Entdecken Sie Neuland

Wo kaufen Sie eigentlich Ihr Auto? In Deutschland ­ oder bei Mercedes, Audi, Opel, BMW? Woher stammt der Marmor für Ihre Terrasse ­ aus Italien oder aus Carrara? Und was ist mit Ihrem Lieblingsrotwein? Er wird vielleicht in Frankreich gekeltert, tatsächlich trinken Sie aber doch den Roten aus dem Burgund. Als die Grenzen noch scharf gezogen waren, schien es klar: Damals war Detroit das Zentrum der weltweiten Automobilindustrie und nicht die USA. Inzwischen sind die Konturen verwischt, jede Klitsche agiert global, die Welt ist der Markt ­ und wir laufen Gefahr, vor lauter Markt den Kunden zu übersehen. Der entscheidet sich nämlich gestern wie heute für Marken und Absender, im besten Fall also national. Im Normalfall ist der Kundenwunsch regional.




Was einer kaufen will, was er schön findet und sein Geld wert, hat mit Qualität zu tun ­ und die steht und fällt mit Expertise und kultureller Identität. Es gibt gute Gründe dafür, dass der Käufer eines besonderen Stuhls ein Exemplar aus der Hochburg Norditalien wählt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Hersteller dort mehr kann als irgendein anderer, ist hoch. Expertenwissen ist, was in Zeiten der Globalisierung wirklich zählt.

Die Welt mag ein Markt sein, aber die Welt ist nicht der Kunde. Die gewachsenen Strukturen, Kulturen und Eigenheiten einer Nation machen den Unterschied. Globalisierung lebt von der Vielfalt. Von den Wurzeln, Erfahrungen und Kompetenzen der Menschen einer Region, die sie als Wirtschaftsraum prägen. Wer fremde Märkte erobern will, muss deshalb wissen, wo er herkommt, was er kann und was ihn von anderen abhebt.

brandeins Neuland macht sich auf die Suche nach den Unterschieden, wird vermeintlich Vertrautes neu anschauen und die Visitenkarte von Regionen sein. Denn auch und gerade abseits der Metropolen ist Deutschland einfallsreich, inspirierend und wirtschaftlich stark. In den vergangenen Wochen haben wir die Südpfalz bereist ­ und sind auf Menschen, Unternehmen und Geschichten gestoßen, die das Wort "einmalig" wohl treffend beschreibt. Der Wirtschaftsraum, der sich vom Rhein bis zum Pfälzerwald erstreckt, zeichnet sich durch Neugier, Lebenslust und einen beeindruckenden Pragmatismus aus. Eine Haltung, die jedes Problem zur sportlichen Hürde werden lässt. Keine Schwerindus- trie? Na gut, dann eine andere. Kein weltberühmtes Unternehmen? Das wäre ja gelacht. Kein Gewerberaum zum Wachsen, weil mehr als die Hälfte der Kreisfläche unter Naturschutz steht? Dann müssen Firmen und Fauna halt intelligent zusammengehen.

Germersheim, Wörth, Landau ­ über die kleinen und größeren Städte der Region wüssten die meisten Deutschen wohl wenig zu sagen. Sie lagen ja auch immer ein wenig abseits, eine Grenzregion, im Schatten von Mannheim, Mainz oder Ludwigshafen. Wirtschaftlich, wissenschaftlich oder kulturell hat sich die 280000-Einwohner-Region in der Vergangenheit nicht besonders hervorgetan. Auf Südpfälzer Boden wuchs Tabak und Wein, aber dort sprossen weder Forschung noch Hightech-Industrien oder namhafte Universitäten. Die Besatzer unterschiedlicher Gesinnung und Nationalität, die sich im Laufe der Jahrhunderte vor Ort austobten, trugen auch nicht gerade zur Förderung des Wohlstands bei. Aber sie hinterließen mehr als pittoreske Ruinen und Plätze zum triumphalen Aufmarschieren: Jeder Herrscher hat der Region seinen Stempel aufgedrückt ­ und sie gelehrt, dass nur etwas wird, wer sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.

Dieses Erbe haben die Menschen genutzt und sich mit Fleiß, Vorstellungskraft und Chuzpe nach vorne geschafft. Heute zählt der Wirtschaftsraum zu den stärksten des Landes, die kleine Südpfalz hat es zur Zukunftsregion gebracht. Es sind die Personen, Projekte und Protagonisten vor Ort, die ihre besondere Identität ausmachen, ihr Selbst-Bewusstsein, das einzigartige Profil. Und es ist eben nicht die Staatsangehörigkeit Deutsch.

Susanne Risch,

Chefredakteurin

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