See und staune

Zu DDR-Zeiten galt die Lausitz mit ihren Seen als "Badewanne der Sachsen". Jetzt wird die Wanne zum Pool: Bei Hoyerswerda entsteht die größte künstliche Wasserlandschaft Europas.




Landseitig hängt der Steg schon zur Hälfte in der Luft. Um einen halben Meter hat sich der Ponton verschoben. Wellen zerren daran und schieben Sand unter den hohlen Beton. Zwei Männer stopfen einen Holzblock unter den Steg. Dann verschwinden sie wieder ins Dunkel der Nacht.

Die Lage da draußen scheint vorerst stabilisiert, doch Conny packt die Koffer jetzt nicht wieder aus. Sicherheitshalber. Man weiß ja nie. Der Sturm über Nordsachsen pfeift ums Haus. Jan holt ein drittes Glas für den Besucher, Conny schenkt Rotwein ein und läuft in der kleinen Küche noch einige Male auf und ab. Der Boden schwankt, und das liegt nicht am Wein. Sondern am Seegang.

Das Haus rollt.

Cornelia und Jan, beide 48 und aus Erfurt, wohnen in einem Ferienhaus, das schwimmt (siehe Foto vorige Seite). Es schwimmt in einem gefluteten ehemaligen Tagebau, eine gute Stunde nördlich von Dresden. Unter dem Küchentisch döst Tanja, die Hündin. Manchmal, wenn die Wogen wieder einmal an den zwölf Ankern des Gebäudes rütteln, scheint sie zu seufzen. Vielleicht ist sie im Traum auf einem Boot, und ein Knochen treibt davon wie das letzte Ruder, unerreichbar.

Das Haus sieht aus, als hätten Kinder zwei Bauklötze leicht verschoben aufeinandergestapelt. Es steht auf einem Ponton, der im sturmwogenden Partwitzer See schwankt. Hier, auf der größten Landschaftsbaustelle Europas, zwischen Lauchhammer in Brandenburg und Boxberg in Sachsen, auf einem Gebiet von 70 mal 35 Kilometern, soll eine gigantische künstliche Seenlandschaft entstehen. Rund zwei Dutzend frühere Braunkohle-Tagebaue werden dafür geflutet, 2018 soll die letzte Grube gefüllt sein. Schiffbare Kanäle werden zehn der Gewässer zu einer Kette verbinden.

Aus dem ehemaligen Energiebezirk, dieser "Steckdose der DDR", wird eine Touristenregion ­ und für Touristiker sind Conny und Jan so etwas wie Wunschgäste: zugewandt, neugierig, aber auch beständig. Die meisten Besucher der Region sind Naherholer und Tagestouristen, so eine aktuelle Studie. Conny und Jan aber haben, nach den ersten sieben Tagen 2008, begeistert gleich wieder gebucht, diesmal 14 Tage en bloc. Und wenn man ihnen zuhört, der Mitarbeiterin eines Versandhauses und dem Innenarchitekten, erfährt man eine ganze Menge über die Region.

"Ich hörte im Radio von dem schwimmenden Haus und habe es gleich gebucht, Jan das Ziel aber nicht verraten."

"Als Conny auf die A4 fuhr, dachte ich: Dresden, aha, prima, schöne Stadt. Aber dann ließen wir Dresden rechts liegen, auf einem Schild hieß es "Schwarze Pumpe" und ich dachte: Oh je. Ich war mal mit der NVA zum Einsatz in der Lausitz, irgendeine Arbeit mit den Gleisen, wo die Braunkohle ankam. Es war Winter und saukalt. Seitdem war die Region für mich grau, braun, schmutzig. Aber dann war hier alles so grün! Und gleich am ersten Tag Sonne ­ wir saßen auf der Terrasse und schauten aufs Wasser. Einfach toll."

"Wirklich ein Aha-Erlebnis, auch für mich. Und in diesem Jahr wieder ­ trotz des Sturmes und trotz gepackter Koffer."

Nicht jeder Mann im Osten, geschweige denn jeder Bundesbürger, musste mit der Volksarmee einen Einsatz im Tagebaugebiet leisten. Trotzdem entspricht das Image der Region deutschlandweit auch 20 Jahre nach der Wende noch ziemlich genau dem, was Jan als Bild mit sich herumtrug: grau, braun, schmutzig. Die Touristiker hier kennen es zur Genüge, ihre Umfragen ergeben aber auch: "Wer erst einmal hier war, kommt gern wieder", sagt etwa Claudia Bieder vom Landratsamt Bautzen.

Man muss nicht im schwimmenden Ferienhaus wohnen, um von der Wasserseite das neue Gesicht der Lausitz kennenzulernen. Es gibt Segler, Surfer und Kitesurfer, Jetski- und Speedboat-Fahrer auf den Seen. Oder man entscheidet sich für eine Landpartie: Conny und Jan haben Fahrräder dabei, die Radwege um die Seen sind frisch asphaltiert und schließen an Fernradrouten an. Andere mieten sich Quads oder Jeeps, um in Ex-Tagebauen Sand aufzuwirbeln.

Um die Dimensionen dieser Landschaft im Wandel zu verstehen, geht man allerdings am besten in die Luft.

Es ist der Abend vor dem Besuch im schwimmenden Haus, und es ist die Ruhe vor dem Sturm. Der Himmel blau, der Blick weit. 300 Meter Höhe, gemächliche 100 Stundenkilometer, der Propeller schnurrt. Schwach wellt sich eine Linie am Horizont. "Das Riesengebirge", erklärt Frank-Peter Bär über das Mikrofon, das mit den Kopfhörern seines Mitfliegers verbunden ist. Bis zu 80 Kilometer beträgt die Fernsicht an solchen Tagen.

Bär, 44, in Cargohose und T-Shirt, hebt seit mehr als einer Dekade vom Flugplatz Welzow zum Rundflug ab. Für 50 Euro die halbe Stunde zeigt er nicht nur die Seen, sondern zwischendurch auch, wie wunderbar sein Ultraleichtflugzeug gleitet, falls der Motor wirklich mal ...

Gelassener als er ist hier keiner.

Unten schiebt sich dunkel bewaldet die Halbinsel Skado in den Partwitzer See, daneben das Ferienhaus von Conny und Jan. Am Seeufer haben übermütige Offroad-Fahrer ihre Spuren in den Sand gekreiselt. Im lang gezogenen Sabrodter See hebt sich graubraun eine Kette von Abraumhalden aus dem Wasser wie eine Buckelwal-Familie. Schwer vorstellbar, dass dort unten drei 18-Loch-Golfplätze und Hotelbetten für 1540 Gäste entstehen sollen. Doch der Lüneburger Projektentwickler Pdi, spezialisiert auf derlei Großanlagen, sucht bereits nach Investoren. 161 Millionen Euro will Pdi-Chef Udo Barth auftreiben.

Aus 300 Metern Höhe mutet die Region an wie eine nicht enden wollende Großbaustelle. Bagger und Baufahrzeuge in der Abendsonne, frisch geschüttete Sandstrände, Kippmassive aus Tagebau-Abraum, gebaggerte Gräben für neue Kanäle zwischen den Seen. Gegen die Ufer, die hier entstehen, ist "The Palm" vor Dubais Küste eine Strandburg. Das mit Hybris und Spekulations-Milliarden aus dem Meer gehobene und als "achtes Weltwunder" vermarktete Neuinselprojekt ist nicht mal ein Drittel so groß wie das Lausitzer Seenland. Die Finanzkrise hat den Ausbau der Palmeninseln jäh gestoppt, die Lausitz aber wandelt sich stetig zum Seenland.

Viel wichtiger jedoch: "The Palm" wird gemacht, weil es möglich ist, das Seenland, weil es nötig ist.

Natürlich ist die Lausitz nicht ein einziges großes Restloch. Dennoch haben 150 Jahre rücksichtsloser Tagebau in dem Landstrich tiefe Narben hinterlassen, die auch 15 Jahre Sanierung, Renaturierung und Modellierung nicht ungeschehen machen können. Erst von hier oben begreift man, wie viel Erde hier bewegt wurde. Und wie viel Wasser Spree, Neiße und Schwarze Elster noch hinunterfließen muss, um die Löcher zu füllen. Allein vergangenes Jahr waren es 155 Millionen Kubikmeter. Würde ein künstlerisch veranlagter Gott damit Wasserspiele veranstalten und Badewannen als Kette von der Lausitz bis zum Mond spannen, er könnte jede einzelne Wanne fünfmal füllen. Angesichts dieser Dimensionen verwundert es wenig, dass Spreewaldbewohner bereits über trockene Kanäle klagen.

Kartografen müssen diesen Landstrich lieben ­ oder an ihm verrückt werden. Eine Auflage pro Jahr scheint angemessen für den, der die Größe der Seen, Radwege und Sperrgebiete korrekt und einigermaßen aktuell darstellen will. Die "Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH" (LMBV) druckt ständig Prospekte nach.

Aus der Luft erkennt man die neungeschossige LMBV-Zentrale am Ostrand Senftenbergs leicht, obwohl der Plattenbau noch im DDR-Mausgrau verharrt. Als Rechtsnachfolgerin hatte die Bundesrepublik 1990 auch die Braunkohleproduktionsstätten der DDR übernommen, dafür gründete die Treuhand 1994 die LMBV, eine Gesellschaft im Bundesbesitz. Fünf Jahre später hatte die all ihre unrentablen oder auslaufenden Tagebaue stillgelegt. Seitdem steckt die LMBV Geld in die Braunkohlesanierung (bisher rund acht Milliarden Euro), rekultiviert Flächen (bisher ein Viertel ihrer deutschlandweit gut 1000 Quadratkilometer), pflanzt Bäume (bisher 100 Millionen). Baut Häfen, Radwege und Überleiter zwischen den Seen. Verhindert durch "Rütteldruckverdichtung" und "einheitliche Böschungswinkel" "Setzungsfließrutschungen" wie jüngst in Nachterstedt in Sachsen-Anhalt.

Google Earth hinkt hinterher

"Es ist spannend, all diese Veränderungen von oben mitzubekommen", ruft Rundflieger Bär in sein Mikro. "Nicht täglich, aber man sieht doch einiges: Da ist wieder eine Insel untergegangen, dort wird ein Kanal gebaut." Und richtig: In der PC-Virtualität von Google Earth ist der Bärwalder See noch grün-braun gescheckt, weil Bäume und Sandbänke aus dem Wasser ragen; der Bernsteinsee angeblich erst zur Hälfte gefüllt. Aus der Echt-Luft betrachtet aber ähnelt der Bärwalder See bereits einer blauen Ente, der Bernsteinsee leuchtet als riesiger runder Türkis.

Das Flugzeug sackt ab und geht zugleich in eine scharfe Linkskurve. Die Landepiste sieht aus wie in diesen Filmen, in denen Männer mit Sonnenbrillen wortlos schwarze Koffer übergeben. Rechts und links drückt sich Gras zwischen den Betonplatten hindurch, die Wehrmacht und Sowjetarmee verlegt haben. So wie die Natur den unbenutzten Teil des Flugfeldes im brandenburgischen Welzow bereits erobert hat, soll sie bald auch die Abraumhalden, Ex-Tagebaue und Seenränder überwuchern.

"Das machen wir auch, oder?" Jan blickt Conny an, sie nickt. Den Rundflug haben sie gleich auf ihre Seenland-Unternehmungsliste gesetzt.

Das machen wir auch: Das sagen die beiden immer wieder in diesen Tagen. Nicht, weil sie etwas abarbeiten müssten wie Japaner ihre Fotoliste in Heidelberg oder Dresden. Sondern weil sie für diese Gegend brennen.

"Mich beeindruckt das Marketing. Das Seenland gemeinsam mit einem großen Konzept zu bewerben. Bei uns im Thüringer Wald klappt das nicht." ­ "Stimmt. Alles unter einem Design, und die Schrift: richtig gut!" Conny tippt auf ein Ferienjournal, überschrieben mit "Lausitzer Seenland" in einer Handschrift-Type, daneben vier unterschiedlich große Quadrate in den Farben der Region: Hell- und Dunkelblau, Grün und Rostrot.

Natürlich würden die Damen und Herren längst nicht alle im schwimmenden Haus Platz finden ­ aber mal angenommen, Vertreter der zwei touristischen Zweckverbände in Brandenburg, die für die Niederlausitz zuständig sind, und der zwei touristischen Zweckverbände in Sachsen, die für die Oberlausitz zuständig sind, und Repräsentanten der Kommunen zwischen Lauchhammer und Boxberg und der jeweiligen Landesministerien für Umwelt und Wirtschaft und der LMBV und der Internationalen Bauausstellung (IBA) ­ mal angenommen also, sie alle säßen jetzt hier und hörten Jans Lob, würden sie in diesem Moment wohl vor sich auf den Tisch schauen und verlegen mit ihren Brillen und Kugelschreibern spielen. Denn bislang gibt es kein gemeinsames Marketing.

Immerhin, inzwischen treffen sich die vier Zweckverbände in einer Arbeitsgruppe, und sie haben gemeinsam das Berliner Büro "Projekt M" beauftragt, Konzept und Analyse zu erstellen. "Eine hohe Akzeptanz der Wort-Bild-Marke ,Lausitzer Seenland' in der Region" erkennen die Berliner zwar ­ dann aber gehen sie mit den Verantwortlichen hart ins Gericht: Touristische Angebote endeten an der brandenburgisch-sächsischen Landesgrenze; Kommunen identifizierten sich kaum, sobald sie nicht direkt an den Seen lägen, oder versuchten eigene Marken zu etablieren; jeder ziehe die Grenzen des Seenlandes anders. "Eine zentrale Vermarktung existiert derzeit nicht", bilanziert die Studie. "Dadurch bleiben viele gut gemeinte Aktivitäten ,Stückwerk', ohne die erforderliche Schlagkraft zu entwickeln."

Solches Kirchturmdenken soll sich nun peu à peu auflösen. Vielleicht sind ja bis 2010 beiderseits der Landesgrenze je zwei Zweckverbände fusioniert. Und vielleicht gibt es bald ein gemeinsames Büro für die Arbeitsgruppe.

Derweil sind offenbar Superlative Pflicht im Kampf um mediale und touristische Aufmerksamkeit. Die mehr als 500 Meter langen Abraumförderbrücken F60 sind die größten beweglichen Objekte der Erde. Im Seenland liegt Deutschlands einziger ständiger Wasserflugplatz. Der Bärwalder See ist der größte Sachsens, das neue Amphitheater dort das größte Ohr der Welt und so weiter. Selbst die IBA-Künstler, -Gestalter und -Planer ziehen ab und zu einen solchen Trumpf, um "Alleinstellungsmerkmale" zu demonstrieren. Und zur Freude der "Projekt M"-Autoren steigen viele Medien darauf ein (dieser Text nicht ausgenommen): Sie zeigten ein "durchgängig positives Bild von der Landschaft im Wandel", so die Studie. Nur die Zeitung Die Welt hob sich davon ab und nutzte einen Superlativ des Wunderns, um Neu-Seenland zu beschreiben. Sie fand hier "die wohl seltsamste Zivilisationskante der Welt".

Ein See wird vermisst

Lässig in die Liegestühle der Uferpromenade gelümmelt, halten Gäste ihr Gesicht in die Sonne. Manche sind im nahen Seehotel einquartiert und haben ihren Wagen an der Seestraße abgestellt, die früher Ernst-Thälmann-Straße hieß. Eine sanfte Brise weht, Flaggen knattern leicht, Seile klackern an Fahnen-masten. Und die Seebrücke führt einige Dutzend Meter ins ...

... Nichts.

Es fehlt der See. Es gähnt das Loch. Eine Zivilisationskante.

"Eine Zwischenlandschaft", sagt Rolf Kuhn, "nicht mehr Tagebau, noch nicht See." Kuhn ist Geschäftsführer der "Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land 2000­2010" und damit Begleiter dieser Landschaft im Wandel. Die IBA Fürst-Pückler-Land mit Sitz im brandenburgischen Großräschen ist neben der IBA Hamburg und der IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt eine von drei derzeit parallel laufenden Bauausstellungen in Deutschland, mit deren Hilfe man Regionen und Landstrichen innovative städtebauliche Impulse geben will.

Kuhn ist ein Visionär mit Rauschebart und dem IBA-Logo am Sakko, einem himmelblauen Viereck mit dem doppeldeutigen Schriftzug "see". Wenn er zurückblickt auf mittlerweile neun Jahre Bretterbohren im und fürs Seenland, spürt man, dass mancher unterdrückte Fluch auf kleinkarierte Funktionäre hier durch sein Büro gehallt ist. Er selbst drückt das so aus: "Seenland und Sanierung wären auch ohne uns entstanden. Aber wir konnten mit allen Beteiligten ein Konzept entwickeln, um dem Seenland ein Gesicht zu geben."

Doch auch wenn Kuhns Leute anfangs öfter mit dem LMBV-Ingenieurssprech kollidierten, mittlerweile harmonieren die Gruppen. Es gilt, das Machbare mit der Vision langfristig zu verknoten. "In der Lausitz wurde anderthalb Jahrhunderte lang Kohle gefördert", sagt Kuhn, "diese Industriekultur kann man nicht einfach beiseite räumen. Im Gegenteil, wir stellen sie aus, weil sie diese Landschaft geprägt und gestaltet hat." Davon zeugen Landmarken wie die Abraumförderbrücke in Lichterfeld und die Biotürme in Lauchhammer, einst mächtige Anlagen, heute identitätsstiftende Zeugen der Vergangenheit. Auch wenn die Landschaft sich wandelt, die Lausitzer sollen sich darin wiederfinden.

Nur einen, nun ja, Wermutstropfen hat die IBA: Sachsen macht nicht mit. Brandenburg gibt jedes Jahr 1,2 Millionen Euro in den IBA-Etat, Sachsen null Euro.

In einem Grenzprojekt.

Entsprechend zurückhaltend agiert die IBA in der Oberlausitz, auf sächsischer Seite. Entsprechend unglücklich darüber ist mancher Dresdner Minister. Und entsprechend ärgerlich sagt ein Mitglied der nordsächsischen Verwaltung: "Machen wir uns nichts vor: Dies hier ist Provinz. Die IBA hat es richtig gemacht und kluge Köpfe geholt ­ wir nicht."

Aber vielleicht engagiert sich die Sächsische Landesregierung ja beim Nachfolger der IBA. Die schließt 2010 ihre Ausstellungstüren, und dann soll eine "Energieregion GmbH" wohl eine ähnliche Vernetzungs- und Impulsgeberfunktion übernehmen.

"Zum Ende der IBA 2010 wollen wir auch", sagt Conny.

"Dass da 'ne IBA ist und dass die mehr als ein Jahr geht, war mir völlig unbekannt. Auch dass die lang angelegte Projekte verfolgt, habe ich erst begriffen, als ich einen Flyer darüber gelesen habe", sagt Jan.

"Das war letztes Jahr, da waren wir auf den Terrassen, da war so gut wie kein Wasser im Ilse-See. Dieses Jahr ist der Wasserstand schon enorm angestiegen."

Die IBA-Leute betonen das Prozesshafte, zeitlich wie geografisch. Manchmal sorgt das für Ungeduld bei den Lausitzern: Wann ist endlich unser See voll? Zur Hälfte gefüllt ist der Sedlitzer See, der Partwitzer zu gut zwei Dritteln. Anders gesagt: Der Sedlitzer wird noch um neun Meter ansteigen, der Partwitzer um vier ­ und im Ilse-See, direkt vor den IBA-Terrassen, sollen noch 26 Meter dazukommen. Im Jahr 2015 soll er den Endstand erreichen, als einer der letzten der Restlochkette.

Dann wird die IBA-Terrasse schon weniger Zivilisationskante sein, im Seehotel werden auch normale Urlaubsgäste einchecken, nicht nur Tagungsteilnehmer. Und ab 2045, so der heutige Stand, werden die jetzt noch aktiven Tagebaue Welzow-Süd und Nochten geflutet.

"Manchmal frage ich mich, wer das alles hier am Ende nutzen soll, so schön alles auch wird. Man muss sich das schon leisten können."

"Du hast recht. Gerade hier, wo die Arbeitslosigkeit so groß ist. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass alle einen Job in der Touristikbranche bekommen. Vielleicht können ein paar zumindest Führungen machen."

"Das ist wahrscheinlich noch der beste Fall. Kann sich aber ja nicht jeder gut verkaufen."

Flugkapitän Bär kann es zweifelsohne, Karin Mietke kann es weniger, dafür ist sie eine prächtige Unternehmerin. Mietke, 47, hat in einem früheren Leben die Rechner von Tagebaugroßgeräten programmiert. Und wer sieht, wie sie beim Sprechen ständig vor sich auf den Tisch blickt, kurz aufschaut mit rotrandiger Brille und den Blick wieder senkt, kann kaum glauben, dass sie mit ihrem Mann Unternehmungen begonnen hat, die in drei Lebensläufen Platz fänden.

Die Frau steht unter Strom, sie ist ein Kraftwerk. Mit kleinen, flinken Schritten ist sie um ihren Reiterhof geeilt, hinein in die Gaststätte, hin zum Tisch, los geht das Gespräch, sie hat wenig Zeit. Karin Mietke ist die Vermieterin von Conny und Jan und damit stolze Besitzerin des ersten schwimmenden Ferienhauses der Region. Angeregt vom IBA-Konzept der schwimmenden Architektur, hat sie den Holzwürfel auf dem Partwitzer See bauen lassen ­ und war einige Monate früher fertig als die Tauchschule im Gräbendorfer See. Aber das war erst im dritten Leben.

Im ersten war sie eine Erfurterin, die in Zittau "Wirtschaftliche Energieanwendung" studierte und Hans-Peter kennenlernte, Student der Kraftwerkstechnik. Beide fanden in der Lausitz Arbeit im Braunkohlenkombinat (BKK). Karin Mietke "musste auf der Arbeit eigentlich nur noch Zahlen fälschen", Hans-Peter entwarf BKK-Projekte, die im Papierkorb landeten. Sie waren unterfordert und träumten vom Westen. Doch erst kam ihr Sohn Christian zur Welt. Und dann kam der Westen zu ihnen.

Drei Versuche, drei Treffer

Da begann Mietkes zweites Leben, eines ohne Braunkohle. Wie 133000 der einst 140000 Beschäftigten in den BKK der DDR wurde sie arbeitslos. Ihr Mann kündigte selbst. Die Mietkes hauten einen Onkel im bayerischen Erlangen an, der in einem Pressegroßhandel arbeitete. Der führte all die bunten Magazine, die die Leute damals wollten. Mietkes fuhren nach Hoyerswerda vor das Centrum Warenhaus, verkauften erst aus dem Kleintransporter heraus im Kurs 1:2 und bauten dann ein Verteilersystem für die entstehenden Kioske auf.

Sie wurden Pressegrossisten, verkauften anderthalb Jahre später die Firma und stellten auf Bier für die Kioske um. Auch das lief gut, Ende 1991 verkauften sie wieder mit Gewinn und gründeten eine Heizungsfirma: "Die Leute wollten ja ihre Häuser modernisieren." Drei Firmen in drei Jahren, drei Goldgruben. Rasch hatten sie 50 Mitarbeiter. Doch der Kraftwerkstechniker Hans-Peter Mietke sah, dass irgendwann die Häuser der Region saniert sein würden.

Hier beginnt das dritte Leben der Mietkes. Das Dorf Partwitz, in dem Hans- Peter Mietke groß wurde, gibt es nicht mehr, abgebaggert wie 500 weitere Dörfer im ostdeutschen Braunkohlerevier. Irgendwo dort stand es, wo heute die Ferienhütte schwimmt. Die Mietkes kauften einen ehemaligen Schafstall in der Nähe und bauten ihn zu einem Reiterhof aus. 50 Pferde finden mittlerweile dort Platz, eigene und Pensionspferde. In der Reithalle fanden gerade erst die Deutschen Meisterschaften im Voltigieren statt.

Karin Mietke war gleich elektrisiert von der IBA-Idee schwimmender Häuser. Ihr Hof liegt nur einen Steinwurf vom See entfernt, ideal für Strom- und Abwasseranschlüsse. 2005 kaufte sie von der LMBV das Uferstück und focht die Genehmigungsverfahren für das Haus durch: Nach Bergbaurecht, Wasserrecht und Baurecht, ein Kampf mit den Behörden, klar, war ja alles neu. Mietke winkt ab: "Was die nicht kennen, gibt's auch nicht." Und so langsam wird klar, dass diese Frau nicht nur ein starker Motor antreibt, sondern auch das Beharren auf einer Vision.

Da ist etwa die Sache mit der Qualität des Seewassers. Der pH-Wert des Partwitzer Sees liegt erst bei 3,2 ­ noch immer nicht viel neutraler als Haushaltsessig, aber dank Kalkeinstreuungen zumindest schon besser als direkt nach der Flutung. Immerhin darf man inzwischen baden (wenn man will und sich an dem mitunter brackigen Geruch nicht stört). Gesundheitsschädlich ist es wohl nicht, auch wenn für Badewasser ein pH-Wert von ungefähr 6 empfohlen wird.

Schuld an der Misere ist der Lausitzboden, der reichlich Pyrit enthält, eine Schwefel-Eisen-Verbindung, die an der Luft oxidiert; beim Fluten lösen sich die Sulfate und werden zu Schwefelsäure. Karin Mietke nimmt das saure Wasser stoisch. "Das dauert noch 25 Jahre, bis der See neutral ist. Aber dafür, sag' ich immer, spart man sich das teure Peeling beim Kosmetiker. Und das Wasser ist klar, Algen und Bakterien haben in dem essigsauren Wasser keine Chance." Sie hat den Spruch schon öfter gesagt, das merkt man. Lustig ist er trotzdem.

Conny blättert durch das Gästebuch des Ferienhauses. Viel Lob darin ­ nur eine Leipzigerin motzt über die Motorboote auf dem See. Conny runzelt die Stirn: "Weiß man doch, dass so etwas auf einem See stattfindet. Ich finde ein bisschen Leben auf dem See hier schön. Wenn ich Ruhe will, gehe ich auf den Friedhof. Ist doch wahr."

Sie verteidigt den Partwitzer See, als hätte sie persönlich das Wasser eingelassen. Sogar das Hausinnere findet sie schön, dabei ist die Einrichtung geschmackfrei neutral. Karin Mietke selbst würde mittlerweile Fenster in Richtung See einsetzen lassen und nicht Richtung Land, und die Treppe sollte ihrer Ansicht nach auch weniger Raum einnehmen. Aber das kann sie demnächst besser machen ­ mit ihrer "Aqua Terra Lausitz GbR" plant sie eine ganze Feriensiedlung, ein Teil davon soll ebenfalls auf dem See schwimmen.

Der Sturm ist vorbei. Die Anker haben gehalten. Das erste schwimmende Haus des Lausitzer Seenlandes dümpelt wieder ruhig in der Sonne. Conny und Jan sind zurück nach Erfurt. "Ach ja, das auch!", werden sie häufiger rufen auf der Fahrt, "das möchte ich nächstes Jahr auch sehen!" Die Landmarke etwa am Sedlitzer See, eine 30 Meter hohe Stahlstele; die noch aktiven Tagebaue; die Seenplatte von oben mithilfe von Pilot Frank-Peter Bär.

Das Paar hat 2010 viel vor in der Gegend. Hinten im Kombi schläft Tanja. Die Hündin ist immer noch ein klein wenig seekrank.