander. Finden Kompromisse. Zum Vorteil beider Seiten.




Für einen Unternehmenschef sagt Hans-Peter Baer manchmal recht merkwürdige Sachen. "Eigentlich würde man den Bau eines solchen Werkes heute verbieten. Aus ökologischer Sicht ist es nicht sinnvoll, dass wir hier sind. Wir sind viel zu dicht am Fluss."

Baer ist ein schwerer Mann, 64 Jahre alt. Der Geschäftsführer der Nolte Mö-bel-Industrie Holding wählt seine Worte mit Bedacht. Wir ­ das sind seine Möbelwerke im Süden von Germersheim, in unmittelbarer Nähe des Rheins, mitten in den Rheinauen. Auf 820000 Quadratmetern schreddern dort 1200 Mitarbeiter Baumstämme zu Fasern, dämpfen die Feuchtigkeit heraus, pressen daraus Spanplatten, montieren Betten, Schränke, Tische. Es dampft und kreischt aus den Fabrikanlagen.

In den Rheinauen jagt der Seeadler, brütet der Eisvogel, durch die Wiesen stakst der Weißstorch, flattert der Bläuling. Vor 50 Jahren war eine Industrie-ansiedlung dort kein Problem ­ so lange ist Nolte schon da. Mittlerweile aber ist rund um Nolte Schutzraum. Im Westen Vogelschutzgebiet, im Süden Naturschutzgebiet, im Osten hin zum Rhein die FFH-Fläche: Flora-Fauna-Habitat, ein Gebiet, in dem wild lebende Tiere ungestört bleiben sollen. Überall dort darf Nolte nicht einfach so hin ­ schwierig für ein wachsendes Unternehmen, das seine Anlagen stetig erweitern muss. "Dabei schnüren wir das Gebiet mit unserem Werk schon heute ein und unterbrechen es", sagt Baer. "Aber wir müssen uns entwickeln können. Das geht nur über Kompromisse."

Bei Nolte zeigt sich konzentriert, was Wirtschaft und Politik in der Südpfalz andauernd begegnet: Der Landstrich ist gesegnet mit viel intakter Natur und gehört gleichzeitig zu den wachstumsstärksten Regionen in Deutschland. Wachstum ­ das heißt Neuansiedlung von Gewerbe und Industrie, heißt Erweiterung vorhandener Anlagen. Beides ist mit Flächenverbrauch verbunden. So kommt es schnell zu Kollisionen mit dem Naturschutz. Wenn man durchs Land fährt, fällt das nicht sofort auf, die Gegend präsentiert sich weitflächig. Doch ungenutzte Erde gibt es kaum, und wer genau hinschaut, merkt: Wo nichts gebaut ist, ziehen Landwirte Salat, Mais und Korn.

Es geht nur miteinander

Vor allem im Landkreis Germersheim machen Natur und Wirtschaft einander Konkurrenz. Dort wuchs das Bruttoinlandsprodukt laut einer Studie zuletzt um zwölf Prozent (bundesweit 4,9 Prozent), die Investitionsquote der Unternehmen liegt bei 17 Prozent (bundesweit 10,4 Prozent). In vier Jahren entstanden 2000 neue Arbeitsplätze, 37000 Menschen gehen nun einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Sie alle brauchen Platz zum Arbeiten. Zugleich stehen 66 Prozent der Kreisfläche unter Naturschutz ­ Land, das einer wirtschaftlichen Nutzung zunächst nicht zur Verfügung steht. Es ist der Spitzenwert für eine Wirtschaftsregion in Rheinland-Pfalz.

Wie kriegt man das unter einen Hut? Es gibt nur einen Weg: Kreisverwaltung und Wirtschaft müssen gemeinsam Lösungen finden.

"Das ist ein gewaltiger Spannungsbogen", sagt Fritz Brechtel, der Landrat des Kreises Germersheim. "Natur und Wirtschaft auf so engem Raum, das ist sehr konfliktreich. Aber es ist auch eine Riesenchance. Für mich ist Naturschutz deshalb eher eine Verstärkung dessen, was ich ohnehin erreichen will: eine nachhaltige Entwicklung der Region. Wir setzen nicht auf Masse, auch nicht bei der Industrie."

Drei Dinge muss Brechtel schaffen: der Wirtschaft Flächen zur Verfügung stellen, die Naturschutzgebiete unberührt lassen und die Natur so nutzen, dass sie wirtschaftlichen Ertrag abwirft. Zu viel davon hat der Landkreis, als dass er sie brachliegen lassen könnte.

Was Brechtel nicht kann: die Naturschutzflächen verringern oder großräumig verschieben. Die Gebiete hat das Land Rheinland-Pfalz ausgewiesen, auf Anforderung der Europäischen Union, die mit dem Projekt "Natura 2000" einen durchgängigen Biotopverbund in Europa schaffen will. Was aber nicht heißt, dass dem Landrat die Hände gebunden sind. "Ein Schutzgebiet darf keine totale Schranke sein. Es kommt darauf an, welchen Zweck es erfüllt. Wer das beachtet, bleibt flexibel."

Es gilt herauszufinden, wo Spielräume sind. Und dazu muss man wissen, wie sich welches Gebiet entwickeln soll. Brechtel hat dem Kreis ein klares Leitbild gegeben. Die Rheinauen und die Schwemmfächerwälder zwischen Rhein und Pfälzerwald sind für Industrie tabu. Dafür sind die Cluster Wörth und Germersheim offen für Ansiedlungen. "Wir siedeln dort an, wo es schon eine Vorbelastung gibt", sagt Brechtel, "das ist Nutzungsbündelung."

Dank dieser Zielsetzung sind die Kollisionszonen zwischen Natur- und Entwicklungsflächen begrenzt. Und weil Brechtel weiß, wo er was will, kann er konkrete Ansiedlungsvorhaben besser einschätzen. "Mich interessiert das Nebeneinander von Natur und Wirtschaft", sagt er, "und ich gehe die Sache naturwissenschaftlich an. Die Natur ist viel flexibler, als man gemeinhin denkt." Brechtel muss es wissen. Er ist Biologe, hat über "Pracht- und Hirschkäfer" promoviert und am Naturkundemuseum Karlsruhe Ökosystemforschung betrieben, bevor er 2001 den Landratsposten übernahm.

Eine klare politische Linie löst jedoch nicht die Probleme einer konkreten Ansiedlung. Ohne Unterstützung seiner Landespfleger hätte Brechtels Politik des Nebeneinander keine Chance. Ohne ihre Zustimmung bleibt jede Ansiedlung nur ein Stück Papier.

Normalerweise treffen dort Welten aufeinander. Auf der einen Seite die Naturschützer, die jeden Eingriff ins Grün vor allem erst einmal verhindern wollen. Auf der anderen Seite die Unternehmer, die mit dem Arbeitsplatzargument jeden Einwand abbügeln und Druck machen über die lokale Politik.

Dass das im Kreis Germersheim anders läuft, liegt maßgeblich an Georg Roth, Landespfleger seit 27 Jahren. "Ich bin kein Libellenschützer", sagt der 55-Jährige. "Naturschutz ist nicht nur Restriktionsverwaltung. Wir wollen nicht nur konservieren, sondern planen und gestalten. Wir könnten vieles erschweren, wären wir Betonköpfe. Aber wir können uns aus dem Gemeinwohl-Kuchen nicht zu viel herausschneiden. Die Leute hier müssen auch wohnen, arbeiten und verdienen können. Wir wollen, dass es der ganzen Region gut geht. Da muss man auch mal zurückstecken."

Pragmatischer Naturschutz

Aber wo nachgeben? Und wo ist Härte gefragt? Roth sieht Spielräume überall dort, wo ein Schutzraum nicht wirklich angegriffen wird, auch wenn die Landkarte etwas anderes suggeriert.

Es sind Kleinigkeiten, die woanders Wirtschaftsansiedlungen verhindern. Harte Grenzlinien zwischen Entwicklungs- und Schutzflächen etwa, aus praktischen Gründen entlang von Bächen oder Siedlungsgrenzen gezogen. Sie umschließen oft auch Flächen, die nicht besonders schützenswert sind. Roth weicht diese Grenzen manchmal auf. Oder es gibt wenig schützenswerte Inseln innerhalb der Schutzgebiete ­ Roth gibt sie zur Nutzung frei, guten Gewissens, denn er hat in der Biotopkarte jeden Lebensraum der Arten geprüft. "Man muss eine Ebene tiefer schauen", sagt der Landespfleger. Er sträubt sich auch nicht dagegen, Biotope zu versetzen, statt sie an ihrem ursprünglichen Platz nur zu konservieren. Roth gestaltet. "Manchmal ist das hinterher viel besser, weil man Lebensräume miteinander verknüpfen kann. Man muss das Gesamtsystem sehen."

Wer das Ganze betrachtet, geht kreativ mit dem Vorhandenen um. Und wer die Wirtschaft nicht per se als Bedrohung ansieht, arbeitet ihr auch aktiv zu.

Grundsätzlich muss jede Firma für Eingriffe in die Natur Ausgleich leisten, also woanders Biotop-Flächen kaufen und naturnah pflegen. Oft genug gilt hierbei das Zufallsprinzip ­ nicht so im Landkreis Germersheim. Der Kreis kauft vorab Flächen auf und entwickelt selbst Biotope ­ Maisfelder werden etwa zu Auwäldern oder Streuobstwiesen. Siedelt sich ein Unternehmen an, kann es die Flächen schon fertig kaufen. Ein Vorteil für beide Seiten: Die Firma zahlt günstige Preise und hat weniger Arbeit. Der Kreis kann seine Biotope als Verbund planen, muss sie also nicht nachträglich mühsam zusammenstoppeln. Und der Ausgleich vollzieht sich nicht erst lange nach der Ansiedlung.

Georg Roths Weg ist der Kompromiss. "Auf lange Sicht setzt sich nur durch, was sachlich richtig ist", meint der Landespfleger. Und dazu haben beide Parteien etwas beizutragen. "Wer versucht, ein Vorhaben allein mit Macht durchzusetzen, dem wird es beim nächsten Mal wieder genommen. Man sieht sich schließlich immer zweimal." Auch am sonst üblichen Druck über die Politik oder an endlosem Gefeilsche findet Roth wenig Gefallen. Er geht auf sein Gegenüber zu ­ und verlangt dasselbe von der anderen Seite. "Wir erwarten Flexibilität", sagt er, "etwa bei der Wahl zu bebauender Flächen. Und wer ein Gewerbegebiet errichtet, sollte bis zu 20 Prozent der Fläche begrünen."

So einfach? So einfach. Wer sich aufeinander zu bewegt, das zeigt sich vor Ort immer wieder, kann scheinbar unlös-bare Probleme lösen. Wie beispielsweise bei Nolte, der Möbelfabrik in den sensiblen Rheinauen. Geschäftsführer Hans-Peter Baer hatte ein Riesenproblem. Wegen eines Formfehlers war der alte Bebauungsplan nicht rechtskonform. Baer brauchte einen neuen, weil die Firma fast jedes Jahr anbaut. Einen Bebauungsplan gibt es nur mit Zustimmung der Landespfleger. Die hätten mauern können ­ haben sie aber nicht. Sie gestalteten lieber. Zwei Interessen mussten unter einen Hut. Baer brauchte Bauflächen. Die Landespflege möchte jede noch so kleine Naturfläche in der Auenlandschaft erhalten. Und sie wollte die Lücke im FFH-Gebiet am Rhein schließen. Sechs Jahre lang haben sich beide Seiten immer wieder getroffen ­ am Ende stand eine Lösung, mit der alle zufrieden sind.

Vor allem um Röhricht haben sie gerungen. Röhricht ist unter Naturschutzaspekten das höchste Gut ­ und das wächst auf Noltes Gelände in Wassernähe überall. Röhricht darf man nicht weghacken. Wo Röhricht steht, darf man nicht bauen. Klar war: Bleibt der gesamte Röhricht stehen, ist Nolte zum Stillstand verdammt.

Landespfleger Roth hätte in seine Akten schauen und einfach Nein sagen können. Hans-Peter Baer, einer der großen Arbeitgeber am Ort, hätte versuchen können, politischen Druck auszuüben. Tatsächlich machten beide Zugeständnisse, die wehtaten. Georg Roth gab Röhricht zum Umhacken frei und legte sich auf lange Jahre im Voraus auf bebaubare Flächen fest. Hans-Peter Baer verzichtete im Gegenzug auf 160000 Quadratmeter Land in unmittelbarer Rheinnähe. Knapp ein Fünftel seines Geländes. Und er wird versuchen, mit weniger Röhricht das Gesamtbiotop zu erhalten: Wo Pappeln stehen, wird er bald Auwald wuchern lassen. Quer durch sein Werksgelände wird er einen Grünstrang ziehen, auch mit neuem Röhricht, und so eine Verbindung schaffen zur umliegenden Natur. Bei jeder neuen Betriebserweiterung muss er künftig drum herum bauen. Und er wird den grünen Gürtel um sein Werk mit neuen Pflanzungen schließen.

Nachgeben wird belohnt

Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Sieg der Naturschützer. Und es stimmt schon, sie haben das FFH-Gebiet am Rhein schließen können. Aber auch Nolte-Chef Baer hat Vorteile. Der Grüngürtel dient dem Emissionsschutz. Seine Pflanzungen dienen schon jetzt als Ausgleichsfläche für künftige Bauvorhaben ­ die er deshalb schneller durchziehen kann. Der Unternehmer muss künftig nicht mehr für jeden kleinen Bau eine Sondergenehmigung erstreiten: "Ich habe Planungssicherheit für die nächsten 25 Jahre. Und ich spüre Genugtuung, weil ich meiner Verantwortung gerecht geworden bin. Das Unternehmen ist Teil einer Kommune, da habe ich auch Pflichten." Insgesamt, meint Baer, habe er sich einen Gefallen getan.

Machen statt mauern ­ so funktioniert es oft im Landkreis Germersheim. Und das nicht nur bei Erweiterungsvorhaben ansässiger Großunternehmen, wo eine Lösung geradezu Zwang ist, weil die Firma nicht einfach weggehen kann und die Region auf Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze angewiesen ist. Auch bei kleineren Ansiedlungen beweisen die Beteiligten Augenmaß ­ für Wirtschaft und Natur gleichermaßen. "Man darf nicht pauschalisieren", sagt Landrat Fritz Brechtel. Und weil er das ernst meint, gibt es den Fun-Forest am südlichen Stadtrand von Kandel. Schon wieder so eine Sache, die eigentlich nicht geht.

Denn südlich von Kandel beginnt der Bienwald. 12000 Hektar FFH-Fläche, Heimat von Hirschkäfer, Wildkatze und Wildschwein. Gewerbe hat dort keinen Platz ­ wenn man sich streng an die Schutzgrenzen hält. Und wenn man erst gar nicht versucht, Wirtschaft naturnah zu installieren. Brechtel aber sagt: "Wir wollen den Wald entwickeln." Denn Natur ist kein totes Kapital. Solange man sie Natur sein lässt.

Natur? Der Blick auf die Zahlen deutet nicht gerade auf ein Schutzgebiet. Der Fun-Forest ist ein Kletterpark mit 14 Kilometern Hangel- und Balancierwegen in bis zu 15 Metern Höhe zwischen 200 Bäumen. Im vergangenen Jahr kletterten 60000 Besucher durch die Wipfel, lachten, kreischten, liefen auf dem Boden zwischen den Bäumen herum. Fremdlinge im Tier- und Pflanzenreich.

Spaß haben und lernen

Als Mathias Hensel, Betreiber des Parks, mit seiner Idee bei den Landespflegern in Germersheim anklopfte, hätten sie ihn mit Verweis auf die Schutzgebietskarte wieder heimschicken können. Stattdessen schauten sie genau hin. Sie sahen, dass das Waldstück schon vorbelastet war, zwischen Fußballplatz und Schwimmbad. "Eine Ansiedlung dort ist doch viel besser als irgendwo mitten im Wald ­ selbst wenn dieser Wald weniger wertvoll ist", meint Landespfleger Georg Roth. Und sie dachten daran, dass kaum ein Kind heute noch Bäume und Waldtiere benennen kann. Sie erkannten: Dort können Menschen etwas über die Natur lernen. Und wer etwas weiß, weiß etwas auch zu schätzen. Sie schauten sich einen anderen Kletterpark von Hensel an und fanden schließlich: Das geht, trotz FFH.

Gemeinsam feilten sie an den Details. "Ich dachte immer, Naturschutz heißt: Wenn der Mensch kommt, verdrängt er", sagt Mathias Hensel. Der Fun-Forest hingegen bringt Mensch und Natur zusammen. Weil vor dem Bau vier Studenten loszogen, um Spechte zu zählen und genau zu schauen, in welchen Bäumen sie brüten ­ und Hensel woanders baute. Weil für den Kletterpark kein einziger Nagel in die Bäume geschlagen wurde. Weil kein Zaun die Wanderungen der Wildtiere bremst und eine 20 Zentimeter dicke Mulchschicht auf dem Waldboden Verdichtung und Wassertümpel verhindert. Weil Hensel keine Musik aufdreht, das Unterholz liegen lässt und Bauarbeiten nur außerhalb der Brutzeit durchführt. Weil er, einem Tipp Landrat Brechtels folgend, viele 150 Jahre alte Eichen im Bienwald gekauft hat, die nun nicht mehr gefällt werden dürfen und stattdessen auch weiterhin Nistplätze bieten. Für den gesamten Bau seines Kletterparks hat Hensel nur sechs Bäume gefällt ­ und sie zu Sitzbänken verarbeitet. "Wir sind Gäste im Wald", sagt der Unternehmer. Die Vögel brüten heute in den Kletterbäumen. Nachts schläft der Dachs unter der Terrasse.

Der Fun-Forest ist ein Kompromiss. Die Landespfleger lösten sich von ihren machtvollen FFH-Regeln, gaben das Gelände frei und machten sich Arbeit. Hensel verzichtete auf grobe Eingriffe in den Wald. Er ist kein Öko, sein Geld verdient er hauptsächlich mit der Entwicklung von Gewerbebauten und -flächen. Er hat nur getan, was wirtschaftlich sinnvoll ist. "Eine Kletterpark ohne Bäume wäre doch Quatsch", meint er lapidar. Die Besucherzahlen geben ihm Recht. Und wieder einmal profitieren alle Beteiligten. Hensel verbucht erfreuliche Umsätze und erfüllt sich einen Kindheitstraum. 120 Fest- und Teilzeitangestellte finden im Kletterpark Arbeit. Und die Einzelhändler in Kandel freuen sich über ein Umsatzwachstum von rund zehn Prozent.

Die Natur als wirtschaftliche Ressource begreifen, Wirtschaft und Natur zusammenbringen ­ vielleicht klappt das, weil im Kreis Germersheim mit seinen nur 125000 Einwohnern jeder jeden kennt. Landrat Brechtel sagt, sie versuchten eigentlich nur das Naheliegende. Aber will man das glauben? Oder verbergen sich hinter den anschaulichen Beispielen doch faule Kompromisse? Die Vermutung drängt sich auf ­ doch selbst verwaltungsferne Umweltschützer geben Entwarnung. Natürlich existierten auch echte Streitpunkte, etwa die geplante Autobahn durch ein Stück des Bienwaldes und die zweite Rheinbrücke bei Wörth. "Doch grundsätzlich führen wir keinen Kampf gegeneinander, sondern machen eine Gratwanderung, damit wir neben der Pflicht auch die Kür schaffen", sagt Nathalie Plum, Leiterin der Regionalstelle Südpfalz beim Naturschutzbund Deutschland. "Dabei hilft die Kreisverwaltung durchaus."

Wenn sich Unternehmen ansiedeln wollen, sitzen die Umweltschützer mit am Verhandlungstisch. "Dann wird mitunter an den Rändern der Schutzgebiete gekratzt. Aber die Firmen machen zum Ausgleich nicht selten mehr, als sie müssten. Sie respektieren unsere Vorschläge, wohl weil auch wir kompromissbereit sind. Gewerbeansiedlungen sind ohnehin nicht unser größtes Problem, die sind schön konzentriert." Plum stört sich an vielen Straßenbauprojekten, die eher von Bürgern als von Unternehmen gefordert werden. "Die Wirtschaft", sagt sie, "ist nicht immer der Böse."

Mitunter ist sie sogar die Gute ­ weil sie die Natur nicht nur erhält, sondern sogar aufwertet. Wie bei der Sache mit den Straußen.

Strauße schreien, stinken, kacken überall hin und zerstören die Landschaft ­ so das Klischee. Christoph Kistner hatte auch deshalb jahrelang vergeblich nach einem neuen Standort für seine "Mhou"-Farm gesucht. Im Kreis Germersheim fand er mit seinen 80 Tieren eine neue Heimat, weil die Verantwortlichen auch bei diesem Projekt taten, was all zu oft eben nicht selbstverständlich ist: hinschauen, was wirklich ist.

Nicht, dass Landespfleger Georg Roth sofort begeistert gewesen wäre, als Kistner zu ihm kam. Roth dachte an Massentierhaltung, an verdichtete Böden ­ und schaute sich Kistners alte Farm im Badischen trotzdem an. Er sah keine Wüste, sondern Wiese, saftig grün, mit allerlei Getier darin, darauf stolzierende Strauße, die weder laut krakeelten noch stanken. Roth sah eine Chance.

Die Strauße machen alle froh

Denn da war doch dieses Gelände bei Rülzheim: 13 Hektar Brache und Äcker, auf denen Mais dem Boden massiv Wasser entzog, all das in schönster Lage zwischen drei gut erhaltenen Bächen. Lebensraum mit Potenzial. Und genau deshalb sollten die Strauße dorthin.

Wieder einmal zogen alle an einem Strang. Die Gemeinde pachtete das Land diverser Privateigentümer und vergab es weiter an Kistner. Der Kreis sorgte dafür, dass der Unternehmer auf seinem Gebiet auch einen Laden betreiben darf. Roth tüftelte mit Kistner am Geländeplan: 20 Meter Abstand zu den Bächen, damit sich die Natur dort frei entfalten kann, Wege bleiben frei wegen der Wildtiere. Kistner pflanzt 5000 Bäume und Büsche, jeder Weidezaun wird begrünt.

Seit Anfang 2007 sind die Strauße in Rülzheim. Kistner rechnet mit rund 300000 Besuchern im nächsten Jahr, wenn alles fertig ist. Er wird Geld verdienen, die Gemeinde wird Steuern kassieren, die Händler in Rülzheim werden von den Besuchern profitieren.

Und die Natur? Die Monokulturäcker sind Wiesen gewichen, die eingekammert sind von Bäumen und Hecken. Eine kleinteilige, abwechslungsreiche Landschaft, die Lebensraum bietet für vielerlei Pflanzen und Tiere. Landschaftspfleger Georg Roth ist zufrieden. "Naturschutz durch Nutzung ­ wir haben den vermeintlichen Widerspruch aufgelöst und angesiedelt, was zu solch einer Bachlandschaft passt: Wir haben das Land aufgewertet."