Ende oder ...?

Tabakanbau in Deutschland ­ ja, den gibt es. In der Südpfalz liegt das größte zusammenhängende Tabakanbaugebiet der Republik. Rund 130 der im ganzen Land aktiven 500 Betriebe bauen hier an. Nicht mehr lange. Nach 450 Jahren müssen sich die Pflanzer darauf einstellen, dass ihr Gewerbe nur noch eine kurze Zukunft hat.




Der Frühstückstisch ist gedeckt. Frische Milchbrötchen, Kaffee. Und Zigaretten. Es ist acht Uhr morgens. Doch der Besuch ist ruhelos: Kurt Metz hat heute noch Termine mit sechs weiteren Tabakbauern. Hastig saugt er an seiner Zigarette. Nicht lange aufhalten, lieber schnell rein in den Kleinbus. Auf zur ersten Feldbegehung des Tages.

Kurt Metz ist Chef der Jakob Metz KG, ein Tabak-Bearbeitungsbetrieb, Scharnier zwischen Pflanzern und Industrie. Von den Bauern kauft Metz den Rohtabak, fermentiert ihn, bearbeitet ihn und liefert ihn an die Konzerne. Zu Beginn jeder Ernte prüft er auf den Feldern seiner Pflanzer, wie der Tabak steht, damit er weiß, mit welcher Qualität und Menge er rechnen kann.

Der erste Stopp. Metz, ein schwerer Mann, klettert aus dem Kleinbus, prüft die Gewächse: Wie groß sind die Blätter, sind sie unbeschädigt, ist der Bestand gleichmäßig gewachsen? Erntehelfer in grünen Gummihosen streifen durch die brusthohen Pflanzen, brechen die unteren Blätter ab, sie reifen zuerst, und packen sie in Bündeln auf ein Förderband. Innerhalb von Sekunden passieren sie eine am Band montierte Nähmaschine, die jedes einzelne Blatt am Stängel an eine Kunststoffschnur näht, an der die Pflanzen später in Schuppen zum Trocknen aufgehängt werden.

Das nächste Feld: Der Tabak steht eindeutig höher, die Blätter sind größer. "Nicht unbedingt ein Vorteil", erklärt Metz: "Die großen Pflanzen sind schwerer zu ernten, das Trocknen dauert länger." Und trotzdem: Metz ist zufrieden. "Das sieht ganz ordentlich aus", findet der Experte. Rund 60 Prozent seines Tabaks kauft er von Pflanzern aus der Pfalz, dem größten zusammenhängenden Anbaugebiet Deutschlands, der Rest stammt zumeist aus Baden-Württemberg.

Sein Betrieb liegt ein paar Kilometer entfernt, in Hayna, einem alten, vom Tabakanbau geprägten südpfälzischen Dorf. Seine Großeltern haben das Unternehmen, in dem Kurt Metz heute 25 Mitarbeiter beschäftigt, vor einem Jahrhundert gegründet. Als er bei seinen Eltern lernte, sagt Metz, habe es in Deutschland noch 17 Bearbeitungsbetriebe gegeben. Heute sind es noch zwei. Und auch mit ihnen ist es wahrscheinlich in ein paar Jahren vorbei. Wenn in der Region bald niemand mehr anbaut, kann Metz auch nichts mehr bearbeiten.

Tabakanbau ist ein lohnendes Geschäft ­

aber nur, solange EU-Subventionen fließen

Im Südwesten der Republik steht die 450 Jahre alte Industrie kurz vor dem Aus. Zwar ist die Branche schon in den vergangenen Jahren dramatisch geschrumpft, 1960 bauten in der Region noch mehr als 6200 Betriebe Tabak an, heute sind es noch 130. Wer überlebt hat, verdiente bislang dank üppiger Tabakprämien allerdings recht gut. Nun wird es ernst: Während die Diskussion über ein öffentliches Rauchverbot die Deutschen bewegt, fahren die Pflanzer hierzulande ihre letzten Ernten ein. Die Europäische Union will Bauern dazu bewegen, konkurrenzfähige Produkte anzubauen statt solcher, für die es ­ wie bisher beim Tabak ­ hohe Förderprämien gibt. Von 2013 an wird sie deshalb ausschließlich die angebaute Fläche fördern, unabhängig vom Produkt. Weil beim Tabak die Prämien mit rund zwei Dritteln des Verkaufspreises besonders hoch sind, wird es die Pflanzer auch besonders hart treffen, wenn die EU, wie geplant, 2010 ihre Tabaksubventionen drastisch zurückfährt. Schlechte Aussichten für die Pflanzer der Südpfalz.

Guido Hörner schimpft die Entscheidung aus Brüssel eine "gezielte Vernichtung von Arbeitsplätzen". Er ist Bauer, seit knapp 40 Jahren. "Nachweisbar" hat seine Familie seit 1801 Tabak in der Südpfalz angebaut. Er half schon als Kind bei der Ernte, von Hand reihte er damals die Blätter mit Nadel und Faden an einer Schnur auf. Mit 15 begann Hörner eine Ausbildung zum Landwirtschaftsmeister. "Ich habe nie etwas anderes gemacht", sagt er, nippt an seinem Kaffee und schaut betreten auf den Küchentisch. Zehn Arbeitsjahre hat der 54-Jährige noch vor sich. An der Wand hängt ein Sinnspruch. "Man sieht nur mit dem Herzen, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Guido Hörner sieht im Moment gar nichts mehr. "Wenn der Tabak fehlt, verändert das nicht nur mein Leben ­ es löscht eine ganze Kultur aus."

Einst pflanzten 230 Bauern im Dorf ­ heute sind es noch sechs

Tatsächlich hat der Tabak die Südpfalz jahrhundertelang geprägt. 1573 pflanzte ein Pfarrer im südpfälzischen Dorf Hatzenbühl in seinem Kirchgarten erstmals jenes Gewächs an, das seinerzeit noch als Heilmittel galt und seinen Weg aus Amerika nach Europa fand. Das genussvolle Rauchen der Pflanze wurde erst viele Jahrzehnte später entdeckt ­ und bescherte der pfälzischen Agrarindustrie im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit: 1880 bauten vor Ort mehr als 200000 Pflanzer auf rund 20000 Hektar Land Tabak an, die Branche hatte für die Region eine wichtige soziale und volkswirtschaftliche Bedeutung.

In Ottersheim, dem Heimatort von Guido Hörner, lebten noch in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gut 80 Prozent der Dorfbewohner vom Anbau, erzählt der Bauer. Müde schiebt er zwei Zahlen hinterher: "Wir hatten über 230 Pflanzer, heute sind es noch sechs." Die Relikte aus der alten Zeit haben sich im Ort gehalten, überall ragen Tabakschuppen auf, hohe Holzhütten, in denen die Blätter zum Trocknen aufgehängt wurden. Sie werden nicht mehr gebraucht, inzwischen arbeiten die meisten der rund 2000 Ottersheimer Bürger in anderen Wirtschaftsbereichen.

Der Umschwung begann in den Sechzigern, viele Bauern wechselten in die Indus-trie. "Das war lukrativer und einfacher", sagt Hörner. Anfangs haben die Frauen wohl noch versucht, die Felder allein zu bestellen, die Männer halfen nach der Schicht. Aber die Arbeit im Tabakanbau ist beschwerlich, und mit zunehmender Automatisierung hörten nach und nach mehr der alten Familienbetriebe auf. "Viele Pflanzer gaben ihre Flächen ab, so wurden ein paar Betriebe immer größer."

Majoran? Lohnt sich nicht

Kartoffeln? Keine wirkliche Alternative

Auch der Hof der Hörners. In den sechziger Jahren bestellte die Familie 13 Hektar, nur einer davon war mit Tabak bepflanzt. Als Guido Hörner Mitte der siebziger Jahre in den Betrieb einstieg, hatte sich die Anbaufläche bereits nahezu verdreifacht. Heute gehören zu seinem Hof 150 Hektar, auf denen Hörner auch Getreide, Kartoffeln und Energiemais zur Herstellung von Biogas anbaut. Erst vor acht Jahren, als sein jüngster Sohn in den Betrieb einstieg, haben sie die Tabakanbaufläche noch einmal um sieben Hektar auf 23 vergrößert und 80000 Euro in vier neue Öfen zum maschinellen Trocknen investiert. Das sollte dem Unternehmen eine rosige Zukunft sichern, sagt Hörner. "Jetzt können wir das Geld wohl als Fehlinvestition abschreiben."

Solange die EU ihr Vorhaben nicht umsetzt, geht die ursprüngliche Rechnung der Bauern auf ­ der Anbau der Genusspflanze ist ein lukratives Geschäft. Mit rund 800 Arbeitsstunden pro Hektar ist der Tabakanbau zwar ungleich arbeitsintensiver als beispielsweise der von Getreide, der mit 15 Arbeitsstunden pro Hektar geschafft werden kann. "Dafür wirft der Tabak aber auch um die 3000 Euro Gewinn pro Hektar ab, beim Getreide kann ich ganz leer ausgehen", sagt Hörner. Sein Betrieb erzielt mit den 23 Hektar Tabak ­ also mit weniger als 20 Prozent seiner Gesamtfläche ­ zurzeit 60 Prozent seiner Einnahmen.

Und wenn die nicht mehr fließen?

Hörner hat versuchsweise Majoran angebaut, "aber das ist kein Produkt, das auf kleinen Flächen hohe Erlöse bringt". Kartoffeln? Als Ersatz für seinen Spargel müsste er davon mindestens 80 Hektar anbauen, "das würde aber mit der Fruchtfolge nicht klappen." Außerdem fehlen ihm die nötigen Maschinen.

Was kann ein Bauer noch erzeugen? Strom zum Beispiel

Aber er hat vorgesorgt. Bauer Hörner ist unter die Stromversorger gegangen. 2005 hat er zwei riesige Fotovoltaikanlagen auf die Dächer seines Betriebs montieren lassen, der Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist. Eine kluge Entscheidung: Die Südpfalz hat mit rund 1800 Stunden pro Jahr mehr Sonne als jede andere deutsche Region. Wenn alles glattgeht, hat sich die Investition von 500000 Euro in elf Jahren amortisiert, schätzt Hörner, dann wird er von den Gewinnen leben können.

In der Zwischenzeit hilft die EU, die den Bauern eine Umgewöhnungsphase eingeräumt hat. Zwar werden von Brüssel schon seit 2006 in Deutschland nur noch 60 Prozent der Fördermittel als Direktbeihilfen für den Anbau von Tabak gezahlt, die verbleibenden 40 Prozent jedoch fließen produktunabhängig in eine Art individuelles Ausstiegsprogramm. Das heißt: Noch landet das Geld bei den Tabakbauern. Erst ab 2010, so sehen es die derzeitigen Planungen vor, wird es keine direkten Beihilfen für den Tabakanbau mehr geben. Dann sollen 50 Prozent der Gelder in die Förderung alternativer Produkte wie Gemüse oder Kräuter fließen, die andere Hälfte ist für sogenannte Strukturfonds der Regionen vorgesehen. Aus ihnen können auch landwirtschaftsfremde Projekte, wie etwa der Bau von Radwegen, finanziert werden.

Der Kampf war vergeblich ­ alles abgeschmettert

Es ist ein Skandal, findet Jörg Bähr, Geschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Tabakpflanzer. Bähr ist die Stimme der Bauern. Ein großer, tatkräftiger Mann, der nicht müde wird, für den Tabakanbau und über Anpassungsstrategien zu reden. Man könnte beispielsweise die hohen Erntekosten reduzieren, die wegen der vielen Handarbeit noch rund die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen, findet er. Oder die Erzeugerpreise erhöhen. Bähr hat in den vergangenen Monaten viele Vorschläge gemacht, wie die Misere abzuwenden wäre. Er hat dafür geworben, dass Zigaretten- und Zigarrenfabrikanten höhere Preise für den deutschen Tabak zahlen, um anschließend etwa mit einer Zigarettenmarke "German Blend" werben zu können. Er hat für die Einführung des "Tabakcent" mobil gemacht, bei dem auf jede in Deutschland verkaufte Schachtel Zigaretten rund 0,6 Cent hätten aufgeschlagen werden sollen. Keine Steuer, keine Subvention, sondern eine Stärkung des freien Marktes, wie der Verband mit Sitz in Speyer argumentierte. Das Geld hätte über einen Fonds direkt an die Tabakbauern zurückfließen sollen. Ein solches Modell gibt es bereits in der Schweiz. Alles abgeschmettert. "Die Firmen wollten nicht, wir sind als Lieferanten zu unbedeutend", sagt Bähr.

Das stimmt. Der Anteil des deutschen Tabaks am europäischen Markt liegt mit einer jährlichen Ernte von etwa 10000 Tonnen bei knapp fünf Prozent. Am Weltmarkt wiederum macht selbst der Gesamtbeitrag Europas nur fünf Prozent aus. Und was in Deutschland verarbeitet wird, stammt nur selten von hier: Lediglich drei Prozent des Tabaks, den die deutschen Betriebe hierzulande bearbeiten, werden aus einheimischen Pflanzen gewonnen. Der große Rest wird importiert, etwa aus Brasilien oder aus den USA, wo im Jahr allein 400000 Tonnen geerntet werden. Zum Vergleich: Die weltweite Rohtabakernte liegt bei jährlich knapp sieben Millionen Tonnen.

Und trotzdem, darauf pocht Jörg Bähr, leben auch in Deutschland viele Menschen vom Tabakanbau; nach Verbandsangaben beschäftigt die Branche 2000 Festangestellte und 10000 saisonale Arbeitskräfte. Das ist nicht wenig, aber es ist zweifellos eine Nische. Vielleicht sind Bährs Vorschläge auch deshalb realistischer geworden. Inzwischen geht es ihm vor allem um ein paar Jahre Gnadenfrist. Vielleicht, sagt er, könne man die EU zumindest dazu bringen, das aktuelle Prämiensystem doch bis 2013 zu verlängern.

Mehr können die Tabakbauern von der Politik nicht erwarten. Zwar wird sich das Land Rheinland-Pfalz nochmals für die Verlängerung der Subventionen einsetzen. Doch auch dort raten die Experten inzwischen vor allem den jüngeren Pflanzern, sich so schnell wie möglich umzustellen. In der ökologischen Landwirtschaft, heißt es, da gebe es noch eine Lücke. Auch der Anbau von Erdbeeren und Spargel wird immer wieder als Alternative genannt. Mit beidem könnten die Bauern den Wettervorteil der Region nutzen und als einige der deutschen Erstlieferanten in der Vorsaison hohe Verkaufspreise abschöpfen.

Neue Geschäftsideen sind gefragt ­

die Bauern experimentieren

Bei solchen Tipps winkt Andreas Degen gleich ab. Der Tabakbauer hat es mal mit Erdbeeren versucht, doch der viele Regen hat ihm die Ernte vermasselt. Vor sechs Jahren hat der 38-Jährige, schwarzes T-Shirt, Hose und Kappe in Tarnfarben, den Betrieb von seinem Vater übernommen, insgesamt 56 Hektar, davon 15 Hektar Tabak. Daneben baut er Getreide, Zuckerrüben sowie ein wenig Spargel und Erdbeeren an. Seit ein paar Jahren ist Degen klar, dass die Zukunft ungemütlich werden könnte. Seitdem hat er viel probiert: vom Kräuter-Direktvertrieb ­ "da musste ich für jedes Basilikum-Töpfchen für 2,50 Euro eine Viertelstunde reden" ­ bis zum Labyrinth, das er kürzlich in eines seiner Maisfelder gelegt hat. Doch nur selten kommen Kinder. "Es gibt schon zu viele Labyrinthe in der Gegend." In einem Nachbarort habe ein Bauer in einem Tabakschuppen kleine Ferienwohnungen eingerichtet, berichtet Degen. Alle experimentierten. "Aber alle wissen, dass sie damit nie so viel verdienen werden wie mit den Tabakprämien."

Ob er sich vorstellen könne, etwas ganz anderes zu machen? Da überlegt Degen lange. "Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist." Eine Stunde später, er hat sich gerade verabschiedet, kommt Andreas Degen dem rollenden Auto noch einmal nachgerannt. Er habe über die Alternative nachgedacht, sagt er leicht außer Atem, und es wird nicht ganz klar, ob er es ernst oder ironisch meint: "Altenpfleger könnte ich mir noch vorstellen, da arbeitet man doch wenigstens in einem Zukunftsmarkt."